Zuerst publiziert bei den Ruhrbaronen
In Verneigung vor Stéphane Charbonnier (Charb), Chefredakteur von Charlie Hebdo, der 2012 sagte:
»Ich habe keine Angst. Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto, keinen Kredit. Es klingt aufgeblasen, aber ich will lieber aufrecht sterben, als auf Knien leben.«
Das jihadistische Massaker an der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 mit 12 Toten, darunter zwei Polizisten, der Mord an einer weiteren Polizistin einen Tag später und die antisemitisch motivierte Geiselnahme und Ermordung von vier Juden in einem jüdischen Supermarkt am 9. Januar, die mit der Aktion vom 7. Januar in Verbindung steht, schreien nach weitreichenden politischen Konsequenzen und einer Analyse der politischen Kultur. Plötzlich sind viele betroffen, nicht nur in Frankreich. Dabei zielt der Jihadismus und Islamismus auf westliche Werte, Religionsfreiheit, Freiheit von Religion, Religionskritik, Meinungsfreiheit, Demokratie, Pluralismus und Heterogenität, Satiriker wie Charlie Hebdo, wie auf Juden und den jüdischen Staat Israel. Doch allzu viele ignorieren die antisemitische Dimension, weil das den allseits beliebten antizionistischen Antisemitismus beinhaltet, den viele partout nicht aufgeben wollen. Auch die Verharmloser des Islamismus melden sich sofort und rabiat zu Wort. Schließlich: wer hatte denn schon Mut die letzten Jahre? Wir haben Angst, sind mutlos und vorsichtig, auch der Autor dieses Textes. Von unserem Gastautor Clemens Heni.
Zum ersten Mal seit 1945 und dem Ende des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs wurde die Große Synagoge in Paris am 9. Januar 2015 aus Angst vor einem antisemitischen Angriff geschlossen, ebenso alle jüdischen Geschäfte im Herzen von Paris, dem Marais-Viertel im dritten und vierten Arrondissement der französischen Hauptstadt. In Amsterdam wird aus Sicherheitsgründen eine proisraelische Demonstration abgesagt.
25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer zeigt sich, dass der „Kalte Krieg“ unmittelbar nach 1945 und bis 1989 eine jedenfalls für Europa relativ harmlose, ja weitgehend friedliche Epoche war. Der brutale, aber berechenbare Terror der Antisemiten wie der Revolutionären Zellen (RZ), der Rote Armee Fraktion (RAF), der das Land teils komplett stilllegte (Deutscher Herbst 1977), Naziterror, die Kämpfe am Bauzaun von AKWs oder Wiederaufbereitungsanlagen von Whyl über Brokdorf nach Wackersdorf, die Angst vor dem Waldsterben oder dem „atomaren Holocaust“ als Folge der Stationierung von Pershing II Raketen und selbst so widerwärtige Vorfälle wie der Besuch des (auch) SS-Soldatenfriedhofs in Bitburg durch US-Präsident Ronald Reagan und Bundeskanzler Helmut Kohl im Mai 1985 waren gar nichts gegen den jihadistischen, antijüdischen und antiwestlichen Krieg, den wir nach 9/11 in Europa erleben – von der dramatischen und von jihadistischem Massenmord geprägten Lage in Syrien, dem Irak, Nigeria, Sudan, Pakistan, Jemen und vielen anderen Staaten und Gegenden ganz zu schweigen.
Das Ende der Blockkonfrontation und die Auflösung der Sowjetunion führten zu einer viel größeren und realen Gefahr: den Islamismus und Jihadismus. Das islamistische Massaker vom 11. September 2001 war ein Fanal.
Für Jihadisten war es das Startsignal für weltweiten jihadistischen Massenmord – nicht nur im Westen – wie wir ihn seither in Bali, Madrid, London sowie in Afghanistan, im Irak, in Syrien oder Nigeria erleben, mit Hunderttausenden Ermordeten, die aus islamistischen Gründen massakriert werden und nicht weil die bösen USA „Lunte“ legen, wie es der zwar pro-israelische, aber den Islamismus völlig derealisierende und antiamerikanisch fanatisierte Herausgeber der linken Monatszeitung Konkret, Hermann L. Gremliza, im Dezember 2014 schrieb. Verschwörungswahnsinnige sahen und sehen Geheimdienste oder andere hinter den Anschlägen. Für viele Linke wie Rechte und die kulturelle Elite evozierte 9/11 Schadenfreude, von Bin-Laden-Drinks schlürfenden Autonomen über Adrienne Goehler und Wolfgang Benz hin zu Klaus Theweleit, Horst Mahler und der PDS.
Islamforscher sahen 9/11 gar als wunderbare Gelegenheit mehr Gelder und Anerkennung für ihr Fach zu bekommen, um Islamismus und Islam zu predigen oder zu unterrichten und nicht die Kritik am Islamismus oder Israelhass zu fördern oder einzufordern.
Die Islamwissenschaftlerin Birgit Krawietz, Professorin am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität (FU) Berlin, schrieb 2008:
„Humor darf nicht zur Missachtung religiöser Kernbestandteile einladen und in Untersagtes oder gar Verbotenes ausarten. Klassisches islamisches Recht kennt ferner die Sanktionierung von Nichtmuslimen im islamischen Reich, welche sich blasphemisch geäußert haben. Die Proteste verunsicherter Muslime gegen Rushdie und Co. knüpfen auch an solche Erwartungen von Respekt an und sind eben kein Ausdruck einer irgendwie gearteten essentiellen Humorferne des Islam.“
Diese „Erwartungen von Respekt“ sind es, die dem Jihad und Terror Tür und Tor öffnen und Islamismus nicht bekämpfen, sondern rationalisieren wollen. Der Verlag Yale University Press weigerte sich in einem Buch die Mohammed-Karikaturen nachzudrucken.
Bernard-Henri Lévy trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er jetzt in Le Monde bzw. im Wall Street Journal schreibt, es müsse endlich mit der „leninistischen“ Art und Weise Schluss sein, den „radikalen Islam“ zu verharmlosen und ihn als Resultat von „Verarmung und Frustration“ herunter zu deklinieren und als Phänomen sui generis zu leugnen. Eine Karikatur von Mohammed, Allah oder dem IS ist genuines Resultat von Pressefreiheit und Religionskritik, Kernpunkte westlicher Zivilisation, zumal in Frankreich. Muslime können keinerlei „Respekt“ für ihre Religion erwarten, ebensowenig wie zum Beispiel Christen. Da hat Krawietz einfach nicht gelernt, dass Europa einen Prozess der Aufklärung durchgemacht hat und jene Muslime, die Kritik nicht vertragen, satirische, sind nicht „verunsichert“ sondern reaktionär, antiwestlich und islamistisch. Doch Lévy wird umgehend übertönt werden von den Verharmlosern, den Rationalisieren wie dem Berliner Tagesspiegel, wo Mohamed Amjahid sehr aufgeregt davor warnt, jetzt „kein neues 9/11“ in dem Massaker zu sehen. Es trivialisiert den Terror wie wir es seit 9/11 kennen und redet entgegen Lévy von der „Perspektivlosigkeit, fehlender Anerkennung, Armut“. Doch, das Massaker an Charlie Hebdo ist das 9/11 Frankreichs. Und es ist die gleicher Tätergruppe: Islamisten/Jihadisten und die gleiche antiwestliche, antisemitische islamistische Ideologie, die als Motivation für die Morde dient, damals wie heute und morgen.
Es gibt jetzt auch wieder antisemitische Verschwörungsmythen wie von Greta Berlin, einer antizionistischen BDS-Aktivistin, die meint, Israel wolle das Votieren Frankreichs für einen Staat „Palästina“ im UN-Sicherheitsrat nicht unbeantwortet lassen und nun würden wir das Resultat sehen.
Es gibt zudem einige Texte, die zeigen, wie wenig Widerhall die „Je suis Charlie“-Kampagne in Australien, Großbritannien und den USA hat. Ein australischer Autor windet sich hin und her und mag zwar schon den Ermordeten von Charlie Hebdo irgendwie gedenken, aber betont vor allem, wie wenig diese Art französischer Humor in der angelsächsischen Welt verstanden werden kann. Das amerikanische Slate-Magazin geht noch weiter und findet es geradezu unerhört, dass die französische Regierung aus Solidarität mit dem Satireblatt staatliche Gelder bereitstellt. Und die New York Times sagt ganz klar und ehrlich, sie sei eben „nicht Charlie Hebdo“ und eine solche linke, respektlose Zeitung hätte auf jedem Campus der USA maximal 30 Sekunden Überlebenschance, was durchaus stimmen mag. Das müsse sich zwar irgendwie ändern, aber die Distanz zu Charlie Hebdo dominiert den Text. Diese Reaktionen deuten in der Tat an, dass es einen Riss innerhalb des Westens gibt, hier Frankreich als Mutterland der Religionskritik sozusagen, dort die „Inklusiveness“ und die Biederkeit der USA, des UKs und Australiens.
Dabei ist Frankreich auch ein Problemfall, da Clermont-Tonnerre im Zuge der Französischen Revolution am 23. Dezember 1789 sagte:
„Den Juden als Nation muss man alles verweigern; als Individuen muss man ihnen alles zugestehen.“
Dieser Antizionismus avant la lettre hat bis heute enorme Bedeutung für die politische Kultur in Frankreich und weit darüber hinaus. Es ist der sich gut fühlende, kosmopolitische Antizionismus. Frankreich hat ganz ernsthaft etwas gegen Islamismus, da dies dem laizistischen Charakter der Republik widerspricht. Doch das führt zu solch grotesken und absurden Phänomenen, dass Frankreich keine Muslime als Muslime kategorisieren möchte und z.B. israelische Hilfe beim „Profiling“ von Jihadisten ablehnte und selbst die Rede von Islamisten sei verpönt.
Über diese dunkle Seite des ach-so-aufgeklärten Frankreich wird selten diskutiert. Es bräuchte eine neue „Dialektik der Aufklärung“, eine, die sich der Notwendigkeit der Aufklärung und Religionskritik bewusst ist und zugleich Islamisten als Islamisten ins Visier nimmt und zwar ganz gezielt und langfristig. Islamismus muss beim Namen genannt werden, sonst ist der Kampf gegen ihn von vornherein verloren.
Und es ist jetzt alles andere als Zufall und hat einen äußerst bitteren Beigeschmack, dass Frankreich aufsteht und sagt „Je suis Charlie“ – aber wer sagt ebenso „Je suis Juif“? Und wer betont den islamistischen Charakter des Verbrechens? Wo ist der Aufschrei, wenn es um Judenmord geht? Wo waren die Abkürzungsnazis, als im Sommer Muslime und Islamisten „Juden-ins-Gas“ brüllten und die NPD, Linksparteipolitikerinnen und viele andere ganz neidisch wurden ob so ausgesprochen aggressiven Antisemitismus‘? Und wo waren damals die Anti-PEGIDA-Aktivisten? Wo war der große, weltweit hörbare Aufschrei als in Toulouse im Rahmen einer Serie von islamistischen Anschlägen 2012 vier Juden einer jüdischen Schule gezielt ermordet wurden?
Im Sommer 2014 und schon lange davor waren viele auf der antizionistischen Seite, von Jakob Augstein über Günter Grass hin zur Linkspartei.
Es geht um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Religionskritik, daher sind alle Aufgeklärten jetzt Charlie Hebdo. Aber es geht um eine Bekämpfung der islamistischen Gefahr in all ihren Facetten. Ein ideologischer Kern des Islamismus ist der Antisemitismus, die Tötung von Juden, die Leugnung oder Trivialisierung der Shoah mitsamt der Schuldprojektion auf die Juden und die Zerstörung des jüdischen Staates Israel, der von Islamisten inmitten der muslimischen und arabischen Welt niemals akzeptiert werden wird. Ebenso werden die Juden in Europa zum Ziel der Islamisten und Jihadisten. Immer mehr Juden verlassen Frankreich und andere europäische Länder und gehen nach Israel.
Den Antizionismus teilen die Jihadisten mit weiten Teilen der westlichen kulturellen und politischen Elite, auch vielen, die jetzt schweigend sagen „Je suis Charlie“. Doch allzu viele schwiegen zu oft und zu lange, wenn Juden in den letzten Jahren in Europa von Jihadisten und Islamisten ermordet wurden, als dass man deren Schock ob des islamistischen Massakers und der Geiselnahme wirklich ernst nehmen könnte.
Es ist gerade der kosmopolitische Antizionismus, exemplarisch symbolisiert in der Adorno-Preisträgerin 2012, Judith Butler, und ihren Anhängern, der symbolisch steht für das Einverständnis der westlichen Eliten mit dem Jihadismus gegen den jüdischen Staat.
Danke an Thomas Weidauer für hilfreiche Hinweise.
Dr. phil. Clemens Heni ist Politologe und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), www.bicsa.org.