The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)
Working Paper Series
Dr. phil. Clemens Heni
Mainstream-Antisemitismus von Aimé Césaire bis Whoopie Goldberg: Schwarze und der Antisemitismus
Der Holocaust habe „nichts mit Rasse“ zu tun gehabt,
Täter und Opfer seien „Weiße“ gewesen
1. Februar 2022
Impressum:
Herausgeber: The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)
C/o Verlag Edition Critic, Sophie-Charlotten-Str. 9-10, 14059 Berlin
E-Mail: clemens.heni[at]mail.com
Copyright@ BICSA und Clemens Heni, 2022
Die Schauspielerin Whoopie Goldberg (66) war über Silvester und Neujahr mit einer Corona-Infektion krank und das womöglich nicht obwohl, sondern weil sie dreimal geimpft ist.
Doch sie war dann doch bald wieder gesund. Und was die „unheilbar Gesunden“ so tun, außer zu Zeugen Coronas, zu Gläubigen einer nie dagewesenen Pandemie (seit 2018 oder 1968/70 oder 1957/58) zu mutieren, das zeigt uns jetzt Goldberg ganz exemplarisch. Sie hat in einer Fernsehshow gesagt, der Holocaust habe „nichts mit Rasse zu tun“. Das sagte sie gestern, am 31. Januar 2022, in ihrer Talkshow „The View“ im Fernsehsender ABC in den USA. Die Nürnberger Rassegesetze, die rassistische Unterscheidung von „Arier“ und „Jude“ – alles Einbildung! Alles Fake News – von Weißen. Das war ihre Message.
Es sei im Holocaust lediglich darum gegangen, wie man mit anderen Menschen umgehe. Die Shoah als zwischenmenschlicher Konflikt, der blöd für die Juden ausging.
Sparks fly as The View panel confronts Whoopi after she says "the Holocaust isn't about race. No. It's not about race."
"Well, the considered Jews a different race," Joy Behar says."But it's about white supremacy. It's about going after Jews and Gypsies," Ana Navarro adds. pic.twitter.com/GZwZSi2qXi
— Nicholas Fondacaro (@NickFondacaro) January 31, 2022
Diese Art Derealisierung, Entwirklichung des Rassen-Antisemitismus der Deutschen ist nichts Neues. Gerade schwarze Autorinnen und Autoren vertreten diese These seit Jahrzehnten. Das macht ihren Antisemitismus nicht besser.
Dazu muss ich etwas weiter ausholen, weil es eine ganz grundlegende Debatte ist, die zeigt, wie enorm wichtig Holocaust Education ist und wie wenig da in den letzten gut 75 Jahren erreicht wurde. Schwarzer Antisemitismus beziehungsweise schwarze Holocaustverharmlosung und Leugnung der Präzedenzlosigkeit der Shoah kommen jetzt via der ultra bekannten Whoopie Goldberg – die sich selbst in einer Anmaßung diesen jüdischen Nachnamen vor Jahrzehnten gab – wieder in den Fokus.
Im Jahr 2017 begann eine Kontroverse über die Verharmlosung des Holocaust durch die postkoloniale Theorie, wobei der Journalist Alan Posener dem Historiker Jürgen Zimmerer vorwirft, mit seiner Forschung den Holocaust zu verharmlosen:
„Der Historiker Jürgen Zimmerer stellt die Auslöschung des europäischen Judentums in die Tradition des europäischen Kolonialismus. Dadurch missversteht er den Holocaust und relativiert ihn“.[1]
Der Ausgangspunkt, die Geschichte des Kolonialismus, die Posener eher positiv oder aber dialektisch sieht, wäre eine eigene Studie wert. Es geht hier um die Kritik an der Verharmlosung der Shoah durch den Postkolonialismus. In einem dann folgenden Gespräch von Posener mit Zimmerer, organisiert von der Wochenzeitung Freitag und dessen Herausgeber Jakob Augstein und dem Journalisten Michael Angele, lehnen sich die beiden Freitag-Journalisten an eine antisemitische Ideologie an und sagen:
„Man kann das mit der Einzigartigkeit aber auch ganz anders sehen, oder? Die aus Jamaika stammende Kulturhistorikerin Imani Tafari-Ama kümmert sich gerade in Flensburg um die Kolonialgeschichte dieser Handelsstadt, und sie hat neulich gesagt, die Europäer müssten anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte sei – größer als der Holocaust. Offenbar hängt der Blick auf die Geschichte auch davon ab, welchem Kulturkreis man angehört.“[2]
Darauf antwortet Posener:
„Es gibt keinen ‚weißen‘ oder ‚schwarzen‘, ‚jüdischen‘ oder ‚christlichen‘ Blick auf den Holocaust; es gibt, wenn wir von Wissenschaft reden, und hier ist von einer Wissenschaftlerin die Rede, nur den wissenschaftlichen Blick auf den Holocaust. Und ‚das mit der Einzigartigkeit‘ des Holocausts kann man eben nicht ‚ganz anders sehen‘, bloß weil man aus Jamaika stammt.“[3]
Die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin Imani Tafari-Ama, von Juli 2017 bis März 2018 Fellow am Flensburger Schifffahrtsmuseum mit dem Projekt „KulturTransfer. Unser gemeinsames Kolonialerbe“, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes in deren Programm „Fellowship Internationales Museum“,[4] wurde in der taz Gelegenheit zur Verbreitung ihrer antijüdischen, den Holocaust als präzedenzloses Verbrechen leugnenden Ungeheuerlichkeiten gegeben:
„Wenn ich Deutsche nach ihrer kolonialen Schuld befrage, heißt es oft, das kollektive Gedächtnis sei eben mit dem Holocaust viel zu sehr beschäftigt gewesen. Der habe alles andere verdrängt. Das mag stimmen. Trotzdem bleibt der Genozid an den Herero und Nama in Namibia bestehen; trotzdem bleiben die Unterdrückungsmaßnahmen in Togo, in Ruanda, in Tansania, in Kamerun – oder eben auf den Jungferninseln – Verbrechen, für die jemand haften muss. Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte ist, größer noch als der Holocaust.“[5]
Das ist eine offenbar im Mainstream angekommene neue Form der Holocaustleugnung, der Softcore-Variante, wie die Historikerin Deborah Lipstadt sagen würde.
Das „größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ sei der transatlantische Sklavenhandel und der Kolonialismus gewesen – und nicht der Holocaust. Das ist eine antisemitische Geschichtsumschreibung. Im Kolonialismus wurde kein Volk aus keinem anderen Grund, als es zu vernichten, vernichtet.
Es gab kein cui bono in der Shoah. Die Sinnlosigkeit war das Unaussprechbare, das Unvorstellbare, der Bruch jeglichen zivilisatorischen Vertrauens. In der Sklaverei hingegen, so schrecklich und verabscheuenswert sie war, war das Ausbeuten lebendiger Arbeitskraft Kern des Verbrechens. Es ging um Profit und Macht. Nicht so im Holocaust, der auf einer anderen Grundlage basiert: dem Antisemitismus, der kein bloßer Rassismus ist, sondern panische Angst vor „dem“ Juden anzeigt. Die postkoloniale Agitatorin Tafari-Ama scheint sehr wohl zu wissen, was sie tut, sie möchte einen Trend setzen und Juden und Holocaustüberlebende sowie deren Nachkommen provozieren, indem sie den Sklavenhandel als das größte Verbrechen der Geschichte der Menschheit herbeifantasiert. Sie trivialisiert den Holocaust und die taz scheint das zu billigen, denn sie publizierte diesen Text ohne kritischen Kommentar. Doch Tafari-Ama fühlt sich wohl irgendwie als links und gut. Als Schwarze wähnt sie sich jenseits der Kritik.
Die Zeitschrift Peripherie („Politik Ökonomie Kultur“) teilt diese Form des postkolonialen Antisemitismus. In der Ausgabe 146/147 von August 2017 schreiben Aram Ziai und Daniel Bendix:
„Ein entsprechendes ‚Pro und Kontra Kolonialismus‘-Tabu gilt in der heutigen BRD nicht. Aimé Césaire hat es schon 1955 gewusst: Weiße Opfer, zu denen er Jüd*innen zählte, scheinen (zumindest für die meisten Weißen) gleicher als andere. Deswegen wurden nicht die kolonialen Völkermorde, sondern erst der Völkermord im Nationalsozialismus von der westlichen Welt als ‚Zivilisationsbruch‘ wahrgenommen (Diner 1996).“[6]
Es wird hier Aimé Césaire bemüht und mit seinem skandalösen Ideologem zitiert. Juden als „weiße“ Opfer zu bezeichnen und damit den eliminatorischen Antisemitismus rassismustheoretisch zu negieren, ist unglaublich. Sie leugnen mehrfach das Nie-Dagewesene der Vernichtung eines ganzen Volkes, der Juden. Sie sind keine Auschwitzleugner, sondern leugnen, dass es so etwas wie die Shoah nie zuvor gegeben hat. Sie wollen den Begriff „Zivilisationsbruch“ vorverlegen und damit negieren, dass es vor Auschwitz, Sobibor, Treblinka, Belzec, Majdanek und Kulmhof niemals in der Geschichte der Menschheit Fabriken zur Vernichtung von Menschen gab. Sie stellen also in Abrede, dass die Juden als Volk ausgerottet werden sollten, was es nie zuvor in der Weltgeschichte gab. Es ging um die Vernichtung eines Volkes aus keinem anderen Grund, als dem, dem Volk der Juden anzugehören. Nichts dergleichen ist jemals im Kolonialismus oder einer anderen Zeit auf der Welt passiert.
Aram Ziai ist Herausgeber eines Buches über Postkoloniale Politikwissenschaft (2016).[7] Seine Obsession, Auschwitz mit dem Kolonialismus kurzzuschließen und somit in seiner Präzedenzlosigkeit zu leugnen, zeigt sich auch hier, gleich auf Seite zwei seiner Einleitung:
„Auschwitz, Wannsee-Konferenz, Vernichtungskrieg im Osten, Nürnberger Rassegesetze – das sind alles Begriffe, die wir aus dem Geschichtsunterricht kennen. Aber dass auf der Berliner Afrika-Konferenz 1884 Bismarck und andere Europäer den ganzen Kontinent unter sich aufteilten – wer weiß das schon?“[8]
Schließlich trivialisiert Ziai Auschwitz und Sobibor und die Shoah ein weiteres Mal, wenn er schreibt, dass Gier und Raub Zweck der Aktion gewesen sein könnten:
„Die Diskussion über die Singularität des Holocaust kann hier nur angerissen werden. Über die Singularität jedes historischen Ereignisses hinaus ist aus der Perspektive einer vergleichen Genozidforschung festzuhalten, dass der Holocaust hinsichtlich der Bürokratisierung und Industrialisierung des Massenmordes tatsächlich historisch einzigartig ist (Chalk/Jonassohn 1990). Hinsichtlich der Brutalität seiner Praktiken kann dies erschreckenderweise nicht behauptet werden. Auch die (vom Verfasser früher selbst vertretene) These, dass die Vernichtung der Juden durch die Nazis im Unterschied zu anderen Genoziden nicht Mittel zum Zweck, sondern Zweck an sich war, muss angesichts der Forschungen zum mit Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung verbundenen Raub (z. B. Aly 2005) als umstritten gelten.“[9]
„Umstritten“ ist die Analyse der Sinn- und Zwecklosigkeit des Holocaust nur unter Verharmlosern der Shoah. Das obige Zitat ist undurchdacht und konzediert lediglich aus taktischen Gründen, wie es scheint, dass die „Industrialisierung des Massenmordes tatsächlich historisch einzigartig ist“ – was aber gleich wieder dementiert wird, indem der Autor die Sinnlosigkeit der Vernichtung der Juden in Frage stellt und ökonomische Vorteilnahme vermutet, wie bei unzähligen Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Die beiden postkolonialen Agitatoren der Peripherie, Ziai und Bendix, sind repräsentative Vertreter des heutigen Postkolonialismus.[10] Noch einmal: Die beiden Autoren negieren, dass es die geplante und durchgeführte Vernichtung eines Volkes ohne jedweden militärischen oder ökonomischen Aspekt niemals zuvor gab:
„Aimé Césaire hat es schon 1955 gewusst: Weiße Opfer, zu denen er Jüd*innen zählte, scheinen (zumindest für die meisten Weißen) gleicher als andere. Deswegen wurden nicht die kolonialen Völkermorde, sondern erst der Völkermord im Nationalsozialismus von der westlichen Welt als ‚Zivilisationsbruch‘ wahrgenommen“.[11]
Sie behaupten damit, dass die Shoah nicht präzedenzlos war, denn es habe schon zuvor den „Zivilisationsbruch“ gegeben. Diese Leugnung der Präzedenzlosigkeit wird von der Redaktion durchgewunken und unterstützt, also auch von dem Redaktionsmitglied Reinhart Kößler.[12] Das ist bemerkenswert, weil er beim Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main als stellvertretender Direktor des Pädagogischen Zentrums angestellt ist.[13] Das Fritz Bauer Institut selbst intoniert jedoch diese Form der Holocaustverharmlosung via Komparatistik und Universalisierung, indem im Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust von 2004 mit dem Titel Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in der Einleitung ausgeführt wird:
„Zurück nach Europa: Hier waren es keine Kolonialvölker, sondern Teile der eigenen Bevölkerung, die vom Hitler-Regime stigmatisiert, ausgegrenzt und schließlich ermordet wurden. Ähnlich und doch gänzlich unterschiedlich verfuhr die sowjetische Regierung mit den Bevölkerungsteilen, die ideologisch verfemt und angeblich ökonomisch überflüssig waren. Auch hier, beim so genannten ‚Hunger-Genozid‘ in Teilen der Sowjetunion, vor allem in der Ukraine, diente die gewollte Dezimierung weiter Bevölkerungsteile, wieder unter den Augen der Weltöffentlichkeit, der Durchsetzung einer Ideologie, die Menschen nicht nach ‚Rassen‘, aber nach ‚Klassen‘ einteilte.“[14]
Diese Gleichsetzung von Rot und Braun trivialisiert den Nationalsozialismus auf bekannte Art und Weise. Jegliches Verständnis für das Nie-Dagewesene der Vernichtung eines Volkes, der Juden, geht hier im Orkus der Weltgeschichte unter. Die Juden seien nicht als Juden ermordet worden, sondern als „Weiße“, so die Ideologie vieler schwarzer Aktivist*innen im Zuge Aimé Césaires, wie dem eingangs zitierten Achille Mbembe oder auch der beiden Publizisten Henning Melber und Gottfried Kößler:
„Der heutige namibische Premierminister Theo-Ben Gurirab hat die Weigerung der in der Rechtsnachfolge des Deutschen Reichs stehenden Bundesregierungen, sich für das deutsche Kolonialregime, das in seinem Land von 1884 bis 1914 währte, und insbesondere für die Völkermordstrategie, mit der der landesweite Aufstand 1904–1907 unterdrückt wurde, auch nur zu entschuldigen, anlässlich der Weltkonferenz gegen Rassismus im südafrikanischen Durban Anfang September 2001 scharf kritisiert. Er stellte die Vermutung an, diese sei nicht zuletzt darin begründet, dass die Opfer der deutschen Politik anders als im Zweiten Weltkrieg schwarz gewesen seien.“[15]
Dieses Zitat möchte allen Ernstes Juden einen quasi privilegierten Opferstatus zusprechen. Das ist eine Art Holocaustleugnung der bemerkenswerten Art: Schwarze als Opfer von Weißen, Juden als „Weiße“ seien sozusagen nur zufällig zum Opfer gemacht worden.
Das leugnet die gesamte Geschichte des „längsten Hasses“, des Antisemitismus. Jeglicher Versuch zu verstehen, was der Holocaust war, wird unterbunden, indem die typische Gewalt eines Kolonialstaates mit der nie dagewesenen Idee, ein spezifisches Volk zu vernichten, gleichgesetzt wird. Das ist das immer wiederkehrende Muster der Verharmlosung der Shoah durch weite Teile der postkolonialen Forschungsliteratur. Wenn man sich anschaut, mit wie vielen Multiplikatoren das Fritz Bauer Institut und namentlich sein Pädagogisches Zentrum unter Kößler kooperiert – wie der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ), dem Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der TU Berlin, der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, der Uni Frankfurt und der Bundesregierung mit entsprechenden Förderprogrammen[16] –, zeigt sich, wie unkontrovers diese Form der Verharmlosung der Shoah heute bei Aktivist*innen gegen Antisemitismus und in Akademiker*innenkreisen durchgewunken und gefördert wird. Mehr Geld für solche Forschungszentren und Projekte, wie es seit Jahren gefordert wird, könnte kontraproduktiv sein für die Erforschung und Kritik des Antisemitismus. Die Autoren Kößler und Melber verwenden selbst das entscheidende Wort bezüglich der deutschen Kolonialpolitik in Deutsch-Südwestafrika und dem Mord an den Herero und Nama ab 1904: es war eine Reaktion der deutschen Kolonialmacht auf einen „Aufstand“. Das ist einer der alles unterscheidenden Aspekte verglichen mit dem Holocaust.
Wenn ernsthaft eine Vergleichbarkeit von einer brutalen und massenmörderischen Reaktion auf einen Aufstand mit der Vernichtung der europäischen Juden durch die Deutschen formuliert wird, wird geleugnet, dass die Juden aus dem einzigen Grund ermordet worden, dass sie Juden waren. Kein Aufstand nirgends, der die Deutschen ‚provoziert‘ hätte etc. Wir kennen das hingegen von Holocaustleugnerkreisen, die eine „Kriegserklärung“ der Juden an die Deutschen herbeifantasieren, um damit jegliche Vernichtungsaktion der Deutschen zu rechtfertigen und als bloße Reaktion zu diminuieren.
Auch das Projekt Freiburg postkolonial publiziert Texte Kößlers, die den gleichen Duktus haben und nicht im Ansatz verstehen, warum Kolonialismus und der Holocaust nicht miteinander verbunden sind, da koloniale Gewalt z. B. eine Re-Aktion auf Aufstände war, während die Shoah grundlos war und Rassismus kategorial verschieden ist vom Antisemitismus. Kössler bezieht sich auf Zimmerer und andere einschlägige Literatur, die für dieses analytische Versagen der postkolonialen Theorie stehen.[17]
Diese Kritik an typischen und repräsentativen Formen des postkolonialen und NS-verharmosenden Antisemitismus passen zu Geistesgrößen wie Whoopie Goldberg. Ihre Aussage, dass der Holocaust eine Art Konflikt unter Weißen gewesen sei, spiegelt diese Art von problematischer Forschung nur besonders grell und im Fernsehen wider.
Dass so etwas im amerikanischen Fernsehen wieder möglich ist, schockiert. Aber was will man in einem Land erwarten, das den Kampf der US Army gegen die Deutschen und die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg mit der Anzahl der angeblich oder tatsächlich an oder doch nur mit Covid-19 Gestorbenen in eine Reihe stellt, wie es Joe Biden Anfang 2021 getan hat?
Der 46. Präsident der USA, Joe Biden, sprach auf seiner Inauguration am Mittwoch, den 20. Januar 2021 davon, dass an Corona so viele Amerikaner gestorben seien, wie im Zweiten Weltkrieg Soldaten im Krieg gegen die Deutschen.[204] Dieser groteske Vergleich eines Krieges gegen Nazi-Deutschland und eines ganz normalen Virus zeigt den Wahnsinn in der westlichen Welt, wie er seit 2020 viele Hirne angegriffen hat.
Corona greift also auch die Hirne an. Auch eine englische Übersetzung dieses Working Papers würde vermutlich für jemand wie Goldberg nichts bringen – sie würde auf ihrer Universalisierung und Derealisierung der Shoah beharren, ihre Entschuldigung, nachdem es in den USA massive Kritik an ihren Äußerungen gab, sind völlig lachhaft, da sie – man kann das im Video sehen – mehrfach diesen Antisemitismus vertritt, nachdem es nicht um „Rasse“ gegangen sei im Nationalsozialismus, dem deutschen NS-Antisemitismus und dem Holocaust.
Wir müssen dazu nochmal etwas ausholen und das wissenschaftlich kontextualisieren, weil der Fall Whoopie Goldberg zeigt, wie tief der postkoloniale und schwarze Antisemitismus sitzen – und das nachdem es jahrzehntelange Bemühungen gab, das Thema Holocaust auch Schwarzen zu vermitteln. Während es mittlerweile ganz neue und positive Entwicklungen in der arabischen Welt gibt – Holocaust Gedenken dieses Jahr z.B. in Dubai, scheint es ausgerechnet in Amerika einen ganz fatalen Rückschlag zu geben mit diesem unerträglichen Geschwätz, nein: dieser offenkundig tief sitzenden, sedimentierten Ideologie der Antisemitismus-Verleugnung und der Derealisierung des Kerns des Nationalsozialismus: dem Rassen-Antisemitismus.
Der Historiker Jakob Zollmann forscht zu Deutsch-Südwestafrika.[18] Entgegen Zimmerer kritisiert Zollmann vehement die behaupteten Kontinuitätslinien vom Kolonialismus hin zum Nationalsozialismus. So sei die deutsche Herrschaft in Deutsch-Südwestafrika, wie es seinerzeit hieß, keineswegs faschistisch gewesen, sondern es habe immer wieder Widerstand gegen die deutsche Kolonialmacht gegeben. Zudem habe Afrika eine eigene Geschichte, die nicht als bloße Vorläufer-Geschichte des europäischen Faschismus oder des deutschen Nationalsozialismus betrachtet werden dürfe. Zimmerers These von der „Geburt“ des „Ostlandes“ aus dem Geist des Kolonialismus[19] weist Zollmann zurück. 2007 hatte Zollmann in einem wissenschaftlichen Beitrag für die Namibian Studies[20] die deutsche Debatte über die vorgeblichen Verbindungslinien von Kolonialismus und Nationalsozialismus kritisiert, namentlich die Publizisten Reinhart Kößler und Henning Melber. Jene würden Hannah Arendt heranziehen, um eine „direkte Beziehung zwischen dem Siedlerkolonialismus und der Nazidiktatur“ herzustellen.[21]
Die Historikerin Birthe Kundrus ist ebenfalls zurückhaltend mit diesen Kontinuitätslinien, wie sie Zimmerer und viele nicht-deutsche Forscher*innen aus dem Bereich des Postkolonialismus behaupten.[22] Sie erwähnt mehrere Autoren, die jene historische Kontinuität ebenfalls betonten, wie Aram Mattioli[23] oder Micha Brumlik.[24] Kundrus kritisiert (wenn auch moderat) ebenfalls Kößler und Melber und deren Behauptung einer direkten Beziehung von kolonialem Rassismus und Antisemitismus.[25] Sie bezieht sich auf den Historiker Boris Barth, der den Massenmord an Herero und Nama nicht als gezielten Genozid begreift, sondern als eine „Strafaktion“, die viel brutaler ausfiel, als geplant, und zudem als eine Re-Aktion auf einen militärischen Angriff der Kolonisierten auf den Kolonisator. Das macht das Morden nicht besser, ordnet es aber kategorial anders ein.[26] Zollmann verdeutlicht noch einmal, dass das Zurückrudern von Zimmerer, er betreibe keine Gleichsetzung von kolonialem Genozid und dem Holocaust, schon an seiner eigenen Sprache scheitert, weil die von ihm verwendete Formulierung „die Geburt des Ostlands…“ doch recht eindeutig ist:
„Indeed, Jürgen Zimmerer warns against, even rejects, an equation of the Holocaust with colonial genocide (…) German colonial experience is seen by Zimmerer to have acted as a cultural (re)-source (kulturelles Reservoir) from which the National Socialists would have drawn their ideas. These rather ominously formulated ideas of Zimmerer are repeated in his piece titled Die Geburt des ‚Ostlands‘ aus dem Geist des Kolonialismus. And they do not become clearer here, as the ominous title – ‚Birth of the ‚Ostland‘ conceived by the spirit of colonialism‘, demonstrates. His title gives the impression of answering a question which has been posed by those who want to emphasize the continuities, not to say causalities, Zimmerer had just denied in his article. A ‚birth‘ has only one reason – it is monocausal by its very nature. By choosing this title, Zimmerer has described a situation of a ‚because/therefore…‘ In his understanding the spirit of colonialism is the reason for the ‚Ostland‘ – and all that has happened there, including the extermination of the Jews. No colonialism, no ideas of Germanised Eastern Europe, no Holocaust? Zimmerer’s arguments do not convince, they confuse – not only the reader, but also the issues.“[27]
Auch der Historiker Winfried Speitkamp weist das Argument, Deutsch-Südwestafrika sei ein Vorläufer des Nationalsozialismus gewesen, zurück.[28] Er kritisiert Zimmerer und dessen Kollegen Joachim Zeller, die Herero und Nama nur als Opfer betrachten ohne deren Widerständigkeit – ohne die es jenen Massenmord gar nicht gegeben hätte – entsprechend zu würdigen. Es ging um Macht und Herrschaft und ein cui bono. All das fehlt vollkommen beim Holocaust. Der Holocaust wollte die europäischen Juden vernichten. Alle Juden. Und das sogar entgegen der militärischen Logik. Den Zweiten Weltkrieg verloren die Deutschen, den Holocaust haben sie bis zum letzten Tag durchgeführt auf den Todesmärschen.
Der Historiker Dan Diner hat 1988 den Band Zivilisationsbruch[29] herausgegeben und ist mit seinem Band Gegenläufige Gedächtnisse von 2007 ein Kritiker der Analogie von Kolonialgewalt und Holocaust.[30] Diner sagt über die kategoriale Differenz von Kolonialismus und Holocaust:[31]
„Die Kolonialmacht will ‚pazifieren‘, nicht vernichten.“
Weiter:
„Wie nahe kommen sich genozidale Kolonialkriege und Holocaust? Bei aller Absolutheit der kolonialen Gewalt – und dies im Unterschied zum konventionellen Krieg zwischen sich als Gleiche anerkennenden Gegnern – steht der Holocaust als eine bloße Vernichtung jenseits von Krieg, Konflikt und Gegnerschaft. Weder gilt es durch Gewalt einen Willen zu brechen noch etwas zu erzwingen. Der Vernichtungstod ist ein im Kern grundloser Tod.“[32]
Es geht um eine grundfalsche linke Ideologisierung der deutschen Tat, die als faschistische Barbarei mit dem falschen Namen verbucht wurde und wird. Ja der Kampf gegen den Faschismus wurde im geschichtspolitischen, mehr noch eschatologischen Fortschrittsdenken nur als fürchterlichste Unterbrechung verstanden. Nach Diner führte das unter anderem dazu, dass viele französischen Opfer der Deutschen, die in KZs interniert und gefoltert wurden, Auschwitz nicht zur Kenntnis nahmen, es nicht konnten:
„Die Emblematik der Tortur verdeckt die der Extermination. Dabei vermag gerade die Folter die Differenz zwischen Opferschaft aus Gründen einer politischen Entscheidung einerseits und der Vernichtung allein aus Gründen der Herkunft wegen andererseits anzeigen. So setzt die Folter einen zu brechenden politischen Willen voraus. Darin kommt – paradoxerweise – Anerkennung zur Geltung. Und so wie die Anwendung der Tortur den politisch handelnden Menschen voraussetzt, zahlt dieser den Preis der Pein und des Schmerzes in einem Kampf um den Erhalt seiner Würde. (…) Anders jene, die zur Vernichtung ausersehen waren – weder handelten sie dem Willen der Besatzer zuwider noch fielen sie ihrer Gesinnung wegen auf. Allein ihrer immer auch fiktiven Zugehörigkeit wegen, also ganz ohne Ansehen der Person, waren sie grundlos zur Ausrottung bestimmt. (…) Auch dass die Geschichte von Résistance und Deportation nicht zuletzt von jenen kanonisiert wurde, die im Ausgang des Weltkrieges eine Niederlage des Faschismus und den Sieg einer zukunftsfrohen Verheißung zu erkennen glaubten, trägt dazu bei. Das gilt auch für Jean Améry. In seinen Reflexionen stellt er die Tortur heraus, der er als belgischer Widerständler ausgesetzt war. Die an seine jüdische Herkunft gebundene Erfahrung von Auschwitz tritt dabei eher zurück. Im Anfang war der Widerstand. Das mit dem Ortsnamen Auschwitz verbundene Geschehen schuf sich erst später die ihm angemessenen Bilder und Begriffe.“[33]
Schließlich weist Diner auf jene Menschenrechtsaktivist*innen und universalistischen Autor*innen hin, die in all ihrem Tun anthropologisieren und nicht unterscheiden, sie vergleichen und setzen gleich, um ja nicht das Unaussprechliche der Shoah in den Blick zu nehmen, sie „verfehlen“ somit „die Fundamente historischer Urteilskraft“.[34]
Wie gezeigt, ist der Postkolonialismus ein wesentlicher Faktor in der Entwicklung und Propagierung von Antisemitismus.
Die antizionistische Dimension weiter Teile der postkolonialen Theorie wird in dem Band Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung (2015) von Maria do Mar Castro Varela von der Alice Salomon Hochschule Berlin und Nikita Dhawan von der Universität Innsbruck sowie dem Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies[35] deutlich.[36] Sie stellen drei der führenden postkolonialen Denker*innen vor: Edward Said, Gayatri Chakravorty Spivak[37] und Homi Bhabha. In ihrem Kapitel zu Said wird explizit auf seine Pro-Palästina-Aktivitäten eingegangen.[38] Sehr problematisch wird es, wenn sie Saids Ideologie zitieren, die arabische Seite solle den Holocaust nicht leugnen, da sie sonst schwerlich ihre eigene heutige Opferrolle betonen könne. Damit sind mit der Anerkennung der Shoah durch die Palästinenser aus Juden Täter geworden, die gegen die Palästinenser so handelten wie früher die Deutschen gegen die Juden.[39] Der tief sitzende und in vielen Schriften Saids vorkommende Antizionismus und seine Ablehnung Israels als jüdischer Staat wird hingegen nicht erwähnt.
Zurück zur Debatte von Alan Posener mit den postkolonialen Autoren Zimmerer und Augstein et al. Es ist klar, dass einem mit antiisraelischen und antisemitischen Invektiven um sich werfenden Jakob Augstein, der namentlich 2012 das antisemitische Gedicht von Günter Grass feierte, die oben zitierte Leugnung, dass der Holocaust das schrecklichste Verbrechen der Geschichte der Menschheit ist, wie Tafari-Ama in der taz sagen durfte, gefällt. Also attackiert er mit seinem Kollegen Angele Alan Posener mit dieser Form des Antisemitismus. Die Rede vom „Kulturkreis“, so Augstein und Angele, ist schon problematisch und kann das Gleiche meinen wie die Neue Rechte, die vom „Ethnopluralismus“ spricht: universelle Werte gibt es nicht. Das scheint auch hier dahinter zu stecken.
Die Aussage von Tafari-Ama ist eine moderne Form der Holocaustleugnung, eine die nicht strafbar zu sein scheint und in der Forschung kaum je erkannt wird. Eine Softcore-Leugnung mit bestem Gewissen. Wenn der Holocaust lediglich eine Art rassistischer „Verschleppung“ war, dann war der Holocaust weder präzedenzlos, noch war sein Ziel, alle Juden zu ermorden, etwas Neues, Nie-Dagewesenes. Diese Auffassung ist offenkundig eine Geschichtslüge. Nie zuvor hat ein Land aus allen Teilen des Kontinents, von Paris über Athen, Berlin, Riga, Belgrad und Kiew Juden aufgespürt, deportiert und vernichtet. Das gab es nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Sklaven wurden von Christen wie von Muslimen zu vielen Millionen qualvoll über den Atlantik oder in den Nahen Osten verschleppt – aber nicht, um sie zu ermorden, sondern um sie auszubeuten. Das ist der Unterschied ums Ganze, den postkoloniale Autor*innen, nicht sehen wollen oder können. Kein Mensch kann das Verbrechen der Sklaverei oder des Rassismus leugnen, wer es dennoch tut, ist rassistisch. Es ist aber ein anderes und nicht erst neuzeitliches Phänomen und in keinem Fall der Völkermord an einem bestimmten Volk. Es war kein Völkermord, sondern brutale Ausbeutung, die häufig im Tode endete. Kein Massaker der Weltgeschichte, und sie ist voll davon, hat jene Dimension wie der Holocaust.
Die Leugnung der Präzedenzlosigkeit des Holocaust ist eine sehr weit verbreitete, aber nur sehr selten erkannte, geschweige denn analysierte und kritisierte Form des Post-Auschwitz-Antisemitismus. In der Forschung ist sie ein weltweiter Trend. Die Leugnung der Einzigartigkeit der Shoah ist bei Akademiker*innen wie dem Mob auf der Straße (nicht nur im Nahen Osten oder der muslimischen Welt) weit verbreitet. Ich habe dazu in meiner Studie Antisemitism: A Specific Phenomenon von 2013 ausführlich geschrieben.[40] So nennen im Jahr 2010 zwei Forscher, David Olusoga und Casper W. Erichsen, wie in der Einleitung erwähnt, ihre Studie Kaiser’s Holocaust. Sie behaupten:[41]
„Our understanding of what Nazism was and where its underlying ideas and philosophies came from is perhaps incomplete unless we explore what happened in Africa under Kaiser Wilhelm.“[42]
Erstens ist das falsch und zweitens nicht neu. 1975 hat der Historiker Peter Schmitt-Egner eine Studie über „Kolonialismus und Faschismus“ publiziert und Antisemitismus und den Holocaust nicht als spezifische Phänomene analysiert, sondern die kapitalistische Kontinuität behauptet.[43] Wie weit verbreitet diese Form der Verharmlosung des Holocaust ist, zeigt sich an einem Text des Publizisten Henning Melber im Jahr 1992. Melber bezieht sich auf den „Staatstheoretiker Nicos Poulantzas“ und schreibt:
„Sind Völkermorde und Konzentrationslager in denselben totalitären Raum eingeschrieben und Teil der Wurzeln des modernen Totalitarismus, der die Massenvernichtung zum Bestandteil eines pervertierten Zivilisations- und Kulturverständnisses erhob, gehört die Praxis der deutschen Kolonialherrschaft in Südwestafrika zwischen 1884 und 1915 zu den ersten Formen einer solchen Zivilisierung durch Massenvernichtung, die im deutschen Falle ihren Höhepunkt ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der kolonialen Ära im eigenen Land erfuhr“.[44]
Damit wird die Shoah nicht nur in ihrer Präzedenzlosigkeit geleugnet, vielmehr gesagt, sie sei eine Art „Zivilisierung durch Massenvernichtung“ gewesen. Sechs Millionen Juden wurden demnach ermordet, um sie oder die Länder, in denen sie lebten und wohin sie verschleppt wurden, zu „zivilisieren“. Das ist eine Art Holocaustleugnung, da sie negiert, dass der Grund der Shoah die Vernichtung der Juden war und behauptet, es wäre um eine „Zivilisierung“ gegangen. Auch der Ausdruck „im eigenen Land“ zeigt nur, dass Melber gar nicht bewusst war, dass der SS-Staat alle Juden ermorden wollte. Herausgegeben wurde das von Wolfgang Benz im ersten Jahrbuch für Antisemitismusforschung des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) an der TU Berlin.
Diese postkoloniale Position Melbers wird derzeit in der Bundesrepublik vielleicht am prominentesten von Poseners Diskussionspartner im Jahr 2017, dem Historiker Jürgen Zimmerer von der Uni Hamburg, vertreten. 2003 behauptete er in einem Artikel, die „Genozide in den Kolonien“ seien in der gleichen „Kategorie“ wie die nationalsozialistische Vernichtungspolitik.[45] 2011 kam dann eine Aufsatzsammlung Zimmerers auf den Markt, die schon im Titel die Leugnung des Nie-Dagewesenen von Auschwitz intoniert, leicht verdruckst mit einem Fragezeichen versehen: „Von Windhuk nach Auschwitz?“[46] Er zitiert eine bekannte Stelle von 1947 des amerikanischen Bürgerrechtlers W.E.B. Du Bois, der wenige Jahre nach Auschwitz behauptete, solche Kontinuitätslinien von Kolonialverbrechen hin zum Holocaust seien offenkundig und die „weiße“ Welt begehe solche Verbrechen schon lange:
„There was no Nazi atrocity – concentration camps, wholesale maiming and murder, defilement of women or ghastly blasphemy of childhood – which Christian civilization or Europe had not long been practicing against colored folk in all parts of the world in the name of and for the defense of a Superior Race born to rule the world.“[47]
Neben Hannah Arendt (1951) hat demnach[48] laut Zimmerer einer der Superstars des Postkolonialismus, Aimé Césaire, 1950 diese ungeheuerliche Passage geschrieben, die ich ja oben bei anderen postkolonialen Autoren schon zitiert habe:
„(…) the humiliation of man as such, it is the crime against the white man, the humiliation of the white man, and the fact that he [Hitler] applied to Europe colonialist procedures which until then had been reserved exclusively for the Arabs, of Algeria, the colonies of India, and the blacks of Africa.“[49]
Der weltweite Aufschrei – welcher eigentlich genau? – nach 1945 sei pure Heuchelei, so Césaire und seine unzähligen Epigon*innen, da die weiße kolonialistische Welt die gleichen Verbrechen, die die Deutschen verbrochen haben, schon seit sehr langer Zeit in den Kolonien begangen habe. Es wird auch davon abstrahiert, dass in der BRD das Schweigen über die Verbrechen der Deutschen das neue „Wir“ nach 1945 ausmachte.
Ausblick
Von Whoopie Goldberg zu Alexander Gauland (AfD), der den Holocaust und die Nazi-Zeit als „Vogelschiss“ kleinredet und deutsche Soldaten – ohne die ab 1939 der Holocaust nicht möglich gewesen wäre – „in zwei Weltkriegen“ feiert, ist es nur ein Mausklick. Dazu kommt: Viele Teile der Coronapolitik-Kritiker*innen-Szene, von Achgut bis Reitschuster, kokettieren immer wieder mit der AfD oder zitieren AfD-nahe Agitatoren wie Klonovsky (so Burkhard Müller-Ulrich von „Indubio“ von Achgut). Dabei verabscheuen diese rechten Kreise die rot-grüne Klasse, Antirassismus wie Postkolonialismus. Zwischen Abscheu und luzider Kritik liegen aber halt mitunter Welten.
In Tennessee wurde vor wenigen Wochen der Comic „Maus“ von Art Spiegelman vom Lehrplan genommen. Es wären unflätige Worte darin und es gebe eine Abbildung einer nackten Frau darin (die Mutter von Art Spiegelman, eine Auschwitzüberlebende wie sein Vater, die 1968 Selbstmord beging). Auch Putin habe den Comic 2015 verboten (wegen Hakenkreuzen darin – es ist ein Comic über die Nazizeit aus Perspektive der jüdischen Opfer). Diese Zensur aus Tennessee war der Aufhänger für die Show mit Whoopie Goldberg, die sich zwar wie ihre Mit-Diskutantinnen gegen die Zensur aussprach, aber eben mit einer wiederum antisemitischen, den Holocaust in seiner rassistischen Dimension leugnenden Attacke.
Wie gezeigt, ist die geradezu widerwärtige Ideologie, dass Nazis wie Juden „Weiße“ gewesen seien, längst im Mainstream angekommen. Whoopie Goldberg müsste jetzt von jedem Sender, der sie noch im Programm hat, gefeuert werden. Das wäre ein Beitrag im Kampf gegen den Antisemitismus. Aber die taz zeigt ja auch bis heute – online anklickbar (Stand 01. Februar 2022) -, dass ein Antisemitismus mit allerbestem (schwarzem) Gewissen, der letzte Schrei ist. So wie die taz eine Gesprächspartnerin ohne jede Scham, ja mit Stolz sagen lässt:
„Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte ist, größer noch als der Holocaust.“
, so leugnet Whoopie Goldberg den Rassen-Antisemitismus der Nazis, indem sie „Arier“ und „Juden“ zu „Weißen“ macht.
Mehr als 77 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee steht bei nicht wenigen Menschen auf dieser Erde die Holocaust-Erziehung, steht die Erinnerungskultur noch ganz am Anfang.
Oder aber wir erleben gerade das Ende jeglichen Gedenkens an die Shoah, das im woken Geschwätz schwarzer und postkolonialer Ideologie, das der Universalisierung des Antisemitismus, der zu einem Problem von Weißen und anderen Weißen verdreht wird, untergeht.
Die internationale Antisemitismusforschung und die pädagogischen Programme zum Gedenken an die Shoah stehen vor ganz großen Herausforderungen.
[1] Alan Posener (2017): Jürgen Zimmerer relativiert den Holocaust, 24.07.2017, https://starke-meinungen.de/blog/2017/07/24/juergen-zimmerer-relativiert-den-holocaust/.
[2] Jakob Augstein/Michael Angele (2018): Vor Auschwitz. War der Genozid an den Herero und Nama eine Blaupause für den Holocaust? Ein Streitgespräch über Rassismus und Antisemitismus, Der Freitag 34/2017, online 08.10.2017, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/vor-auschwitz.
[3] Alan Posener (2017a): Ernst Nolte, Jürgen Zimmerer, Jakob Augstein: Relativierer des Holocausts, 24.10.2017, https://starke-meinungen.de/blog/2017/10/24/ernst-nolte-juergen-zimmerer-jakob-augstein-relativierer-des-holocausts/.
[4] https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/programme/fellowship_internationales_museum/kultur_transfer.html (23.07.2018).
[5] David Joram (2018): „Koloniale Amnesie geht nicht“, 11.06.2017, http://www.taz.de/!5416099/.
[6] Aram Ziai/Daniel Bendix (2017): Rassismus global und in Deutschland. Fünf Thesen, in: Peripherie, 37. Jg., 2017, Nr. 146/147, S. 319–325, hier S. 325.
[7] Aram Ziai (Hg.) (2016): Postkoloniale Politikwissenschaft. Theoretische und Empirische Zugänge, Bielefeld: transcript Verlag.
[8] Aram Ziai (2016a): Einleitung: Unsere Farm in Zhengistan. Zur Notwendigkeit postkolonialer Perspektiven in der Politikwissenschaft, in: Ders. (Hg.) (2016), S. 11–24, hier S. 12.
[9] Ebd., S. 16, Anm. 4.
[10] „Daniel Bendix, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien der Universität Kassel und Junior Fellow am Kolleg Postwachstumsgesellschaften der Universität Jena. Ferner ist er Mitglied von glokal e.V., einem Berliner Verein für machtkritische, postkoloniale Bildungsarbeit“; Aram Ziai, Dr., ist Heisenberg-Professor für Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel. Er ist im Vorstand der Sektion Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, Mitglied der Bundeskoordination Internationalismus und aktiv bei kassel-postkolonial.de“, Peripherie, 37. Jg., 2017, Nr. 146/147, S. 375 (ohne Paginierung).
[11] Ziai/Bendix 2017, S. 325.
[12] Kößler sitzt ohnehin in der Redaktion, zudem saß er für diese Nummer in der „Schwerpunktredaktion für dieses Heft“.
[13] https://www.fritz-bauer-institut.de/mitarbeiter-paedagogik.html.
[14] Fritz Bauer Institut (Hg.) (2004): Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Irmtrud Wojak und Susanne Meinl, Frankfurt/New York: Campus; Irmtrud Wojak/Susanne Meinl (2004): Einleitung, in: Fritz Bauer Institut (Hg.), S. 7–18, hier S. 9.
[15] Reinhart Kößler/Henning Melber (2004): Völkermord und Gedenken. Der Genozid an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika 1904–1908, in: Fritz Bauer Institut (Hg.), S. 37–76, hier S. 40. Auch 2015 bezieht sich Kößler weiterhin auf dieses antisemitische Zitat, dass der Holocaust primär deswegen vom Westen erinnert werden würde, weil die Opfer „Weiße“ gewesen seien, Reinhart Kössler (2015): Namibia and Germany: Negotiating the Past, Windhoek: University of Namibia Press, S. 80.
[16] So z. B. in der Tagungsreihe „Blickwinkel“ von 2011–2018: „‚Blickwinkel. Antisemitismuskritisches Forum für Bildung und Wissenschaft‘ ist ein Projekt der Bildungsstätte Anne Frank (Frankfurt/ Main) in Kooperation mit dem Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt, der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘ (Berlin) und des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin“, https://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Handlungsfelder/Handeln_fuer_Menschenrechte/Anti
semitismus_und_Antiziganismus/Blickwinkel_2018.pdf (06.05.2018). Die Ankündigung zur Tagung im Juni 2018 zeigt die analytische Hilflosigkeit dieses Projekts, das Antisemitismus nur als „Vorurteil“ unter anderen zu fassen vermag: „Antisemitismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit – Migrationsgesellschaft, Konkurrenzen, Bildungsstrategien: Diese Stichworte prägen zunehmend die gesellschaftliche, wissenschaftliche und pädagogische Auseinandersetzung mit Vorurteilen und mit ausgrenzenden Denk- und Deutungsmustern. Vielfach schwankt die Diskussion zwischen Eifer und Orientierungslosigkeit, zwischen eindeutigen Positionen und Differenziertheit“, ebd.
[17] Reinhart Kössler (2007): Genocide, Apology and Reparation – the linkage between images of the past in Namibia and Germany, Juli 2007, http://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/Koessler-Linkages-2007.pdf (10.05.2018).
[18] Jakob Zollmann (2010): Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen. Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915, Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.
[19] Zimmerer 2011, S. 254–289.
[20] Jakob Zollmann (2007): Polemics and other arguments – a German debate reviewed, in: Journal of Namibian Studies, Jg. 1, Nr. 1, S. 109–130, hier S. 110.
[21] Ebd., S. 110.
[22] Birthe Kundrus (2010): Kolonialismus. Imperialismus. Nationalsozialismus? Chancen und Grenzen eines neuen Paradigmas, in: Claudia Kraft/Alf Lüdtke/Jürgen Martschukat (Hg.), Kolonialgeschichte. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen, Frankfurt/New York: Campus, S. 187–210; Birthe Kundrus (2006): Kontinuitäten, Parallelen, Rezeptionen. Überlegungen zur ‚Kolonisierung‘ des Nationalsozialismus, in: WerkstattGeschichte, Jg. 15, Nr. 43, S. 45–62.
[23] Kundrus 2006, S. 47.
[24] Ebd.
[25] Ebd.
[26] Ebd., S. 49.
[27] Zollmann 2007, S. 118. Der Grund für die postkoloniale Szene, den Mord an Herero und Nama als gewollten Genozid zu betrachten, ist auch ökonomischer Natur, wie Zollmann festhält, ebd., S. 116: „In 2001 former Namibian Minister of Foreign Affairs, Theo Ben-Gunrab, called his German counterpart Joschka Fischer, a racist because German exculpations of guilt had only been addressed to ‚Whites‘. German refusals to pay reparations, on the grounds that the Holocaust/Shoah was particularly singular and cannot be compared with instances of colonial genocide, are thought to be racist by Herero Paramount Chief Riruako because compensation was only given to ‚Jews‘, that is ‚Whites‘. These rather questionable allegations have been taken up on the German side quite vindictively. (…) Yet, the result of this argument is the collapse, on the most basic materialist level, of a distinction between Holocaust and colonial genocide.“
[28] Winfried Speitkamp (2006): Deutsche Kolonialgeschichte, Stuttgart: Reclam, S. 186.
[29] Dan Diner (Hg.) (1988): Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt am Main: Fischer.
[30] Dan Diner (2007): Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
[31] Über Diners Kritik am Zionismus angesichts des Nationalsozialismus und von Auschwitz (siehe z. B. ebd., S. 24 f.) wäre an anderer Stelle zu schreiben; zu seiner bis heute skandalösen, publizierten Habilitationsschrift von 1980, wo er forderte, Israel solle den „Abbau“ seiner „zionistischen Struktur“ betreiben und binational werden, wie auch über seine heutige Unterstützung von Israel attackierenden, der binationalen Ideologie anhängenden Forscher*innen, vgl. Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus, Berlin: Edition Critic, S. 70–75.
[32] Diner 2007, S. 81.
[33] Ebd., S. 79 f.
[34] Ebd., S. 108.
[35] https://www.frcps.uni-frankfurt.de/?page_id=200 (05.05.2018).
[36] Maria do Mar Castro Varela/Nikita Dhawan (2015): Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. 2., komplett überarbeitete und erweiterte Auflage, Bielefeld: transcript Verlag.
[37] Spivak hat sich mehrfach für die antisemitische BDS-Bewegung ausgesprochen, z. B. im Januar 2017 angesichts einer Debatte innerhalb der Modern Language Association in USA, die über BDS abstimmte, siehe dieses Video mit ihr https://vimeo.com/195907261#t=91s (05.05.2018); 2014 unterstützte sie mit Judith Butler und vielen anderen antiisraelischen Aktivist*innen einen BDS-Boykottaufruf, http://hyperallergic.com/wp-content/uploads/2014/06/BDS-Open-Letter-final.
pdf (05.05.2018).
[38] Castro Varela/Dhawan 2015, S. 140–150.
[39] Ebd., S. 144: „Für Said ist sowohl der unhinterfragte Zionismus als auch die Weigerung innerhalb der arabischen Welt, den Holocaust anzuerkennen, zu kritisieren. Wie bereits erwähnt, war eine der Reaktionen auf Saids Kritik [am Osloer Friedensabkommen von 1993, CH] Zensur, die von Zionisten als auch von arabischen Nationalisten gleichermaßen gefordert wurde.“
[40] Zur postkolonialen Ideologie „Von Windhuk bis Auschwitz“ siehe Clemens Heni (2013): Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust Trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism, Berlin: Edition Critic, S. 132–150; zur Einzigartigkeit des Holocaust ebd., S. 231–283; zur Universalisierung des Holocaust ebd., S. 301–383.
[41] David Olusoga/Casper W. Erichsen (2010): The Kaiser’s Holocaust. Germany’s Forgotten Genocide and the Colonial Roots of Nazism, London: faber & faber. Den Hinweis auf diese Studie verdanke ich Jakob Zollmann. Herzlichen Dank, Jakob.
[42] Olusoga/Erichsen 2010, S. 13.
[43] Peter Schmitt-Egner (1975): Kolonialismus und Faschismus. Eine Studie zur historischen und begrifflichen Genesis faschistischer Bewußtseinsformen am deutschen Beispiel, Giessen/Lollar: Verlag Andreas Achenbach.
[44] Henning Melber (1992): Kontinuitäten totaler Herrschaft: Völkermord und Apartheid in ‚Deutsch-Südwestafrika.‘ Zur kolonialen Herrschaftspraxis im Deutschen Kaiserreich, in: Wolfgang Benz (Hg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung 1, Frankfurt/New York: Campus, S. 91–116, hier S. 91.
[45] Jürgen Zimmerer (2003): Holocaust und Kolonialismus. Beitrag zu einer Archäologie des genozidalen Gedankens, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 51, Nr. 12, S. 1098–1119, hier S. 1118.
[46] Jürgen Zimmerer (2011): Von Windhuk nach Auschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust, Münster: Lit.
[47] Zitiert nach Zimmerer 2011, S. 16. Er bezieht sich auf einen Artikel von Robin Kelly (1999): „Poetics of Anticolonialism“ im Journal Monthly Review.
[48] Zimmerer 2011, S. 16.
[49] Aimé Césaire (1950): Discours sur le colonialisme, zitiert in Zimmerer 2011, S. 15. Zimmerer zitiert nach Andrew Zimmerman, Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany, Chicago 2001, S. 246.