BiCSA

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

„Stoppt den Krieg in Gaza“ (Haaretz, New York Times), aber: Netanyahu isoliert Israel noch weiter – die USA distanzieren sich

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Benjamin Netanyahu ist eine große Gefahr für die Zukunft des jüdischen und demokratischen Staates Israel.

Nach dem nie dagewesenen Massaker der Hamas und der Palästinenser am 7. Oktober 2023, als über 1200 Israelis auf teils unbeschreibliche Weise gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt, erschossen, lebendig verbrannt wurden und 251 Geiseln genommen wurden, von denen 59 noch im Gazastreifen sind, allerdings nur geschätzte 24 leben noch, gab es zwei Reaktionen der Weltgemeinschaft.

Einerseits tiefe Betroffenheit und Solidarität, vorneweg vom damaligen US-Präsidenten und Zionisten Joe Biden, aber auch von vielen europäischen Staaten.

Andererseits gab es umgehend an jenem Samstag, den 7. Oktober, Freudengelächter und Partystimmung, als Araber in Deutschland und weltweit Süßigkeiten verteilten und jubelten. Sie feierten das Abschlachten von Jüdinnen und Juden, schlichtweg.

Zumal die kulturelle Elite und viele ‚Linken‘ in Deutschland haben auf ihre Weise gezeigt, dass sie kein wirkliches Problem mit Judenhass hat, indem sie großteils einfach schwiegen, wenn nicht gar mehr oder weniger offen israelfeindlich agierten und weiter agieren.

Wer hat an jenem Tag nicht auch (alte) Freund*innen verloren, deren Eiseskälte oder Schadenfreude ihren immer schon in ihnen schlummernden Judenhass zum Vorschein brachten wie nie zuvor in den letzten Jahren und Jahrzehnten.

Hätte Israel im Oktober 2023 und seither eine seriöse Regierung gehabt, hätte sie die große Sympathie, die ihnen angesichts des schrecklichsten Massakers an Juden seit der Shoah von der Politik, wie vor allem von den USA, entgegenkam, nutzen können. Aber Benjamin Netanyahu hat panische Angst vor dem Gefängnis, in das er bei einer Verurteilung wegen Korruption oder anderer Delikte, die Verfahren sind noch offen, kommen könnte.

Und von daher macht er da weiter, wo er 1996 angefangen hat: Israels politische Kultur nach rechts zu schieben und im Linkszionismus den größten Feind zu sehen, größer noch als die Hamas, die ja vielmehr gerade parallel zu ihm und mit seiner Hilfe, anwuchs.

Ein Baustein für die linken Antizionisten wiederum in ihrem Kampf gegen den jüdischen und demokratischen Staat ist die sogenannte Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus von 2021, in der es in dem zentralen Abschnitt heißt:

„Kritik oder Ablehnung des Zionismus als eine Form von Nationalismus oder das Eintreten für diverse verfassungsrechtliche Lösungen für Juden und Palästinenser in dem Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner:innen ‚zwischen dem Fluss und dem Meer‘ volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“, die eigentlich eine marginale Erscheinung von mehr oder weniger antizionistischen oder mit dem Antizionismus liebäugelnden Forscher*innen ist und sich aggressiv gegen die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) wendet, ist zu einem Kernbestandteil des Kampfes gegen den einzigen Staat der Juden geworden.

Die Antisemitismusdefintion der IHRA, die von 35 Staaten, darunter fast alle euroäischen Staaten, unterzeichnet wurde, ist hingegen in ihrer Klarheit vorbildlich:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Weiter heißt es:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.

Die Partei Die Linke hat gestern auf ihrem Parteitag in Chemnitz entgegen der IHRA Definition von Antisemitismus jene Jerusalmer Erklärung zum Antisemitismus angenommen, da der antisemitisch-antizionistische Flügel in dieser Partei seit dem unerwarteten Wiedereinzug in den Bundestag massiv an Schlagkraft gewonnen hat.

Wer vor diesem Hintergrund fabuliert, „Kritik“ an Israel würde von der Antisemitismusdefinition der IHRA verunmöglich, lügt schlichtweg oder verbreitet die beliebten Fake News; der Tagesspiegel berichtet:

In der Aussprache warnte van Aken die Delegierten vor der Annahme dieses Antrags. Die Linke könne einen wissenschaftlichen Streit über die Definition von Antisemitismus nicht per Parteitagsbeschluss entscheiden. Der Parteichef wollte so verhindern, dass der Kompromiss von Halle über den Haufen geworfen wird.

In der Gegenrede erklärte die Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel-Böhlke, dass durch die Definition der IHRA jegliche Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus diffamiert werden könne. ‚Und das akzeptieren wir nicht.‘

Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist – sagen wir die Ablehnung einer bestimmten Regierungspolitik – ist gerade nicht antisemitisch, so die IHRA, aber das kümmert solche Linken nicht, die kokettieren lieber mit der Zerstörung Israels, wie es ja die Jerusalemer Erklärung erlaubt sozusagen.

Selbst Forscher, die viele bislang als Kritiker des zumal linken Antisemitismus kannten oder einschätzten, wie Wolfgang Kraushaar, kokettieren jetzt mit der oben angedeuteten „Einstaatenlösung“, ja fordern sie geradezu ein, und das in einem Gespräch mit der Wochenzeitung Jungle World vom 10. April 2025:

Anschließend führen Sie aus, dass die Zweistaatenlösung, welche bis heute die Hoffnung beflügelt, den Israel-Paläs­tina-Konflikt friedlich beilegen zu können, nicht mehr realistisch sei. Stattdessen schlagen Sie die Einstaatenlösung vor, also einen gemeinsamen Staat von Israelis und Palästinensern. Ist das nicht der utopischste aller Lösungs­ansätze?
Das ist nicht allein meine Vorstellung, eine solche hatte bereits der Religionsphilosoph Martin Buber in den 1920er Jahren ins Spiel gebracht. Im Wesentlichen basiert sie auf der Idee, eine Art von Konföderation unter einem gemeinsamen Dach zu errichten.

Die Einstaatenlösung ist kategorial antizionistisch. Und der Antizionismus ist seit 1948 die aggressivste Form des Antisemitismus, weil er sich gegen jüdisches Leben wendet. Israel ist der Staat der Juden, wer diesen Staat weg haben möchte, möchte Juden weg haben und töten, will Juden ins Meer treiben oder sonst ermorden, abschieben (nach Europa, USA etc.) oder sie zwingen, zum Islam oder Christentum zu konvertieren.

Die Einstaatenlösung wendet sich gegen jüdische Souveränität und Selbstbestimmung. Juden wären nicht mehr in der Mehrheit im eigenen Land, das kein eigenes Land mehr wäre.

Es ist ahistorisch und absurd, hier mit Martin Buber zu kommen. Denn zwischen den 1920er Jahren und heute liegt Auschwitz, liegt der arabische und islamistische Antisemitismus von Hebron 1929, der Aufstand von 1936, die Ablehnung eines palästinensischen Staaten, wie ihn die UN Resolution 181, der Teilungsplan für Palästina, am 29. November 1947 beschloss.

Und nicht zuletzt ignoriert so ein Gerede auch die Kollaboration des Mufti von Jerusalem al-Hussaini mit Hitler und den Deutschen, einem Mufti, der die antisemitische politische Kultur der Palästinenser über Jahrzehnte prägte, was wir bis heute sehen können.

Ja, es gibt moderate und weltliche, Israel akzeptierende Palästinenser*innen. Die gilt es auch mit aller Kraft zu unterstützen. Aber niemals mit einer „Einstaatenlösung“, die das Ende des Zionismus und somit Lebensgefahr für Millionen Juden bedeuten würde.

Wer sich in der Geschichte Israels etwas auskennt, weiß, dass Zionisten wie Gershom Scholem, der 1923 Alija gemacht hatte, anfänglich auch für die binationale Idee offen waren, aber nur wenige Jahre später vom kulturellen zum politischen Zionismus wechselten, weil der Judenhass der Araber schlichtweg überwältigend war.

Die bittere Ironie liegt nun darin: Sowohl die Islamisten und die Hamas, deren Fans wie auch säkulare Antisemiten / Antizionisten sind ebenso für die Einstaatenlösung wie die rechtsextreme israelische Regierung.

Die rechtsextreme Regierung Israels möchte dabei möglichst viele Palästinenser*innen vertreiben, zumal aus dem Gazastreifen, dazu das Westjordanland annektieren, aber ohne politische Rechte für die dort lebenden Millionen Palästinenser.

Es ist also unverantwortlich, gerade als Forscher und Publizist zu (linkem) Antisemitismus, die Einstaatenlösung zu propagieren.

Die rechtsextreme, ultra-nationalistische und rassistische Einstaatenlösung, die Netanyahu und seiner Koalition und einem substantiellen Teil der israelischen Bevölkerung vorschwebt, ist aber ebenso eine riesige Gefahr für den einzigen Judenstaat und für die Palästinenser.

Diese Gefahr zeigt sich jetzt von unerwarteter Seite. Donald Trump scheint sich von Israel abzuwenden. Er wird nächste Woche in den Nahen Osten fliegen und Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar besuchen – aber nicht Israel. Es ist klar, dass Trump eine Vorliebe für Monarchien, Hierarchien und Diktatoren hat. Aber viele seiner Fans – auch in Israel – dachten wohl, dass ein ultranationalistischer Netanyahu wie schon bei der ersten Amtszeit von Trump genau dessen Geschmack treffe. Pustekuchen.

Dass dies nicht so ist, betont ein Kommentar des preisgekrönten Journalisten Thomas L. Friedman in der New York Times vom 9. Mai 2025.  Friedman betont, wie fürchterlich die Hamas den Gazastreifen ins Elend gezogen hat und dass Hamas verantwortlich ist für das Massaker vom 7. Oktober. Aber Friedman betont ebenso, dass aktuell die rechtsextreme Regierung Netanyahu, vorneweg der sich selbst so bezeichnende Faschist Bezalel Smotrich, den Gazastreifen entvölkern wollen und wieder besiedeln – jüdische Siedlungen wieder bauen.

Ein besonders absurdes Argument für eine Einstaatenlösung, wie es auch Kraushaar vorbringt – ohne Kritik der Jungle World – ist die Idee, dass die jüdischen Siedlungen im Westjordanland ein Hindernis seien für eine Zweistaatenlösung? Warum? Warum sollten nicht diesen Juden, wenn sie schon dort leben wollen – freiwillig – Teil eines Staates Palästina werden, als Minderheit so wie die Araber in Israel eine Minderheit sind und zwar sogar ungefähr in einer ähnlichen Größenordnung, ca. 20 Prozent der Bevölkerung.

Trump hatte sich, so Friedman, in seiner ersten Amtszeit für die Zweistaatenlösung ausgesprochen und Friedman, dessen Kolumne sich direkt an den US-Präsidenten richtet, möchte weiterhin eine Zweistaatenlösung mit einem entmilitarisierten palästinensischen Staatsgebiet.

Wer das nicht möchte, möchte den Untergang Israels. Entweder via Ultranationalismus, Messianismus und Siedlungspolitik in Gaza wie im Westjordanland oder via der ‚linken‘, islamistischen oder säkularen Einstaatenlösung.

Friedman beendet seinen Text mit einem Zitat aus dem Editorial der Haaretz vom 7. Mai 2025, das die palästinensischen Opfer jüngster Angriffe Israels betrauert und die Situation unerträglich findet:

We must not avert our eyes. We must wake up and cry out loudly: Stop the war.

Wir wissen, dass jene, die hierzulande mit Palästinafahnen und Kefiyah demonstrieren, nicht für Palästina, sondern gegen Juden und den jüdischen Staat Israel demonstrieren, fast alle auf diesen Demonstrationen sind für die Einstaatenlösung und für die Zerstörung Israels – ansonsten könnten sie ja mit Israel- und Palästinafahne demonstrieren, aber das gibt es hierzulande nicht (in Israel schon).

Von daher gilt es, gegen Netanyahu und gegen die Einstaatenlösung aktiv zu werden, also: den Zionismus wiederbeleben, den Linkszionismus, der gleiche Rechte für alle Menschen fordert und zwei Staaten für zwei Völker, wie es 1947 von den Vereinten Nationen und somit der Weltgemeinschaft beschlossen wurde:

Israel und Palästina, Seite an Seite.

 

 

Dank an die Rote Armee – gegen eine exkulpierende Erklärung des deutschen Kapitals in der FAZ zum 8. Mai 2025

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Ganz normale Deutsche haben seit 1945 alles getan, um ihre Verbrechen an den Juden Europas zu vertuschen oder zu feiern. Es wurden Straßen, Schulen, Plätze nach ehemaligen Nazis und Antisemiten benannt und welches Unternehmen hat sich je dafür eingesetzt, eine Straße, die nach einem führenden Mitglied des jeweiligen Unternehmens benannt wurde, umzubenennen? Welches Unternehmen hat sich für die eigene Selbstauflösung nach 1945 ausgesprochen? Welches Unternehmen löst sich wenigstens heute auf, inklusive seiner Stiftungen, und verteilt das Geld an die Opfer der deutschen Barbarei?

Wer war eigentlich Opfer, ‚damals‘?

Eine Erklärung der führenden Vertreter des deutschen Kapitals zum 8. Mai sagt uns alles über die aktuelle deutsche Ideologie. Die CEOs dieser kapitalistischen Unternehmen sind irgendwie gegen einen „Schlussstrich“, gegen „Hass“ und sogar gegen „Antisemitismus“ (den sie aber nicht näher definieren), aber vor allem wollen sie wieder wie damals gegen ‚den Russen‘ kämpfen, was sie so ausdrücken:

Der Sieg der Alliierten über die Nationalsozialisten hat einem ganzen Kontinent, der ganzen Welt Hoffnung gegeben. Der mit dem Ende des Kalten Krieges erreichte europäische Zusammenhalt, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit sind Errungenschaften, die wir gemeinsam schützen müssen.

Damit wird der Nationalsozialismus oder deutsche Faschismus mit dem Kalten Krieg gleichgesetzt. Letzterer wurde vor allem von den USA ab 1947 vom Zaun gebrochen. Damit konnten sie erstens einen Schlussstrich ziehen unter die Verfolgung und Bestrafung deutschen Nazis und zweitens alte Nazis in die USA bringen und ihre „Verdienste“ würdigen, sie einbinden im Kampf gegen den Kommunismus.

Damit wird der Kampf der Alliierten und der Zweite Weltkrieg mit dem Kalten Krieg von 1947 bis 1989 analogisiert, auch das eine typische Strategie von Antikommunisten und Reinwaschern der deutschen Schuld, speziell der Schuld nach 1945, sich mit den Verbrechern im eigenen Unternehmen oder der eigenen Familie zu beschäftigen.

Im Wörtchen „schützen“ in obigem Zitat, dieser penetrant sich selbst exkulpierenden Erklärung, gerade im Reden von der Hilfe des deutschen Kapitals für die Nazis, liegt der Auftrag an die Deutschen, „bis 2029“ wieder „kriegstüchtig“ zu werden, wie es der alte und neue Kriegs- – offiziell „Verteidigungs“ – minister Boris Pistorius (SPD) ganz ehrlich in Worte fasste. Wer immer noch naiverweise (nach den Erfahrungen von 1918/19, „Bluthund“ Noske, beauftragt von Ebert etc. pp.) meint, dass nur Rechte Kriegstreiber seien, sollte sich das Parteibuch von Pistorius zeigen lassen.

Da lacht die pro-deutsche Antifa, die in Putin den heutigen „Faschisten“ sieht und Waffen für die Ukraine fordert, die derweil Denkmäler für Holocausttäter und Nazikollaborateure baut oder Straßen, Plätze oder Gebäude nach solchen Antisemiten benennt, seit Jahren, genauer gesagt seit dem Ende der Sowjetunion und der eigenen Unabhängigkeit als Staat Ukraine.

Wer wurde laut dieser Erklärung der führenden Kapitalisten in Deutschland eigentlich ermordet und wie? Juden? Gaskammern? KZs? Massenerschießungen durch Polizeibataillone? Sicher, aber Juden machten nur 10 Prozent der Kriegstoten aus – und Kriegstote sind vor allem auch die deutsche BdM-Frau aus Dresden, exakt das meint dieser strunzdeutsche Satz in diesem Pamphlet in der heutigen FAZ (online am 7. Mai, offenbar im Druck für die morgige Ausgabe):

Heute vor 80 Jahren, am 8. Mai 1945, endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Dieser Tag ist ein Tag des Gedenkens an all die Menschen, die verfolgt und ermordet wurden, an die Verbrechen und Zerstörungen, an die weltweit mehr als 60 Millionen Toten.

Das ist Geschichtsrevisionismus mit bestem Gewissen, da lacht Helmut Kohl posthum, der exakt auf solche Formulierungen sein Leben lang hinarbeitete – Neue Wache in Berlin.“Wir“ sind doch alle irgendwie Opfer gewesen, damals, darum geht es.

Es ist keine direkte Holocaustleugnung, aber was sind schon 6 Millionen tote Juden unter 60 Millionen Toten? Unter diesen 60 Millionen Toten sind auch alle ganz normalen Deutschen gemeint, die dem Führer zujubelten, Autos, Panzer und KZs bauten und Juden denunzierten, deren Vermögen arisierten und sie schließlich minutiös geplant deportierten, vergasten oder erschossen.

Die deutsche Kapitalfraktion sagt noch nicht einmal, wen wundert’s, dass ein Großteil der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges Sowjets waren. Die Täter-Opfer-Umkehr läuft hingegen wie am Schnürchen, vom Zweiten Weltkrieg und dem präzedenzlosen Verbrechen von Auschwitz und der Shoah – beides taucht in der Erklärung selbstredend nicht auf – hin zum läppischen Kalten Krieg liegt  – nichts. Ein Kontinuum des Schreckens, das ist gemeint, Rot gleich Braun, das ist EU-Ideologie, die in den USA schon seit 1947 Staatsideologie ist.

Manche wurden verfolgt, andere ermordet, dann gab es ganz allgemein und allüberall auf allen Seiten Verbrechen und natürlich Zerstörungen, vor allem in den deutschen Großstädten, das ist der Tenor oder die dog whistle, die jeder ganz ordinäre Deutsche sofort heraushört wie sonst nichts.

In dieser ganzen Erklärung von Heidelberg Materials, Siemens, Commerzbank, Mercedes, BMW und so weiter und fort, das ganze Elend des deutschen Kapitalismus steht unter dieser Erklärung, wird der Holocaust nicht erwähnt. Auch das Wort Shoah oder der Begriff „Vernichtung der europäischen Juden“ kommen nicht vor. Dafür aber der revisionistische Ausdruck „60 Millionen Tote“ – womit Täter und Opfer auf eine Stufe gestellt werden, was durch das Wort „Zerstörungen“ noch potenziert wird, denn bei „Zerstörungen“ und Nationalsozialismus denkt ein ganz normaler Deutscher oder FAZ-Abonnent nicht an die zerstörten Synagogen vom 9. November 1938, sondern an Dresden, Hamburg oder Frankfurt und den Luftkrieg oder Bombenkrieg gegen das verbrecherischste Regime, das es je auf Erden gab.

Endlich haben wir im Mai 2025 wieder einen Kanzler, dessen Großvater ein ganz gewöhnlicher Nazi war, was für goldene Zeiten!

Der 8. Mai war die Befreiung Europas von den Deutschen. Eine Befreiung der wenigen Überlebenden. Und eine Niederlage für die Deutschen, die sich ja fast alle nicht als befreit ansahen, sondern als besiegt.

 

Unser unendlicher und ewiglicher Dank gilt an diesem 8. Mai 2025 der Roten Armee der Sowjetunion – und dazu den drei anderen Alliierten Amerika, England und Frankreich.

Niemand hätte die Heuchelei und aggressive Selbstüberhebung des deutschen Kapitals, das sich in dieser heutigen Erklärung in der FAZ zeigt, besser auf den Punkt bringen können als HLG – den wir alle sehr vermissen.

 

Jenseits von „sine ira et studio“ – Antisemitismuskritik und Linkszionismus, noch einmal: Eva Illouz

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Im ersten Band des Handbuchs religionswissenschaftlicher Grundbegriffe von 1988 gibt es das Stichwort „Antisemitismus“. In dem Beitrag wird die Geschichte des Antisemitismus dargestellt, wobei völlig richtig auch der Antizionismus unter Antisemitismus rubriziert wird:

…freilich lebt [der Antisemitismus] der Sache nach fort im ‚Antizionismus‘ der sich seinerseits als Antirassismus ausgibt“. (S. 497)

Bei der Analyse des Antisemitismus betont der Autor, dass es hierbei „durchaus nicht ’sine ira et studio'“ (S. 496) zugehen solle, wer ganz neutral, abwägend über Judenhass schreibt, hat nicht verstanden, um was es sich dabei handelt.

Am Ende des Eintrags heißt es unter „VII. Antisemitismus nach 1945“:

Nach der Shoah ist A. nicht mehr hoffähig. Wer ihn deshalb für erledigt hält (allenfalls noch eine Sache der ‚ewig Gestrigen‘), übersieht die Surrogate, die doch im Kern dasselbe fortsetzen. Der Antizionismus kritisiert kein Volk und keine Rasse – wohl aber alle Juden, die zu Israel eine Beziehung haben. Der Mechanismus ist perfekt. Der Antizionist kann gar kein Antisemit sein, denn A. ist Rassismus, Zionismus ist (mit UNO-Mehrheit beschlossen) Rassismus, ergo: der Antizionist ist Antirassist und kann deshalb gar kein Antisemit sein (vielmehr kritisiert er die Juden, weil …) (vgl. die polemische, aber in der Aufdeckung dieses Mechanismus sehr wichtige Arbeit von Finkielkraut [„Der eingebildete Jude“, 1982, CH]). Abermals verschlingen sich im Antizionismus Rationales (berechtigte Kritik an der Politik der Regierungen Israels) mit irrationaler Überschätzung der politischen und ökonomischen Möglichkeiten der Juden und dem Erbe der antisemitischen Traditionen. (S. 504)*

Es ist vor diesem Hintergrund merkwürdig, dass der ARD-Tatort-Schauspieler Hans-Jochen Wagner angesichts der Nominierung des Medienunternehmers Wolfram Weimer, der von Religion, Familie und Tradition fabuliert und vom „eigenen Blut“ oder der „eigenen Sippe“ raunt, die aussterben würden, als neuer Kulturstaatssekretär unter Schwarz-Rot und Friedrich Merz, in einem Interview mit dem STERN ausgerechnet das Thema Künstler*innen und Gaza erwähnt und moniert, dass manche Kunstschaffenden sich politisch erklären müssten, um auftreten zu dürfen („Egal wie man zum Gaza-Konflikt steht, sollte es uns doch allen unangenehm sein, internationale Künstler irgendwelche Grundsatzpapiere unterschreiben zu lassen, bevor sie auftreten dürfen.“) Er hat nicht mitbekommen, wie antisemitisch und antiisraelisch oder eiskalt weite Teile seiner Kunstszene/Musikszene/Schauspielerszene nach dem 7. Oktober 2023 reagiert haben. Gab es Großdemonstrationen von Tatort-Schauspieler*innen gegen das genozidale Massaker der Hamas an Jüdinnen und Juden?

Was heißt „Egal wie man zum Gaza-Konflikt steht“? Damit meint er womöglich, dass es doch egal sei, ob man für oder gegen islamistischen Antisemitismus und das Abschlachten von Juden durch die Hamas ist.

Der Antisemitismus weiter Teile der Kulturszene wie im ganzen Land, der zeigte sich ja exakt am 7. und 8. Oktober 2023, Wochen vor einer militärischen Reaktion Israels.

Ganz anders hingegen die israelisch-französische Soziologin Eva Illouz. In einem Interview mit der Zeitschrift K. Jews, Europe and the XXI Century vom 10. April 2025 spricht sie über Antizionismus, Linkszionismus und den Kampf gegen den Antisemitismus. Bekanntlich wurde Illouz dieses Jahr der Israel-Preis verliehen, doch der aktuelle israelische Bildungsminister Yoav Kisch forderte die Jury auf, ihr den Preis nicht zu geben. Daraufhin gab es tatsächlich eine zweite Abstimmung, die sich aber doch wieder für Illouz aussprach, aber ein Jurymitglied stimmte jetzt gegen Illouz, da sie – das war der Aufhänger für Kisch – 2021 mit über 180 anderen Israelis eine Petition an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag unterschrieben hatte, die sich gegen Kriegsverbrechen Israels im Westjordanland wendet. Dieses Jurymitglied wendet sich nun gegen Illouz und bezichtigt sie in geradezu islamistischer Manier des Verrats, auf dem die Todesstrafe stehe:

In my case and that of the prize, one of the members of the scientific committee changed her opinion and voted against me during the second meeting of the committee that the minister had demanded. The reason she invoked is nothing but stunning: she invoked an old Jewish law that designates Jews as “traitors” if they hand them over to non-Jews. This old religious law invokes the obligation to kill them. The last time it was invoked in public discourse was before Rabin’s murder.

2024 sollte der Israel-Preis in der Kategorie „technologische Innovation“ an den Unternehmer Eyal Waldman verliehen werden. Waldmans Tochter Danielle Waldman und ihr Freund Noam Shai wurde von den Jihadisten am 7. Oktober 2023 auf dem Nova-Festival ermordet. Eyal Waldman war vor dem 7. Oktober als Kritiker von Netanyahu und der geplanten „Justizreform“, die sich gegen die Gewaltenteilung positioniert, in Erscheinung getreten und ist als Unternehmer, der viele Palästinenser*innen beschäftigt, bekannt. Waldman wurde auf Initiative von Yoav Kisch der Israel-Preis nicht verliehen, wie unter anderem Haaretz berichtete.

Es war tatsächlich der Mord an Rabin im Jahr 1995, der für Eva Illouz eine Welt zusammenbrechen ließ, wie sie in dem Interview sagt:

For me, the break came when Rabin was assassinated in November 1995 and Netanyahu, who had led a campaign to demonize Rabin because of the Oslo process, was elected a few months later in 1996. That was when I realized that something very bad was brewing. That was the moment of the great rupture. I understood that the religious messianists had power and that they were leading Israel to disaster. I hoped I was wrong.

Ihr Traum von Zionismus war inklusiv, auf Frieden und Zweistaatlichkeit ausgerichtet, ein Staat für die Juden, einer für die Palästinenser. Mit dem Mord am versöhnenden Rabin und dem ersten Wahlsieg von Netanyahu 1996 war dieser zionistische Traum schon fast beendet.

Und seitdem wurde es noch viel schlimmer. Der Antisemitismus wurde schlimmer.

Die Isolation Israels wurde schlimmer.

Die innere Spaltung des Landes Israels wurde noch gravierender.

Die Situation der Palästinenser angesichts von Jihad, Hamas und Islamismus, aber auch der Rassismus Israels gegenüber den Palästinensern, wurden auch noch viel schlimmer.

In einer brillanten Analyse spricht Eva Illouz von einer „Autoimmunerkrankung“ Israels – die primär den Premierminister Benjamin Netanyahu, aber auch weite Teile des Landes und der Wählerschaft infiziert hat:

The body can no longer distinguish between healthy and diseased tissue. This is what is happening in Israel. The proof? Before October 7, Netanyahu was so busy seeing the demonstrators as enemies that he did not see where the real enemy was. He did not listen to the warnings about Hamas. This government acts as if those who fight to prevent Israel from becoming a pariah state were enemies. This is an autoimmune political disease.

Die Neue Rechte, zu der Netanyahu zu zählen ist, hat im Westen seit vielen Jahren einen turbo aggressiven Kulturkampf begonnen, von Victor Orbáns Agitation gegen den Juden George Soros über Donald Trumps philosemitische Israelkumpelei bei gleichzeitiger Hofierung von Neonazis wie den Proud Boys bis hin zur AfD, den Neuen Rechten in Holland, Frankreich, Italien und vielen anderen Staaten. Familie, Reproduktion, Tradition, Anti-Inklusion, Anti-Gender, Antifeminismus, Kapitalismus, Naturzerstörung, Religion und Kampf gegen alles Linke sind die zentralen Topoi dieser Szene.

Es ist ein Kampf gegen den Universalismus und das große Versprechen des Zionismus, der Souveränität für Juden bei gleichzeitiger Freiheit für die Palästinenser bedeuten sollte – so Illouz:

I fight for peace and brotherhood with the Palestinians, those who want to live in peace, for the maintenance of democracy in Israel, and at the same time I fight against antisemitism. Only ideology and the social division of political camps make these tasks incompatible. I try to hold both ends even if it is sometimes uncomfortable. The big question this raises is this: if Zionism is hijacked by an authoritarian and anti-democratic political project, what will be left of it? Not much, I think. The endless war that Israel has been waging since the creation of the state has blunted a certain human gentleness, its capacity for universal brotherhood, its ability to distinguish between force and legitimacy. Enemies are seen everywhere and the wrong friends are chosen.

Wer ein klein wenig Einblick hat in die Pro-Israel-Szene in Europa, Deutschland oder den USA, weiß: wer nicht auf Linie ist, ist nicht Teil dieser Szene. Wer sich zum Beispiel schon 2017 gegen den Sexisten und Verschwörungsantisemiten Donald Trump wandte, wurde aus sogenannten Pro-Israel Gruppen mitunter ausgeschlossen, während ganz große Denker, Marxisten aus Wien vorneweg, und ihre Epigonen wie Nachbeter in Trump Hegels „List der Vernunft“ zu erahnen vermochten („Da lacht der Horst. Die neue Querfront? Mit Hegels „List der Vernunft“ für Trump…) und den Ton angeben.

Ganz zentral ist folgender Satz bei Illouz:

I fear that the political and moral culture of this country has been destroyed by the Occupation and messianism.

Wo finden sich in aktuellen Konferenzen, Vorträgen oder Symposien in Deutschland diese Themen: Besatzung, Messianismus und religiös-nationalistischer Fanatismus in Israel? Das sind Themen, die nicht zu Themen gemacht werden. Illouz weiß das sehr wohl, warum das so ist, auch sie redet in Israel anders als in Frankreich. In Israel ist sie Teil der Mehrheit und spricht vom israelischen Rassismus, in Frankreich ist sie eine kleine Minderheit und spricht mehr vom Antisemitismus.

Aber der Unterschied ums Ganze zu weiten Teilen der (primär nicht-jüdischen) Pro-Israel Szene in Deutschland liegt darin, dass Illouz auch hier und heute von Frankreich aus Netanyahu frontal angreift und ihn als eine riesige Gefahr für den Zionismus und die Zukunft des Staates Israel erkennt:

I protest against Netanyahu’s authoritarian excesses and the corruption of his government, against the destruction of lives in Gaza, I fear for the future of Israel, which is being undermined from within by too much division and dissent.

Das heißt hier und heute: Wer die aktuelle Hungersnot in Gaza nicht sieht – seit zwei Monaten lässt Israels aus Perfidie keine Hilfslieferungen hinein -, will sie nicht sehen und sieht in nahezu jedem, der sie erwähnt, einen Antisemiten und Israelfeind.

Selbstredend sind jene, die hier und heute und seit dem 7. Oktober 2023 mit Keffiyah rumlaufen oder Palästina-Symbole wie Fahnen an den Balkon oder das Fenster hängen oder entsprechende Aufkleber verkleben, fast immer Antisemiten.

Wer wirklich für Palästina ist, wäre ja schon seit Jahrzehnten gegen die Hamas aktiv und für ein freies Palästina Seite an Seite mit Israel. So wie das aktuell Hamza Howidy in Deutschland ist – als palästinensischer Flüchtling, der vor der Hamas floh – und Tausende andere, sehr mutige Menschen in Gaza, die ihr Leben gleich doppelt aufs Spiel setzen: sie könnten bei Demonstrationen von Israelis (der IDF) erschossen werden oder von der Hamas erkannt und am nächsten Tag massakriert werden.

Ein Intellektueller stellt sich gegen die Mächtigen. Doch was wir nicht nur hierzulande erleben ist ein Gruppendenken und ein monothematischer Rollback, der katastrophal ist: Wer nicht für Merz ist, ist gegen Israel, wer nicht für Weimer ist, ist links und wer links ist, ist antisemitisch.

So einfach ging das schon bei Corona – wer nicht für den irrationalen Maskenwahn oder die (verglichen mit richtigen Impfungen) epidemiologisch sinnfreie ‚Impfung‘ war, war ein Nazi und Schwurbler.

Beim Ukraine-Diskurs werden alle, die gegen Militärhilfen für die Ukraine und für eine diplomatische Lösung sind, als Putinversteher delegitimiert und vom Diskurs ausgeschlossen.

Beides, der Corona- wie Ukraine-Diskurs und das Reden im Mainstream wie im Duktus von Wahrheitsministerien fällt mittlerweile sogar – am Rande – der ZEIT auf („Lassen Sie uns bitte reden. Wir dürfen beim Thema Krieg und Frieden nicht dieselben Fehler machen wie während der Pandemie. Fordern diese Autorinnen und Autoren„.)

Wenn dann hierzulande jemand vom „postfaktischen Zeitalter“ redet, sind so gut wie nie die Verdrehungen, Halbwahrheiten oder schlichten Lügen („2G schützt vor Übertragung und Verbreitung des Virus“ etc. etc. etc.) der Corona-Politik-Apologeten (m/w/d) gemeint, sondern nur die irrationalen Trottel, die es in der Szene der Corona-Politik-Skeptiker*innen ja tatsächlich in nicht geringer Anzahl gibt.

Wenn hier jemand vom „postfaktischen Zeitalter“ redet, ist fast immer nur Putin gemeint, wenn es um Osteuropa geht (oder Orbán, was jeweils nicht falsch ist, aber nur die halbe Wahrheit) – aber eigentlich nie die Lügen der NATO, die sich seit Anfang der 1990er Jahre extrem aggressiv gegen Osteuropa ausgebreitet hat, obwohl es die mündliche und im Protokoll schriftlich fixierte (!) Zusage gab – gegenüber der UdSSR, die sonst niemals für eine „Wiedervereinigung“ Deutschlands gestimmt hätte! – dass sich die NATO „nicht einen inch ostwärts“ bewegen würde, wenn sich DDR und BRD zusammen schließen würden. Und von den Denkmälern und Straßenbenennungen für Nazikollaborateure und Holocausttäter in der Ukraine sprechen solche, die gerne vom „postfaktischen Zeitalter“ reden, auch fast nie.

Wo waren die zionistischen Demonstrationen gegen Trumps Pläne der Abschiebung aller Palästinenser*innen aus Gaza, um dort ein Immobilienparadies für seine kriminellen und korrupten Machenschaften und Kumpels (inklusive Netanyahu) aufzubauen?

Es ist und bleibt ein Elend: Wer als Intellektueller Kritik an Mythen übt und zudem zionistisch ist, ist eben Linkszionist und insofern vom riesigen staatsautoritären Netanyahu-Lager als Feind deklariert.

Wer hingegen Kritik an Netanyahu nur als Vehikel benutzt, um den Zionismus an und für sich abzulehnen, zeigt seine antisemitische Fratze, wenn auch oft hinter einer Maske versteckt.

Das macht die Position von Eva Illouz so nahezu einzigartig, jedenfalls was richtig berühmte heutige Intellektuelle betrifft. Sie ist und bleibt links und zionistisch. Punkt. Ich hatte darüber ja schon im Dezember 2024 berichtet.

„Woke“ Linke haben sich spätestens am 8. Oktober 2023 großteils als Antisemiten geoutet. Sie haben gekichert, geklatscht – oder geschwiegen. Nur ganz wenige gingen die Tage danach auf Pro-Israel Kundgebungen oder Demonstrationen, während im Januar 2024 Hunderttausende an Anti-AfD-Protesten teilnahmen, weil sich im November 2023 in Potsdam extreme Rechte trafen und mit der AfD rassistische Gedankenspiele diskutierten.

Doch das schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah hat die exakt gleichen „woken“ Linken nicht schockiert oder zum Protest animiert.

Die Rechten sind nicht besser, nur anders gepolt. Sie hetzen gegen Leute, die gegen die Familienideologie sind, gegen Religionskritiker*innen und Säkularismus und gegen Leute, die die Klimakatastrophe thematisieren und gegen sie aktiv werden. In Israel werden Kritiker*innen der Siedlungspolitik als Feinde gesehen, als ob sie Islamisten wären – dabei sind die wahren Feinde des Zionismus die militanten Siedler*innen, da sie die Worte Kompromiss, Gleichberechtigung und gleiche Rechte für Palästinenser nicht kennen.

Mittlerweile gibt es auch in Israel eine Kritik am „woken“ Konservativismus (!) – an einer „Reinheit“ der eigenen Reihen, wie es der Präsident der Ben-Gurion Universität Professor Daniel Chamovitz in der Times of Israel ausdrückt.

Am Ende des Interviews sagt Eva Illouz dann einen Satz, den hierzulande nicht eine bekannte zionistische Person – angenommen es gäbe eins ähnlich bedeutende zionistische Persönlichkeit in Deutschland, wie Eva Illouz es in Frankreich/Israel ist – zu formulieren in der Lage wäre, weil so einen Satz nur eine Intellektuelle und somit eine Linke, eine Linkszionistin zu denken und sagen vermag:

The position of the intellectual requires managing the tension between loyalty and truth all the time. I love Israel, but I am horrified by its authoritarian excesses and what seems to be a profound corruption of the state apparatus…

 

 

*Jürgen Ebach (1988): Antisemitismus, in: Hubert Cancik/Burkhard Gladigow/Matthias Laubscher (Hrsg.) (1988): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Band 1, Stuttgart: Kohlhammer, S. 495-504.

Ist Benjamin Netanyahu ein antizionistischer Politiker ?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Zionismus bedeutet jüdische Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit. Das war 1948. Ein wahrhaft historischer Moment.

Die Araber lehnten den einzigen jüdischen Staat ab und wollten den jungen Staat wenige Jahre nach der Shoah an seiner Gründung hindern und umgehend wieder zerstören. Fast alle arabischen Staaten und vor allem der Iran lehnen Israel bis heute ab. Dazu kommen unzählige sogenannte Akademiker:innen, NGO-Aktivist:innen, Neonazis und Linke sowie Islamist:innen sowie weite Teile im bürgerlichen Mainstream, die Israel kategorisch ablehnen und am 07. Oktober 2023 Jubelschreie von sich gaben, kicherten oder schwiegen. Während Hunderttausende völlig zu Recht gegen die Gefahr des Rechtsextremismus und der AfD auf die Straße gingen und gehen, ging von den gleichen Leuten fast niemand für Solidarität mit Juden und Israel auf die Straße. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…

Das exkulpiert aber nicht Netanyahu. Der israelische Ministerpräsident ist aktuell die wohl größte konkrete Gefahr für den einzigen Judenstaat. Er wollte schon 2023 vor dem 07. Oktober mit einer geplanten Justizreform Israel in einen autoritären Staat ohne wirkliche Gewaltenteilung verwandeln. Das wird er heute fortführen und den Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, entlassen. Bar war wie Netanyahu hauptverantwortlich für das Versagen Israels, trotz offenkundiger Warnungen, das Massaker vom 07. Oktober 2023 durch die Hamas und die Palästinenser zu verhindern.

Netanyahu ist angeklagt wegen Korruption und international wird er wegen Kriegsverbrechen gesucht. Nicht nur in der Haaretz werden diese Verbrechen auch angeklagt – von zionistischer Seite. Also ist Netanyahu ein antizionistischer Kriegsverbrecher, das ist die Pointe. Das wiederum macht weite Teile Israels nicht weniger verantwortlich für die Verbrechen der IDF im Gaza-Krieg. Die israelische Militärpolizei untersucht zum Beispiel, ob die israelische Armee palästinensische Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht hat. Hingegen sieht ein geplantes Gesetz in Israel vor, Menschen, die dem internationalen Strafgerichtshof – so umstritten der auch bekanntlich ist – Dokumente vorlegt, die mögliche israelische Kriegsverbrechen belegen sollten, mit einer Gefängnisstraße von bis zu fünf Jahren (!), zu verurteilen:

Tamar Meggido, an expert in international law, warned that ‚the definitions in this dangerous bill are so broad that even someone sharing on social media a photo or video of a soldier documenting themselves committing what appears to be a war crime could face imprisonment.‘

According to her, any journalist publishing an investigation that suggests a crime committed by IDF forces would also be at risk of imprisonment if the bill is passed.

Dazu kommt, dass dem israelischen Ministerpräsidenten die Geiseln vollkommen egal sind. Vermutlich werden die Dutzenden noch in den Händen der Muslim-Faschisten der Hamas befindlichen jetzt auch ermordet werden. Überlebende berichteten ja schon, dass nach jedem Scheitern von Verhandlungen und neuerlichen Kriegshandlungen sie gefoltert, geschlagen, gedemütigt und andere gar ermordet wurden. Das weiß Netanyahu, aber es ist im völlig egal. Der Zionismus ist ihm auch völlig egal, der möchte kein souveränes Israel Seite an Seite mit einem palästinensischen Staat – wie ihn zum Beispiel der Anti-Hamas Aktivist und Flüchtling aus Gaza, der jetzt in Deutschland lebt, Hamza Howidy, möchte. Netanyahu möchte nicht wegen Korruption ins Gefängnis. Dafür geht er über Leichen. Es sind vor allem palästinensische Leichen, aber auch jüdische und nicht zuletzt die Leiche des – Zionismus.

Nächste Woche lädt Netanyahu rechtsextreme Politiker:innen aus Europa und der Welt nach Israel zu einer Konferenz gegen Antisemitismus ein, was selbst dem sicher nicht gerade linken Beauftragten der deutschen Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, zu heftig ist und er wird wie der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy nicht hinfliegen.

Das Drama ist, dass die extreme Gefahr, die Jüdinnen und Juden in Deutschland und weltweit speziell und verschärft seit dem 07. Okober 2023 erleben, von israelischen Politikern wie Netanyahu, Ben Gvir oder Smotrich noch angeheizt wird.

Zionismus hieße, den „Anderen“ ernst zu nehmen als möglichen Verhandlungspartner, was ganz sicher nicht die Hamas inkludiert, aber ebensowenig die gesamte palästinensische Bevölkerung in Gaza ausschließen kann. Der wahnwitzige Vertreibungsplan von Trump bezüglich Gaza fiel ja in Israel auf fruchtbaren Boden.

Joe Biden ist ein alter und kranker Mann, er war ein typischer amerikanischer Kapitalist und Imperialist (und fanatischer Antikommunist), aber er war gleichwohl auch ein zionistischer amerikanischer Präsident. Er hat mehr für den Zionismus gemacht als ein Netanyahu. Ironischerweise war der Antikommunist Biden dem Sozialismus des Zionismus von 1948 unendlich näher als es Netanyahu je war. Er war für Ausgleich und Kompromiss, für Gerechtigkeit, ohne je die jüdische Selbstbestimmung aus dem Auge zu verlieren. Er hatte einen Begriff von Zionismus – das hat Netanyahu nicht, er kennt nur sich selbst und seine rechtsextremen Kumpel, die in Israel aktuell nach Millionen zählen.

Es ist nicht nur rassistischer Fanatismus, der Netanyahu antreibt, nicht nur sein eigenes politisches Überleben, sondern auch bodenlose Dummheit. Eine faschistisch-muslimische Bewegung wie die Hamas kann man nicht komplett eliminieren. Wer das nach fast eineinhalb Jahren Krieg in Gaza und den widerwärtigen Geiselübergaben durch die Hamas-Faschisten nicht kapiert hat, hat wirklich gar nichts verstanden.

Es muss um eine mühsame aber mögliche Deradikalisierung der Palästinenser:innen gehen, primär in Gaza, aber auch in der Westbank und weltweit. Es muss um eine zionistische Antwort auf das genozidale Massaker vom 07. Oktober gehen – nicht um einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist und es darf nicht mit weiter mit rechtsextremen, sexistischen, ja in Teilen offen faschistischen Politiker:innen wie Smotrich oder Ben Gvir zusammengearbeitet werden.

Der Zionismus und Israel und die Welt haben Besseres verdient als die aktuelle israelische Regierung. Dazu jedoch muss die gesamte israelische Bevölkerung aufstehen und nicht nur ein paar Zehntausend Demonstrant:innen. Das mehrheitliche Schweigen der ach-so Pro-Israel-Szene zu Netanyahus kriminellen und antidemokratischen Aktivitäten oder seinen Kriegsverbrechen tut ein Übriges.

Wer gegen die Zweistaatenlösung ist, ist Antizionist. Das meint ironischerweise nicht nur linke Israelhasser:innen oder Fans einer selbstmörderischen Einstaatenlösung oder eines binationalen Wahngebildes, das der vormalige Anhänger dieser Idee und Zionist Gershom Scholem spätestens seit Mitte der 1930er Jahre als naiv und eben selbstmörderisch erkannte, sondern gerade auch die aktuelle israelische Regierung und den Mainstream der israelischen Gesellschaft, der weiter paralysiert ist wegen dem 07. Oktober und „den Anderen“ nicht sehen kann oder will und seien es pro-israelische palästinensische Anti-Islamisten, die „Freiheit für Palästina“ fordern

Ein jüdischer Autor aus Ungarn bringt es in der Haaretz angesichts von geplanter Mangelernährung und bewusster Unterversorgung mit Grundnahrungsmitteln in Gaza durch Israel – von den sonstigen brutalen Kriegshandlungen ganz zu schweigen – so auf den Punkt:

Many Jews believe that they have a duty to defend Israel, regardless of its conduct. I believe that, besides our natural support and commitment to the Jewish state, we must draw a line. We cannot sacrifice the universal and Jewish ideal of justice and humanity on the altar of defending Israel, right or wrong, even when it acts in an unjust manner.

Moreover, we are not helping Israel either: we are failing to hold up a mirror to it and continue to allow it to fall into an ever deeper moral abyss. Israel has as much right to exist in the world as any other nation, and when it is attacked, it must be supported in the same way as any other country, but we must also speak out against violations and abuses, including those committed by Jews or the Jewish state. It is the only way to preserve our own moral integrity and, in my view, the only right way to show solidarity with Israel.

Der ehemaligen israelische Ministerpräsident Ehud Barak erkennt bei Netanyahu einen „toxischen Narzissmus„, auch eine Form des Antizionismus.

„Once again, it was a frontal assault launched by Netanyahu against state institutions, particularly Shin Bet, which is responsible for the investigation. And he, Netanyahu, is once again the victim.

‚Netanyahu has completely succumbed to self-delusion. He doesn’t even feel a trace of cognitive dissonance. On the contrary, he remains convinced that he is still saving Israel and even the entire West from an Islamo-Nazi conspiracy,‘ says former Israelis Prime Minister Ehud Barak, 82, who spent four years as Netanyahu’s defense minister beginning in 2009. Barak knows Netanyahu better than most and says the prime minister is suffering from a case of ‚toxic narcissism.’”

Endlich wieder Kriegsstimmung wie 1939: DIE ZEIT möchte nach der Bundestagswahl, also heute, in Wolfsburg Panzer bauen (KEIN Witz)…

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am Tag danach.

 

 

Die gestrige Bundestagswahl hat das hier gebracht, DIE ZEIT schreibt:

„Aufschwung, Aufrüstung, (sozialer) Ausgleich: Das ist der Dreiklang, der die kommende Legislaturperiode prägen wird.“

Nur wirklich richtig historisch Gebildete hören da die Agitation des Jahres 1939 heraus.

Doch es wird noch deutlicher und hört sich wirklich so an wie 1939:

„Aber wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein Weg. Und das sollte dabei nicht vergessen werden: Die Rüstungsindustrie ist auch eine Industrie. Die strategische Neuausrichtung Europas schafft gut bezahlte Arbeitsplätze:

Man kann in Wolfsburg auch Panzer bauen.“

(Hervorhebung CH)

Hier ist der ungekürzte Abschnitt aus dem Text:

Womöglich ist das ganze eine richtig schlecht getarnte Satire.

Aber ich fürchte, DIE ZEIT meint das ernst (klären Sie mich auf, wenn ich falsch liege, danke).

Was jedenfalls keine Satire ist, sondern bittere Realität bzw. Not-Wendigkeit:

Daher:

Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag!

Was lernen wir? Während die AfD oft so rumdruckst und meint, sie wäre gar keine Nazi-Partei und hätte mit der Zeit 1933 bis 1945 nichts am Hut, ist die schwarz-rote ZEIT wenigstens ehrlich: Sie fordert wieder den Panzerbau und zwar genau in jener Fabrik und Stadt, die es erst seit dem Nationalsozialismus gibt: Die VOLKSWAGEN-Fabrik aus der 1938 gegründeten „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“.

 

Es gibt jetzt nur ein Ziel: eine rechtsextreme Bundesregierung unter Merz/AfD verhindern

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Nach dem Kooperieren der CDU/CSU unter dem extremen Rechten Friedrich Merz (CDU) mit der rechtsextremen AfD am 29. Januar 2025 im Bundestag, gibt es für die Wahl zum Bundestag am 23. Februar nur ein Ziel:

Eine Mehrheit für schwarz-blau-braun verhindern.

Der Islamismus ist eine riesige Gefahr, seit dem 11. September 2001. Das haben die meisten Linken und Grünen und der Mainstream verpasst.

Doch es ist auch ganz einfach: man kann nicht den muslimischen Fundamentalismus mit einem ‚arisch‘-deutschen Fundamentalismus bekämpfen.

Beide sind sich zudem viel zu ähnlich.

Beide, der schwarz-braun-blaue Haselnuss-Fundamentalismus wie der grün-islamistische Fundamentalismus basieren auf autoritären Charakteren.

Beide hassen „Wokeness“, Transgender und alternative Lebensmodelle.

Beide hassen selbbewusste kinderfreie Frauen und Männer.

Beide lieben die Traditionsfamilie, Volksmusik und die Religion, christlich oder muslimisch.

Die vielen Fehler, die Rot-Grün gemacht hat, angefangen mit der Forsetzung der nicht evidenzbasierten autoritären und antidemokratischen Corona-Politik durch Merkel, fortgesetzt mit der antidiplomatischen und militaristischen Ukraine-Politik und der daraus folgenden Energie- und Wirtschaftskrise, würden durch eine rechtsextreme Regierung noch um ein Vielfaches potenziert.

Rechtsextreme wie Islamisten hassen Vielfalt und Widerspruch. Rechtsextreme und die CDU/CSU hassen die Kritik am deutschen Nationalismus. Scholz liebt die Bundeswehr auch und hat der extremen Rechten mit seinem Militarismus Vorschub geleistet.

Und doch – was für Zeiten! – wäre eine rechtsextremen Regierung unter Merz/Weidel die allergrößte Katastrophe seit dem Ende des Nationalsozialismus am 8. Mai 1945.

Jene Anti-Woken, die gegen Minderheiten hetzen wie gegen Transmenschen, sind nur das Spiegelbild des Jihad und der Burka-Trägerinnen, die Transmenschen oder Homosexuelle auch hassen, weil sie Vielfalt und die diversen Möglichkeiten menschlichen Lebens verabscheuen und extrem schwache Ich-Persönlichkeiten haben.

Die Gewalt gegen Transfrauen und andere diverse Menschen, inklusive Mord, bleibt weltweit auf einem hohen Level.

Merkel wendet sich gegen den Pro-Rechtsextremismus-Kurs ihres Nachfolgers Merz. Dabei ist die kapitalistisch-neoliberale Black-Rock-Eiseskälte dieses Mannes schon ohne die AfD die größte Katastrophe für die Sozialpolitik seit den Hartz4-Gesetzen.

So extrem schwache Ich-Persönlichkeiten wie die Islamisten haben auch die CDU/CSU- und AfD-Bundestagsabgeordneten, die jetzt gegen jedwede Migration hetzen und gegen geltendes EU-Recht verstoßen, also illegal handeln und ihren Nationalismus und ihren Rassismus in Gesetze packen.

Sie wollen wahlweise eine ‚deutsche Identität‘ oder ‚islamische Identität‘, weil sie keine stabile Ich-Identität haben.

Der Europäsche Gerichtshof wird sich Merz vorknöpfen.

Jene, die Rot-Grün-Schwarz-Gelben, die im Bundestag der Holocaust verharmlosenden Rede vom angeblichen „Vernichtungskrieg“, den Russland in der Ukraine führe, diese Woche mit stehenden Ovationen frönten, beschädigen die politische Kultur ebenso wie jene gleichen Hetzer*innen, die jetzt mit der AfD kooperieren.

Nazis haben das Ziel, die Demokratie zu schwächen, um sie hernach zerstören zu können. Das ist die Geschichte der Weimarer Republik.

Nie war die Bundesrepublik Deutschland näher dran an Weimarer Verhältnissen wie aktuell. Und das liegt, wen wundert es, an der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

„Nie wieder Deutschland“ heißt:

Alles tun, um eine Mehrheit für CDU/CSU/AfD zu verhindern, ohne naiv zu glauben, dass Rot-Grün etwas ‚Gutes‘ sei.

Aber einer Partei an die Macht zu verhelfen, die Nazi-Parolen, für die ihre Führer schon verurteilt wurden, nur leicht abgewandelt („Allesice für Deutschland“) hinausbrüllt und sich von einem frauenverachten, transphoben, antisemitischen, verschwörungsmythischen, rassistischen Tech-Milliardär aus den USA unterstützen lässt, ist die gefährlichste Politik seit dem Ende des SS-Staates.

 

Links, jüdisch und zionistisch: Eva Illouz in Heidelberg

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

In den letzten Wochen hat die israelische Star-Soziologin Eva Illouz, deren Bücher in 18 Sprachen übersetzt wurden, gleich zwei Vorträge in Heidelberg gehalten. Einen im Rahmen einer Ringvorlesung an der ältesten deutschen Universität, der Ruperta Carola,

und einen zweiten am Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) Heidelberg, dem Haus der Kultur, im Rahmen der „Geist Heidelberg“-Vortragsreihe.

Während der erste Vortrag sehr wichtig mit der Kritik am Antisemitismus der Linken seit dem 8. Oktober 2023 einsetze, hatte er doch mitunter hölzerne oder im negativen Sinne sehr akademisch wirkende Passagen. So wandte sich Illouz in Teilen gegen 1968, weil es damals nur um „Kritik“ ging – eine für eine Marxistin ungewöhnliche Position, denn Karl Marx selbst begann ja als polemischer Gesellschaftskritiker wie in der Analyse der deutschen Ideologie – und glich sich somit dem ach-so-altehrwürdigen großen Saal der Alten Aula teils an. Ob das mit einem traditionellen, patriarchalen und auf Reproduktion basierenden, also natalistischen Familien- und Frauenbild von Illouz in Verbindung steht, wie der Politikwissenschaftler Hans-Martin Schönherr-Mann, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), in seinem Buch „Konservative politische Philosophie“ 2024 meint, sei dahingestellt. Womit er sicherlich falsch liegt, ist das Adjektiv konservativ, weil sich Eva Illouz, wie sie unterstrich, als Linke (und Marxistin) sieht, so im DAI am 15. Dezember 2024.

Erschwerend kamen gleichwohl in der Alten Aula im November 2024 durchgängig schwer erträgliche Einleitungsworte von Vertreterinnen der Universität Heidelberg hinzu. Das war akademisches Bauchpinseln ohne jeden intellektuellen Anspruch oder Tiefgang und es wurden sogar von einer Rednerin, wenn wir das richtig verstanden haben, maoistische Methoden der Bevölkerungsdezimierung in China der 1950er Jahre oder später goutiert, weil es doch gegen Teile der Elite ging… Oder das war ein Sarkasmus, der gut versteckt war, in englischer Sprache.

Also lohnte es sich definitiv, den zweiten Vortrag von Illouz in Heidelberg im Herbst 2024 zu besuchen, im DAI war sie in jeder Hinsicht deutlich lockerer und noch schärfer im Tonfall, zudem auch mal sarkastisch oder lustig und immer eloquent.

Es geht um dem 8. Oktober 2023. Das ist der Tag, an dem sich für Eva Illouz das Ende der Linken, wie sie sie kannte, offen zeigte. An diesem Tag und in den darauf folgenden Tagen haben ‚Linke‘ ihre Freude ob des Abschlachtens von 1200 Israelis, großteils Zivilist*innen, zum Ausdruck gebracht und den Antisemitismus befördert, der sich weltweit in einer Massivität zeigt, wie vermutlich noch nie seit Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. Es geht also um den Tag nach dem genozidalen Massaker der Hamas und des Islamischen Jihad im Süden Israels, als Schadenfreude und offener Judenhass sich in einer Weise Bahn brachen, wie das selbst Kritiker*innen des Antisemitismus nur schwer für möglich gehalten hatten. Es geht nicht primär um die Reaktionen nach dem Beginn des Krieges Israels gegen die Hamas im Gazastreifen seit Ende Oktober 2023, betonte Illouz, die ja als scharfe Kritikerin von Benjamin Netanyahu seit vielen Jahren bekannt ist -, es geht um den Judenhass des 8. Oktober 2023, dem Tag, der mit dem 7. Oktober zusammen als Chiffre symbolisch steht für den heftigsten Judenhass seit dem Holocaust.

Jüdinnen und Juden sowie zionistische Aktivist*innen weltweit und andere Menschen mit Empathie sind bis heute gebrochen von diesem „Hurricane“ des 7. Oktober, dem schrecklichsten und tödlichsten Tag in der Geschichte des einzigen jüdischen Staates. Die Mörder waren palästinensische Männer, die in einer unaussprechlichen Brutalität Frauen vergewaltigten, lebendig verbrannten, ganze Familien lebendig verbrannten oder Kinder vor den Augen der Eltern massakrierten und anders herum. Muslimische Männer haben offenkundig ein besonderes Gewaltproblem und extreme Gewaltfantasien und begehen besonders häufig extrem sexualisierte Gewalttaten. Doch auch Amokläufer in den USA sind nahezu ausschließlich Männer oder Jungs – und in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Europa sind Gewaltandrohungen oder Gewalttaten zum Beispiel gegen Feministinnen, radikalfeministische Kritikerinnen der Kinderkriegen-Ideologie und Frauen von Seiten Rechtsextremer auch Ausdruck männlicher Macht, Herrschaft und Gewalt. Was es jedoch wiederum spezifisch im Islamismus gibt, sind weibliche Selbstmordattentäterinnen, was die weltweit gesehen besondere und enorme Gefahr des Jihad und politischen Islam unterstreicht.

Männliche und Jungen-Gewalt jedoch sind soziologische Phänomene und Ausdruck eines antifeministischen Backlashs (der sich auch in Memes wie der „Tradwife“ virtuell materialisiert), der sich selbstredend in neu-rechten sexistischen Tendenzen wie der Wahl Donald Trumps („grab her by the pussy“), seinem quasi Stellvertreter Elon Musk, der unbedingt der kinderfreien oder noch kinderlosen Musikerin Taylor Swift ein Kind machen oder schenken möchte und seinen Turbo-Kapitalismus mit Gewaltfantasien unterschiedlicher Art erweitert (rechtsextreme Trump-Fans faseln von „your body, MY choice“), oder dem weltweiten Trend zur Kriminalisierung und Diffamierung von Abtreibung und weiblicher Selbstbestimmung und nicht-binärem Leben von Orbán über Meloni hin zu den USA, der AfD und Putin zeigt.

Doch die Art des Massakrieren, Massenvergewaltigens, Brüste abschneidens, Gegenstände in die Vagina oder die Schenkel hämmern, durch die palästinensischen männlichen und muslimischen („Allahu Akbar“) Mörder des 7. Oktober ist nicht in Worte zu fassen und ein spezifisches Verbrechen, das schlimmste in der Geschichte des einzigen jüdischen Staates und weltweit in seiner Brutalität und genozidalen Dimension seit dem Holocaust unfassbar. Es wurden, das ist übrigens eine Taktik der palästinensischen Terrorgruppe PFLP seit Jahrzehnten, jüdische linke Friedensaktivist*innen massakriert, auf dem Nova-Festival und in den Kibbutzim, Moshavs und Städten im Süden Israels, Menschen, die zuvor den Palästinenser*innen aus Gaza bei Arztbesuchen oder Jobs behilfreich waren. Einige von denen hatten bei diesen Besuchen in Israel diese späteren Orte der Gewalt ausspioniert …

Am 8. Oktober zeigten dann auch feministische Frauen ihre antisemitische Fratze – weltweit gab es ach-so-dermaßen feministische Gruppen, die gegen den einzigen Judenstaat hetzten und das Abschlachten von jüdischen Frauen entwirklichten, nicht weil Frauen Opfer waren, sondern weil es jüdische Frauen waren!

Was nach dem nie dagewesenen genozidalen Pogrom im Süden Israels durch palästinensische Männer und Jugendliche passierte, war ein Feiern dieses Massakers, weltweit, Süßigkeiten wurden verteilt und ‚Philosophinnen‘ wie Judith Butler rationalisieren den Judenmord. Das war das Ende der Linken oder das Ende der Linken Judith Butler – so Eva Illouz in einem ihrer bedeutendsten Texte überhaupt in ihrer Karriere, den sie in der Haaretz publizierte.

Screenshot, https://www.freitag.de/autoren/eva-illouz/eva-illouz-warum-judith-butler-keine-linke-ist

Dass Butler schon lange zuvor als antisemitische linke Akteurin bekannt war, ist klar, ich schrieb 2014 über Butler und den antizionistischen Antisemitismus, mit einer Betonung auf die pro-zionistische Position der Kritischen Theorie der ersten Generation von Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Leo Löwenthal bis Herbert Marcuse, einem der bedeutendsten Aktivisten der 1960er Jahre und Symbolfigur von 1968 der philosophischen Linken. Marcuse war ein Zionist und Israelfreund.

Das ist wichtig zu betonen, weil zumal in der amerikanischen oder britischen Pro-Israel Szene Marxismus und Critical Theory synonym sind für Antisemitismus und Postkolonialismus. Und das ist historisch gesehen falsch, auch wenn heutige Fake-Vertreter*innen der Kritischen Theorie großteils Antisemit*innen sind.

Es geht Eva Illouz um die spontane Reaktion von typischen irgendwie ‚linken‘ Akademikern wie Andreas Malm von der Universität Lund im Süden Schwedens. Malm ist ein „Humanökologe“ und rabiater Öko-Aktivist, er wird in England von einem der größten sogenannten unabhängigen Verlage publiziert – Verso – und in Deutschland zum Beispiel vom Verlag Matthes & Seitz. Das genozidale Massaker an 1200 Jüdinnen und Juden und anderen Opfern sowie das Entführen von 251 Jüdinnen und Juden und anderen am 7. Oktober 2023 durch die islamistischen palästinensischen Terrorgruppen Hamas und Islamischer Jihad führten bei Malm spontan zu „Jubelschreien“, wie er in einem Text für das Blog des links-antisemitischen Verlags Verso im April 2024 hinausposaunt:

The first thing we said in these early hours consisted not so much of words as of cries of jubilation. Those of us who have lived our lives with and through the question of Palestine could not react in any other way to the scenes of the resistance storming the Erez checkpoint: this maze of concrete towers and pens and surveillance systems, this consummate installation of guns and scans and cameras – certainly the most monstruous monument to the domination of another people I have ever been inside – all of a sudden in the hands of Palestinian fighters who had overpowered the occupation soldiers and torn down their flag. How could we not scream with astonishment and joy?

Dass ein Wissenschaftler und Aktivist, der so etwas Antisemitisches schreibt, weiter an einer führenden europäischen Universität angestellt ist und in teils seriösen Verlag publiziert wird, ist ein Skandal.

Schon vor Jahren waren antisemitische Töne von Malm unverkennbar, so vergleicht er den Kampf von Öko-Aktivist*innen gegen den fossilen Kapitalismus mit dem Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto, eine widerwärtige und äußerst dümmliche Analogie, wie es angesichts einer Einladung an Malm in Österreich im Herbst 2022 heißt:

Sein Buch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“, erschienen 2020 bei Matthes und Seitz, könnte zwar aktueller nicht sein, die Thesen Malms sind allerdings umstritten. Im Buch vergleicht Malm beispielsweise den Kampf des radikalen Umweltaktivismus‘ mit dem Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto.

Screenshot, https://www.derstandard.de/story/2000139609175/kunstuniversitaet-laedt-umstrittenen-israelkritiker-fuer-vortrag-ein

Illouz konnte es sich auch nicht verkneifen, zu betonen, dass beide „Bewegungen“ – der Islamismus wie die Hamas und die Öko-Bewegung die Farbe grün gemein haben, ein Schelm der Böses dabei denke…Honny soit qui mal y pense.

Illouz ist eine scharfe Gegnerin der israelischen Regierung und von Benjamin Netanyahu – ihr ist aber auch klar, wer hier verantwortlich ist: die Hamas und die Palästinenser. Ohne den 7. Oktober hätte es den Krieg Israels gegen die Hamas nicht gegeben. Das rechtfertigt nicht jede Art der Kriegsführung, das ist völlig klar und entgegen Journalisten, die bis zum 7. Oktober noch ganz scharfe Opponenten von Netanyahu waren wie der Journalist Yaakov Katz, ist Illouz gerade hier und heute eine Kritikerin und Gegnerin von Netanyahu, während Katz jetzt die Seiten wieder gewechselt hat und primär Gutes an Netanyahu sieht, obwohl der doch bis zum 6. Oktober für die größten innenpolitischen Verwerfungen Israels seit 1948 verantwortlich war mit seiner verfassungsfeindlichen „Justizreform“ und damit zur Möglichkeit des 7. Oktober beigetragen hat. All das wischt ein Yaakov Katz jetzt vom Tisch und sieht angeblich das ganz große Bild des Nahen Ostens mit dem tollen Bibi vorneweg – solche anti-linken Pirouetten würde Eva Illouz nicht drehen.

Es hat also einen guten Grund, warum Eva Illouz in ihren beiden Vorträgen in Heidelberg jeweils mit diesem besonders obszönen und Gewalt verherrlichenden Beispiel von Andreas Malm von der Universität Lund einsetzte.

Es wäre eine sehr aufschlussreiche Studie wert, sich die Pro-Lockdown Position von Andreas Malm während der Corona-Pandemie vor Augen zu führen, da zeigte sich nämlich sein brutaler Leninismus von einer Seite, die auch dem pro-israelischen Mainstream hierzulande gefallen würde. Es waren ja nicht zuletzt die selbst ernannten Pro-Israel-Aktivist*innen, die die irrationale und antidemokratische Coronapolitik nicht nur goutierten, sondern einforderten. So auch Malm, er ist ein glühender Fan der autoritärsten Coronapolitik. Das fiel sogar der die irrationale Coronapolitik verteidigenden linken Wochenzeitung Jungle World auf.

Ein Theorieblog aus der Schweiz schwärmte von der Verbindung, die Malm zwischen der rigorosen staatlichen Coronapolitik (natürlich nicht in Schweden, aber in Deutschland z.B.) und der Klimakrise herstellt, sprich: Malm wünscht sich eine ähnlich demokratieferne Klimapolitik, wie wir sie bei der Coronapolitik erlebten. Ein leninistischer oder staatsfetischistischer Coronapolitik-Anhänger – das wäre mal eine wissenschaftliche Studie wert: der Zusammenhang von links-autoritären Aktivisten und deren Zustimmung zur Coronapolitik.

Das herkömmliche Narrativ, wie es neudeutsch heißt, also die große Erzählung lautet ja immer ähnlich reduktionistisch: wer gegen die Coronapolitik ist, ist antisemitisch, verschwörungsmythisch und irrational. Was aber, wenn antisemitische Akteure oder Klimaaktivist*innen die nicht evidenzbasierte und autoritäre Coronapolitik und den staatlichen Eingriff gegen das Kapital ganz hervorragend fanden? Diese Schnittmenge von pro-israelischen und Pro-Coronapolitik-Aktivist*innen mit antisemitischen und Pro-Coronapolitik-Aktivist*innen ist viel relevanter und frappierender als der Bezug von offenkundigen Neuen Rechten oder manchen Esoteriker*innen, die die Coronapolitik ablehnten oder antisemitische historische Vergleiche zogen.

Im Laufe ihres DAI-Vortrags von Eva Illouz, der wie gesagt deutlich lebendiger, sarkastischer und polemischer war als der in der Alten Aula, ging Illouz dann auch auf die Geschichte des Islamismus seit der Gründung der Muslimbrüder durch Hasan al-Banna im Jahre 1928 und die Ablehnung jedes Kompromisses zwischen Juden und Arabern durch die Araber (später: Palästinenser) seit den 1930er Jahren im Nahen Osten ein.

Das wirkte alles noch viel überzeugender und zionistischer, weil sich Illouz als Linke begreift und sich vehement gegen die Besatzung des Westjordanlandes engagiert und positioniert und das sogar „Siedlerkolonialismus“ nennt, was dort passiert. Sie sieht sich polit-ökonomisch als „Marxistin“, wie sie am DAI betonte, wobei sie vor allem Marx selbst meinte und weniger die Geschichte des Marxismus.

Die Bezugnahme von Illouz auf Hannah Arendt war jedoch nicht in jedem Aspekt überzeugend, da der „Samen des Kolonialismus“ eben nicht im Nationalsozialismus aufging. Nazi-Deutschland hat ganz andere Traditionslinien als den Kolonialismus, der zwar rein zeitlich und teils biographisch mit dem NS verbunden ist, aber der Antisemitismus von Martin Luther, den Befreiungskriegen gegen Frankreich Anfang des 19. Jahrhunderts und natürlich der Judenhass von Richard Wagner sowie die völkische Bewegung im Kaiserreich haben viel mehr mit dem NS zu tun als der Kolonialismus. Kolonialismus basiert auf Rassismus. Antisemitismus ist aber kein Rassismus, sondern eine genozidale Ideologie, die mit Verschwörungsmythen einhergeht.

Illouz wollte die historische Analogie der Situation von Schwarzen und Juden betonen, was aber wie gesagt nicht wirklich überzeugte, zumal nicht ihre Soziologie des Emporkommens und des Nicht-Emporkommens. Damit meinte sie die Situation der Juden und Jüdinnen in den USA nach 1945, die eine Erfolgsgeschichte gewesen sei, was bei den Schwarzen gerade nicht der Fall war und das den Antisemitismus oder das Ressentiment von Schwarzen gegen Juden erklären könne, jedenfalls in Teilen. Doch das stimmt so nicht, denn frühe schwarze Holocaust verharmlosende und somit antisemitische Autoren wie Aimé Césaire stimmten ihr – eigentlich Heideggerianisches – Lied der Unspezifik des Holocaust schon unmittelbar nach der Befreiung von Auschwitz an. Bekanntlich waren für Césaire oder den schwarzen Bürgerrechtler und Theoretiker W.E.B. Du Bois Juden nur deshalb nach 1945 weltweit als Opfer anerkannt, weil sie „Weiße“ seien – die gleichen Verbrechen im Kolonialismus hätten keine weltweite Solidarität gebracht, womit erstens das Präzedenzlose von Sobibor und Auschwitz geleugnet wurde und zweitens der Antisemitismus nach 1945, der sekundäre Antisemitismus, die Erinnerungsabwehr, gerade nicht in den Fokus rückte. Nachdrücklich betonte Illouz sodann die Differenz zwischen dem historischen Prozess der Entkolonialisierung und der Ideologie des Postkolonialismus, der damit gar nichts zu tun habe.

Doch der Kern des Vortrags von Eva Illouz war die ungemein wichtige und scharfe Abwehr des linken Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023.

Es war schließlich sehr bewegend, als in der Diskussion am DAI ein etwas älterer Mann mit einer coolen Frisur und weißen Haaren, der sich als links und jüdisch vorstellte, Eva Illouz für ihre pro-israelischen Texte seit dem 7. Oktober dankte und sie bat, doch bitte als Linke und Zionistin so weiterzumachen, er habe so viel Kraft aus ihren Texten geschöpft. Die Verzweiflung angesichts des unfassbaren Antisemitismus – auch in Heidelberg oder noch viel mehr in der Nachbarschaft wie in Mannheim oder Frankfurt am Main – und die Sehnsucht nach Kritiker*innen wie Illouz war in den Worten und dem Auftreten dieses Mannes unverkennbar.

Wenn wir uns erinnern, welch legendäre Bedeutung Heidelberg für das jüdische Leben in der Weimarer Republik hatte, waren diese beiden Vorträge von Eva Illouz vielleicht ein neuer Versuch, links und zionistisch zu sein.

Das erinnert ein wenig an Kurt Blumenfeld, den damaligen Vorsitzenden der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, der 1926 nach Heidelberg reiste, hier einen Vortrag hielt und zum Mentor und persönlichen Freund von Hannah Arendt wurde, eine Freundschaft, die aufgrund der zunehmend antizionistischen, jedenfalls gegen den politischen Zionismus gerichteten Position von Arendt, viele Bewährungsproben bekommen sollte.

Eva Illouz hatte nach ihrem vor fast ausverkauftem Haus am DAI gehaltenen Vortrag keine Zeit mehr, um vielleicht am nächsten Tag wie damals Arendt auch Gedichte rezitierend oder singend den Philosophenweg entlang zu spazieren, mit dem wundervollen Blick über den Neckar, auf die Altstadt Heidelbergs, die Universität und die Universitätsbibliothek, sowie an klaren Tagen bis fast ins Rheintal und eigentlich bis Frankreich – sie musste auf den Zug nach Paris.

Aber es war sicherlich nicht der letzte Vortrag von Eva Illouz in Heidelberg – denn selten haben diese Stadt und Europa eine linke, jüdische und zionistische Stimme nötiger gehabt, denn heute.

 

Schriftsteller, die vom Antisemitismus in der Ukraine nicht reden wollen, sollen von Putin und Demokratie schweigen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der Krieg in der Ukraine muss enden. Er muss umgehend enden und es wird einen Kompromiss geben.

Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands von Ende Februar 2022 hätte bekanntlich schon im April 2022 mit dem vollständigen Rückzug Russlands auf die Linien vor dem 24.02.2022 enden können, wären nicht fanatische Russenfeinde wie Boris Johnson und die NATO dagegen gewesen. Der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett hätte es fast geschafft, dass Putin und Selenskyi einen Waffenstillstand vereinbarten oder gar einen Friedensvertrag, wie auch die Zeitschrift Foreign Affairs konzedieren muss.

Doch die regelrechte Kriegshetze von Boris Johnson aus England und der NATO aus den USA sowie aus Europa verhinderte das. Dadurch sind Zehntausende Ukrainer und Russen an der Front gestorben, zu den Tausenden Zivilist*innen hinzu. Das wäre vermeidbar gewesen. Aber der Westen wollte keinen Kompromiss. Das sind Fakten.

Das entbindet Putin nicht von seiner Verantwortung für den Krieg – aber es kontextualisiert ihn.

Doch Kontext ist das allerletzte was Rechte und Großagitatoren wollen.

Nehmen wir die Rede des Schriftstellers (!) Marko Martin im Schloss Bellevue vor wenigen Tagen anlässlich des 35. Jahrestages des Mauerfalls. Er attackierte ausgerechnet den Gastgeber Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für seine Ukraine-Politik als Außenminister vor einigen Jahren. Als ob Steinmeier sich nicht klar gegen Putin ausgesprochen hätte und die Militarisierung der Bundesrepublik durch Olaf Scholz seit dem 27. Februar 2022 (100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr) nicht vollends mittragen würde.

Aber das reicht vielen nicht. Die FAZ, die WELT oder der Perlentaucher schäumen vor Wut und klatschen ob der Schriftsteller-Rede Marko Martins, die in der WELT auch publiziert wurde.

Dass Putin ein brutaler Herrscher ist, der einen Verleger wie mich durchaus 15 Tage ins Gefängnis stecken oder mit Geldstrafe belegen würde, weil mein Verlag Edition Critic unter anderem Bücher zur Kritik der Normalfamilie oder zur Unterstützung kinderfreien Lebens publiziert, ist bekannt. Putin lässt auch Dissidenten ermorden. Sein Außenminister Lawrow hat sich 2022 widerwärtig antisemitisch geäußert. Das ist alles dokumentiert.

Was aber gerade in Deutschland kaum diskutiert wird, ist der Antisemitismus und Neonazismus in der Ukraine. Und das spricht Bände. Es ist sicher kein Zufall, dass Marko Martin den X-Account der ukrainischen Historikerin Marta Havryshko nicht zitiert in seiner agitatorischen Rede im Schloss Bellevue. Denn dann müsste er erkennen, dass beide Seiten höchst problematisch sind: Putin und Russland sowie Selenskyi und die Ukraine und als dritter sehr gefährlicher Faktor natürlich die NATO und der Westen, der 2014 seine eigene Rolle spielte beim Maidan-Putsch, wie der CIA ja selbst zugab. Es ist also vermutlich viel komplexer als es ein aus Sachsen im Mai 1989 geflüchteter heutiger Schriftsteller zu erkennen vermag.

Das Dramatische ist, dass Steinmeier selbst ja gar nicht mehr so handelt oder redet, wie er es 2016 noch tat – und gerade diese diplomatischen Worte sind den heutigen Kriegstreibern und Säbelrasslern ein Dorn im Auge. Die Süddeutsche Zeitung schrieb 2016, als Steinmeier noch Außenminister und Merkel Kanzlerin war:

„Angesichts der Nato-Militärmanöver und der geplanten Truppenstationierung in Osteuropa warnt Außenminister Steinmeier vor einem Abschreckungskurs gegenüber Russland.

Die Geschichte lehre, dass neben dem gemeinsamen Willen zur Verteidigungsbereitschaft auch immer auch die Bereitschaft zum Dialog und Kooperationsangebote geben müsse, sagte er.“

Weiter heißt es in der SZ:

„Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die Nato-Manöver in Osteuropa kritisiert und fordert stattdessen mehr Dialog und Kooperation mit Russland. ‚Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen‘, sagte er der Bild am Sonntag.“

Schauen wir mal, was heute parallel zu dem Krieg in der Ukraine passiert. Wie sich die politische Kultur entwickelt, wie mit der ukrainischen Geschichte umgegangen wird.

Ich nehme mal den X-Account der ukrainischen Historikerin Marta Havryshko, die seit wenigen Jahren in den USA lehrt. Am 13. Oktober 2024 schreibt sie (alle Beiträge sind auf Englisch, übersetzt mit der kostenlosen Version von DeepL):

„Wie Asow zur Gewalt gegen seine Kritiker anstiftet? Meine Geschichte Im September 2023 eröffnete die 3. Sturmbrigade (Asow-Bewegung) eine Ausstellung im Museum von Kiew, in der ihre Kämpfer mit Angehörigen der Waffen-SS-Division Galizien verglichen wurden. Ich habe dazu einen kleinen kritischen Beitrag auf meiner Facebook-Seite verfasst. Der Hauptgedanke war: Die Verherrlichung von Nazi-Kollaborateuren schadet der ukrainischen Demokratie und nährt die Kreml-Propaganda.“

Am 16. Oktober 2024 schreibt die ukrainische Historikerin:

“ ‚Asow hat sich verändert‘ – das Mantra vieler liberaler und fortschrittlicher Menschen im Westen, die nach dem 24. Februar 2022 Sympathie für die Asow-Bewegung zeigen, ihre Vergangenheit beschönigen, ihre Gegenwart rechtfertigen und sich keine Sorgen um ihre Zukunft machen. Meine Antwort? Ja. Sie hat sich verändert. Hier sind einige Indikatoren:

Vergrößerung und Durchdringung des gesamten Sicherheitssektors in der Ukraine. Anstelle eines Asow-Regiments gibt es jetzt zwei Brigaden: die 12. in der Nationalgarde und die 3. in der AFU. Eine weitere Asow-Einheit, Kraken, agiert unter der direkten Aufsicht des ukrainischen Militärgeheimdienstes unter der Leitung von Budanow.

Bewaffnung. Dank Lobbyarbeit und politischer Zweckmäßigkeit haben die USA das Waffenverbot für Asow aufgehoben. Jetzt verfügt sie über alle möglichen schweren Waffen aus dem Westen und bildet ihre Mitglieder darin aus, sie bei Bedarf gegen ‚äußere und innere Feinde‘ einzusetzen.

Entschuldigung früherer krimineller Aktivitäten. Einige Mitglieder von Asow waren in kriminelle Aktivitäten verwickelt und wurden vor 2022 wegen Gangstertums inhaftiert, aber nach dem Beginn der groß angelegten russischen Invasion in der Ukraine wieder freigelassen. Jetzt werden sie als ‚Freiheitskämpfer‘ gefeiert und ausgezeichnet.

Unterstützung durch die Medien. Asow genießt eine enorme Medienpräsenz. Viele ukrainische und ausländische Medien tappen in die Falle der ‚Elitebrigaden‘, ‚wahren Patrioten‘ und ‚einfachen Nationalisten‘. Sie stellen die Ideologie von Asow nicht in Frage und sind nicht bereit, die Mitglieder von Asow direkt mit harten Fragen über ihre Ideologie und politischen Pläne zu konfrontieren.

Rückendeckung von Experten. Einige Wissenschaftler und Analysten spielen die Rolle von Radikalismus und Extremismus in Asow bewusst herunter und argumentieren, dass Asow ‚entpolitisiert‘ sei und dass Behauptungen über seine Bedrohung der Demokratie übertrieben und das Produkt von Kreml-Propaganda seien.

Indoktrination und militärische Ausbildung von Jugendlichen. Centuria, eine paramilitärische Asow-Jugendbewegung, hat ihre Aktivitäten auf die gesamte Ukraine ausgeweitet. Sie dringt in die Schulen ein. Sie bereitet Jugendliche auf die Gewalt auf der Straße vor. Sie wird bereits für politische Gewalt gegen LGBTQI+, feministische und linke Aktivisten eingesetzt.

Mobilisierung von Angst. Asow setzt die Angst vor Russland in der Ukraine und darüber hinaus als Waffe ein. Gemeinsame Slogans: „Sie werden alle Männer töten und alle Frauen vergewaltigen“, ‚Sie werden einen weiteren Holodomor organisieren‘, ‚Sie werden alle Männer für den Krieg gegen die NATO mobilisieren‘ usw.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ja, Asow hat sich nach dem Februar 2022 drastisch verändert, aber vor allem hat sich die Haltung vieler Liberaler gegenüber Asow geändert, nicht sein Wesen.“

Am 30. Oktober 2024 schreibt sie:

„Ich habe den Maidan unterstützt, weil ich glaube, dass jeder in dunklen Zeiten seine eigene Wahl treffen sollte. Der Maidan wurde jedoch von Radikalen und Extremisten mit Bandera-Porträts und dem Wolfsangel-Symbol gekapert. Sie setzten ihre ethno-nationalistische Agenda durch, was mehr Bandera-Statuen und mehr Wolfsangel-Symbole auf die Straßen der Ukraine brachte.

Jedes kritische Denken über OUN und UPA wird als ‚Kreml-Propaganda‘ bezeichnet. ‚Unbequeme‘ Historiker werden schikaniert, bedroht und wegen fehlenden ‚Nationalbewusstseins‘ und ‚Patriotismus‘ entlassen. Zum ersten Mal in der ukrainischen Geschichte nach 1991 fand 2021 im Kiewer Stadtzentrum ein Gedenkmarsch zur Erinnerung an die Division Waffen-SS Galizien statt. Im Jahr 2024 eröffnete die ukrainische Botschaft in Litauen eine Ausstellung zu Ehren der Division. Ich stand mit meiner Kritik daran allein da. Andere taten so, als würden sie diese beunruhigende Wendung nicht sehen. „Blindheit“, ‚Selbstzensur‘ und ‚performativer Patriotismus‘ wurden zu den wichtigsten Strategien der Intellektuellen in der Ukraine während des Krieges. Viele ihrer westlichen Kollegen missverstanden all diese Entwicklungen als „Entkolonialisierung“ und das Recht auf ‚Selbstbestimmung‘ und machten Wissenschaftler wie mich in diesem makabren ’nationalistischen Karneval‘ noch einsamer.“

Und am 4. November 2024 hat sie noch einen Post, den sich die Marko Martins dieser Welt mal durchlesen sollten:

„Liebe westliche Freunde, hören Sie auf, mir, einem ukrainischen Bürger, dessen Brüder in der UAF dienen, dessen andere Verwandte aufgrund schwerer Verletzungen demobilisiert wurden und dessen einer nur einen Monat nach seiner Einberufung an der Front starb, Vorträge darüber zu halten, wie ich die Zwangsmobilisierung und den Kampf bis zum ‚Sieg‘ unterstützen soll.

Hören Sie auf, mich, eine Holocaust-Historikerin, darüber zu belehren, was ich von der wachsenden Zahl der Bandera- und Shukhevych-Straßen, der Teliha-Statue in Babyn Yar, der Verherrlichung der Waffen-SS-Division Galizien und der Wolfsangel-Abzeichen im ukrainischen Militär halten soll.

Hören Sie auf, mich zu belehren, eine Tochter, die das Grab ihrer Mutter in der Ukraine wegen der Todesdrohungen von Rechtsextremen nicht besuchen kann, wie ich ihren Einfluss „übertreibe“, während sie ‚wahre Patrioten‘ und ‚effektivste Kämpfer‘ sind, die mich vor den russischen Besatzern ‚beschützen‘.

Hören Sie auf, mich über die ‚richtige‘ Entkolonialisierung zu belehren, während Sie Ihre eigene koloniale Haltung mir und anderen Ukrainern gegenüber nicht reflektieren, die es ‚wagen‘, Ihre ‚korrekte‘ Wahrnehmung von der Ukraine zu kritisieren.“

Das führt mich zu einer Liste von Pro-Nazikollaboration-Denkmälern in der Ukraine, die schon vor dem aktuellen Krieg publilziert wurde. Es geht um folgende Beispiele, die Teil einer umfassenden investigativen Recherche des Journalisten Lev Golinkin sind, die er am 27. Januar 2021 im jüdischen Forward publizierte. Ich habe dazu am 27. Januar 2023 geschrieben:

In der westukrainischen Stadt L’viv wurde 2007 ein Monument zum Gedenken an Stepan Bandera eingeweiht, dem antisemitischen Nazi-Kollaborateur und Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B). Man kann ein Bild der Einweihungszeremonie hier sehen, rechts ist ein Denkmal für Bandera in der Stadt Ivano-Frankivsk abgebildet:

In der Stadt Zhovkva gab es 1941 auf einem Tor die Aufschrift „Heil Hitler“ und „Glory to Bandera“ (auf ukrainisch):

Golinkin führt eine riesige Zahl von Orten auf, die eine Straße, einen Platz oder Monument haben, die nach Bandera benannt sind:

Im Oktober 2022 hat die Redaktion des Forward die Benennung einer Straße nach Stepan Bandera in den Städten Dnipro und Tatariv hinzugefügt. Es gehört also zur ukrainischen Kriegspolitik, auch heute Straßen nach Nazi-Kollaborateuren zu benennen.

Jaroslav Stetsko schrieb am 9. Juli 1941 in einem Lebenslauf:

Ich unterstütze daher die Vernichtung der Juden und die Zweckmäßigkeit, deutsche Methoden der Judenvernichtung in die Ukraine zu bringen, unter Ausschluss ihrer Assimilation und dergleichen.

[I therefore support the destruction of the Jews and the expedience of bringing German methods of exterminating Jewry to Ukraine, barring their assimilation and the like.]

Darauf weist ein wissenschaftlicher Artikel in den Harvard Ukrainian Studies im Jahr 1999 hin.

Es gibt unter anderem in den Städten Stryi und Velykyi Hlybochok in der Ukraine Statuen zu Ehren Stetskos.

Es ist kein Zufall, dass die USA so obsessiv und fanatisch die Ukraine unterstützen, der Antikommunismus ist in den USA eine Art Staatsreligion. Hier sieht man den damaligen US-Vizepräsidenten George W. H. Bush (1924-2018) mit Jaroslav Stetsko im Jahr 1983:

Dmytro Paliiv (1896–1944), SS-Hauptsturmführer der 14. Waffen-Grenadier Division (1. SS Division Galizien). Ein Kritiker und ehemaliger Soldat der Roten Armee, der sich gegen die Benennung einer Straße nach dem SS-Mann Paliiv in Kalush unweit von Lviv aussprach, bekam 2017 Morddrohungen.

Die OUN-M, benannt nach Andryi Melnyk, feierte in einer ihrer Postillen das größte Massaker im Holocaust, den Mord an 33.000 Juden in Babi Yar am 29. und 30. September 1941 in der Nähe von Kiew. In Volya Yakubova gibt es ein Monument für Melnyk:

Am 1. August 1941 begrüßte der Bürgermeister von L’viv den Generalgouverneur Hans Frank, einen ganz typischen deutschen Juristen aus Karlsruhe, der frühzeitig NSDAP-Mitglied wurde und 1946 für seine Verbrechen gehängt wurde. Yuri Polyanskiy lebte bis 1986 und wird bis heute in der Ukraine verehrt wie mit solchen Plaketten, unten rechts zu sehen:

Auch wenn das der WELT, der FAZ oder dem Perlentaucher natürlich noch viel zu wenig ist, kämpft Deutschland doch mit allen Mitteln dafür, dass die Ukraine so bleibt, wie sie ist und weiter Straßen, Denkmäler oder Plätze nach Antisemiten, Nationalisten und Holocausttätern benennen kann. Die oben zitierte ukrainische Holocaustforscherin Marta Havryshko bringt dafür sehr viele Beispiele für die Ehrung von NS-Kollaborateuren hier und heute in der Ukraine.

Es ist klar, dass es nicht die Aufgabe eines Schriftstellers ist, sich wissenschaftlich oder differenziert mit einer Thematik zu befassen. Das ist sein gutes Recht, dafür ist er Schriftsteller. Dafür schreibt er vielleicht gute oder spannende oder nachdenkliche oder sensible oder schlechte Prosa, je nachdem.

Es gibt auch massiven Antisemitismus in Russland, die paramilitärische Wagner-Bande, der rechtsextreme Vordenker Alexander Dugin, die Unterstützung des Iran (auch wenn die vielleicht angesichts des kompletten Versagens der iranischen Luftabwehr angesichts der gezielten Angriffe im Landesinnern von Dutzenden israelischen Kampfjets weniger werden wird, weil das peinlich war für den jihadistischen und islamofaschistischen Iran und einer wie Putin nur starke, brutale und erfolgreiche Partner möchte), aber darüber wird ja auch nonstop gesprochen.

Worüber fast niemand spricht sind die Beispiele aus der Ukraine, die ich in diesem Text bringe.

Welcher SPIEGEL-, Frankfurter-Rundschau-, oder ZEIT-Text, der vielleicht 2014 noch kritisch war gegenüber dem Antisemitismus in der Ukraine, ist das auch heute noch?

Wer aber nicht ein Wort zum Antisemitismus und Neonazismus in der heutigen Ukraine verliert, aber den Bundespräsidenten meint belehren zu müssen über zu wenig Unterstützung dieser neo-nazistischen Tendenzen in der Ukraine – denn jede Waffenlieferung, jede finanzielle oder sonstige Unterstützung, die sich nicht öffentlich (!) gegen die neonazistischen und antisemitischen Tendenzen in der Ukraine wendet, ist eine solche Unterstützung – der sollte einfach mal das tun, was bei den allermeisten Menschen sehr hilfreich ist: einfach mal die Klappe halten.

Wer diese ganze Geschichte mit anderen Beispielen und in einem Film dargestellt sehen möchte, der oder dem sei der Film „The Belarus File“ mit Kojak empfohlen. Der Film ist von 1985, man kann ihn auch im Netz ggf. finden, und ist einer der besten Filme überhaupt. So ein Film wie Casablanca, nur spielt „The Belarus File“ in der Post-Holocaust Zeit und zeigt das typische, unsagbar widerliche Verhalten des Westens (hier: der USA) und ihre Kollaboration mit NS-Tätern.

Danke.

 

Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023 – ein Gespräch mit Prof. Gert Weisskirchen und Dr. Clemens Heni in Heidelberg

 

Am 6. Oktober 2023 ab 19 Uhr fand vor ausverkauftem Haus in der Buchhandlung Blaumilch in Heidelberg eine Diskussionsveranstaltung statt mit Prof. Gert Weisskirchen, jahrzehntelang im Deutschen Bundestag und seinerzeit außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Begründer der Institution des „Antisemitismusbeauftragten“ und erster Antisemitismusbeauftragter der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und Dr. Clemens Heni, Politikwissenschaftler und Verleger. Einleitung und Einladung durch den Buchhändler Markus Bitterolf.

Hier einige der Themen in einer Zeitleiste des ca. 50-minütigen Gesprächs, das danach in einer interessanten Diskussion mit dem engagierten und ebenso pro-israelischen Publikum weitergeführt wurde.

Foto: Privat

 

 

– Begrüßung, Zitat von Vladimir Jankélévitch von 1973: u.a.: „Und weder das Münchner Olympia-Massaker noch das schreckliche Blutbad am Flughafen von Lod haben unseren ‚Intellektuellen‘ ihre Gelassenheit und ihr gutes Gewissen genommen … Es waren nur Juden, da ist es nicht nötig, sich Zwang anzutun“.

– Min. 4: Zitat Amos Oz von 1967 zum Begriff des Zionismus: „Die Araber haben den Zionismus nicht bekämpft, weil sie ihn nicht verstanden haben, sondern weil sie ihn nur zu gut verstanden haben.“

– Min. 8:  7.10. ein Schock ohne Nachhall

– Min. 12: 2008/09 Versuch einer fraktionsübergreifenden Erklärung gegen Antisemitismus und zur Unterstützung jüdischen Lebens in der Bundesrepublik

– Min. 15: Hamas, Hisbollah und der palästinensische Mainstream gegen Freiheit

– Min. 16: Der Palästinenser Hamza Howidy, Opfer der Hamas und Kämpfer für ein nicht islamistisches freies Palästina Seite an Seite mit Israel

– Min. 19: Klaus Faber (1940-2019): Linke Palästinenser für Freiheit und Verständigung mit Israel

– Min. 23: Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Philipp Peyman Engel in Heidelberg: Kritik der Rede von „pro-palästinensischen Demonstrationen“, die vielmehr anti-israelisch und antisemitisch sind

– Min. 23: Chefredakteur der Heidelberger Lokalzeitung Rhein-Neckar Zeitung

– Min. 26: Jürgen Gansel (früher NPD, nicht Norbert Gansel, ein Versprecher auf der VA) und die Rechtsentwicklung und Antisemitismus

– Min. 30: Die Wochenzeitung Die ZEIT habe sich seit dem 7.10. merklich pro-israelisch entwickelt verglichen mit Texten vor dem 7.10.

– Min. 32: Massendemos gegen die AfD – psychoanalytische Erklärung: wird da das eiskalte linke Schweigen nach dem 7.10. überkompensiert, weil die Leute denken, wer gegen die AfD demonstriert sei auch für die Juden?

– Min. 36: Israel als Staatsräson, ist das passé?

– Min. 38: Universitätsstadt Heidelberg – Rektorin spricht mit antisemitischen Akteuren und lässt antisemitisches Transparent mit der Aufschrift „Genocide“ erstmal hängen, hindert die Polizei am Abhängen

– Min. 40: Fehlerhafter Freiheitsbegriff der Linken

– Min. 41: Wer meldet antisemitische Vorkommnisse und wer entfernt antisemitische Schmierereien etc.?

– Min. 43: Schon wieder ein runder Tisch „gegen Rassismus“ – auch in Heidelberg?

– Min. 47: Spezifik des Antisemitismus – Antisemitismus ist gerade was anderes als Rassismus

– Min. 48: Forderung: Forschungsstelle Antisemitismus an der Universität Heidelberg gründen!

 

 

Für einen besseren Wedding im Jahr 5785

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Es ist eine sehr gute Nachricht, dass die israelische Armee den Führer der Terrororganisation Hisbollah, Hassan Nasrallah, wie Dutzende weitere Führungsfiguren dieser Jihadisten, Islamisten und Antisemiten, ausgeschalten hat. Es gab Jubel darüber bei Kurden wie bei oppositionellen Arabern und Flüchtlingen in Syrien und bei Exil-Iraner*innen. Auch die internationale jüdische Community begrüßt den Tod Nasrallahs, in Israel gratulierten alle Parteien, auch die Opposition, der IDF für diesen großen Erfolg. Immerhin konnte Nasrallah über 30 Jahre als Führer der Hisbollah den Libanon destabilisieren und Israel terrorisieren. Er war quasi der zweite Führer des Iran, als dessen Angestellter er hetzte, mordete und gegen Israel und den Zionismus agitierte.

Man muss wahrscheinlich schon sehr deutsch und sehr grün sein, um darin keine positive Nachricht zu sehen, wie es Annalena Baerbock jetzt wieder zum Ausdruck brachte, indem sie lieber eine Waffenruhe hätte im Libanon, anstatt endlich diese Terrororganisation massiv zu schwächen oder gar wie die Hamas so stark zu dezimieren, dass sie ’nur‘ noch eine Guerilla-Gruppe wäre.

Und so ändert sich die Lage. Noch Mitte August 2024 schrieb ich von der Sorge des Schriftstellers Georg Stefan Troller, der die enorme Gefahr der Hisbollah sah. Jetzt ist sie geschwächt wie nie und nicht nur ihr Führer, sondern ein großer Teil der Führungsriege ausgeschalten. Dazu wurden offenkundig Zehntausende Raketen der Hisbollah durch die israelische Armee unschädlich gemacht.

Sodann griff der Iran mit knapp 200 Raketen Israel direkt an. Diesmal teils mit Raketen die nur 12 Minuten vom Iran bis Israel brauchen und nicht Stunden wie noch Drohnen und andere Geschosse im Frühjahr 2024, als der Iran erstmals Israel mit ca. 300 Raketen direkt angriff und die USA, aber auch arabische Staaten Israel beim Abschuss der Raketen und Drohnen halfen.

Die Süddeutsche und die Deutsche Presse-Agentur sprechen von der Terrororganisation Hisbollah als „Hisbollah-Miliz“ und sehen primär Israel als das Problem an, da Israel angreife. Es ist schon unglaublich, dass ein Terrorstaat wie der Iran auch in Deutschland eine Botschaft haben darf, dabei gehört das Regime seit Jahrzehnten isoliert und bekämpft. Gleichwohl mag der Iran jetzt „nervös sein„, wie die Times of Israel schreibt. Denn es wird sicherlich eine israelische Antwort auf diesen in dieser Form noch nie dagewesenen Terrorangriff des Iran geben. Es ist läppisch, wenn Berlin jetzt den iranischen Botschafter einbestellt, er gehört hinausgeworfen mitsamt allen anderen Botschaftsmitarbeiter*innen und der Iran ökonomisch und diplomatisch isoliert.

Israel hingegen gehe es jetzt nicht mehr um Abschreckung und Einhegung, sondern um offensives militärisches Agieren:

After decades of a defensive deterrence and containment strategy, which failed spectacularly, after October 7 Israel finally shifted to the strategic offensive against the Iranian alliance.

Während Israel jedoch in der Lage war, Nasrallah endlich auszuschalten, ist es nicht in der Lage, die Dutzenden Geiseln der Hamas zu finden und zu befreien. Das ist die Tragödie. In Israel ist auch unvergessen, wie die IDF und die israelische Regierung am 7. Oktober 2023 versagt haben, selbst konkrete Warnungen von IDF-Soldatinnen, die nachweisen konnten, wie spezifisch und einen Angriff planend die Übungen der Hamas-Terroristen in Gaza waren, wurden nicht ernst genommen. Das wird alles irgendwann aufgearbeitet werden, kann aber die Katastrophe des 7. Oktober nicht ungeschehen machen.

Der Kern des Problems ist der Antisemitismus, der muslimische Antisemitismus und der linke Antisemitismus. Sie führten zum genozidalen Massaker vom 7. Oktober und extremistische Muslime wie Linke, aber auch weite Teile des Mainstream in der Bundesrepublik, den USA, England und weltweit haben das Massaker verharmlost, gefeiert oder alsbald, nach einen kleinen ersten Schock, kichernd zur Kenntnis genommen.

Der jüngst publizierte Band „Sind Antisemitisten anwesend“, in dem 80 jüdische wie nicht-jüdische Autor*innen Texte zur aktuellen Lage seit dem 7.10. oder Cartoons veröffentlichten, bringt einige wichtige Gedanken zum Ausdruck. So heißt es zum Beispiel über einen der drei Herausgeber*innen, der offenbar eine gewisse und typische, sehr wohl herzenswarme Naivität womöglich fast bis zum 7. Oktober sich erhalten hatte:

Heiko Werning ist in Westdeutschland aufgewachsen. Juden kannte er, ebenso wie Muslime und Migranten, in seiner Heimatstadt Münster nur aus dem Schulunterricht oder den Fernsehnachrichten. Als er vor über dreißig Jahren zum Studium nach Berlin zog und dort im Wedding landete, änderte sich das schlagartig. Plötzlich war er umgeben von muslimischen Mitmenschen, hier konnte er seine bis dahin rein theoretisch formulierte Überzeugung, jedem Menschen möglichst vorurteils- und diskriminierungsfrei zu begegnen, in der Praxis erproben. Schnell hat er seine Grundannahme bestätigt gefunden, dass es auch unter migrationshintergründischen Menschen die übliche Mischung aus liebenswürdigen Zeitgenossen, Trotteln und echten Arschlöchern gibt. Also genau wie bei den Urdeutschen seiner westfälischen Heimat, den indigenen Berlinern der x-ten Generation und den ganzen Migranten aus Schwaben, Niedersachsen oder gar aus der Zone. Und weil das so ist, hat er seine muslimischen Nachbarn stets leidenschaftlich in seinen Texten gegen die grassierende Ausländer- und Islamfeindlichkeit verteidigt. Wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte unter aufgeklärten, nicht-ewiggestrigen Zeitgenossen. Umso mehr irritierte ihn zusehends die Beobachtung, dass genau diese Zeitgenossen aber mitunter ganz merkwürdig wurden, wenn es um Juden ging.

(Lea Streisand/Michael Bittner/Heiko Werning (2024a): Vorwort, in: Dies. (Hg.), Sind Antisemitisten anwesend? Satiren, Geschichten, Cartoons gegen Judenhass, Berlin: Satyr Verlag, S. 9-25, hier S. 21f.)

Diese Irritation hatten immerhin einige seit exakt jenem Dienstag, dem 11. September 2001. Daher mein kurzer Kommentar mit so weitreichenden analytischen Folgen von September 2002 in den Gewerkschaftlichen Monatsheften, regelmäßige Leser*innen meiner Homepage kennen ihn schon längst:

Deutsche mögen nur tote Juden, Islamisten gar keine.

Mich erinnert Heiko Wernings Situation im Wedding zudem an einen Besuch im Wedding im Jahr 1986, ich war logischerweise noch ein Schüler. Es gab noch unweit die Mauer und natürlich den Palast der Republik, also nicht im Wedding, aber im Osten der Stadt, doch im Wedding gab es ‚linke‘ oder auch esoterische WGs, wo es heftige Konflikte gab. In unserer Urlaubs-WG residierte eine Gruppe, vermutlich Marxisten, K-Grüppler, Esoteriker oder/und Sozialpädagog*innen, der männliche Vorbeter mit Bart (kein Muslim) und beim Abendbrot hielten sich alle an den Händen und sagten (das ist kein Witz, das waren die 80er Jahre im Wedding):

Piep piep piep wir haben uns alle lieb und jeder isst, was er kann, nur nicht seinen Nebenmann.

Das war natürlich Bullshit, da ja auch Frauen anwesend waren. Also gab es vor dem Essen eine intensive Diskussion über inklusive Sprache, Frauen wurden dann inkludiert („nur nicht seinen Nebenmenschen“), aber das wiederum war speziezistisch, da auch ein Hund im Raum war, der auch nicht gegessen werden wollte. Es war kompliziert und es dauerte, bis die Gruppe anfangen konnte zu essen, wir Gäste, die nicht Teil dieser Selbstfindungsgruppe waren, hatten da schon längst gegessen und waren schon beim Dessert (Schokopudding mit Sahne, es waren die 80er Jahre im Wedding).

Jedenfalls gab es schon damals im Wedding Probleme, aber nicht solche wie heute. Es war relativ harmlos, es war die BRD. Es war West-Berlin, bundeswehrfreie Zone.

Das änderte sich am 9. November 1989, seitdem ist nichts mehr harmlos. So schön es schließlich war, ein autoritäres Regime loszuhaben, damals, so schrecklich ist das, was danach kam. Wer möchte das ernsthaft bestreiten. Und man konnte vieles von dem, was seit 1989 passierte, fast erahnen, nicht nur die Nazi-Welle der 1990er Jahre, sondern auch 9/11 und den Krieg gegen die Juden und Israel. All das war bis 1989 eingehegter.

Zuletzt hetzten im Wedding wieder antisemitische Muslime und ihre Freund*innen gegen Israel.

Heutzutage gibt es kaum noch „liebenswürdige Zeitgenossen“, kaum noch bloße „Trottel“, dafür fast nur noch „echte Arschlöcher“…

Shana Tova u-metuka! Das Jahr 5785 wird ein besseres werden. Venceremos.

Am Israel Chai.

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