The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Monat: September 2015

IAEA: Verspieltes Vertrauen

Kommentar von Thomas Weidauer, Policy Analyst (BICSA)

 

Vor einer Woche besuchte Yukiya Amano, seit 2009 Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die Islamische Republik Iran und »inspizierte« dort »die umstrittene Militäranlage Parchin«. Von seiner Reise brachte der Diplomat Proben mit, von deren Untersuchung seine Behörde sich Aufschluß über den Charakter des iranischen Atomprogramms erhofft.

 

Die IAEA soll nach dem am 14. Juli in Wien vorgestellten Abkommen zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats sowie Deutschland (E5+1) und der Islamischen Republik Teheran bis Mitte Dezember eine vertrauensstiftende Zusammenarbeit bescheinigen, damit ab Jahresbeginn gegen das Regime verhängte Sanktionen ausgesetzt oder aufgehoben werden können.

 

Nach seiner Rückkehr aus der Islamischen Republik zeigte Yukiya Amano sich insbesondere zufrieden über die Umstände, unter denen die Proben aus Parchin gewonnen worden seien, verzichtete aber auf nähere Angaben. Das übernahm die iranische Atombehörde, deren Sprecher Behruz Kamalvandi betonte, die IAEA sei an der Probenentnahme gar nicht beteiligt gewesen.

 

Die iranische Seite bestätigte damit, was Kritiker des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) befürchtet hatten: Das als beispiellos angekündigte Kontrollregime, das auf Mißtrauen basiere, baut tatsächlich bisher ganz auf Vertrauen in das Mullah-Regime. Und Yukiya Amano hat jetzt erneut bekräftigt, daß seine Behörde keinen Anlaß sehe, der iranischen Selbstkontrolle nicht zu trauen.

»We are very sure that the integrity of the (sampling) process is assured.«

Erneut allerdings behielt der IAEA-Chef Details für sich und wollte auch der iranischen Behörde nicht widersprechen. Wo nur Transparenz überhaupt Ansätze für Vertrauen schaffen könnte, wird auf diese Weise die IAEA selbst als Kontrollinstanz immer unglaubwürdiger. Das indes ist angesichts der Möglichkeiten der Technologie, um die es geht, schlicht unverzeihlich.

Recipe for Desaster: Die falsche Zeichensetzung der Vereinten Nationen

Von Thomas Weidauer, Policy Analyst (BICSA)

 

Am Donnerstag hat sich, so jedenfalls deutsche Medien, der UN-Sicherheitsrat »zutiefst besorgt« über »Auseinandersetzungen auf dem Jerusalemer Tempelberg« geäußert und »zu Ruhe und Zurückhaltung aufgerufen«. Doch wie so oft ist das, wenn überhaupt, nur eine grobe Annäherung an die Realität, in der das höchste UN-Gremium sich tatsächlich beschämend parteiisch verhält.

 

So ist in der Stellungnahme des Sicherheitsrats eben gerade nicht vom Tempelberg die Rede, sondern ausschließlich von »Haram Al-Sharif«, womit er, wie der scheidende israelische UN-Botschafter Ron Prosor kritisiert, auch nur das Recht von Muslimen anerkenne, auf dem Gelände präsent zu sein und zu beten, während der jüdische Bezug zum Tempelberg ignoriert werde.

 

Heißt es im Statement des Sicherheitsrats, der »historische Status von Haram Al-Sharif« müsse »in Wort und Tat« gewahrt werden, so liegt der Schluß in der Tat nicht allzu fern, die Vereinten Nationen leugneten die hohe Bedeutung des Tempelbergs für das Judentum und würdigten damit eine gegenwärtig vor allem noch in und von Ramallah aus verbreitete Ansicht.

 

Vor diesem Hintergrund gewinnt ein zweiter Kritikpunkt Ron Prosors an Bedeutung: Er wirft dem UN-Sicherheitsrat Blindheit gegenüber palästinensischer Gewalt vor, eine durchaus komplizenhafte Ignoranz der Rolle, die die von Palästinenserpräsident Abu Mazen geführte Autonomiebehörde (PA) in dem andauernden Konflikt spielt, auf die auch Palestinian Media Watch hinweist.

 

Danach ist es die palästinensische Führung, die immer wieder Öl ins Feuer gießt, indem sie etwa das Werfen von Steinen als Form »friedlichen Protests« propagiert. Mit Steinen hatten auch die seit Beginn des neuen Jahres anhaltenden »Proteste« junger Palästinenser begonnen, die den Tempelberg zum Ausgangspunkt ihrer Angriffe auf Zivilisten und Sicherheitskräfte machten.

 

In ihrem Tun nicht zuletzt durch die amtlichen Medien Ramallahs angefeuert und unterstützt durch Solidaritätserklärungen arabischer und islamischer Despoten, halten die Gewalttäter die israelischen Sicherheitskräfte seit Tagen in Atem, die für den Freitag mit einem von verschiedenen palästinensischen Gruppierungen angekündigten »Tag des Zorns« eine weitere Eskalation erwarten.

 

Neben der Entweihung einer angeblich heiligen Stätte durch den arabisch-palästinensischen Mob sind bisher mehrere Verletzte zu beklagen und ein Toter. In der Nacht auf Montag attackierten Palästinenser den Wagen des 65jährigen Alexander Levlovich mit Steinen, der darauf die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und eine Laterne rammte. Später erlag er seinen Verletzungen.

 

Wendet der UN-Sicherheitsrat sich scheinbar äquidistant nun an »alle Seiten« und fordert sie auf, die »Ruhe wiederherzustellen« und die »Heiligkeit von Haram Al-Sharif zu respektieren«, verkennt er, von welcher Seite die Gewalt ausgeht und welche Seite in der Tat bemüht ist, die Würde einer heiligen Stätte ebenso zu achten wie einigermaßen friedliche Verhältnisse zu organisieren.

 

Dabei wäre eine Positionierung des UN-Sicherheitsrats, die in Ramallah als Verwarnung verstanden werden könnte, überfällig. Das Regime um Abu Mazen erwägt, die Osloer Verträge einseitig aufzukündigen und so einen ohnehin bestenfalls stagnierenden »Friedensprozeß« zu beenden, während der UN-Vollversammlung will der Palästinenserpräsident »eine Bombe platzen lassen«.

 

Reist er dafür Ende des Monats nach New York, wird ihn dort die Flagge seiner PLO erwarten, feierlich gehißt neben den Fahnen der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Mit ihrer Zustimmung zu einem entsprechenden Antrag der Palästinenser wollten bei 8 Gegenstimmen neben Frankreich 118 weitere UN-Mitglieder »ein starkes Zeichen« setzen, »ein Zeichen der Hoffnung«.

 

Worauf aber hoffen Steinewerfer, worauf eine Führung, die sie aufhetzt? Das wohlwollende Entgegenkommen, als das man die Entscheidung einer großen Mehrheit der UN-Vollversammlung für ihre Flagge sicherlich sehen kann, hat die Palästinenser jedenfalls nur zu mehr Gewalt angespornt. Mit seiner jüngsten Stellungnahme wiederholte der UN-Sicherheitsrat diesen Fehler.

»Sieg der Diplomatie«: US-Kongreß kann Wiener Abkommen nicht blockieren

Von Thomas Weidauer, Policy Analyst (BICSA)

 

Während das Repräsentantenhaus am Donnerstag mit 245 gegen 186 Stimmen in einer Resolution zum Iran Nuclear Agreement Review Act festschrieb, die Regierung Barack Hussein Obamas habe die Volksvertreter gesetzeswidrig nur unzureichend über Einzelheiten zum Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) informiert, scheiterte im Senat ein erster Versuch seiner Ablehnung.

 

Zwar erhielt ein republikanischer Gesetzentwurf, der das Abkommen mit der Islamischen Republik Iran vom 14. Juli 2015 ablehnt, mit 58 zu 42 Stimmen die Unterstützung einer Mehrheit der Senatoren im US-Kongreß, es hätten jedoch 60 von ihnen für das Gesetz stimmen müssen, um es voranzubringen. Dem Präsidenten bleibt damit die Blamage eines Vetos erspart.

 

Der Kongreß kann zwar noch bis zum 17. September über das Abkommen von Wien beraten und theoretisch eine Ablehnung beschließen, sehr wahrscheinlich ist das aber nicht. Und auch die Resolution 411 mit ihrer Formulierung, die sechzigtägige Frist zur Prüfung des Deals durch den Kongreß habe wegen fehlender Informationen noch gar nicht begonnen, ist zunächst nur Theorie.

 

Ohnehin hätte eine Ablehnung des JCPOA durch den Kongreß wohl selbst dann nur eine begrenzte Wirkung, würde sie doch noch durch Barack Hussein Obama unterstützt werden. Weitere Vertragsparteien, darunter das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland, treten allzu offensiv für den Vertrag mit Teheran ein oder handeln bereits so, als sei er dort schon ratifiziert.

 

»Allein am Montag waren neben der österreichischen Delegation noch zwei weitere aus Tschechien und Spanien in Teheran – jeweils mit Außen- und Wirtschaftsminister sowie dutzenden Firmenvertretern. Irans Präsident Hassan Rouhani kann sich der Einladungen kaum erwehren, er könnte Berlin, Rom, Paris und London gleichzeitig besuchen.«

 

Bedenken, auch solche, die nicht im Zusammenhang mit den Problemen des JCPOA stehen, werden in der Euphorie über den »Sieg der Diplomatie« vergessen oder, wahrscheinlicher, bewußt ignoriert: die Menschenrechtslage in der Theokratie, die Unterstützung Teherans für Hisbollah und Hamas in deren Kampf gegen Israel oder für Bashar al-Assads Krieg gegen die syrische Bevölkerung.

 

Sorgt die iranisch-syrische Kooperation auch dafür, daß Menschen sich entweder islamistischen Terroristen anschließen oder mit ihrer Flucht nach Europa dort nicht nur Begeisterung auslösen, erklärt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Berliner Reichstag allen Ernstes, »eigentlich schafft das Abkommen mit dem Iran hier auch eine Chance.«

 

Und während der Sozialdemokrat das sprach, tobte mit Ayatollah Seyyed Ali Khamenei sich das politische und religiöse Oberhaupt des Regimes in Teheran via Twitter-Account aus: Weder werde es eine Annäherung an die USA geben noch Verhandlungen über Syrien. Und für Israel sehe er keine Zukunft, schon in 25 Jahren werde das »zionistische Regime« nicht mehr existieren.

 

Mit dem Wiener Abkommen wird genau diese Politik unterstützt, dieser Politikstil. Sanktionen werden aufgehoben, bisher eingefrorene Gelder in die iranische Hauptstadt fließen. Dieses Regime wird de facto ein Veto-Recht bei Inspektionen haben, manche – besonders in Parchin – wird es sogar selbst durchführen. Es behält eine atomare Infrastruktur, die es zudem ausbauen darf.

 

Präsident Barack Hussein Obama nannte die für ihn tatsächlich wenig schmeichelhaften Ergebnisse der Abstimmungen im Kongreß einen »Sieg der Diplomatie«, David Cameron, Francois Hollande und Angela Merkel belehren die Regierung in Jerusalem in der Washington Post, israelische Sicherheitsinteressen seien in ihren Händen besser aufgehoben als eben dort. Verkehrte Welt.

Hegemonieverschiebung des Antisemitismus in Spanien

Von Dr. Benno Herzog, Institut für Soziologie und Sozialanthropologie der Universität Valencia (Spanien)

Dr. Benno Herzog

www.uv.es/herben

@bennoherzog

 

Die Ereignisse um die Ein-, Aus- und Wiedereinladung des amerikanischen Juden Matisyahu zeigen ein tiefes Problem Spaniens und besonders der spanischen Linken mit dem Antisemitismus. Ein Problem, das sich durch die Kommunal- und Regionalwahlen im Mai diesen Jahres und die Parlamentswahlen am Ende des Jahres wohl noch verschärfen wird.

Am 28. Juli eröffnete der amerikanisch-jüdische Sänger Matisyahu die European Maccabi Games 2015 in Berlin. Am 25. August sang der Rapper und Reggae-Künstler in einer Synagoge vor Auschwitz und am 31. August im Rahmen des Jewish Culture Day der Heinrich Böll Stiftung in Berlin. Die Konzerte sind Ausdruck der Bemühungen, jüdischem Leben, jüdischer Kultur wieder einen Platz in Europa zu geben. Doch diese Bemühung wird nicht von allen geteilt wie die Vorgänge um das Konzert bei Europas größtem Reggae-Festival, dem Rototom Sunsplash im spanischen Benicàssim in der Nähe von Valencia, zeigten.

Matisyahu singt das Lied „Jerusalem“ auf dem Festival in Valencia

Was war geschehen? Die lokale BDS-Gruppe (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel) hatte gegen den Auftritt des Sängers mobil gemacht, der, obwohl selbst kein Israeli, so doch nach eigenem Bekunden ein „Freund Israels“ sei. Vor allem über soziale Netzwerke machte die Gruppe Druck auf andere Teilnehmer und erreichte schließlich, dass die Festivalleitung von Matisyahu als einzigem von 250 Künstlern ein klares Bekenntnis zu einem palästinensischen Staat verlangte. Nachdem Matisyahu auf diese Aufforderung nicht reagierte, wurde er ausgeladen. Erst jetzt reagierten Politiker, jüdische Verbände, Massenmedien und andere Gruppierungen wie die Vereinigung der Roma in Spanien mit einer scharfen Ablehnung dieses antisemitischen Angriffs. Auch die deutschsprachige Presse berichtete relativ ausführlich, wie z.B. der Tagesspiegel, die Frankfurter Rundschau oder auch die Jungle World. Nach breiten Protesten entschuldigte sich die Festivalleitung bei Matisyahu, lud ihn wieder ein und er durfte wie geplant am Abschlussabend auftreten. Einige Palästinafahnen, Pfiffe und Mittelfinger begleiteten sein Konzert.

Die Vorgänge um den Künstler sind leider nicht nur eine isolierte Anekdote, sondern symptomatisch für weite Teile der spanischen Gesellschaft, deren Antisemitismus hegemonial zu werden droht. In Spanien ist der sekundäre Antisemitismus, also derjenige welcher den Juden Auschwitz nicht verzeiht und ihnen im Gegenteil vorwirft, aus dem Holocaust nur Profit ziehen zu wollen, relativ gering ausgeprägt. Gleiches gilt für den islamischen Antisemitismus. Doch sowohl im rechtskonservativen als auch im linken Spektrum sind Ressentiments gegen Juden weit verbreitet.

Auf der rechten Seite mischt sich der nationalistische und rassistische Antisemitismus mit dem tief sitzenden und nie wirklich aufgearbeiteten katholischen Antijudaismus. Ignoranz und Unkenntnis gepaart mit einer Sozialisation durch den Franquismus, welcher im Juden das Gegenbild zum Nationalkatholizismus sah, sorgen hier dafür, dass Blutgerüchte über die Juden unhinterfragt weitergetragen werden können. So geschehen zum Beispiel an Ostern 2014, als die rechtskonservative Tageszeitung ABC von jüdischen Ritualmorden im Mittelalter berichtete, oder als die öffentlich-rechtliche Radioanstalt im Sommer 2015 ein Programm sendete, in welchem die Juden als Anbeter Satans beschrieben wurden. Natürlich muss man schon recht naiv sein um zu glauben, dass es solche abstrusen Positionen in einer pluralen Gesellschaft nicht gäbe, aber dass es bei renommierten Medien niemandem aufgefallen ist, welch gefährliche und haarsträubende Lügen hier veröffentlicht wurden, zeigt die Akzeptanz antijüdischer Vorurteile in weiten Kreisen der spanischen Gesellschaft.

Dieser rechtskonservative Antijudaismus ist zwar weit verbreitet, aber besitzt keine politische Hegemonie. So wurden beide erwähnten Beiträge nach entsprechenden Protesten schnell zurückgezogen. Auch zählt die spanische Beobachtungsstelle Antisemitismus eine Vielzahl von rechten antisemitischen Schmierereien, Tweets und Kommentaren, doch bewegen diese sich glücklicherweise im Abseits des öffentlichen gesellschaftlichen Konsenses.

Ganz anders sieht die Situation beim Antisemitismus von links aus, welcher in der Regel, wie im Falle der Kampagne gegen Matisyahu, als Antizionismus auftritt und stets bestreitet antisemitisch zu sein. Diese Form, welche von der enormen Macht der jüdischen, israelischen oder zionistischen Lobby ausgeht, arbeitet in der Regel mit doppelten Standards, deslegitimiert die Existenz Israels und dämonisiert das Verhalten des jüdischen Staates bei gleichzeitigem Stillschweigen über islamischen und antisemitischen Terror. Dieser Antisemitismus wird offen in breiten, linken Kreisen, von der Vereinigten Linken über die neue Partei Podemos bis hin zu den Sozialdemokraten der PSOE vertreten sowie in einer Vielzahl von sich antirassistisch und antifaschistisch verstehenden Gruppen.

Wenn es aus diesem Spektrum zu antisemitischen Ausfällen kommt wie im Falle der Boykottkampagne gegen Matisyahu, dann werden diese bei Protest eben nicht zurückgezogen. Das Verhaltensmuster der BDS-Gruppe und deren Anhänger kann dabei als typisch angesehen werden. Die Kritik an der Boykottkampagne zeige lediglich, wie sich zionistische Lobby und Machteliten verbündeten. Jegliche Kritik an der israelischen Politik werde gleich als Antisemitismus abgestempelt. Und im Übrigen sei man antizionistisch und nicht antisemitisch, wobei man letzteres schon deshalb nicht sein könne, weil die Palästinenser ja auch Semiten seien und man sich doch als pro-palästinensisch verstehe.

Der ehemalige sozialistische Präsident Spaniens, Zapatero, der sich auch schon mal mit Palästinenserschal fotografieren ließ, brachte die Einschätzung vieler Linken vor einiger Zeit auf den Punkt: „Es gibt keinen Antisemitismus in Spanien […] Antisemitismus, das war die Franco-Diktatur.“ Die spanische Linke ist so sehr damit beschäftigt mit dem Finger nach rechts zu zeigen, dass sie es komplett versäumt, eine differenzierte Haltung zu Israel zu entwickeln und sich von antisemitischer Rhetorik in den eigenen Reihen zu distanzieren. Die Rede von den zwei Spanien, dem rechten und dem linken, zwischen denen eine tiefe ideologische Kluft liegt, hilft, dieses Phänomen zu erklären. Zu klar steht der Feind gerade für die Linken in den Reihen der anderen, zu erbittert wird der (notwendige) Streit um die Aufarbeitung der spanischen Vergangenheit geführt, um den Gedanken zulassen zu können das eine Selbstkritik etwas anderes sein könnte als ein Verrat an der Sache.

Das neue Selbstbewusstsein der Linken durch den Wahlerfolg bei Kommunal- und Regionalwahlen im Mai dieses Jahres und wahrscheinlich auch bei den Parlamentswahlen Ende 2015, könnte dazu beitragen das dieser antizionistische Antisemitismus noch stärker und offener vertreten wird als bisher. Es gibt kaum eine öffentliche Instanz, die dieser Hegemonieverschiebung etwas entgegenzusetzen hätte. Eine Linke ohne Antizionismus ist derzeit in Spanien schwer vorstellbar.

Aufgrund dieser Polarisierung hat es bei der Auseinandersetzung um Matisyahu auch keinen Sieger geben können. Die Einschätzung von Alex Feuerherdt, wonach die BDS-Kampagne mit dem offensichtlichen Antisemitismus ein Eigentor geschossen hätte, da nun ihre üblen Methoden und Ziele deutlicher geworden wären, teile ich ausdrücklich nicht. Sehr wohl mag es von außen nach einer großen Blamage des BDS ausgesehen haben. Die Kritik von Seiten der nationalen und internationalen Medien, die Stellungnahmen aus der spanischen, amerikanischen und israelischen Politik, die Wortmeldungen internationaler Verbände haben den Boykottaufruf als antisemitisch motivierte Untat aufgezeigt. Das Festival hat schließlich Matisyahu wieder eingeladen, womit gezeigt wurde, dass es möglich ist, dieser Art Hetzkampagnen etwas entgegenzusetzen.

In Spanien selbst aber hat sich in den Augen der meisten Linken der BDS jedoch leider überhaupt nicht diskreditiert. Im Gegenteil, die valencianische BDS-Gruppe hat enorme Zustimmung von linken Organisationen, Parteien und Einzelpersonen gerade auch nach der internationalen Schelte erhalten. Sie habe es gewagt, als David gegen den zionistischen Goliath anzutreten. Vor allem aber hat die BDS-Kampagne ihre Position tagelang in den verschiedensten Medien vertreten können. Der Angriff auf Matisyahu war dabei sowieso nur Mittel zum Zweck.

 

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