Von Dr. Clemens Heni, 28. Oktober 2018
Ein Neonazi hat am 27. Oktober 2018 in der Tree of Life Synagoge in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania 11 Menschen massakriert. Er schrie „tötet alle Juden“ und hatte seine Tat bereits vor einigen Wochen im Internet auf dem rechtsextremen Portal „Gab“ unter einen Link zu der jüdischen NGO HIAS, der 1881 gegründeten Hebrew Immigrant Aid Society, angekündigt. Heutzutage kümmert sich HIAS um Flüchtlinge und organisiert derzeit eine Flüchtlingshilfe-Aktion oder „Karawane“. Wie Spiegel Online berichtet ist nun exakt diese jüdische Organisation seit Wochen immer wieder Thema von Donald Trumps Angriffen im Midterm-Wahlkampf in den USA:
„US-Präsident Donald Trump nutzt diese ‚Karawane‘ seit Wochen als polarisierendes Wahlkampfthema und hat die Verschwörungstheorie verbreitet, sie würde vom Milliardär George Soros finanziert, einem Demokraten-Spender – und Juden.“
Am Montag, den 22. Oktober, war eine Briefbombe an George Soros verschickt worden, 13 weitere sollten folgen, allesamt an Kritiker*innen von Trump wie dem Ex-Präsidenten Barack Obama, der Präsidentschaftskandidatin von 2016 Hillary Clinton, dem Fernsehsender CNN und weiteren von Trump täglich aufgebauten Feindbildern. Der Täter ist ein bereits festgenommener Mann aus Florida, ein fanatischer Trumpanhänger, der einen Van hat, der vollgeklebt ist mit Trump-Bildern und Hetze gegen CNN oder andere Trumpkritiker. Trump machte umgehend die Medien mitverantwortlich für ein Klima der Angst und des Hasses, dabei ist niemand anderes als er selbst derjenige, der seit Amtsantritt eine präsidiale Hasswelle durch das Land jagt, die Amerika noch nicht gesehen hat in seiner langen Geschichte.
Trump selbst hat entgegen dem Rat seiner Berater nach dem Massaker in Pittsburgh seine Wahlkampftermine nicht abgesagt, vielmehr lamentiert, er hätte einen „bad hair day“, weil seine Frisur durch Regen in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Der Mann ist eine Mischung aus empathielosem Monster, psychopathologischem Hetzer und faschistoidem Führer. Trump ist die größte selbst produzierte Gefahr für Amerika und die westliche Demokratie aller Zeiten.
Unmittelbar nach dem gestrigen Massaker sagte Trump, hätte die Synagogengemeinde bewaffnete Sicherheitsleute gehabt, wäre es nicht so schlimm ausgegangen. Selbst schuld, ist die Message. Es fehlen einem für eine solch verkommene Person die Worte. Trump ist eine Zeitbombe und seine Anhänger nehmen jetzt die Waffen in die Hand und ermorden Juden, senden Briefbomben an Kritiker*innen Trumps oder, ebenso diese Woche, ermorden gezielt Schwarze.
Die Morde an den Juden in der Synagoge in Pittsburgh gehen auch auf das Konto von Donald Trump, seine Wähler*innen und auch hiesigen Anhänger*innen.
Warum? Der Kern seiner Ideologie wie auch jener der AfD ist der Antisemitismus, das Nicht-Greifbare, der Verschwörungswahnsinn. Ganz konkret ist es die antisemitische Wahnvorstellung, der Jude George Soros würde NGOs dafür bezahlen, dass Flüchtlinge nach Europa oder die USA und den Westen generell kommen würden, damit dort die „nationale Identität“ unterminiert werde.
So agitiert Viktor Orbán, der ungarische Ministerpräsident, und hat im Bundesinnen- und Heimatminister und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer einen engen Freund, auch der CSU-Mann Alexander Dobrindt schätzt Orbán, von der rechtsextremen österreichischen ÖVP/FPÖ-Regierung oder den italienischen Neofaschisten an der Macht nicht zu schweigen.
Und selbst der Grünen-Chef Habeck macht dieses rassistische Spiel mit und spricht mit der Bild-Zeitung über die „Fehler“, die – wer wohl? – Merkel gemacht habe, das Land sei im Herbst 2015 nicht auf den Ansturm der Flüchtlinge vorbereitet gewesen. Als ob das unser Problem wäre, seit 2015, und nicht die Brandanschläge, die unfassbare Hetze, die alle das gleiche ideologische Fundament haben wie Trump: demnach sind die Menschen nicht gleich. Wir haben eine Nazikrise, keine Flüchtlingskrise.
Besonders schockierend sind jene Trumpunterstützer, die jetzt sicher Krokodilstränen weinen und betonen werden, dass sie so ein Massaker an Juden natürlich nicht gut finden und auch nicht wollten. In Wahrheit haben sie alle ihren Anteil daran, dass Trump so hetzen kann, wie er es tut. Entweder beteten sie für ihn wie das Simon Wiesenthal Center bei Trumps Inauguration am 20. Januar 2017, oder sie loben Trump direkt oder indirekt wegen seiner Nahostpolitik.
Seit Jahren arbeite ich für eine seriöse, linkszionistische Israelsolidarität. Das ist ein fast unmögliches Unterfangen, da hierzulande Links-Sein der Inbegriff des Bösen ist und linke Zionisten werden diffamiert oder ignoriert. Das vorab.
Nun: Das zynische Moment der sogenannten „Pro-Israel-Szene“ in Deutschland und Österreich liegt darin, dass sehr viele ihrer Vertreter*innen Trump seit Anbeginn unterstützen und absichtlich so taten und tun, als ob so ein antisemitisches Massaker nicht absehbar war.
Der Germanist Gerhard Scheit hat Trump bejubelt und ihn mit Hegel im Gepäck auf der Seite des Bloggers Alex Feuerherdt sofort nach der Wahl im November 2016 promotet, andere Publizisten wie Autoren des Portals Mena-Watch unterstützen Trump ganz strategisch, so Matthias Küntzel, der sich über Trumps Anti-Iran-Politik freut, Alexander Gruber, der die Israel/Palästina Politik Trumps irgendwie cool findet, Thomas von der Osten-Sacken, der so tut, als sei Trump der wahre Erbe der Anti-Nazi-Koalition vom 8. Mai 1945 (dabei ist Trump in Wahrheit eine Art amerikanischer Nachfolger der Nazis, wenn wir alleine die antisemitische, auf Verschwörungswahnsinn basierende Hetze anschauen), oder Florian Markl mit einer Rabulistik, Trump habe dies oder jenes bezüglich Iran gesagt oder auch nicht, jedenfalls schreibt er mit einer klaren Pro-Trump Tonlage – all diese Beispiele zeigen, dass Trump noch so sexistisch, rassistisch, volksverhetzend und antisemitisch agieren kann, sein Fußvolk steht stramm zu ihm.
Oder nehmen wir das Blog tw24, das Trumps Idee einer Friedenslösung für Nahost, Israel und Palästina irgendwie spannend findet und auf den „Deal des Jahrhunderts“ Trumps wartet. Sie alle rationalisieren die Trumpsche Gewalt tagtäglich, sie loben seine Entscheidung, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, sein Aufkündigen des Atomdeals mit Iran oder seine Kritik an der palästinensischen Flüchtlingsorganisation UNRWA.
Sie suchen sich Rosinen aus dem Kuchen und sehen nicht das Blut der Opfer, das Trump herbeischreit, tagtäglich.
All diese Autoren (hier: alles Männer, aber es gibt ganz sicher auch Frauen, die genauso bescheiden denken) haben ihren Anteil daran, dass Trump nicht jeden Tag seit seinem Amtsantritt als der antisemitische, rassistische und antidemokratische Agitator und Volksverhetzer bezeichnet wird, der er ist.
Ohne Trump hätte es dieses fürchterliche antijüdische Massaker in einer Synagoge in den USA womöglich nicht gegeben. Neonazis, die mit unzähligen Waffen (auf den Mörder von Pittsburgh sind nicht weniger als 21 Schussfeuerwaffen zugelassen) ausgerüstet sind und schon lange vor Trump Juden hassten, hätten vielleicht auch ohne ihn so eine Tat begangen.
Aber die unglaubliche, tagtägliche Hetze Trumps seit dem Wahlkampf und dann nach seiner Wahl im November 2016 hat ein Klima der Angst und der Aufstachelung erzeugt, das es in dieser Form wohl noch nie in den USA gab, jedenfalls nicht in den letzten Jahrzehnten. Jüngst lobte Trump einen republikanischen Politiker, der einen jüdischen Reporter des englischen Guardian k.o. schlug und ihm die Brille zerschmetterte. Das mag Trump.
Trumps Kokettieren mit den Neonazis in Charlottesville 2017 war genau so gemeint: „very fine people among them“. Jetzt hat ein Neonazi Juden in einer Synagoge ermordet, er hat Trumps Hetze gegen Juden Taten folgen lassen.
Und auch das wird die selbst ernannte „Pro-Israel-Szene“ nicht dazu bringen, Trump kategorisch als Feind der Demokratie und der Juden zu sehen. Dass diese selbst ernannten Pro-Israelis kein Problem damit hatten und haben, dass Trump Frauen missbraucht oder rassistisch und behindertenfeindlich agitiert, ist schon skandalös. Aber ab jetzt klebt Blut an jenen, die sich nicht unumwunden gegen den Faschisten Donald S. Trump stellen.
Pittsburgh ist das 1938 Amerikas und des Westens.
Der Autor, Dr. phil. Clemens Heni, ist Politikwissenschaftler, kürzlich erschien sein neues Buch: „Der Komplex Antisemitismus“
©ClemensHeni