BiCSA

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Woke Zionism – Call for Papers / 31. Oct. 2025

CfP Book Project Woke Zionism

 

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) invites scholars, authors, intellectuals, columnists, activists and others to send us papers and articles dealing with the timely topic of “woke Zionism”.

The unprecedented crimes of Oct. 7, when Muslim and Palestinian men butchered, gang raped, tortured, burned alive, shot 1200 Jewish women, men, children, babies and Holocaust survivors and other nationals and abducted 251 Jews and others to Gaza, were the worst crimes against the Jewish people since the Shoah.

It was precisely the unthinkable brutality of the killing, the fun of torturing Jewish women and men alike, the burning alive of entire families and the joy of the murderers. Survivors, who were in their safe rooms, heard Palestinian women enjoying the homes of Israelis, they were cooking or watching Arab TV – while their husbands, brothers or sons killed all Jews they could find like in kibbutz Nir Oz.

Today we see an equally unprecedented wave of antisemitism and Jew hatred around the globe. Calls for killing Zionists appear on posters, stickers and are slogans like in Berlin, Naples, Paris, Madrid, London or New York City, to name but big European and American cities.

This book wants to give left-of center, left-wing and woke Zionists a public voice: Fighting antisemitism, including Islamism and secular anti-Zionism, while pursuing peace in the middle east, against Jewish supremacism, racism, the occupation, the War in Gaza and ultra-nationalism as well as religious messianism.

This book project is looking for papers and articles to deal with the very unusual but tremendously timely perspective of left-wing or woke Zionism. Is there still an option for a Palestinian state without abandoning the Jewish and democratic state of Israel? What about violence in the Westbank or the consequences of projects such as E1? What about the judicial overhaul by the Netanyahu government? How to fight queer anti-Zionism?

How can we heal the unprecedented shock of the brutality of Oct. 7 without aligning ourselves with the disastrous and murderous policies of the current Israeli government and the IDF in Gaza? Hunger may never ever become a strategy of war – but Israel does use hunger as a weapon, against Zionist and IDF principles of equal treatment of human beings. When did the „justified war“ against Hamas end and become an „endless war“? Why did the government abandon the hostages and when?

Then, what about Reform Judaism’s role in the current fight against antisemitism and against the War in Gaza? What about women’s rights and current far-right policies in Israel? What about the analysis of capitalist economy and the history of left-wing Zionism, including the socialist kibbutz movement?

Finally: Why do many people in the Diaspora and the (anti-woke) Zionist camps reject any public criticism of Israeli policies? Doesn’t that endanger both Jews outside of Israel and the Zionist project as such? Zionism is not a given. We have to fight for its future in a democratic and Jewish state of Israel, alongside a future Palestinian state, as Resolution 181 from November 29, 1947 stated.

 

These are some of the core topics of “woke Zionism” today. We look very much forward to your contributions. Please send us your papers and articles via email – ranging between 1000 and 5000 words, written in an essayistic or scholarly style – by Oct. 31, 2025. The book will be published by the end of 2025.

Contact information: bicsa@bicsa.org

Editors:

  • Clemens Heni, PhD, Director of The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), former Post-Doc at Yale, former Fellow at the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) at Hebrew University of Jerusalem, currently teaching at Heidelberg University.
  • Prof. Eva Illouz, Professor, Sociology, Hebrew University of Jerusalem, Directrice d’Etudes at the École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

c/o Edition Critic

Kolonnenstr. 8

10827 Berlin

Germany

Hilferuf aus Israel: „Wir halten es nicht mehr aus“

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Treffen sich zwei alte Bekannte am Bahnhofskiosk in Berlin, Zoologischer Garten, der eine ist Abonnent einer linken Publikumszeitschrift und hatte sie heute schon im Briefkasten gefunden, der andere blätterte grade in ihr rum:

„Eine Hungersnot! Eine Katastrophe! Stell dir das vor. Zwei!, sagt der Abonnent.

Ja, zwei. Von der Hungersnot bedroht, in unterschiedlicher Intensität. Ja, einfach unglaublich. Und alle schauen weg, grade ‚wir Linken‘.

Ganz genau.

Also zwei Millionen.

Hallo? Ich meinte „ZWEI“ – zwei Menschen sind von der Hungersnot bedroht, zwei israelische Geiseln, es gibt doch die schockierenden Videos der Hamas.

Ja, das ist unerträglich, Nazi-style Propaganda dieser Muslim-Faschos. Aber es gibt neben diesen zwei hungernden Geiseln noch zwei Millionen Palästinenser die hungern.

Spinnst du? Die hungern doch nicht, die essen absichtlich zu wenig, damit Israel wieder als der Böse dasteht.

Das meinst du nicht ernst, oder?

Doch.“

Diese Szene hat es heute wirklich in Berlin am Zoologischen Garten gegeben. Es gibt Zeuginnen und Zeugen.

 

Die Verkommenheit der Linken ist seit Jahren mit Händen greifbar. Aber jetzt dieser Realitätsverlust in Bezug auf israelische Kriegsverbrechen. Diese Autoren dünken sich pro-israelisch, dabei schaden sie dem Judenstaat ganz extrem, wenn sie die Propaganda der israelischen Regierung für die Wahrheit nehmen, dass es keine Hungersnot gebe. Oder dass es keine absichtlichen Morde an Zivilist*innen geben würde. Oder dass es keine Siedlergewalt in extremem Ausmaße im Jahr 2025 im Westjordanland gebe. Oder dass es keine Aufrufe der rechtsextremen Regierungsmitglieder für „ethnische Säuberung“ und Wiederbesiedelung Gazas geben würde.

Während laut dem französischen Soziologen Emile Durkheim von 1893 die „mechanische Solidarität“ die traditionelle, ’stammesgebundene‘ vorindustrielle Solidarität meint, ist die „organische Solidarität“ auf der kapitalistischen Arbeitsteilung basierend. Sie meint auch und gerade die Solidarität der Atomisierten, der Fremden, der Arbeitskolleg*innen, die nicht mit einem verwandt sind. Und diese „organische Solidarität“ gebe es in Israel nicht, so die Haaretz-Journalistin Noa Limone am 28. August 2025. Zwar habe es in Israel eine ganz außergewöhnliche und beeindruckende innerisraelische Solidarität nach dem genozidalen Massaker der Muslimfaschisten der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegeben. Ärztinnen und Ärzte halfen spontan und kostenlos, Menschen zu versorgen oder zu therapieren, Bürger*innen spendeten Kleider, Nahrung, boten Wohnungen an, es war ein großer Zusammenhalt in Israel spürbar. Doch was ist jetzt mit der Solidarität israelischer Wissenschaftler*innen mit denen in Gaza, wo es dort keine Unis mehr gibt? Wo die Solidarität israelischer Kameramänner oder TV-Journalist*innen mit den von der IDF im Nasser-Krankenhaus vorsätzlich in einem perfiden Doppelschlag ermordeten Kolleg*innen? Noa Simone sieht da keine Solidarität:

Aus dieser Perspektive ist jeder Journalist, Arzt und Professor aus Gaza automatisch ein Terrorist. In Israel triumphiert immer die nationale Identität, wodurch andere Identitäten und Perspektiven marginalisiert und minimiert werden. Deshalb ist die Solidarität in Israel begrenzt. Deshalb ist auch die Zivilgesellschaft, die wir so sehr gelobt haben, nicht wirklich zivil.

(alle Übersetzungen aus dem Englischen in diesem Text von CH)

Wir haben es in Deutschland, dem Land mit der größten Moral und den intelligentesten Autor*innen, grade bei den Linken, überhaupt mit einer Volksgemeinschaft der philosemitischen Antisemiten zu tun, die sich hinter Israelfahnen verstecken und weder Emmanuel Levinas noch Eva Illouz oder die Haaretz je gelesen haben oder heute lesen und diskutieren.

Wir haben es mit Leuten zu tun, die so obsessiv dabei sind, der israelischen Regierung noch jede Lüge zu glauben, dass man sie weder als Journalisten oder Autoren noch als Menschen jemals wieder ernst nehmen kann.

Und trotzdem: Es gibt noch etwas Hoffnung in diesen Zeiten des Niedergangs und der moralischen Abgründe.

Ein Journalist der Haaretz schreibt am 27. August 2025 einen Hilferuf an die Welt und vor allem an Europa. Jene, die Israel liebten, sollten die aktuelle Regierung mit allen Mitteln bekämpfen, das ist die Kernforderung. Es geht dem Autoren, Uri Misgav, nicht um die rein formale Anerkennung eines Staates Palästina, er wendet sich logisch gegen einen BDS-mäßigen Boykott Israels. Misgav ist Zionist. Er ist aber ein Linkszionist und er kann es ethisch, moralisch und persönlich nicht mehr ertragen. Er möchte befreit werden von der rechtsextremen, religiös-faschistoiden Regierung von Benjamin Netanyahu:

Wir brauchen dringend Ihre und eure Hilfe. Wir wurden von einer kriminellen Bande entführt, die unser demokratisches System ausgenutzt hat, um an die Macht zu kommen, und nun versucht, diese Demokratie zugunsten eines tyrannischen Regimes mit faschistischen und ultranationalistischen Zügen zu zerstören. Das ist eine alte und bekannte Geschichte, die sich schon an anderen Orten abgespielt hat. Dieses Mal ist es uns passiert. Wir dachten, wir könnten das alleine bewältigen; es schien sogar, als wären wir auf dem richtigen Weg.

Er erwähnt den U2-Musiker Bono, der für seinen Zionismus und seine scharfe Attacke auf Benjamin Netanyahu legendär ist.

Der in Israel für Skandale, Aufdeckungen, aber auch Fehleinschätzungen bekannte Haaretz-Autor Uri Misgav endet seinen Text mit folgender flehender Bitte, die die paar wenigen linken und liberalen Israelfreunde aufwecken sollten, wenn sie noch einen Restbestand an Menschen- und Zionsliebe in sich tragen sollten:

Deshalb brauchen wir Sie, um einen wirksamen Weg zu finden, den Krieg und diese Regierung zu stoppen. Berufen Sie eine große internationale Konferenz ein, wie es in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen ist, unter der Führung Europas. Es stimmt, dass sowohl wir als auch Sie ein ernstes Problem mit der aktuellen amerikanischen Regierung haben. Versuchen Sie, ohne sie voranzukommen. Machen Sie Europa wieder großartig.

Es besteht keine Notwendigkeit, Tel Aviv zu bombardieren, wie Sie es in Serbien getan haben.

Ein Embargo für Angriffswaffen und die Androhung, die Beziehungen abzubrechen, werden ausreichen.

Bringen Sie einfach Netanjahu und seine verabscheuungswürdigen Gefolgsleute in die Knie und helfen Sie uns, ihn in den Mülleimer der Geschichte zu befördern.

Wir flehen Sie an: Jetzt ist es an der Zeit. Wir halten es nicht mehr aus.

Was jedoch die selbst ernannten Israelfreund*innen in Deutschland am wenigsten leiden können, sind nicht Nazis oder die Hamas, nein, was sie wirklich am allermeisten regelrecht hassen sind Linkszionist*innen aus Israel. Sie hassen die Kritik an Netanyahu. Sie hassen den Realitätsbezug der Kritiker*innen in Israel.

Diese „Israelfreund*innen“ lieben den Realitätsverlust und die staatliche Propaganda aus Jerusalem.

Daher wird auch dieser Hilferuf aus Israel bei diesen Fanatiker*innen nicht gehört werden. Aber der bürgerliche Mainstream, welche Ironie, der könnte dafür offen sein. Vorneweg ein Mann, der Israel retten möchte: der französische Präsident Macron, womit sich die Haaretz die letzten Tage intensiv beschäftigt hat.

Was die Linken in Israel gelernt haben, haben die strunzdeutschen Linken nie verstanden: Der Feind steht im eigenen Land. Wenn das in jedem bestehenden Land erkannt wird, dann kommt die Revolution.

Der Masada-Komplex

 

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Michael Schiffer arbeitete bis vor kurzem für die US Organisation USAID, zuvor war er auch im US-Verteidigungsministerium sowie als Mitarbeiter im US Senate Foreign Relations Committee beschäftigt.

Schiffer ist ein amerikanischer Jude.

Er ist ein Zionist und hat sich sein ganzes Leben für Israel eingesetzt.

Jetzt rechnet er ab.

Mit sich selbst. Mit den amerikanischen Juden. Mit dem Israel unter Netanyahu. Mit mir. Mit dir. Mit Ihnen. Mit ‚uns‘.

Mit der Pro-Israel-Szene.

Innehalten.

In seinem Text auf der Times of Israel (TOI) am 25. August 2025, der von der Redaktion der TOI als „featured“ Artikel hervorgehoben und in zwei Tagen über 200 Mal kommentiert wurde, schreibt Schiffer Folgendes:

Als amerikanischer Jude und ehemaliger US-Sicherheitsbeamter habe ich mein ganzes Erwachsenenleben damit verbracht, mich mit der komplexen Beziehung zwischen meiner jüdischen Identität, meinen amerikanischen Werten und meiner Unterstützung für Israel auseinanderzusetzen.

Wie viele meiner Generation wuchs ich mit Geschichten über den Holocaust und das Wunder der Wiedergeburt Israels auf, lernte die Notwendigkeit der jüdischen Selbstbestimmung kennen und wurde gelehrt, dass Israel die besten jüdischen Werte verkörpert, die in einem modernen demokratischen Staat zum Ausdruck kommen. Dieser Glaube ist nun zerbrochen.

(Alle Übersetzungen in diesem Text von CH)

Sein Beitrag hat eine intellektuelle, moralische wie jüdische analytische Tiefe, die man bei nahezu keiner jüdischen zionistischen Autorin, keinem jüdischen zionistischen Autoren in Deutschland und schon gar nicht bei den nicht-jüdischen ach-so-dermaßen-pro-israelischen deutschen und sonstigen Aktivist*innen oder gar Wissenschaftler*innen finden kann.

Denn Schiffer sagt:

Die Folgen dieser Sicht der Dinge sind nun für alle in Gaza sichtbar. Was als legitime Reaktion auf die schrecklichen Angriffe der Hamas vom 7. Oktober begann, hat sich zu etwas entwickelt, das gegen alle ethischen Grundsätze verstößt, die dem Judentum heilig sind. Ganze Stadtteile wurden ausgelöscht. Familien hungern, während Lebensmittel-Lkw an den Grenzen warten. Kinder sterben an vermeidbaren Krankheiten, weil Lebensmittel und Medikamente als Waffen eingesetzt werden. Die Bilder, die jeden Tag über unsere Bildschirme flimmern, zeigen nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern einen moralischen Zusammenbruch, der jeden erschrecken sollte, der behauptet, im Namen jüdischer Werte zu sprechen.

Selbstverständlich ist es sehr gut, wenn Menschen pro-israelisch aktiv sind. Wenn sie nicht unpolitisch dahinleben, sich nur um Konsum und Familie oder Familie und Konsum oder Alleinsein und Konsum, die günstigsten Flugtickets oder das beste Biobrot oder Pärchen-Urlaube und Konsum kümmern, sondern sich einmischen. Demokratisch aktiv sind, sich sowohl gegen Nazis wehren als auch gegen die arabischen und türkischen Antisemiten in den Kiezen von Berlin, wo man selbst eh nicht mehr leben möchte.

Es ist sehr gut wenn Menschen sich gegen Judenhass und Antisemitismus einmischen. Daher gibt es seit ca. 2000/2002 eine neue Pro-Israel-Szene in Deutschland, vorangetrieben von den Antideutschen. Doch auch Liberale, Bürgerliche und zunehmend Konservative mischen seit Jahren in dieser Szene mit. Sie hat erreicht, dass der Bundestag 2019 die antisemitische BDS-Bewegung als antisemitisch deklarierte.

Sie hat einige Preisverleihungen an antiisraelische Agitator*innen verhindert oder gestört. Diese Szene hat ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass Israel aktiv unterstützt werden muss und dass Zionismus Selbstbestimmung und Souveränität bedeutet. Sie haben den linken und muslimischen Antisemitismus seit dem 11. September 2001 klar erkannt und dazu Bücher publiziert, Vorträge gehalten, Demonstrationen und Kundgebungen gemacht, Texte publiziert und Diskussionen entfacht, im bürgerlichen Feuilleton wie in linken Medien.

Viele haben den postkolonialen Antisemitismus decodiert, andere auch den neu-rechten Antisemitismus attackiert und manche gar Holocaustverharmlosung zum Thema gemacht, auch wenn das nur marginal vorkam, da man sich dann ja auch mit dem Antisemitismus in der Ukraine und den Pro-Holocausttäter-Denkmälern dort befassen müsste, und das will diese Pro-Israel-Szene nicht.

Aber unterm Strich hat sie sich zumindest mit dem antizionistischen Antisemitismus intensiv befasst, diese Szene. Seit ca. 25 Jahren.

Und ich war ein Teil davon. Und wir haben alle Schuld auf uns geladen, weil wir zu oft und die meisten immer geschwiegen haben, wenn es um den Masada-Komplex ging.

Mit Sexismus oder Trump hatten nur Teile dieser Szene je ein Problem, mit Holocaustverharmlosung, wenn sie aus Litauen oder der tschechischen Republik oder der Ukraine kommt, hatte diese Szene von Anfang an ohnehin kaum Probleme.

Dann kam auch noch Corona dazu und die Szene feierte die menschenfeindliche, medizinisch katastrophale, nicht evidenzbasierte, irrationale Coronapolitik und den Pandemic Turn der Regierungen Merkel und Scholz. Jeder selbst denkende Epidemiologe und jede Kritikerin wurden als Schwurbler, Nazi oder Antisemit öffentlich auf dem Marktplatz der a-sozialen Medien, im Radio, TV, Supermarkt oder auf der Straße öffentlich gesteinigt.

Dann kam der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Anstatt die Friedensangebote des autokratischen Herrschers Putin von Dezember 2021 zu diskutieren und sich zu verpflichten, dass wenigstens die Ukraine kein NATO-Mitglied wird, nachdem der Westen schon mit der Mitgliedschaft nahezu aller anderen osteuropäischen Staaten sein Versprechen von Februar 1990 gebrochen hatte, „not one inch“ würde sich die NATO gen Osten ausbreiten, wenn sich DDR und BRD zusammentäten (wie auch immer das geschehen würde), feierten gerade die Deutschen die Hetze gegen Russland.

27 Millionen tote Sowjetbürger und Russen im Zweiten Weltkrieg durch Nazi-Deutschland?

Historische Verantwortung der Deutschen gegenüber Russland? Lachhaft!

Peanuts verglichen mit den wunderschönen Denkmälern für Holocausttäter, die es in der Ukraine gibt – kleiner zwar, aber doch schöner noch als das Denkmal für ‚unseren‘ Nationalisten und völkischen Patron Hermann den Cherusker in Detmold/Bielefeld.

So handelten und agitierten sie von der ARD und dem ZDF über die CDU, CSU, FDP, SPD, Olaf Scholz hin zu den Grünen. Fast 100 Prozent der Israelszene waren stramm für die arme Ukraine, nutzten das Bild von Selenskyii als Profilbild bei Facebook oder X und schmückten sich auf Instagram, TikTok oder am WG-Fenster oder im Fenster der schicken Altbauwohnung mit Dachterrasse mit einer kleinen Ukrainefahne und wollten keine politikwissenschaftlichen, diplomatiegeschichtlichen oder ideologiekritischen Seminare mehr hören. Waffen für die Ukraine. „Zeitenwende“. „Sondervermögen“ für die Bundeswehr, 100 Milliarden und in Zukunft bis zu 30 Prozent des Bundeshaushalts für das Kriegsministerium!

Das ist Militarismus, wie wir ihn seit 1945 nicht mehr schreien hörten im Parlament und auf den Kasernenhöfen und in den Talkshows, die damals noch anders hießen. Alles für unsere ukrainischen Freundinnen und Freunde. Und vor allem für die geschundene deutsche Seele seit 1945. Jetzt erst können wir wirklich frei sein und uns an „dem“ Russen rächen. Endlich. Was für eine Zeit!

Das entschuldigt Putin nicht. Aber es setzt Kontexte.

Und hätte die Ukraine wenigstens einmal auf die Kritiker*innen gehört, hätte sie Hunderttausende Tote weniger und nahezu keinen Gebietsverlust (bis auf die Krim), da bekanntlich im April 2022 ein solcher Friedensschluss auf dem Tisch lag und alle dafür waren, Putin, Selenskyii, nur der antikommunistisch-kapitalistische Hetzer Boris Johnson aus England, Panzer-Toni und vor allem fast die gesamte politische Elite in Deutschland – aber zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit der Bevölkerung – wollten das nicht und so geht der Krieg bis heute weiter.

Aber immerhin war die Pro-Israel-Szene weiterhin für Israel, wenigstens etwas. Immerhin.

Denn immerhin setzt die Kritik am Antisemitismus auch jenen Stolzdeutschen ein Stoppschild vor die völkische Nase, die jetzt wieder nassforsch fordern, Israel zu kritisieren, würde „uns Deutsche“ doch erst so richtig frei machen, noch freier als das Schießen auf Russen – weil die sechs Millionen toten Juden „uns“ doch immer noch daran hinderten, auch Juden zu kritisieren.

Doch der Umkehrschluss ist fatal: nur weil Antisemiten sich befreit fühlen, wenn es aus Deutschland kritische Worte an den tatsächlichen Freund Israel gibt – und kein rationaler Mensch wird der aktuellen oder einer der paar letzten Bundesregierungen wirklich Israelhass vorwerfen wollen – darf das nicht heißen, auch aus zionistischer Sicht endlich lautstarke Kritik zu üben.

Und darum geht es Michael Schiffer. Er kritisiert Israel ja aus der Sicht eines amerikanisch-zionistischen Juden.

Was ist nun der Masada-Komplex? Michael Schiffer analysiert ihn:

Der Krieg in Gaza hat etwas zutiefst Beunruhigendes offenbart, was aus Israel unter der Führung von Benjamin Netanjahu geworden ist – und was amerikanische Juden wie ich durch jahrzehntelange reflexartige Unterstützung und vorsätzliche Blindheit ermöglicht haben. Was wir derzeit erleben, ist nicht nur eine fehlgeschlagene Militäraktion, sondern der Triumph einer destruktiven Mythologie, des Masada-Komplexes: eine Belagerungsmentalität, die das Opferdasein verherrlicht, Selbstzerstörung als Heldentum heiligt und jede Herausforderung in einen existenziellen Kampf verwandelt, der jede Reaktion rechtfertigt, egal wie moralisch verwerflich sie auch sein mag.

Und folgende Selbstreflexion von Schiffer ist in Deutschland wirklich von nahezu keinen Pro-Israel Aktivist*innen zu hören, zu einer solchen Selbstkritik und Introspektion sind sie hierzulande einfach nicht in der Lage:

Die amerikanischen Juden tragen eine besondere Verantwortung für diese Katastrophe. Seit Jahrzehnten unterstützen wir die Politik Israels, während wir uns selbst von ihren Folgen abschirmen. Wir haben Israels Erfolge gefeiert und seine Misserfolge ignoriert, Milliarden für die Aufrechterhaltung der Siedlungen gespendet, während wir behaupteten, nichts von deren Zweck zu wissen, und reflexartig Handlungen verteidigt, die wir verurteilen würden, wenn sie von einer anderen Nation unternommen würden.

Diese Mitschuld wurde durch unsere eigene Version des Masada-Komplexes ermöglicht, einer Mythologie, die jede Kritik an Israel als Untreue gegenüber dem Überleben der Juden, jeden Ausdruck palästinensischer Menschlichkeit als Verrat am Leid der Juden und jeden Ruf nach Gerechtigkeit als Einladung zu einem weiteren Holocaust darstellt. Wir haben zugelassen, dass aus einem Trauma eine Doktrin wurde, und die Lehren aus dem Leiden der Juden zur Rechtfertigung für die Unterdrückung der Palästinenser gemacht.

Man muss sich nicht beruflich mit der Philosophie von Emmanuel Levinas beschäftigt haben, um wenigstens zu erahnen, was für schreckliche Folgen diese jahrzehntelange Politik dieser ‚Engagierten‘ für Israel für das Judentum und die jüdische Ethik und für den Zionismus hat:

Dies stellt einen tiefgreifenden Verrat an den jüdischen ethischen Lehren dar. Uns wird geboten, „rachamim b’nei rachamim” zu sein – mitfühlende Kinder mitfühlender Vorfahren. Uns wird gelehrt, dass die Rettung eines einzigen Lebens der Rettung der ganzen Welt gleichkommt. Von unseren Weisen lernen wir, dass „es der Weg der Tora ist, sogar unsere Feinde zu ernähren, wenn sie hungrig sind”. Und die Lehren aus dem Holocaust, aus „Nie wieder”, müssen in den größeren Zusammenhang der Lehre von Rabbi Hillel und seiner zweiten berühmten Frage gestellt werden: „Wenn ich nur für mich selbst da bin, wer bin ich dann?” Doch Israel verstößt heute systematisch gegen jeden dieser Grundsätze, begeht Kriegsverbrechen und verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht, während es behauptet, in unserem Namen zu handeln.

Deshalb muss dieser Krieg jetzt enden. Die Geiseln müssen sofort freikommen. Die Hamas darf keine politische Rolle mehr spielen, aber zu glauben, man könne sie komplett als Guerilla ausschalten, ist völlig aberwitzig und absurd. Das weiß auch die IDF-Führung, wenn sie ehrlich ist.

Es geht aber um viel mehr, wie Michael Schiffer in seinem herausragenden Text betont. Es geht auch um die Siedlungspolitik im Westjordanland, um öffentliche Aufrufe zur „ethnischen Säuberung“, die weder in den USA noch in Deutschland Schockwellen unter Israelfreunden verursachen, sondern Schulterzucken. Und das seit wenigstens 25 Jahren, wo es in Deutschland diese neue und hörbare Israelsolidarität gibt.

Der Masada-Komplex ist wirklich überall zu sehen, seit vielen Jahren.

Da werden zurecht antizionistische Hetzer*innen kritisiert, aber niemals auch anders gelagerte, aber ebenso bekämpfenswerte Tendenzen wie jüdisch-religiöse Fanatiker*innen oder rechtsextreme Politiker Israel in den Blick genommen.

Die meisten glauben wirklich – und viele mit tatsächlich gutem Gewissen oder aus Naivität – dass es doch pro-israelisch genug ist, sich für Israel einzusetzen, mit Städtepartnerschaften oder Austauschprogrammen, Anstecknadeln, Schals, Kettelchen oder Texten, Kundgebungen und Stickern, Aufklebern, Memes und so weiter. Sie merken nicht, dass ohne eine Kritik am israelischen Rechtsextremismus, der IDF-Kriegsführung und religiösen Fanatismus und der Kritik an den offenkundigen Kriegsverbrechen in Gaza kein Frieden jemals kommen wird. Es liegt nicht nur an den Islamfaschisten der Hamas. Punkt.

Diese Leute aus der Israelszene erkennen oftmals noch nicht einmal, was es bedeutet, dass die arabischen Staaten jetzt die Hamas loswerden wollen, ganz ernsthaft und erstmals und den 7. Oktober verurteilt haben. Und was macht Israel? Es weitet den Krieg aus, lässt die Geiseln im Stich und siedelt weiter obsessiv im Westjordanland, das sehr viele genüßlich als Judäa und Samaria bezeichnen, auch säkulare Spinner, die gar nicht merken, wie antiisraelisch das ist.

Es gibt eine riesige Anzahl von Antisemiten in diesem Land. Aktivist*innen, die Israel auslöschen wollen und am 7. Oktober gefeiert oder geschwiegen haben. Wir haben alle Bekannte, Freund*innen, Arbeitskolleg*innen verloren, also jene, die wir eventuell noch nicht während Corona und nicht während dem Ukraine-Krieg verloren hatten, sprich: von den sehr wenigen, die noch da waren, sind noch weniger übrig geblieben.

Viele, die gegen die Corona-Maßnahmen waren, haben sich als Antisemiten gezeigt. Viele, die für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges sind, finden eine Einstaatenlösung für Israel super.

Aber selbst wenn wir ignorieren, dass weiteste Teile der Israelszene geistig, polisch und menschlich während Corona und während dem Ukraine-Krieg völlig versagt haben, bleibt jetzt nicht einmal mehr die herkömmliche Israelsolidarität übrig.

Daher gilt es den Text von Michael Schiffer, der sicher für sehr viele zumindest amerikanisch-jüdisch-zionistische Juden sprechen dürfte, wahrzunehmen, ihn ernstzunehmen und zu diskutieren.

Denn jetzt so zu tun, wie es Netanyahu und alle seine Fans in Deutschland oder USA tun, als ob alle pro-israelischen westlichen Regierung von Paris über London bis Rom und Canberra antisemitisch seien, das ist absurd und indiziert mal wieder einen Realitätsverlust.

Es zeigt zudem und das ist dramatisch, dass Israel und seine „Fans“ wirklich überhaupt nicht verstanden haben, was auf dem Spiel steht.

Michael Schiffer, der sein Leben dem Zionismus und der Unterstützung Israel gewidmet hat, sieht diese Abgründe:

Israel steht am Rande eines Abgrunds, und die amerikanischen Juden stehen ihm zur Seite. Die Frage ist, ob wir endlich den Mut finden werden, uns vom Abgrund zurückzuziehen, oder ob wir der Logik von Masada bis zu ihrem unvermeidlichen Ende folgen werden: einem Mord-Selbstmord-Pakt im Namen eines hohlen Sieges.

Ein Staat Palästina ist eben leider die Basis dafür, dass Israel in Frieden leben könnte. Es wäre ein Staat ohne Panzer und Armee und natürlich wäre es besser, es gäbe kein islam-faschistisches Regime im Iran, das im Zweifelsfall versuchen könnte, einen Staat Palästina aufzurüsten. Aber das ist seit 25 Jahren und noch länger klar.

Israel hatte auch Zeit, Zeichen zu geben für eine Annäherung an die Palästinenser bei gleichzeitigem Kampf gegen Teheran. Doch Israel hat Siedlungen gebaut und möchte weiter bauen, E1 reicht als Stichwort. Es möchte Gaza wieder besiedeln.

All das muss kritisiert und nicht nur mit der vorschnellen (vorschnell? Nach fast 60 Jahren Besatzung? hm… ) Anerkennung Palästinas durch Frankreich und England und andere im September 2025 bei den Vereinten Nationen umgegangen werden. Aber nur auf diese Anerkennung zu schauen und laut „nein“ zu schreien, ohne Israels Politik ganz grundsätzlich der letzten 25 Jahre zu hinterfragen in vielen Aspekten – und das gerade aus zionistischer Perspektive, das ist doch die Pointe – das ist zu billig, zu einfach, zu kurz gedacht, zu reduktionistisch und es ist gefährlich.

Das ist der Masada-Komplex. Wir sind umzingelt und lieber töten wir uns alle selbst, bevor wir in Verhandlungen gehen oder Fehler zugestehen, Kompromisse suchen.

Das meint meines Erachtens Michael Schiffer.

Wann soll denn der Prozesse der Staatenbildung einsetzen, nach bald 60 Jahren Besatzung? Die oberschlauen und de facto Israelfeinde kreischen dann sofort, dass es noch nie einen Staat Palästina gegeben habe. So what? Es gibt eine UN-Resolution an die sich Israel halten wollte, offiziell. Und die besagt, einen arabischen (=palästinensischen) und einen jüdischen Staat.

Millionen Israelis wollen Netanyahu weg haben, den Krieg beenden und alle Geiseln frei haben. Und das gleichzeitig. Zehntausende, manchmal auch Hunderttausende demonstrieren dafür jede Woche und mitunter alle paar Tage im ganzen Land. Ein kleiner Teil davon demonstriert auch dagegen, mit Hunger Krieg zu führen wie es Israel tut.

Die IDF hat nicht unabsichtlich jetzt dieses Krankenhaus beschossen und 5 Journalist*innen ermordet.

Das war kein Zufall. Wer Zeugenberichte der letzten Monate von IDF-Soldaten gelesen hat, weiß das.

Die deutsche Israel-Szene weiß es nicht und diffamiert jeden, der es ausspricht, als Verräter oder Antisemiten. So einfach ist deren Welt. Es ist ein obsessiver Philosemitismus, der viel vom Fanatismus des Antisemitismus hat, nur vordergründig anders gepolt. Am Ende führen beiden zum Ende des einzigen Judenstaates.

Aber all das wollen sie nicht hören.

Die Worte von Michael Schiffer aus den USA werden in Deutschland ignoriert werden, so wie jede substantielle zionistische Kritik an Netanyahu verhallte und weiter verhallen wird.

So lange, bis Israel, moralisch hoch erhoben und ohne einen einzigen Freund, Masada spielen wird, wie die Pro-Israel-Szene in Deutschland und weltweit. Helden, aber tot.

Schiffer resümiert:

Die Entscheidung, vor der wir stehen, ist klar: Wir können den Weg der moralischen Mitschuld weitergehen und zusehen, wie Israel sich selbst zerstört und die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Juden mit sich reißt, oder wir können uns auf die prophetische Tradition besinnen, die Gerechtigkeit fordert, auch wenn – oder gerade wenn – sie die Macht herausfordert.

 

 

 

What is a “genocide”? Some scholary remarks

The Times of Israel | Blogs | 24 August, 2025 | Clemens Heni

There are massive war crimes in Gaza, committed by the IDF, including hunger policies and the intentional shooting of civilians. However, this is still not a “genocide” as all anti-Semites from Australia to Germany and New York City claim. Let us listen for a minute or two to the scholarship of genocide.

Why are there outside of Israel truly nowhere rallies against Hamas AND against the current Israeli government, the War and for a better Zionist Israel?

Then, remember, most antisemitic activists used the slur “genocide” against Israel as early as October 2023, immediately after the genocidal massacres of Oct. 7, where the intention was to kill as many Jews as possible and to humiliate them in the worst way. If Hamas had enough weaponry, they would have killed tens of thousands of Israeli.

https://blogs.timesofisrael.com/what-is-a-genocide-some-scholary-remarks/

 

Das antizionistische Israel und die Hungersnot in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am heutigen 22. August 2025 wurde erstmals im Nahen Osten eine Hungersnot festgestellt.

Im Bezirk Gaza, inklusive Gaza-City, wurde von der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) die Stufe 5 einer akuten Hungersnot erklärt. Die Stufe 5 ist die schlimmste Stufe. Schon vor Monaten wurde vor einer Hungernot gewarnt, aber Israel hat nichts getan, um die von Israel zu verantwortende Krise abzumildern. Im Gegenteil: die aktuell laufende „Eroberung“ von Gaza-City wird nicht nur die Geiseln gefährden, sondern auch die palästinensische Bevölkerung.

Der 59-seitige Bericht der IPC zeigt detailliert, dass die örtliche Nahrungsmittelversorgung, inklusive der Landwirtschaft und der Zugang zu sauberem Wasser, nahezu vollständig in sich zusammengebrochen sind und durch den Krieg zerstört wurden.

Die israelische Regierung gibt entgegen ihrer Leugnung einer Hungersnot in Gaza, zu, dass es diese gibt, und zwar indirekt:

„There is no famine in Gaza,“ the ministry said, accusing the IPC of presenting a report „based on Hamas lies laundered through organizations with vested interests.“

„Over 100,000 trucks of aid have entered Gaza since the start of the war, and in recent weeks a massive influx of aid has flooded the Strip with staple foods and caused a sharp decline in food prices, which have plummeted in the markets,“ the ministry said.

Wie die Tagesschau berichtet, ist das eine viel zu geringe Zahl an LKWs:

Die Zahl der von Israel veröffentlichten Lastwagen-Lieferungen lässt sich derzeit nicht unabhängig bestätigen. 100.000 Lkw-Ladungen reichen jedoch bei Weitem nicht aus, wie Hilfsorganisationen wiederholt betont haben. Vor dem 7. Oktober 2023 kamen nach Angaben der Organisation Medico International zwischen 500 bis 600 Lastwagen täglich in den Gazastreifen. Das ergäbe bei dem seit 685 Tagen andauernden Krieg eine Menge von 342.500 bis 411.000 Lastwagen – deutlich mehr als die von Israel verzeichneten 100.000 Lkw. Hinzu kommt, dass der Bedarf durch die massive Zerstörung der Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen nun deutlich höher liegen dürfte als vor Beginn des Krieges.

Damit wäre nur ca. 25% der notwendigen Menge an Lebensmitteln und Hilfsgütern nach Gaza gekommen. Zudem hat die komplette Blockade von 11 Wochen im Frühjahr 2025 die 2 Millionen Menschen im Gazastreifen extrem geschwächt, zusätzlich zu den Traumatisierungen durch permanentes Schießen, durch Explosionen, Panzergeräusche, Maschinengewehre und so weiter.

Dass das alles vorbei wäre, würde es einen Aufstand gegen die Hamas geben, ist wahrscheinlich. Aber die Hamas lässt die Geiseln nicht frei und Israel tut spätestens seit April 2024 alles, um einen „Deal“ zu verhindern.

Wie ein ehemaliger enger Berater des damaligen US-Außenministers Blinken jetzt im israelischen Fernsehen auf Channel 13 sagte, hat Netanyahu gleich zu Beginn des Krieges klar gemacht, dass ihm völlig egal sei, was die USA denken und dass der Krieg unendlich lange gehen wird.

Das wiederum hat sehr viel mit der rechtsextremen und religiösen, messianischen Ideologie der aktuellen israelischen Regierung und weiter Teile Israels zu tun. Darauf weist ein Kritiker des Messianismus in einem Gespräch auf Haaretz hin. Er meint, dass in wenigen Jahren kein Linker mehr in Israel leben werde, weil die Gesellschaft total religiös fanatisiert sei. Dafür spricht der rassistische Messianismus des Projektes E1 im Westjordanland, das einen palästinensischen Staat verhindern wird, wie Minister Smotrich verkündet.

Ich habe im Juni 2022 über die katastrophalen Konsequenzen des E1-Projektes berichtet („Schwanengesang der Israelsolidarität, „sekundärer Analphabetismus“ oder Kritik am „linearen Denken“ von Corona über die Ukraine bis zu Israel?“).

Der ehemalige Vizechef der israelischen Luftwaffe Nimrod Sheffer sagt in einem Gespräch mit der Zeit am 18. August 2025, dass der Krieg sofort beendet werden muss, weil er sinnlos ist:

Israel hat in Gaza mehr Gewalt eingesetzt als in jedem anderen Krieg in der Geschichte. Und das auf einem sehr kleinen Gebiet und gegen eine Terrororganisation – nicht gegen die mächtige ägyptische Armee oder die syrische Armee wie 1973. Wie kann der Einsatz von noch mehr militärischer Macht etwas erreichen, was wir in den letzten zwei Jahren nicht erreicht haben? Das geht nicht. Diejenigen, die sagen, wir werden die Hamas völlig vernichten, indem wir noch mehr Gewalt anwenden, führen uns in die Irre.

Der außenpolitische Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit, Jörg Lau, hat in einem Gespräch mit seiner Kollegin, der Journalistin Hannah Grünewald, am 31. Juli 2025 verdeutlicht, dass die aktuelle Kriegspolitik Israel dem Staat Israel enormen Schaden zufügt und dass die Situation für die hungernden Palästinenser*innen im Gazastreifen katastrophal ist. Grünewald unterstreicht das in einem längeren Intro, in dem sie die verschiedenen Kritiken an Israels Kriegsführung in Gaza darstellt. Es wird in dem Gespräch deutlich, dass beide eine pro-israelische Haltung haben und ziemlich fassungslos sind, zumal der langjährige Nahostexperte Jörg Lau, wie Israel sich verhält und Länder vor den Kopf stößt, die doch klar pro-israelisch sind.

Kein Politiker Israels hat Israel so stark isoliert wie Netanyahu. Ob das überhaupt wieder zu reparieren ist, ist völlig unklar. Er unterstellt ja allen diesen Ländern Judenhass und Antisemitismus – und das ist eine Diffamierung von klar als Israelfreunden bekannten Politiker*innen, die aber jetzt die menschenverachtende Hunger- und Kriegspolitik Israels in Gaza nicht mehr mittragen können und wollen.

Das was Netanyahu repräsentiert, ist ein messianisches, nationalistisch-religiöses und somit antizionistisches Israel.

Zionismus basiert auf den Menschenrechten – nicht auf ein herbei fantasiertes Gesetz Gottes.

Zionismus basiert auf der Gleichheit der Menschen bei jüdischer Souveränität im eigenen Land – nicht auf Gesetzlosigkeit, Macht und Gewalt gegenüber jenen, die keine Juden sind im Staat Israel oder den besetzten Gebieten.

Zionismus heißt jüdisch und demokratisch – und nicht religiös-fanatisch, frauenverachtend und 12 Kinder pro Familie und eine Indoktrination der Kinder von Kindesbeinen an.

Zionismus heißt selbst denken und nicht in Yeshivas nachbeten, was andere für Hirngespinste ausgeheckt haben.

All das wird die religiöse Bewegung nicht abschrecken, gerade die israelische Armee IDF weiter zu indoktrinieren, wie der oben zitierte Aktivist und Rechtsanwalt Yair Littman Nehorai sagt. Die Verleihung des Israelpreises an den Rabbiner Eli Sadan 2016 war für ihn so ein Knackpunkt, wo der Staat offiziell eine extrem rechte, messianische Ideologie ausgezeichnet hat:

Eli Sadan ist General in der Armee von Zvi Tau – dem Vorsitzenden der Noam-Partei – und hat in Eli [einer Siedlung im Westjordanland] das Vorbereitungsprogramm für den Militärdienst mit einem klaren Ziel ins Leben gerufen: eine religiöse Revolution im Land anzuzetteln. Er wurde für seine Rolle als „Brücke“ zwischen verschiedenen Teilen der israelischen Gesellschaft ausgezeichnet, während er gleichzeitig eine Institution gründete, die das größte Projekt zur Untergrabung der demokratischen Werte Israels darstellt. Seit Jahrzehnten vermitteln er und seine Mitarbeiter jungen Menschen alle messianischen Werte: Widerstand gegen säkulare Juden, reformierte Juden, konservative Juden, LGBTQ-Personen, Linke. Gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und Gleichheit. (Übersetzung CH)

 

Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz warnt in einem Artikel in  Haaretz am 8. August 2025 nachdrücklich und eloquent davor, dass sich die Pro-Israel Szene angesichts der schrecklichen Entwicklungen in Gaza und Israel sowie der Westbank in Schweigen hüllt.

Es muss darum gehen, den Antisemitismus genauso zu erkennen und zu bekämpfen, wie die rechtsextreme Politik von Netanyahu zu erkennen und zu bekämpfen, im Zweifel auch mit Sanktionen – das sagt eine linke Zionistin:

Die Welt braucht rote Linien. Wenn die Regierung Netanjahu die dauerhafte Besetzung des Gazastreifens anstrebt und wenn sie, wie sie es versucht hat, die juristischen – und damit demokratischen – Schutzmechanismen des eigenen Staates untergräbt, dann könnten Sanktionen eine angemessene Reaktion sein.

In der Zwischenzeit dürfen Freunde Israels nicht die Augen vor dem Wesen der Regierung in Jerusalem, ihren fehlgeleiteten Prioritäten, ihrer Inkompetenz und ihrem nicht mehr zu rechtfertigenden Krieg gegen den Gazastreifen verschließen. (Übersetzung CH)

Wenn man sich angesichts dessen Texte in der Jüdischen Allgemeinen oder Äußerungen von Aktivist*innen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft oder nahezu jeder Pro-Israel NGO anschaut, kann man nur den Kopf schütteln: so viel Realitätsverweigerung ist nicht auszuhalten. Diese Leute merken wirklich (!) nicht, dass sie Juden und Israel schaden, wenn sie nicht die Regierung Netanyahu und die rechtsextrem-messianische Ideologie Israels kritisieren.

Mit einer dauerhaften Besatzung Gazas, mit neuen Siedlungen und dem E1-Projekt wird es keinen Staat Palästina geben – und das wiederum wird Israel on the long run zerstören. Wer das nicht sieht, will es nicht sehen und ist kein Freund eines demokratischen und jüdischen Staates Israel, dem einzigen Judenstaat. Die Neue Rechte muss in den USA so bekämpft werden wie in Israel, Ungarn, Italien, Deutschland, Holland oder wo immer – genauso wie der linke Populismus und Antisemitismus kritisiert werden muss, ob er nun Regierungsmacht hat oder in der Opposition ist.

Nimrod Sheffer, der IDF-Soldat, hat mehr Erfahrung von Militär als die meisten in der deutschen Pro-Israel Szene und hält kategorisch fest:

Jeder, der etwas von Truppeneinsatz, Operationen und militärischer Macht versteht, weiß, dass es keine Möglichkeit gibt, den letzten Terroristen zu töten oder das letzte AK-47-Sturmgewehr zu zerstören. Es gibt keinen Grund dafür, den Krieg weiterzuführen und dafür einen so hohen Preis zu zahlen. Das zu tun ist unmoralisch. Wenn das Militär seine Rolle erfüllt hat, die Fähigkeiten der Gegenseite zu zerstören, dann muss die Diplomatie übernehmen. Und das ist der fehlende Teil.

Ob es darüber hinaus strategisch noch besser gewesen wäre, die diplomatische und weltweite Unterstützung Israels direkt nach dem 7. Oktober, in eine Allianz gegen die Hamas und den Iran zu schmieden, wie es der Jurist, Völkerrechtler und Zionist Irwin Cotler meint, sei dahingestellt. In jeden Fall hat der anfangs nachvollziehbare Krieg gegen die Hamas seit langer Zeit seine Berechtigung verloren.

Dass jetzt Israel für die erste Hungersnot im Nahen Osten verantwortlich ist und Milliarden Menschen Israel mit den Bildern von hungernden Kindern assoziiert, das geht auf das Konto der Hamas, die den Krieg begonnen hat und ohne die es ihn nicht geben würde – es geht aber ebenso auf das Konto von Benjamin Netanyahu, der diesen Krieg nur führt, weil er Panik hat, endlich dahin zu kommen, wo ihn Millionen Israelis sehen: ins Gefängnis, wegen Korruption und mittlerweile auch wegen Kriegsverbrechen.

Dass eine Demokratie wie Israel Hunger als Waffe einsetzt, hätte niemals passieren dürfen. Das beschädigt den Zionismus und es tötet Palästinenser und Palästinenserinnen, jung wie alt. Das Bild des bis auf die Knochen abgemagerten 18-monatigen Jungen Mohammed al-Mutawaq ging um die Welt, die New York Times brachte es auch. Und dann gibt es wirklich viele Leute in dieser Pro-Israel-Szene, die sogleich – medizinisch ‚geschult‘ und menschlich am Ende – feststellen wollten, dass der arme Junge genetisch vorerkrankt sei.

Das bringt den Kinderarzt Professor Dan Turner aus Israel völlig aus der Fassung. In einem ausführlichen Gespräch mit der Times of Israel sagt er, dass der Hunger diesen Jungen so zugerichtet hat und keine noch so dramatische genetische Vorerkrankung. Ja schlimmer noch: gerade wenn das Kind vorerkrankt ist, hätte es umso bessere Ernährung und medizinische Hilfe benötigt, so Turner.

Turner berichtet darüber hinaus von Rassismus und menschenverachtenden Maßnahmen in israelischen Krankenhäusern, die man nicht glauben kann, man muss sich den Podcast anhören, um das von einem, der es live gesehen hat, wie Dan Turner gesagt bekommen, wie z.B. ein 12- oder 13-jähriger palästinensischer Junge, dem ein Bein amputiert worden war, weil israelische Soldaten den unbewaffneten Jungen angeschossen hatten (es gab nie ein Verfahren gegen den Jungen wegen Angriffs auf die IDF, so Turner), am nächsten Morgen mit beiden Händen am Bett gefesselt lag.

Noch in vielen Jahren und Jahrzehnten werden die Palästinenser aus Gaza von dieser Hungersnot gezeichnet sein – zwei Millionen Menschen (abzüglich der Muslim-Faschisten der Hamas und des Islamischen Jihad). Das ist ein Trauma und erschütternd. Wie soll da jemals Frieden entstehen?

Es geht ganz grundsätzlich darum endlich zu erkennen, dass beide Seiten große Schuld haben. Die Palästinenser am präzedenzlosen Massaker vom 7. Oktober, der zweiten Intifada und vielen weiteren Terroranschlägen. Und Israel wegen der seit 1967 andauernden Besatzung und der Weigerung, Palästinensern wirklich zuzuhören.

Das muss sich ändern, auch wenn die Chancen dafür nie so schlecht waren wie heute.

Aber die Regierung Netanyahu muss zerbrechen, wenn Israel – als jüdischer und demokratischer Staat – überleben will – und natürlich darf keine Regierung folgen, die genauso extremistisch ist…

Die obige sehr menschenverachtende Krankenhausgeschichte passierte lange vor dem 7. Oktober und zeigt eine (nicht zuletzt patriarchale) Gewaltförmigkeit, die der tief brutalisierten israelischen Gesellschaft eigen ist. Das kommt gleichwohl nicht von ungefähr, seit 1948 ist das Land von Feinden umzingelt.

Aber das rechtfertigt nicht die Demütigung des Anderen, wie Immanuel Kant oder der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas sagen würden.

Der Arzt und Zionist Dan Turner bringt es auf den Punkt:

Unsere Feinde menschlich zu behandeln, macht uns zu Menschen. (Übersetzung CH)

Doch davon will die deutsche Pro-Israel Szene lieber schweigen.

Woke Zionism – Call for Papers / 31. Oct. 2025

 

CfP Book Project Woke Zionism

 

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) invites scholars, authors, intellectuals, columnists, activists and others to send us papers and articles dealing with the timely topic of “woke Zionism”.

The unprecedented crimes of Oct. 7, when Muslim and Palestinian men butchered, gang raped, tortured, burned alive, shot 1200 Jewish women, men, children, babies and Holocaust survivors and other nationals and abducted 251 Jews and others to Gaza, were the worst crimes against the Jewish people since the Shoah.

It was precisely the unthinkable brutality of the killing, the fun of torturing Jewish women and men alike, the burning alive of entire families and the joy of the murderers. Survivors, who were in their safe rooms, heard Palestinian women enjoying the homes of Israelis, they were cooking or watching Arab TV – while their husbands, brothers or sons killed all Jews they could find like in kibbutz Nir Oz.

Today we see an equally unprecedented wave of antisemitism and Jew hatred around the globe. Calls for killing Zionists appear on posters, stickers and are slogans like in Berlin, Naples, Paris, Madrid, London or New York City, to name but big European and American cities.

This book wants to give left-of center, left-wing and woke Zionists a public voice: Fighting antisemitism, including Islamism and secular anti-Zionism, while pursuing peace in the middle east, against Jewish supremacism, racism, the occupation, the War in Gaza and ultra-nationalism as well as religious messianism.

This book project is looking for papers and articles to deal with the very unusual but tremendously timely perspective of left-wing or woke Zionism. Is there still an option for a Palestinian state without abandoning the Jewish and democratic state of Israel? What about violence in the Westbank or the consequences of projects such as E1? What about the judicial overhaul by the Netanyahu government? How to fight queer anti-Zionism?

How can we heal the unprecedented shock of the brutality of Oct. 7 without aligning ourselves with the disastrous and murderous policies of the current Israeli government and the IDF in Gaza? Hunger may never ever become a strategy of war – but Israel does use hunger as a weapon, against Zionist and IDF principles of equal treatment of human beings. When did the „justified war“ against Hamas end and become an „endless war“? Why did the government abandon the hostages and when?

Then, what about Reform Judaism’s role in the current fight against antisemitism and against the War in Gaza? What about women’s rights and current far-right policies in Israel? What about the analysis of capitalist economy and the history of left-wing Zionism, including the socialist kibbutz movement?

Finally: Why do many people in the Diaspora and the (anti-woke) Zionist camps reject any public criticism of Israeli policies? Doesn’t that endanger both Jews outside of Israel and the Zionist project as such? Zionism is not a given. We have to fight for its future in a democratic and Jewish state of Israel, alongside a future Palestinian state, as Resolution 181 from November 29, 1947 stated.

 

These are some of the core topics of “woke Zionism” today. We look very much forward to your contributions. Please send us your papers and articles via email – ranging between 1000 and 5000 words, written in an essayistic or scholarly style – by Oct. 31, 2025. The book will be published by the end of 2025.

Contact information: bicsa@bicsa.org

Editors:

– Clemens Heni, PhD, Director of The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), former Post-Doc at Yale, former Fellow at the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) at Hebrew University of Jerusalem, currently teaching at Heidelberg University.

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

c/o Edition Critic

Kolonnenstr. 8

10827 Berlin

Germany

Diversity in the Pro-Israel camp?

Is there still diversity in the pro-Israel camp like in the UK, the US or Germany? Recent developments, hunger in Gaza, the ongoing suicidal war of Israel in Gaza and aggressive right-wing activists in the Diaspora are a real problem in the pro-Israel camp. Let’s face it.

https://blogs.timesofisrael.com/diversity-in-the-pro-israel-camp/

See also this report at TOI, including a link to the video with the speech of Rabbis Charley Baginsky and Josh Levy

https://www.timesofisrael.com/progressive-rabbis-booed-off-stage-at-uk-hostage-rally-after-backing-palestinian-state/

The Entire speech by the two rabbis, which has been cut short by the authoritarian organizers of the event, including the group „Stop the Hate“, can be read here:

https://www.jewishnews.co.uk/the-speech-progressive-rabbis-werent-allowed-to-finish-at-downing-st-demo/

Another piece in Jewish News argues that British Jews should acknowledge that the Zionist camp is deeply divided:

https://www.jewishnews.co.uk/opinion-its-time-to-stop-pretending-that-our-community-is-united/

Aufruf zum Generalstreik in Israel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das Projekt des Zionismus war klar. Sicherheit und Souveränität für Juden in einem eigenen Staat. So wie alle anderen Völker einen Staat haben – und zudem gar nicht von Vernichtung bedroht sind, weder 1892, 1939 oder heute. Dieses Versprechen ist zentral für den einzigen Judenstaat:

Leave no one behind.

Das macht jede heutige Ablehnung des Zionismus zu einem antisemitischen Vorgang. Wer Juden verweigert, was allen anderen zugestanden wird, ein eigener Staat und vor allem Sicherheit vor Antisemitismus, der oder die handelt antijüdisch, antisemitisch, antizionistisch. Diese drei Adjektive sind dann deckungsgleich.

Sicher sind nicht alle als pro-palästinensisch bezeichneten Demonstrationen nach dieser Definition antisemitisch, aber doch die allermeisten. Gab es zuletzt Redner*innen auf solchen Events, die sich mit Israel- und Palästinafahne in Deutschland (oder England, Belgien, Frankreich, Slowenien oder in den USA) für die Zweistaatenlösung und explizit für einen jüdischen und demokratischen Staat Israel einsetzten?

Israel kämpft um jede einzelne Staatsbürgerin und jeden einzelnen Staatsbürger, und seien es die sterblichen Überreste von vor vielen Jahren.

Doch jetzt ist das zu Ende. Israel lässt die Geiseln sehenden Auges krepieren.

Die rechtsextreme, national-religiöse bis faschistoide Regierung unter Benjamin Netanyhau, der ja selbst ernannte Faschisten wie Bezalel Smotrich angehören („Israels rechtsextremer Finanzminister bezeichnet sich selbst als ‚faschistischen Homophoben‘, will aber ‚Homosexuelle nicht steinigen‘„, Januar 2023, alle englischen Zitate von CH übersetzt), gibt den Kampf um die vermutlich noch lebenden 20 Geiseln und die 30 sterblichen Überreste bereits durch die Hamas und die Palästinenser im Zuge des präzedenzlosen Massakers vom 7. Oktober 2023 Entführten und Ermordeten auf.

Es geht mit der angekündigten vollständigen oder fast vollständigen Besatzung des Gazastreifens um den geplanten Mord nicht nur an palästinensischen Zivilist*innen, sondern auch um die Hinnahme des Mordes durch die Hamas von den verbliebenen und vermutlich noch lebenden 20 Geiseln, von dem Aufgeben der Überführung der Überreste der 30 bereits Ermordeten nicht zu schweigen.

Ein Op-Ed Kommentar in der Times of Israel von Yuval Yoaz, der zuerst auf Hebräisch in einem anderen Medium erschienen war, betont sogar, dass rechtswissenschaftlich gesehen die drei führenden juristischen Vertreter*innen des Staates, die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara, der stellvertretende Generalstaatsanwalt für internationales Recht Gilad Noam und die leitende Militäranwältin der israelischen Armee IDF Yifat Tomer-Yerushalmi, sich schuldig machten, wenn sie nicht gegen offenkundige Kriegsverbrechen Israels aktiv würden. Das könnte dazu führen, dass diese drei bei Auslansbesuchen Haftbefehle vorgelegt bekommen.

Gleichzeitig forderten gestern Zehntausende Demonstrant*innen in Tel Aviv einen Generalstreik angesichts der angedrohten Ausweitung des Gazakrieges. So sprach sich gestern Anat Angrest für einen Generalstreik aus – ihr Sohn Matan ist einer der 20 vermutlich noch lebenden Geiseln der Hamas, des Islamischen Jihad und der Palästinenser.

Am heutigen Sonntag haben jetzt die Angehörigen der Geiseln zu einem Generalstreik in Israel am kommenden Sonntag aufgerufen. Die Times of Israel schreibt:

Der Generalstreik, der bereits von führenden Persönlichkeiten der Opposition unterstützt wird, wird vom sogenannten Oktober-Rat organisiert, der die Familien vertritt, die vom Massaker der Hamas am 7. Oktober betroffen sind.

Er wird allerdings nicht von der mächtigen Gewerkschaft Histadrut unterstützt, nachdem ein Gericht in Tel Aviv ihr im vergangenen Jahr untersagt hatte, einen Streik auszurufen, um die Regierung zu einem Geisel- und Waffenstillstandsabkommen in Gaza zu zwingen, da es die Angelegenheit als politisch und nicht als mit den Arbeitnehmerrechten verbunden einstufte.

Oppositionsführer Yair Lapid unterstützt den landesweiten Streik und twittert, dass die Forderung der Familien der Geiseln, „die Wirtschaft lahmzulegen, gerechtfertigt und würdig ist. Wir werden weiterhin an ihrer Seite stehen.“

Die befreite Geisel Sharon Aloni-Cunio, deren Mann David Cunio noch gefangengehalten wird von der Hamas, sprach gestern ebenfalls in Tel Aviv:

‚Jetzt, wo die ewigen Kriegstreiber uns alle in eine schreckliche Katastrophe treiben, tun sie das ja nicht einmal für die Geiseln – sie sagen laut und deutlich, dass sie bereit sind, die Geiseln zu opfern‘, sagte sie und kritisierte die Entscheidung der Regierung ganz vehement, die Kämpfe auszuweiten und Gaza-Stadt einzunehmen.

Man kann sich die Qualen nicht vorstellen, die all diese Angehörigen und Freund*innen der Geiseln durchmachen. Gibt es noch Wasser zum Trinken für die Geiseln? Kriegen sie überhaupt noch was zu essen? Werden sie geschlagen, gefoltert, sexuell missbraucht, gedemütigt? Wie können sie ohne Tageslicht überleben? Müssen sie gebückt stehen? Können Sie ausgestreckt liegen? Es ist nicht vorstellbar. Einav Zangauker, die bekannteste Stimme der Angehörigen, sagte gestern in Tel Aviv auf der Demo:

‚Eine ganze Gemeinde wird von der Hamas und der israelischen Regierung als Geisel gehalten‘, sagte Einav Zangauker, Mutter der Geisel Matan Zangauker. ‚Was muss getan werden? Das Land muss jetzt zum Stillstand kommen.‘

Und doch muss man sehen, dass es nur Zehntausende waren, gestern, die demonstrierten, nicht die 300.000 allein in Tel Aviv, die noch 2023 gegen die Justizreform oder die Entlassung des Verteidigungsministers Gallant (der mittlerweile per internationalem Haftbefehl ausgeschrieben ist) demonstrierten. Schon damals ging es allerdings nicht um die Besatzungspolitik und die Verbrechen der Siedler im Westjordanland. Und heute scheint die Hungersnot in Gaza sowie die fast völlige Zerstörung der Infrastruktur – bei unglaublicher Hitze! – keine Hunderttausenden (wenigstens bei etwas weniger heißen Temperaturen am späten Abend) auf die Straßen Israels zu bringen.

Das Land ist müde. Erschöpft. Moralisch von dem nie dagewesenen Massaker auf eigenem Boden vom 7. Oktober geschwächt wie nie. Aber diese Schwäche ist seit spätestens 2024 umgeschlagen in eine ziellose Brutalität und ein Töten, das insbesondere Zivilist*innen trifft.

Wenn, wie zitiert, die eigenen juristischen Mechanismen nicht mehr greifen und nicht klar ist, dass Kriegsverbrechen im eigenen Land geahndet werden – dann hat sogar der Internationale Strafgerichtshof (ICC) juristisch womöglich tatsächlich etwas in der Hand:

Der Internationale Strafgerichtshof kann nur dann eingreifen, wenn ein Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Ermittlungen ernsthaft durchzuführen und die Täter strafrechtlich zu verfolgen.

Für diese mutwillige Zerstörung jüdischer Souveränität, des Zionismus, jüdischer Ethik und Moral ist vorneweg, weil er die meiste Macht hat, ein Mann persönlich verantwortlich: Benjamin Netanyahu.

 

Update, 12.08.2025

More universities, 70 local authorities, to support Aug. 17 strike in support of hostages

„Kulturschaffende“ und Israel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Ein Aufruf von über 350 sogenannten Kulturschaffenden, vor allem Schauspieler*innen wie Daniel Brühl, Heike Makatsch oder Anna Thalbach, Moderator*innen wie Klaas Heufer Umlauf, Joko Winterscheidt oder Paula Essam, Musiker*innen wie Helmut Zerlett, Clueso oder Sarah Lesch und Regisseur*innen wie Mehmet Akif Büyükatalay, Paulita Pappel  oder Fatih Akin  sowie Autoren wie Marc-Uwe Kling, von dem sich das Känguru sicher spätestens jetzt glasklar und linkszionistisch distanziert, fordern einen kompletten Stopp von Waffenlieferungen an Israel und verlieren – wen wundert es – kein Wort über die 50 Geiseln, die immer noch in den Händen der Muslim-Faschisten in Gaza festgehalten werden, wovon vielleicht 20 noch am Leben sind. Einige von ihnen werden aktuell von den Muslim-Faschisten der Hamas zu Tode gehungert und in Bildern, die an Nazi-Propaganda erinnert, gedemütigt und zum Tode geweiht.

Dazu nicht ein Wort dieser „Kulturschaffenden“, bis auf einen Satz, der geradezu absichtlich nichts explizit sagt zum schrecklichsten Massaker an Juden seit dem Holocaust vom 07. Oktober 2023:

Auch wir verurteilen die grauenvollen Verbrechen der Hamas aufs Schärfste. Aber kein Verbrechen legitimiert es, Millionen von unschuldigen Menschen auf brutalste Weise kollektiv zu bestrafen.

Forderung nach Freilassung der Geiseln? Von wegen:

  • Stoppen Sie umgehend alle deutschen Waffenexporte an Israel
  • Unterstützen Sie das Aussetzen des Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel
  • Fordern Sie mit Nachdruck einen sofortigen Waffenstillstand und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe

Das sind typische deutsche Stimmen, die sich gegen Israel wenden und nicht dafür bekannt sind, direkt nach dem 7. Oktober sich gegen muslimischen Judenhass und palästinensischen Terrorismus oder die sofortige Freilassung aller Geiseln eingesetzt zu haben.

Erst NACH dem Publizieren dieses offenen Briefes schreibt das Kampagnen-Netzwerk AVAAZ unter dem offenen Brief:

Dieser Brief, den die Kulturschaffenden gemeinsam mit Avaaz lanciert haben, sorgt bereits deutschlandweit Schlagzeilen – von Spiegel und Stern bis hin zu Deutschlandfunk und ZEIT.

Auch wir sind zutiefst erschüttert und betroffen durch die neu erschienen Aufnahmen der israelischen Geiseln. Es muss politisch und diplomatisch alles getan werden, um sie umgehend zu befreien. Aber wie im Brief beschrieben, kann kein Verbrechen es legitimieren, Millionen von unschuldigen Menschen auf brutalste Weise kollektiv zu bestrafen. Und doch hat Netanyahu gerade angekündigt, den gesamten Gazastreifen zu besetzen – mit unabsehbaren Folgen sowohl für die Zivilbevölkerung als auch die Geiseln.

Warum war ihnen das bei dem offenen Brief mit den Geiseln nicht aufgefallen, immerhin sind sie seit 670 Tagen in Geiselhaft der Muslim-Faschisten in Gaza?

Sehr typisch ist auch das dümmliche Reden von Menschen als „Eltern“, als ob man so unfähig sein muss, ungeschützt Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, um gegen das Aushungern von Menschen aller Altersgruppen, auch von Kindern, zu sein:

Kinder, abgemagert bis auf Haut und Knochen, die Augen leer, die Handgelenke dünn. Babys, vor Hunger zu schwach, um zu weinen. Alte, schwache und kranke Menschen, die keine ausreichende Versorgung erhalten.

Die in Gaza sterben. Tag für Tag.

Dabei sind es Menschen. Mütter. Väter. Kinder.

Kinder wie unsere. Kinder wie Ihre.

Gab es ähnliche Aufrufe dieser Schauspieler und Regisseurinnen zu Hungersnöten im Sudan oder ist das zu kompliziert, weil in diesem Konflikt keine Juden involviert sind?

Zudem: Wer obiges Eingangsstatement liest, merkt, dass wirklich alle Unterzeichner*innen Kinder zu haben scheinen. Das wäre eine bemerkenswert erbärmliche homogene Gruppe von „daddiots“ und „mombies“, wie die Fachbegriffe des Radikalfeminismus für natalistische Ideologinnen und Akteure heißen. „Kinder wie Ihre“ hätten sie bei dem letzten Kanzler und der letzten Kanzlerin gar nicht schreiben können, by the way.

Jedenfalls strotzt der Text vor Selbstgerechtigkeit – jetzt geifern sie los. Und das passiert weltweit. Juden und Jüdinnen werden weltweit für die unsägliche Politik Israels in Haftung genommen und angegriffen.

Ganz anders ein seriöser offener Brief an den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu von liberalen Zionistinnen und Zionisten aus England, darunter Milliardäre und Multimillionäre, Philanthropen und langjährige Unterstützer*innen des einzigen Judenstaates. Diesen Brief haben schon über 2000 jüdische Philanthropen, bekannte Aktivistinnen und Aktivisten und Mitglieder von jüdischen Organisationen unterschrieben. Sie stellen erst einmal ganz klar fest:

Wir sind Mitglieder jüdischer Gemeinden auf der ganzen Welt, die den Staat Israel als nationale Heimat des jüdischen Volkes leidenschaftlich unterstützen. Unsere Solidarität gilt stets Israel und den Bürgern Israels, insbesondere seitdem die Hamas am 7. Oktober ihren barbarischen Angriff gestartet hat. (Alle Übersetzungen aus dem Englischen von CH)

Doch diese zionistische und jüdischen Aktivist*innen sind schockiert:

Wir fordern Sie daher auf:

1) Die Versorgung der Bevölkerung in Gaza mit Lebensmitteln und humanitärer Hilfe dauerhaft wiederherzustellen und zu ermöglichen.

2) Beenden Sie den Krieg. Bringen Sie die Geiseln in einem einzigen Deal nach Hause und legen Sie den Schwerpunkt auf ihre Freilassung. Angesichts der unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Geiseln leiden, und der Grausamkeit ihrer Entführer von der Hamas kann die Dringlichkeit nicht genug betont werden. Der Verhandlungsprozess mit einer verkommenen Terrororganisation ist natürlich komplex und schwierig. Aber jede Gelegenheit zur Freilassung aller Geiseln muss genutzt und hat Vorrang vor der Beschwichtigung extremistischer Mitglieder Ihrer Koalition. …

3) Setzen Sie das Gesetz im Westjordanland durch, wo die Häufigkeit und Intensität tödlicher Gewalt durch jüdische Extremisten beispiellos ist. …

4) Verpflichten Sie sich, dass weder Sie noch irgendein Mitglied Ihrer Regierung jemals wieder Hungersnöte oder Vertreibungen als Kriegswaffen einsetzen werden. Mitglieder Ihrer Regierung haben ohne Kritik rassistische, hasserfüllte und aufrührerische Äußerungen getätigt. So prahlte beispielsweise Kulturminister Amichai Eliyahu kürzlich, dass „die Regierung darauf hinarbeitet, Gaza auszulöschen … Gott sei Dank löschen wir dieses Übel aus … Ganz Gaza wird jüdisch sein.” Solche Aussagen sind moralisch verwerflich und ein Chilul Hashem – eine Entweihung jüdischer Werte und der Gründungsprinzipien Israels. …

Die Times of Israel schreibt:

Zu den Unterzeichnern gehören Charles Bronfman, der jüdisch-kanadisch-amerikanische Milliardär und Philanthrop, die Philanthropin Marcia Riklis, Dame Vivien Duffield, Vorsitzende der Clore Foundation, und Trevor Chinn, Präsident der United Jewish Israel Appeal, einer führenden britischen jüdischen Wohltätigkeitsorganisation, die Initiativen in Israel finanziert.

Der Brief ist eine Initiative eines neuen liberalen zionistischen Netzwerks namens The London Initiative, das Anfang dieses Jahres gegründet wurde, um „die israelische Demokratie zu stärken, eine gerechtere gemeinsame Zukunft für alle Bürger Israels zu fördern, die Hoffnung auf die Aussicht auf einen sicheren Frieden wiederzubeleben und die Beziehungen zwischen allen Israelis und dem Weltjudentum zu verbessern“.

Das wird von einem Video von 19 ehemaligen führenden Militärs (Chiefs of Staff u.a.) und Geheimdienstleuten Israels vom 3. August 2025 unterstützt, die ebenfalls ein sofortiges Ende des Krieges fordern. Sie halten fest, dass der Krieg anfangs gerecht war im Kampf gegen die Hamas, und auch erfolgreich, aber dass er seit sehr langer Zeit kein Ziel mehr hat außer Zerstörung des Erreichten. Sie sehen religiöse Fanatiker und nationalistische Verbrecher am Werke und attackieren Netanyahu frontal. Sie sind wahre Zionisten und wollen Israel schützen, also auch die Palästinenser, da es zwei Staaten für zwei Völker geben muss.

Schließlich betont die israelische Soziologin Eva Illouz, dass es sich viele mit ihrer Kritik Israels zu leicht machten und wiederholt, was zionistische Kritiker*innen seit langer Zeit sagen: wer nicht aktiv gegen Antisemitismus kämpft hat gar kein moralisches Recht, erst jetzt Kritik zu üben, wenn Israel im Visier ist, so richtig und wichtig die Kritik an der unerträglichen und für Palästinenser*innen mörderischen Politik Israels aktuell ist.

Wie der Journalist Peter Nowak betont, kann man gerade als Linker gegen die Hamas und gegen Netanyahu sein, aber für Israel – wie zum Beispiel eine Plakatkampagne der Berliner „Emanzipative & antifaschistische Gruppe“ (EAN) zeigt:

Die „Emanzipative & Antifaschistische Gruppe“ (EAG) wurde 2005 in Pankow gegründet. Damals wie heute ging es uns darum den Neonazis im Berliner Nordosten entgegenzutreten. Allerdings war es uns immer zu wenig, ausschließlich Anti-Nazi-Arbeit im Stadtteil zu leisten. Vielmehr gehörte von Anfang an eine umfassende Herrschaftskritik und linksradikale Theoriebildung zu unserem Anspruch. Darüber hinaus wurde die Gruppe auch aus der Kritik am Antisemitismus innerhalb linker Strukturen gegründet sowie den antifeministischen Tendenzen der Antideutschen Szene.

Das unterscheidet auch solche pro-israelischen Gruppen von ach-so-jüdischen Gruppen für Frieden im Nahen Osten, die meist nur antizionistisch sind und gerade keinen Frieden für Juden in einem jüdischen Staat wollen, neben einem palästinensischen Staat.

Was Illouz in der ZEIT vom 06. August 2025 schreibt, passt exakt zu den gut 350 typisch links-deutschen „Kulturschaffenden“ und dem oben zitierten offenen Brief an Bundeskanzler Merz:

Mein Punkt ist ein schlichter: Weil die Kritik an Israel so oft gefährlich nah am Antisemitismus liegt, muss sie Sprache und Behauptungen sorgfältig prüfen. Wer bloß über minimales Wissen zur Geschichte des Konflikts verfügt, sollte aufhören, Israel zum alleinigen Schuldigen zu machen.

Die Soziologin resümiert:

Die rote Linie für die Welt muss lauten: Wenn Netanjahus Regierung – wie von ihm selbst verkündet – eine dauerhafte Besatzung Gazas anstrebt und zugleich die Unabhängigkeit der Justiz endgültig aushebelt, werden Sanktionen zu einer angemessenen Antwort. Bis dahin dürfen Israels Freunde nicht die Augen verschließen vor dem Charakter der Regierung in Jerusalem: vor ihrer Inkompetenz, ihren Kriegsverbrechen, der von ihr verschuldeten humanitären Katastrophe und einem Gaza-Krieg, der längst jede Rechtfertigung verloren hat. Zugleich gilt es zu bedenken, dass ebenjener Extremismus und jene Paranoia der Regierung genährt werden vom Antisemitismus der arabischen wie der westlichen Welt.

Kritik aus Israel und USA: Zionisten dürfen zu den Verbrechen Israels in Gaza nicht schweigen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Nehmen wir typische Aktivist*innen, die gegen Antisemitismus sind und sich für Israel einsetzen. Sie sind im privaten Gespräch klar gegen die Politik von Benjamin Netanyahu, finden es aber höchst suspekt, ja im Zweifelsfall antizionistisch oder zumindest den Antisemitismus befördernd, wenn das jemand öffentlich sagt.

Von daher ist – wie immer – der unabhängige Diskurs in Israel, aber auch und zumal in der Diaspora wie in den USA viel schärfer, politischer, öffentlicher und relevanter. Während die bekannten NGOs in USA ähnlich angepasst agieren wie in Deutschland, gibt es in USA und natürlich immer noch in Israel eine sehr vielfältige und kritische Publizistik.

So schreibt der Zionist, Publizist und Rabbiner Dr. Donniel Hartmann im Herbst 2021:

Bis vor kurzem waren die „unentschlossenen Unentschlossenen“ relativ marginal. Die eigentliche Sorge in der amerikanischen zionistischen Community bestand bis vor einigen Jahren darin, dem Wachstum der „unbesorgten Unentschlossenen“ entgegenzuwirken – jener Menschen, die sich einfach entfremdet hatten und kein Interesse mehr an Israel zeigten.

Die neue Angst ist jedoch die Abwanderung der „besorgten Engagierten“ in das wachsende Lager der „besorgten Unentschlossenen“. Die Ereignisse in Sheikh Jarrah und die jüngste Gaza-Kampagne waren ein Wendepunkt: Die „unentschlossenen Unentschlossenen“ sind in den Mainstream des jüdischen und nordamerikanischen Lebens und Diskurses eingetreten. Jüngste Umfragen zeigen, dass fast ein Drittel der amerikanischen Juden es für legitim hält, Israels Politik mit Apartheid in Verbindung zu bringen. (Alle englischen Zitate in diesem Text sind von mir übersetzt, CH)

Hartmann machte 1971 Alijah – und merkte schon damals als Teenager, dass Israel als Besatzungsmacht dem Zionismus enorm schadet. Das wurde seither nur noch schlimmer. Dabei weiß er natürlich, dass die Palästinenser keine Chance ausließen, eine Zweistaatenlösung anzunehmen – aber das entbindet Israel nicht von seinen eigenen Fehlern und der Siedlungspolitik und dem Rassismus.

Auf diesen Text weist der Kolumnist des Jewish Forward und Professor an der Brown University Dany Bahar am 29. Juli 2025 hin und resümiert:

Ein Israel, das bei der Mehrheit der Juden in der Diaspora kein Vertrauen und keine Verbundenheit mehr weckt, ist vielleicht nicht unmittelbar einer militärischen Bedrohung ausgesetzt. Aber es läuft Gefahr, seine Daseinsberechtigung zu verlieren: ein Staat, der nicht nur auf Souveränität, sondern auch auf einem gemeinsamen Schicksal gründet.

Wenn der israelische Außenminister Sa’ar jetzt sagt, es habe „noch nie einen Staat Palästina gegeben“ und Juden hätten das Recht in Judäa und Samaria zu siedeln, dann ist das rechtsextreme Propaganda. Es gibt die UN-Resolution 181 vom 29. November 1947, darin heißt es:

Unabhängige arabische und jüdische Staaten und das in Teil III dieses Plans festgelegte besondere internationale Regime für die Stadt Jerusalem sollen zwei Monate nach dem Abzug der Streitkräfte der Mandatsmacht in Palästina entstehen. (Herv. CH)

Der Zionist und Schriftsteller David Grossmann hat sich im Sommer 2023 für einen jüdischen und demokratischen Staat Israel ausgesprochen (David Grossmann (2024): Frieden ist die einzige Option. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer und Helene Seidler, München: Hanser, S. 27-39).

Er war nach dem Massaker der Hamas und der Palästinenser vom 7. Oktober 2023 fassungslos und fragte:

Ich spreche von der Tiefe des Israelhasses, von der schmerzhaften Einsicht, dass wir Israelis nun wohl auf ewig unter höchster Anspannung und in ständiger Kriegsbereitschaft leben müssen. Ununterbrochen bemüht, Athen und Sparta gleichzeitig zu sein. Immerzu fragend, ob uns jemals ein normales, von Angst und äußerer Bedrohung freies Leben vergönnt sein wird. Ein dauerhaft geborgenes Dasein. In einem behüteten Heim.

(Ebd., S. 47)

Der Staat Israel ist weltpolitisch im August 2025 so isoliert wie vielleicht noch nie in seiner Geschichte seit 1948. Das liegt an der rechtsextremen Politik der Regierung von Benjamin Netanyahu.

Ja, es gibt unglaublich viele Antisemit*innen, die am 7. Oktober jubelten und schon im Oktober 2023 „Genozid“ geschrien haben – und damit nicht das in der Tat genozidale Massaker der Hamas meinten, sondern Israel, noch bevor sich der Judenstaat zu wehren begann. Das sind jene, die am 7. Oktober stolz mit ihren Blut beschmierten Palästinensertüchern durch Heidelberg, Frankfurt, Duisburg, Berlin-Neukölln oder Berlin-Kreuzberg, Mannheim oder Heilbronn liefen. Das ist ein gefährliches und zu Gewalt bereites Antisemitenpack, schlichtweg.

Aber das darf Zionist*innen nicht abhalten, weiter kritisch und selber zu denken. Sie sollten endlich aufhören, nachzubeten, was die rechtsextreme israelische Regierung oder deren deutsche Sprachrohre sagen.

Man kann viel sinnvolle und zionistische Kritik an Israel im Jewish Forward, der Haaretz, in der Times of Israel und anderen Medien finden und man sollte vor allem immer eines tun: selber denken.

Wissenschaft ist immer noch das höchste Gut, das wir haben – und nicht Aktivismus, so wichtig der hie und da auch ist.

Der Herausgeber der Times of Israel David Horovitz schreibt am 30. Juli 2025:

Wird der Premierminister verspätet die am wenigsten schlechte der miserablen Optionen zur Beendigung des Krieges wählen – ein Abkommen, um alle möglichen Geiseln zurückzuholen, und die Bereitschaft, einen von den USA geführten internationalen und regionalen Mechanismus zum Aufbau eines nicht mehr gefährlichen Gazastreifens zu schaffen – zum Preis einer streng überwachten Rolle für die zutiefst problematische PA, aber ohne Rolle für eine entwaffnete, abgelöste Hamas? Ein solcher Schritt würde auch den globalen diplomatischen und potenziellen wirtschaftlichen Druck für eine palästinensische Staatlichkeit verringern, die die Hamas belohnen und Israel erneut bedrohen würde.

Oder ist er, der bereits Israels Justiz und demokratischen Charakter attackiert, entschlossen, eine unhaltbare, langfristig nicht tragbare Besetzung des Gazastreifens zu initiieren, die Israels Isolation vertiefen und es zu einem erweiterten Staat mit schwindendem jüdischen Anteil machen würde – was das vollständige Scheitern der jüdisch-demokratischen zionistischen Vision bedeuten würde?

Gleichzeitig verurteilen im Juli 2025 auf einer Konferenz in New York City, die von Frankreich und Saudi-Arabien initiiert wurde, arabische Staaten wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Jordanien und andere den Terror der Hamas vom 7. Oktober, fordern ein Ende der Hamas – und Übergabe der Waffen etc. an die Palästinensische Autonomiebehörde – und erkennen den jüdischen Staat Israel an und fordern eine Zweistaatenlösung. Gerade jetzt!

Das ist eine ungeheuerliche Ungleichzeitigkeit – Israel begeht die wohl schlimmsten Verbrechen in seiner Geschichte – als völlig aus dem Ruder gelaufene Reaktion auf das schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah durch Palästinenser, die Hamas und dem Islamischen Dschihad am 7. Oktober 2023 – und die arabischen Staaten erkennen den einzigen Judenstaat endlich an und fordern: Frieden. Zwei Völker, zwei Staaten.

Update, 4. August 2025:

Der Fellow bei der Foundation for the Defense of Democracies Hussain Abdul-Hussain schreibt in einem Blog-Text für die Times of Israel, dass diese Initiative allerdings auf der UN-Resolution 194 vom 11. Dezember 1948 basiert, die ein „Rückkehrrecht“ für palästinensische und jüdische Flüchtlinge vorsieht. Es ist natürlich eine absurde Resolution, da sie den jüdischen Charakter Israels in Frage stellt, damals wie heute. Wobei die damals ca. 700.000 vertriebenen und auch aus eigenen Stücken gegangenen Araber sich heute auf ca. 5,9 Millionen vermehrt haben. Das Absurde ist, dass sich dieser Flüchtlingsstatus vererbt, was natürlich völkerrechtlich höchst zweifelhaft ist – da nahe alle heute lebenden Palästinenser nach 1948 geboren wurden und gar nicht vertrieben wurden. Wie Hussain Abdul-Hussain festhält, haben 5 Millionen der heute 5,9 Mio. behaupteten palästinensischen „Flüchtlinge“ eine andere Staatsangehörigkeit, z.B. deutsch, niederländisch, amerikanisch. Die Einfügung dieses Passus in das 30-seitige Dokument ist insofern für Israel nicht tragbar:

14. We urged rnernber States, the United Nations, its agencies, international organizations to provide resources and assistance at scale to support recovery and reconstruction, including through a dedicated reconstruction international Trust Fund to that airn. We underlined the indispensable role of UNR W A, and expressed our cornrnitrnent to continue supporting, including through the appropriate funding, the agency in the irnplernentation of its rnandate and welcorned its cornrnitrnent and ongoing efforts to irnplernent the recornrnendations of the Colonna report. Upon the achievernent of a just solution to the Palestinian refugee issue to be agreed upon in accordance with U.N. General Assernbly Resolution 194, UNRWA will hand over its public-like services in the Palestinian territory to ernpowered and prepared Palestinian institutions.

Von daher ist es auch so wichtig, von Israel als jüdischer Staat zu sprechen – genau genommen jüdisch und demokratisch, was in der Tat in Frage steht aufgrund der rechtsextremen Politik von Netanyahu seit vielen Jahren – und nicht nur von Israel. Denn Palästinenser würden gegebenenfalls ein Israel, das kein jüdischer, sondern ein binationaler Staat mit einer potenziell arabischen Mehrheit wäre, auch leichter anerkennen.

Dass eine Anerkennung eines Staates Palästina am Ende des Friedenssprozesses stehen sollte, war lange Jahre Konsens. Jetzt erodiert das – Frankreich wird Palästina anerkennen, vermutlich auch UK und Kanada, was die FAZ auf die Palme bringt.

Doch was, wenn gerade die arabischen Staaten die Hamas ausschalten wollen, diplomatisch?

Man hätte doch, wenn der Judenhass so groß ist in der arabischen Welt, erwarten müssen, dass die arabischen Staaten sich jetzt so stark gegen Israel wenden wie selten zuvor.

Aber was tun sie? Sie bieten Frieden an – WENN, ja nur wenn Israel eine Zweistaatenlösung akzeptiert – was wie gesagt mit der UN-Resolution 194, die Israel zwar taktisch unterschrieben hat, aber nicht umsetzen wird und kann, niemals gehen wird. Es gibt kein Rückkehrrecht für Palästinenser, die überhaupt nicht vertrieben wurden und selbst jene, die vertrieben wurden, haben kein solches Recht – denn dann hätten völkerrechtlich gesehen auch über 12 Millionen Deutsche direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ein Rückkehrrecht nach Pommern, Schlesien etc. bekommen müssen, was sie natürlich nicht bekamen. Sie haben einen Krieg verloren – so wie die Araber 1948 den Krieg gegen Israel verloren haben.

Das heißt: Ende der Siedlungen im Westjordanland und jene, die dort sind, können Teil eines Staates Palästina werden, womit auch die Palästinenser lernen könnten – wie die Juden in Israel -, was es heißt, mit einer ca. 20-prozentigen nationalen Minderheit im Staat zu leben. Völlig unrealistisch, in der Tat. Aber in Israel klappt es seit 1948 …..

Wenn das hier und heute nicht ein historischer Moment ist, was dann?

Schlechter als Israel kann man eine solche Mega-Krise gar nicht kommunizieren.

Warum lässt Israel keine Journalist*innen aus Gaza berichten? Weil niemand sehen soll, was dort passiert, ganz einfach. Würde Israel sich an das Kriegsrecht halten, müsste es keine Angst vor unabhängigem Journalismus haben. Dass es viele böswillige und antisemitische Journalist*innen gibt – klar. Aber es könnten ja auch die zionistischen und trotzdem unabhängigen Journalist*innen berichten und Fake News korrigieren etc. pp.

Doch Netanyahu wird alles tun – alles – um den Krieg weiter zu verlängern, an der Macht zu bleiben, die Besatzung im Westjordanland auszubauen und die Siedlergewalt offensiv zuzulassen und Pläne für die völlige Zerstörung Gazas zu forcieren, inklusive der Hungerpolitik gegenüber Gaza – ein Bruch mit dem Völkerrecht und dem Kriegsrecht.

In den USA schwindet der Rückhalt für Israel dramatisch.

Der bekannte, junge, zionistische Journalist und Senator Jon Ossoff aus dem US-Bundesstaat Georgia hat sich vor wenigen Tagen gegen bestimmte Waffenlieferungen wie Gewehre an Israel ausgesprochen („Erstmals Mehrheit von Linksliberalen im US-Senat für Blockade von Waffenlieferungen an Israel„), zugleich aber grundsätzlich betont, dass Israel Waffen braucht, um sich vor Angriffen zu schützen – aber er will keine Waffen an den Fascho Ben Gvir schicken lassen, der Oberster Polizeichef in Israel ist.

Wenn jetzt Deutschland und Jordanien Hilfsgüter über Gaza mit Flugzeugen und Hubschraubern via Fallschirmen abwerfen – ist das ein Katastrophe für Israel. Zwar sind die geringen Mengen an Nahrung oder Medizin, die auf diese Weise in den Gazastreifen gelangen, wirklich nur symbolisch – aber noch symbolischer ist es, dass eine Demokratie, die Israel ja auf dem Papier ist, eine ganze Bevölkerung aushungert und andere Länder mit solchen Maßnahmen helfen müssen, was gerade von engen Freunden wie Deutschland bemerkenswert ist.

Das brachte die bekannte Fernsehmoderatorin Yonit Levi von Channel 12 dazu, von einem „moralischen Versagen“ Israels zu sprechen  – live im TV – und nicht nur von einem „Versagen der PR-Kampagne“. Dafür wird sie von rechten Medien und Hetzern aller Art unter anderem als „Sprecherin der Hamas“ diffamiert, wie die Haaretz berichtet. Yonit Levi betreibt auch den Podcast Unholy mit dem Guardian-Kolumnisten Jonathan Freedland, der meist die liberal-zionistische Position vertritt, während sie immer eher mainstreamiger und angepasster redet und wirkt. Das hat sich jetzt etwas geändert, wie auch die Haaretz festhält.

Der Professor für Jüdische Studien an der University of California Los Angeles David N. Myers, der auch viel zu Zionismus und zu Antisemitismus forscht, schreibt am 31. Juli 2025 – und das, was er meint, kann man sicher auch säkular übersetzen und man kann Solidarität mit den Palästinensern haben ohne gleich einen „Gottesdienst“ mitzumachen, das ist eh klar:

Tisha B’Av [dieser jüdische Feiertag beginnt am heutigen Samstagabend, CH] erinnert in der Regel an eine Reihe von Katastrophen, die das jüdische Volk heimgesucht haben, beginnend mit der Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels in der Antike. Letztes Jahr wurde an Tisha B’Av das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 in die lange Kette jüdischen Leidens aufgenommen, und es wurden neue Kinot, poetische Klagelieder, verfasst, um den unerträglichen Schmerz dieses Tages zum Ausdruck zu bringen.

Aber dieses Jahr ist es anders. Die Juden sind nicht die Opfer. Wir sind die Täter.

(…)

Zunächst müssen wir die palästinensischen Opfer dieser schrecklichen Gewalt beim Namen nennen, sie menschlich machen und bei jeder Gelegenheit laut für ihr Wohlergehen beten, genauso wie wir für die Rückkehr der israelischen Geiseln beten, die noch immer in Gaza festgehalten werden.

Zweitens müssen wir neue liturgische Formen in unsere Gottesdienste integrieren, die nicht nur die verzweifelte Lage der Palästinenser in Gaza zum Ausdruck bringen, sondern auch ihre grundlegende Menschlichkeit. Dabei sollten wir der Bitte eines der bedeutendsten Dichter aus Gaza, Refaat Alareer, Folge leisten, der prophetisch schrieb, bevor er bei einem israelischen Luftangriff ums Leben kam: „Wenn ich sterben muss, lebe du, um meine Geschichte zu erzählen.“

Dany Bahar läutet die Alarmglocke – doch wer wird sie hören? Die schweigenden ach-so-dermaßen-unbedingt-pro-israelischen Aktivist*innen und Publizist*innen hierzulande? In USA sind sie da hellhöriger und kritischer:

Für viele von uns haben die Argumente, mit denen wir Israel lange Zeit erklärt, verteidigt und uns mit ihm solidarisiert haben, angesichts der glaubwürdigen Berichte über die aktuellen Ereignisse vor Ort keine Gültigkeit mehr.

Israel sollte alarmiert sein, wenn die schweigende Mehrheit der Juden in der Diaspora – viele von ihnen „besorgte, engagierte Zionisten“ –, die ihm mit Liebe und Kampfgeist zur Seite gestanden haben, beginnt, sich abzuwenden. Und es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist.

Es ist antisemitisch, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Das tut die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“. Man sieht das auch auf T-Shirts oder Postern antizionistisch-antisemitischer Gruppen und Aktivist*innen, da die Landkarte dort nur ein Land kennt: Palästina, womit Gaza, die Westbank und Israel gemeint sind. Jetzt hat ein Richter des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin eine Aktivistin freigesprochen, die diesen Vernichtungsslogan gegen den einzigen Judenstaat hinausschrie und sich auch dazu bekennt. Der Richter hat „Hochachtung“ vor dem Engagement der Täterin, die Staatsanwaltschaft ist konsterniert und legt erstmal ein „unbestimmes Rechtsmittel“ gegen den Freispruch ein.

Das macht natürlich in der Pro-Israel Szene seine Runde, zu Recht. Aber dafür schweigen die meisten dieser Aktivist*innen zur rechtsextremen und Hungerpolitik von Netanyahu, der israelischen Regierung wie der israelischen Armee IDF.

Daher eine weitere jüdisch-zionistische Stimme aus dem Forward, der Kolumnist Sruli Fruchter schreibt am 25. Juli 2025:

Rabbi Abraham Isaac Kook, der geistige Großvater des religiösen Zionismus, verurteilte Nationalismus oft als eine Form von unmoralischem Chauvinismus, der zwangsläufig in Brutalität enden würde. Was den jüdischen Nationalismus seiner Meinung nach von anderen unterschied, war, wie Rabbi Yoel Ben-Nun einmal schrieb, sein Engagement für die Menschheit „als Paradigma für Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit und Gesetz für alle Völker“.

Man braucht nur einen Blick auf die Fotos und Videos aus Gaza zu werfen, um das dortige Grauen zu sehen – ausgemergelte Kinder, hungernde Mütter, zerstörte Hoffnung – und zu erkennen, wie sehr Israel versagt. Der größte Verrat besteht darin, diese Hungersnot weitergehen zu lassen, anstatt zuzugeben, dass sie stattfindet.

Für unabsehbar lange Zeit werden Bilder von Hungernden jetzt mit Israel assoziiert. Ein unfassbarer Vorgang, an dem Israel Schuld trägt und niemand sonst – es ist die Besatzungsmacht und könnte unendlich viele LKWs in den Gazastreifen lassen, damit die Hamas gar nicht hinterherkäme, die zu plündern und der Preis auf dem Schwarzmarkt würde ins Bodenlose fallen. Doch das will Israel absichtlich nicht. Sie wollen Hunger verbreiten. Und das muss aufhören – der Schaden ist ohnehin auf Jahre und Jahrzehnte angerichtet. Hungernde Kinder und Israel ist Schuld – das bleibt in Milliarden Köpfen jetzt hängen. Gerade auch nicht-antisemitische Menschen können einen solchen Staat nicht mehr bedingungslos unterstützen, das sagen alle hier zitierten Autorinnen und Autoren.

Denn schließlich sagt der berühmteste von ihnen, der oben zitierte, zionistische, preisgekrönte und in über einem Dutzend Sprachen übersetzte israelische Schriftsteller David Grossmann am 1. August 2025 Folgendes:

Der preisgekrönte israelische Autor David Grossman bezeichnete am Freitag erstmals die Militäraktion seines Landes im Gazastreifen als „Völkermord“ und erklärte in einem Gespräch mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica, dass er diesen Begriff mit „großem Schmerz und gebrochenem Herzen“ verwende.

Seine Äußerungen erfolgten vor dem Hintergrund wachsender weltweiter Besorgnis und Empörung über die weit verbreitete Hungersnot in dem vom Krieg zerrütteten Gebiet aufgrund unzureichender Lebensmittelversorgung.

„Viele Jahre lang habe ich mich geweigert, den Begriff ‚Völkermord‘ zu verwenden“, sagte der bekannte Schriftsteller und Friedensaktivist der Zeitung. „Aber jetzt, nachdem ich die Bilder gesehen und mit Menschen gesprochen habe, die dort waren, kann ich nicht anders, als ihn zu verwenden.“

Sicher wird der Großteil der deutschen Oberlehrer*innen, die in der Pro-Israel Szene aktiv sind, David Grossmann als Israelfeind, Antizionist oder Antisemit diffamieren. Weil eigentlich, wenn wir mal ehrlich sind, niemand so gut weiß, was für Juden wirklich gut ist, als (nicht-jüdische) Deutsche aus der Pro-Israel Szene.

Sapere aude.

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