Vorbemerkung von Thomas Weidauer
In Israel leben etwa 200.000 Beduinen. Eine Mehrheit von ihnen lebt trotz zahlreicher Bemühungen verschiedener Regierungen, ihren Lebensstandard zu erhöhen, noch immer unter der Armutsgrenze, rund 70.000 in illegalen Ansiedlungen ohne jede Infrastruktur, was auch daran liegt, dass ihre traditionelle Lebensweise nur schwer in ein modernes Staatswesen passt.
Auch die gegenwärtige Regierung versucht, Beduinen mit großzügigen Angeboten Möglichkeiten zu bieten, ihre Traditionen zu bewahren und gleichzeitig die Chancen eines modernen Lebens zu nutzen. Die Beduinen sollen aus illegalen Ansiedlungen in Städte umziehen, die über alle nötige Infrastruktur verfügen, fließendes Wasser, Elektrizität, feste Straßen, Schulen …
Während viele der Betroffenen die Angebote des Staates begrüssen und gern nutzen, lehnen andere sie als „rassistischen“ Eingriff ab und wehren sich gegen sie. Mit ihnen, nicht mit denen, die umziehen wollen, solidarisieren sich „Menschenrechtsaktivisten“ in aller Welt, die – angeblich – die „Identität“ der Beduinen bewahren wollen.
„The desert is the home of Bedouin tribes“, schrieb vor nicht langer Zeit Uri Avnery herabwürdigend, „for whom smuggling is an age-old occupation. Whether Libyan weapons for Hamas in Gaza, Ukrainian women for the brothels of Tel Aviv or job seekers from Sudan – for good money, the Bedouin will get them all to their destination. On the way they may hold them for ransom or rape the women.“
Der Staat Israel möchte daran etwas ändern, die Beduinen in seine moderne Gesellschaft integrieren. Wie Demonstrationen auch in Berlin leider zeigen, sollte die Regierung in Jerusalem diese Pläne wohl besser schnell wieder zu den Akten legen. „Menschenrechtsaktivisten“ ist die Bewahrung unhaltbarer Umstände offenbar lieber als Chancen auf ein menschenwürdiges Leben für Beduinen.
Ben-Dror Yemini ist ein in Israel und darüber hinaus sehr bekannter Journalist und arbeitet für die israelische Tageszeitung Maariv. Er widmet sich in einem Beitrag, der zuerst auf der Website der ‚Times of Israel‘ erschien (http://blogs.timesofisrael.com/the-blood-libel-film/), einer besonders ekelhaften Kampagne sogenannter „Menschenrechtsaktivisten“. Mit dem Einverständnis von Ben-Dror Yemini übersetzte Thomas Weidauer für BICSA diesen Artikel.
Ben-Dror Yemini
Ben-Dror Yemini
Der Verleumdungs-Film
Aus dem Englischen von Thomas Weidauer
In den vergangenen Monaten erlebten Israel und die ganze Welt eine gut finanzierte Kampagne, die auf die Beziehungen des Staates Israel zu den Beduinen zielt. Zu dieser Kampagne zählt die kürzliche Vorstellung eines Propagandafilms, der die Vertreibung von Beduinen von ihrem Land nachzeichnen soll.
Der Hauptdarsteller des Films ist Theodore Bikel, der für diese Rolle engagiert wurde, weil er früher den Milchmann Tevje im Musical „Anatevka“ (Originaltitel: „The Fiddler on the Roof“, „Der Fiedler auf dem Dach“) spielte. Der neue Film wurde unter dem propagandistisch angepassten Titel „Der Fiedler ohne Dach“ veröffentlicht, und das ist noch gar nichts im Vergleich zu dessen Inhalt.
Die Beduinen werden in ihm als die Opfer des furchtbaren Aussiedlungsbefehls porträtiert, der, wie im Stück „Anatevka“ beschrieben, in den finsteren Tagen des antisemitischen zaristischen Regimes gegen die Juden erlassen wurde. Und um nicht mehr als ein Stück handelt es sich bei „Der Fiedler ohne Dach“, das, schwer zu glauben, von Rabbis for Human Rights (Rabbiner für Menschenrechte) produziert wurde.
Ganz begeistert von dem Film ist, wie üblich, die Tageszeitung Haaretz, die ihm unzählige Artikel widmete, die alle aus dem gleichen Blickwinkel geschrieben wurden und die gleichen Positionen über einen raubenden und unterdrückenden Staat und umgesiedelte Beduinen wiedergeben. Die öffentliche Debatte wirkte niemals so verwahrlost wie in diesen gleichförmigen, geradezu an Propaganda aus der Sowjetunion erinnernden Darstellungen einer Tageszeitung für Leser, die offenbar alle gleich denken.
Die Debatte über die richtige Organisation der Ansiedlung der Beduinen ist wichtig. Manche erklären, die Beduinen seien Nomaden, dass ihre Besitzansprüche auf Land Einbildung seien, während andere argumentieren, der Staat sollte ihre Ansprüche anerkennen, auch wenn sie nicht mit Dokumenten belegt werden, wie sie im Osmanischen Reich, dann unter den Briten und jetzt, natürlich, in Israel üblich sind.
Bereits seit Jahren beschäftigt sich der Staat mit der Lösung dieses Problems. Einerseits wurden Besitzansprüche von Gerichten als gänzlich unberechtigt zurückgewiesen. In manchen Fällen wurde die Behauptung eines „jahrhundertealten Besitzes“ als Fälschung entlarvt: Luftaufnahmen aus dem vergangenen Jahrhundert zeigten, dass es „Ansiedlungen, die seit Jahrhunderten existieren“, noch vor ein paar Jahrzehnten nicht gegeben hatte.
Trotz aller rechtlicher Vorgaben entschied sich der Staat für ein großzügiges Arrangement. Jeder Beduinen-Familie wird danach ein Anspruch auf ein Stück Land in einer der vielen Beduinen-Städte, die in der Region, in der sie leben, errichtet werden sollen, zugesprochen. Damit soll der beduinischen Tradition und Kultur soweit wie möglich entsprochen werden.
Ein Stück Land in einer Beduinen-Stadt ist in diesem Fall gleichbedeutend mit beinahe einem Dunam (rund ein Hektar), was sehr viel mehr ist als die Privatgrundstücke in anderen Städten umfassen.
Andererseits entsprechen diese Regelungen solchen, wie sie in anderen modernen Staaten akzeptiert sind, in denen Landbesitz einer Registrierung bedarf und in denen menschliches oder menschenwürdiges Leben eine gewisse Infrastruktur erfordert – fließendes Wasser, Anschluss an elektrische Netze und befestigte Straßen.
Das ist keine einfache Frage. Es gibt Widersprüche zwischen nomadischen Bräuchen und einem modernen Staat. Israel ist nicht der einzige Staat, der sich im Laufe seiner Gründung mit den Ansprüchen bestimmter Bevölkerungsgruppen mit anderen Lebensweisen konfrontiert sah. Australien stritt mit seinen Aborigines, in den Vereinigten Staaten waren es die Ureinwohner, in den skandinavischen Ländern sind es die Samit (oder: Samek), die über historische und gegenwärtige Benachteiligungen klagen. Und viele andere Staaten haben ihre Sinti und Roma.
Der Propaganda-Film thematisiert diese Widersprüche nicht, er macht es sich einfach. Israel wird als grausame antisemitische Macht präsentiert, die vertreibt, ausgrenzt, zerstört und raubt. Und die armen Beduinen stehen dieser entsetzlichen Grausamkeit hilflos gegenüber. Es geht doch nichts über Anspielungen auf die Vertreibung der Juden in „Anatevka“, um die Tragödie zu verdeutlichen und die Gefühle der Welt insgesamt und der Juden in den USA speziell zu erreichen. Hier haben wir einen weiteren Beweis dafür, was Israel seinen Minderheiten antut; hier ist ein weiterer Beleg für Apartheid, Rassismus und ähnliche bekannte Anschuldigungen.
Es gibt mit dem, was im Film gezeigt wird, nur ein Problem. Es ist niemals passiert.
Nehmen wir zum Beispiel den in den vergangenen Wochen oftmals zu vernehmenden Chor, der da ging: „Aus der Beduinen-Gemeinschaft von Umm al-Hiran soll Hiran werden, eine ausschließlich Juden vorbehaltene Gemeinde, indem die Beduinen im Einklang mit der rassistischen Politik des Staates Israel ausgegrenzt und umgesiedelt werden.“ So lässt sich eine ganze Reihe von Beiträgen der Haaretz zusammenfassen.
Auf diese Weise wurden auf dem Meer der Lügen die Segel gesetzt, doch nun ist es Zeit, auf den verlässlichen Grund der Fakten zurückzukehren.
Erstens wurden die beduinischen Mitglieder des Al-Qian-Stammes, der im Mittelpunkt der gegenwärtigen Aufregung steht, vor Jahrzehnten in die Yatir-Region umgesiedelt – und zwar aus eigenem Willen und auf eigenen Wunsch hin, um Auseinandersetzungen mit einem anderen Stamm zu vermeiden.
Als, zweitens, Hiran vor kaum einem Jahrzehnt geplant wurde, lebten dort, wenn überhaupt, nur wenige Beduinen. Deren Umzug nach Umm al-Hiran erfolgte, wie Luftaufnahmen belegen, mit dem Bekanntwerden der Pläne für die neue Stadt.
Drittens betreffen nur kleine Teile der Gesamtplans für Hiran Land, das dessen illegale Besetzer beanspruchen.
Viertens wurde in der Nachbarschaft von Al-Qian durch den Staat Hura errichtet, ein ordentliches Beduinen-Dorf mit befestigten Straßen, Elektrizität und fließendem Wasser.
Fünftens erhält jede Familie im Stamm das Anrecht auf beinahe einen Dunam Land. Selbst Unverheiratete über 24 bekommen Land, um so den Weg für zukünftige Generationen zu ebnen.
Sechstens erhält jede Familie zusätzlich zu freiem Land und kostenloser Infrastruktur finanzielle Entschädigungen für frühere, illegal errichtete Häuser, in denen sie lebten.
Siebtens, und hier haben wir eine Überraschung, sind die meisten Mitglieder des Stammes – 3.000 seiner 4.000 Angehörigen – überzeugt davon, dass sie fair behandelt wurden und sind tatsächlich nach Hura umgezogen.
Achtens ist Hiran nicht nur für religiöse Juden und auch nicht nur für Juden vorgesehen. Jeder Beduine, der dort Land erwerben möchte, ist eingeladen, das zu tun. Das kostet natürlich Geld. In Meitar beispielsweise haben Beduinen Land gekauft, niemand hat sie daran gehindert.
Wie ist es möglich, einen Film herzustellen, der die Hintergründe völlig ignoriert, der ausblendet, welche Vorteile Beduinen geboten werden, welche Urteile Gerichte fällten? Die Rabbis for Human Rights erwidern, die Urteile seien nicht anwendbar und dass selbst Gerichte irren könnten – die Beduinen würden nur für Teile ihres Besitzes durch den Staat entschädigt, ihr Umzug erfolge unter Zwang, und selbst die, die nach Hura umgezogen seien, hätten dies nur aus Mangel an Alternativen getan. Weiterhin behaupten die Rabbiner, Hiran werde für religiöse Juden errichtet, dass dort keine Beduinen leben dürften. (Ihre detaillierte Antwort kann im Blog des Autors nachgelesen werden.)
Die Rabbiner, Journalisten und Aktivisten haben das Recht ihre Einwände gegen das Übereinkommen vorzutragen. Sie haben das Recht zu erklären, Beduinen hätten umfassendere Ansprüche, dass jedes Stück Land, über das je ein Kamel lief, oder auf dem ein Beduine sein Zelt für die Nacht aufschlug, ihm und seinen Nachfahren bis in alle Ewigkeit gehöre. Kritik an den Vorhaben der Regierung, also zum Beispiel dem „Prawer-Plan“, der nach dem Bericht einer Kommission unter Leitung des pensionierten Richters am Obersten Gerichtshof Israels Eliezer Goldberg entwickelt wurde, ist legitim. Es gibt Einwände, die verdienen es, vorgebracht zu werden. Und vielleicht gibt es ja eine bessere Lösung.
Doch diese Kampagne ist keine Kritik, sondern Blendwerk. Sie missachtet grundlegende Fakten und hetzt gegen den Staat Israel. Die Kampagne verbreitet sich wie ein wilder Flächenbrand, in aller Welt wird das Bild einer antisemitischen Vertreibung durch den Staat Israel gezeichnet. Sogar der bekannte selbstgerechte Norman Finkelstein ist auf den fahrenden Zug aufgesprungen und zeigt sich beeindruckt von den herzerweichenden Worten Theodore Bikels. Finkelstein läßt keine Gelegenheit ungenutzt, gegen Israel zu hetzen.
„Dieser Film hat, Gott bewahre, nicht vor, Israel und das zaristische Rußland gleichzusetzen“, schreiben die Rabbiner auf der Website zu ihrem Film. Das behaupten sie nur auf Hebräisch. Nach der Kritik des Yedioth Ahronoth-Journalisten Nahum Barnea an dieser ungeheuerlichen Gleichsetzung veröffentlichten die Rabbis for Human Rights eine Pressemitteilung, in der sie erklären, „in manchen Aspekten ist die Prawer-Umsiedlung schlimmer als die Vertreibung und Zwangsumsiedlung der Juden“, und wir, behaupten sie, „sorgen uns um das Ansehen Israels“.
Diese Sorge wird ganz deutlich in dem Film zum Ausdruck gebracht. In seiner englischen Fassung lässt er wenig Raum für Zweifel. Jemand im Produktionsteam ist ein begnadeter Propaganda-Künstler. Der Film zeigt einen Beduinen, der eine Umzugsaufforderung bekommt. Er weigert sich, ihr zu folgen. Plötzlich tauchen zwei bedrohliche Hubschrauber auf. Wer weiß, vielleicht haben sie Bomben an Bord. Alles wird nur angedeutet, immerhin behauptet niemand, es seien Hubschrauber mit Bomben. Sie tauchen einfach nur am Himmel auf.
Ein ausgezeichneter Trick, die Hass-Kampagne gegen einen angeblich ausbeuterischen Staat zu unterstützen. An dieser Stelle tauchen Bulldozer auf und werden Bilder von ihrem Schicksal gebeugter vertriebener Juden eingestreut. Als wäre der Kontext nicht offensichtlich, beendet Bikel den Film mit einem Monolog, der keinen Zweifel läßt: „Was noch mehr schmerzt, ist die Tatsache, dass gerade die Menschen, die den Beduinen sagen, sie sollten verschwinden, die Menschen aus Anatevka sind“.
Ein Zuschauer, der die Fakten nicht kennt, wird voller Ärger und irregeführt zurückgelassen. Ein Meisterwerk grässlicher Propaganda. Israel ist kein zivilisierter Staat. Israel ist ein Monster.
Im Hintergrund lief bereits seit längerer Zeit eine vor allem von Haaretz geführte Kampagne. Es gab zahlreiche grundlose Anschuldigungen, doch ich werde mich auf zwei beschränken, die in dieser Woche veröffentlicht wurden. Oudeh Basharat behauptete, Israel raube den Beduinen in Umm al-Hiran Land und behauptete sogleich, das sei Apartheid. Einen Tag später schrieb Professor Eyal Gross, Beduinen würden vertrieben, um eine jüdische Stadt zu errichten. Wird eine Lüge oft genug wiederholt, wird sie zum Fakt.
Die Worte „Transfer“ und „Apartheid“ tauchten in der Kampagne auf, um auf den Täter zu zeigen, der, selbstverständlich, das zionistische Projekt – Israel – sein soll. So handelte es 1948, so handelt es in den „Gebieten“. Das tut es den Beduinen an. So wird eine Verleumdung aufgebaut. So wird dämonisiert. Haaretz-Leser ahnen nicht, dass Beduinen sich erst in Umm al-Hiran ansiedelten, nachdem mit den Planungen zu Hiran begonnen wurde. Ist es unzumutbar, von einem Rechtsprofessor Faktenkenntnis zu erwarten, bevor er einen Bericht verfasst?
Ein gerechtes Arrangement für die Beduinen ist keine einfache Angelegenheit. Ganz sicher ist jedoch, dass der Staat sich nicht für Vertreibung, Ausgrenzung oder einen Transfer entschieden hat, sondern für ein großzügiges Angebot, das ihn Hunderte Millionen Shekel gekostet hat und kosten wird und das den Beduinen sagenhafte Vorteile bietet. Dies ist eine Diskriminierung von Juden und eine gezielte Förderung von Beduinen. Kein Jude hat Anspruch auf kostenloses Land in einer Beduinen-Gemeinde, noch können sie Land erwerben, das zu reduzierten Preisen Beduinen angeboten wird, wo das möglich ist. Ein Beduine kann sich hingegen zwischen einer jüdischen oder eine beduinischen Nachbarschaft entscheiden. Entscheidet er sich für ein Leben in Hura, warten kostenloser Grundbesitz und Infrastruktur auf ihn. Will er in Hiran leben, kann er das zu den gleichen Bedingungen wie Juden, Armenier oder Buddhisten.
Wenn „Rechts-Aktivisten“ und Haaretz sich ganz automatisch mit Beduinen solidarisieren, die die Einigung ablehnen, statt mit denen, die sie annehmen, ist das Arrangement zum Scheitern verurteilt. Wie bei den „Kräften des Fortschritts“ in der Welt, die die Flammen der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktions-Bewegung immer neu entfachen und die Fantasie eines arabischen „Rechts auf Rückkehr“ propagieren. Auf diese Weise wird keine Übereinkunft erzielt, sondern werden einzig deren Gegner gestützt. Damit werden Leid, der Konflikt und Blutvergießen perpetuiert. Was die „Fortschrittlichen“ für die Palästinenser tun, erreichen die „Menschenrechts-Aktivisten“ jetzt für die Beduinen.
Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass es Bevölkerungsgruppen mit ähnlichen Eigenschaften irgendwo in der Welt gibt, native oder nomadische, denen solch ein großartiges Abkommen angeboten wurde. Doch der Propagandafilm hat es geschafft, das Bild auf eine Weise zu verkehren, dass die Dinge zurechtgerückt werden müssen. Es sind nicht Juden, die Beduinen antun, was Antisemiten Juden antaten, es ist anders. „Menschenrechts-Gruppen“, Rabbis for Human Rights und Haaretz sind es, die die alte und verachtete Tradition der Verleumdungen fortschreiben. In der Vergangenheit richteten sie sich gegen Juden, heute gegen den Staat Israel.