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„Frieden schaffen ohne Waffen“ – doch das SPD MdB Leni Breymaier verirrte sich auf den Ostermarsch 2023 in Heidelberg

Von Dr. phil. Clemens Heni, 17. April 2023 (Update 21:36 Uhr)

Die Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)  verharmlost den Anteil, den die aggressive NATO-Politik seit dem Ende der Sowjetunion, der Putsch gegen eine pro-russische ukrainische Regierung im Jahr 2014 auf dem Maidan in Kiew und der Antisemitismus in der Ukraine am gegenwärtigen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine spielen. In einer Auswertung von 48 Aufrufen zu den Ostermärschen 2023 schreibt die Stiftung:

Viele Aufrufe stellen sich gegen den Überfall Russlands auf die Ukraine, doch relativiert ein erheblicher Teil die russische Verantwortung. Im Heidelberger Aufruf heißt es etwa: „Der russische Einmarsch in die Ukraine war ein klarer Bruch des Völkerrechts (…). Gleichzeitig muss er vor dem Hintergrund der immer schärferen Konfrontationspolitik der USA und NATO gegen Russland betrachtet werden.“ In den Aufrufen für Münster und Nürnberg kommt die Relativierung noch im gleichen Satz. Letzterer schreibt: „Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine, ohne die Vorgeschichte dieses Krieges, wie die NATO-Osterweiterung, zu vergessen.“ Der Augsburger Aufruf verknüpft die Relativierung mit whataboutism: „Dass es schon vor dem russischen Überfall völkerrechtswidrige Kriege auch des Westens gab – Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien – wird dabei von Regierung, CDU/CSU und weiten Teilen der Medien ebenso unter den Teppich gekehrt, wie die Vorgeschichte des Krieges seit 2014.“ Beim Überfall Russlands auf die Ukraine handelt es sich in der Tat nicht um den einzigen völkerrechtswidrigen Krieg in den letzten Jahrzehnten. Die Aufrufe benennen aber nicht, was den aktuellen Fall aus der Gruppe der völkerrechtswidrigen Kriege heraushebt: Man hat es mit einem Eroberungskrieg zu tun, bei dem der Angreifer mit dem Einsatz von Atomwaffen droht.

Screenshot, https://blog.prif.org/2023/04/05/die-ostermaersche-2023-und-der-ueberfall-auf-die-ukraine-nur-wenige-aufrufe-fordern-russlands-rueckzug/

„Eroberungskrieg“? Wer droht mit Atomwaffen? Die NATO, die womöglich auf dem Gebiet des Neu-Mitgliedlandes Finnland, Atomwaffen stationieren könnte? Der ehemalige US-Präsident Trump fand es lustig, als er Anfang März 2022 die Wahnidee hatte, dass Amerika Russland mit F22 Kampfbombern angreifen könnte, die als chinesische Bomber getarnt wären, ein totaler Schwachsinn, da China gar keine F22 Kampfbomber besitzt.

Wie der Philosoph Günther Anders schon in den 1950er Jahren festhielt, sind jene „Terroristen“, die Atomwaffen bauen und besitzen, das ist die Drohung schlechthin, und das einzige Land, das bislang Atomwaffen einsetzte, sind die USA, die im August 1945 in Hiroshima und Nagasaki die definitiv letzte Epoche der Menschheit einläuteten. Seit dem 6. August 1945 sind wir alle die „letzte Generation“, etwas, was die Klimaaktivist*innen vergessen, so wichtig deren Aktivitäten auch sind. Und Krieg ist ein Klimakiller obendrein, wie auch in Heidelberg betont wurde.

Seit diesen beiden Tagen am 6. und 9. August 1945 ist es für alle Zeiten Realität, dass tagtäglich Terroristen, die wir als Politiker*innen oder als Vertreter von „Verteidigungsministerien“ euphemistisch tätscheln, ja mittlerweile wieder bejubeln, die ganze Welt bedrohen. In dieser Hinsicht ist Putin nicht schlimmer als Biden, Macron, Trump oder Boris Johnson, dessen Nachfolger oder Chinas Xi. Das sind alles Terroristen, da sie Atomwaffen besitzen und damit das Ende allen Lebens in Kauf nehmen.

Warum sollte man den Rückzug Russlands fordern? Warum diese Einseitigkeit, da doch im Donbas seit 2014 Krieg herrschte? Es muss um eine Kompromisslösung gehen, wer einen Rückzug Russlands fordert, setzt das Kriegs-Narrativ der NATO und der Ukraine fort. Mit Friedenspolitik hat das rein gar nichts zu tun.

Wer sich nicht gegen deutsche Waffenlieferungen stellt, ist Teil des Problems.

Wo bleibt zudem wenigstens eine Erwähnung des gebrochenen Versprechens des damaligen US-Außenministers James Baker, des BRD-Kanzlers Helmut Kohl und des BRD-Außenministers Hans-Dietrich Genscher vom Februar 1990, dass sich die NATO „not one inch“ nach Osten ausbreiten werde, wenn es zu einer Vereinigung von BRD und DDR oder einer wie auch immer gearteten Kooperation von BRD und DDR kommen sollte? Das war der Beginn des NATO-Imperialismus nach Osteuropa, eine ganz extreme Bedrohung für Russland – das selbst keinerlei Militärbündnis in Europa mehr hat, der Warschauer Pakt ist im Gegensatz zur NATO Geschichte. Was will die NATO in Polen, Litauen, Finnland? Was? Dem Kapitalismus freie Hand geben, das ist klar. Aber militärisch bedroht sie Russland in vor 1990 nie geahntem Maße direkt in Europa. Der Kalte Krieg zwischen West und Ost wurde zu einem immer heißeren Krieg.

Das macht Putin nicht besser, er ist ein autokratischer Herrscher, der von Demokratie so viel Ahnung hat wie Baerbock von Diplomatie.

Die grundsätzliche Bedrohung durch Atomwaffen, die geht historisch eindeutig von den USA aus. Die Sowjets zogen lediglich nach, was das Atomwaffenarsenal der Russen heute nicht besser macht. Es ist eine terroristische Bedrohung der ganzen Welt, Atomwaffen zu haben. Das gilt für alle Atommächte.

Doch wer liest heute noch Günther Anders und kann kritisch denken?

Was also soll an dem Aufruf aus Heidelberg problematisch sein? Ich habe ihn mir durchgelesen, bevor ich auf den Ostermarsch 2023 nach Heidelberg fuhr, dort wurde er dann von Aktivist*innen verteilt:

Politikwissenschaftlich betrachtet ist das eine korrekte Analyse. Russland hat mit dem Einmarsch in die Ukraine das Völkerrecht gebrochen. Doch das geschieht nicht kontextlos, sondern in der Ukraine herrschte schon seit 2014 Krieg, was hier noch nicht einmal aufgeführt wird. In diesem Krieg im Donbas sind über 14.000 Menschen gestorben. Die Vereinten Nationen betonen in ihrer Statistik der zivilen Todesopfer im aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine, dass auch zwischen 2014 und Februar 2022 Zivilist*innen im Krieg in der Ukraine getötet wurden. Das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR, United National Human Righs Office of the High Commissioner) geht also von einem lediglich verschärften Krieg seit dem 24. Februar 2022 aus. Demnach starben vom 14. April 2014 bis zum 31. Dezember 2021 3.500 Zivilist*innen bei Kampfhandlungen in der Ukraine, und vom 24. Februar 2022 bis zum 2. April 2023 wurden 8451 Zivilist*innen im Krieg in der Ukraine getötet.

Es ist also faktisch falsch, wenn jene hessische Stiftung, die sich vorgeblich für Frieden einsetzt, schreibt:

Es lohnt sich ein Blick darauf, wie einige Aufrufe die Vorgeschichte des Krieges zwischen Russland und der Ukraine auffassen. Der Hamburger Aufruf behauptet: „Dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ging seit 2014 ein Bürgerkrieg innerhalb der Ukraine, im Donbass, voraus“. Der Aufruf für Hamm stößt ins gleiche Horn: „Der in der Ukraine schon 2014 begonnene, seit Februar 2022 durch das Eingreifen Russlands eskalierte Krieg.“ Beide Aufrufe stellen Russland als Intervenierenden dar, nicht als originäre Kriegspartei und folgen in diesem Punkt der Argumentation Putins.

Die Vereinten Nationen betonen ebenso, dass seit 2014 Krieg in der Ukraine herrscht. Die UN als Handlanger Putins?

Vor allem aber spielt diese hessische Stiftung der SPD-Bundestagsabgeordneten Leni Breymaier in die Hände, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen eine Rednerin beim Ostermarsch 2023 in Heidelberg am 8. April war. Schon zu Beginn des Ostermarsches in Heidelberg sprach ein Vertreter des DGB realitätsverzerrend davon, dass die „rechtsradikale Regierung in Israel“ einen Krieg plane. Zwar ist die aktuelle Regierung in Israel tatsächlich rechtsextrem und innenpolitisch so stark unter Druck von der Zivilgesllschaft, den eigenen Geheimdiensten, dem Militär, der Polizei wie keine Regierung Israels seit 1948, aber „Krieg“ wurde doch in den letzten Tagen durch Raketenangriffen der islamistischen Terrorgruppen aus dem Libanon (Hizbollah), dem Gazastreifen (Hamas) und aus Syrien provoziert! Später musste der gleiche DGB-Redner dann immerhin konzedieren, dass der damalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett im März 2022 einer diplomatischen Friedenslösung im Ukraine-Krieg sehr nahe gekommen war – aber ein Rückzug Russlands auf die Linien vor dem 24. Februar 2022 bei gleichzeitigem Verzicht der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft wurde vor allem vom fanatischen Boris Johnson aus England und den Amerikanern unter Joe Biden verhindert.

Neben Musikeinlagen von afghanischen und syrischen Flüchtlingen, die zu Beginn und am Ende auf der Abschlusskundgebung auf den Neckarwiesen auf dem Ostermarsch 2023 in Heidelberg spielten, sprach auf der Auftaktkundgebung in der Innenstadt vor der Stadtbibliothek auch die Bundestagsabgeordnete der SPD Leni Breymaier. Sie war im Vorfeld nicht angekündigt worden. In einer an Arroganz, Faktenferne und Heuchelei nicht zu überbietenden Art, die nur eine SPD-Politikerin aufbringen kann, distanzierte sich Breymaier gleich zu Beginn von der Demonstration, auf der sie sprach. Sie meinte, der Aufruf sei ja wohl ein schlechter Witz und sicher ein Mißverständnis. Sie selbst fühlt sich nämlich im heutigen Deutschland sehr wohl bedroht! Jawohl, Leni Breymaier hat Angst – vermutlich vor „dem“ Russen, daher hat sie wie alle SPD-MdBs für die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr gestimmt. Sie meint, Deutschland müsse verteidigungsfähig sein. Dass Deutschland nach Auschwitz kein Recht mehr auf eine Armee hat, hat sie nie kapiert!

Und wo soll die Bedrohung für die heutige BRD liegen? Das ist ein weiteres Wahngebilde einer SPD-Frau, die damit Baerbock in Fakenferne Konkurrenz macht. Baerbock wurde auch überschwenglich von Breymaier gelobt, ohne namentlich genannt zu werden, aber eine „feministische Außenpolitik“ findet die SPD-Frau super, wie sie sagte. Was an Panzern, Munition, Russenhass und Kriegsgeilheit wie von Baerbock „feministisch“ sein soll, konnte Breymaier nicht näher ausführen. Die tatsächliche Zeitenwende, dass nach dem Holocaust und nach dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht, nach 27 Millionen ermordeten Sowjets durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg, jetzt wieder deutsche Panzer mit in Deutschland ausgebildeten ukrainischen Soldaten gegen die Russen rollen, das läuft also offenbar jetzt unter „feministisch“.

Es passt zu Breymaier, wenn der hessische HSFK Autor Thorsten Gromes in dem zitierten Bericht über die Ostermarschaufrufe keinerlei Problem in der Hetze gegen Russland wie von Baerbock sieht, keinerlei grundsätzliches Problem mit Waffen und Waffenlieferungen an die Ukraine zu haben scheint, ja sogar Friedensverhandlungen problematisch findet, solange nicht klar sei, dass Russland auf keine Fall Gebiete – die von sich aus womöglich Russland zugehörig sich fühlen, wie Volksabstimmungen unter UN-Aufsicht zeigen könnten! – behalten dürfe, dann auch noch das lächerlichste aller Argumente anbringt, dass politisch Rechte sich angesprochen fühlen könnten von solchen Aufrufen.

Rechte, die hinter Transparenten wie „Frieden schaffen ohne Waffen“? Das war das größte Motto-Transparante in Heidelberg.

Rechte sind für Krieg, sie feiern die Wehrmacht (Gauland, AfD) oder lieben Trump (MAGA, Make America Great Again).

Worin sich Rechte, Linke und der Mainstream einig sind, ist, dass Kinder ganz was Tolles sind, möglichst viele Kinder, damit die Großeltern außer Puste geraten und die Panzer sowie Totengräber immer Nachschub haben, Staat und Kapitalismus wie geschmiert weiterlaufen. Wer angesichts der irrationalen und totalitären Coronapolitik und der aktuellen Ukrainepolitik sich fortpflanzt, ist noch unmenschlicher, als es ohnehin im natalistischen Mainstream Usus ist. Da sind sich Scholz und Putin einig, dass Kinderfreie extra besteuert oder sanktioniert werden müssen. In puncto 2G Impf-Apartheid und Kontroll-, Abstands- wie Testwahnsinn sind Karl Lauterbach und Putin Brüder im Geiste gewesen.

Und so fabulierte die SPD-MdB Breymaier auch tatsächlich, bar jeder Faktenlage:

„Wenn Russland den Krieg beendet, ist der Krieg zu Ende. Wenn die Ukraine den Krieg beendet, ist die Ukraine Geschichte“, also zerstört.

Das ist komplett ohne jedes Indiz, da Russland kein Interesse hat, die ganze Ukraine zu besetzen, anfangs wollten sie die Regierung stürzen, was militärisch nicht klappte, aber seither spielt sich das Kriegsgeschehen fast ausschließlich im Süden und Osten des Landes ab, in Gegenden, wo ein überwältigender Teil der Bevölkerung sich Russland zugehörig zu fühlen scheint. Historisch ist nun mal, das bezeugt jeder Blick auf geographische Karten, das heutige Staatsgebiet der Ukraine ein sehr junges Gebiet, die Krim war ein Geschenk zu Sowjetzeiten.

Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg, das war ein zentraler Slogan der Ostermärsche 2023. Dass bei den Teilnehmer*innen Leute dabei waren, die in neu-rechter Diktion vom „deep state“ faseln, wie ich selbst hörte, das ist nicht erst seit 9/11 Usus, linker Verschwörungswahn und rechte antisemitische Verschwörungsideologie mischen sich nicht erst seither mit islamistischer Ideologie, wobei der Verschwörungsglaube weit im Mainstream verankert ist.

Man muss also gegen Verschwörungstrottel und gegen die Baerbocks und Breymaiers dieser Welt gleichermaßen ankämpfen, wenn der Frieden eine Chance haben soll.

Das Schweigen des Mainstream in Deutschland zu den ebenfalls fürchterlichen und noch viel tödlicheren Kriegen im Jemen oder in Äthiopien, zeigt, dass Tote hier und heute halt primär dann zählen, wenn sie Weiße sind und der Aggressor ein Feind, mit dem die ganz normalen Deutschen militärisch die Rechnung aller Rechnungen offen haben: Stalingrad.

Der Antisemitismus in der Ukraine, die Bennenung von Straßen und Plätzen in der Ukraine nach Tätern im Holocaust, nach antisemitischen Hetzern und Nazi-Kollaborateuren macht weder Breymaier noch der HSFK Probleme, wie es scheint. Was ist das für ein Land, das Straßen nach Nazis benennt? Ein zweites Deutschland, die Ukraine?

Der Krieg in der Ukraine wird durch Verhandlungen beendet werden. Diese Lektion wird auch noch Leni Breymaier lernen. Wer jedoch auf die absurde Idee kam, sie auf den Ostermarsch nach Heidelberg einzuladen, sollte sich fragen, was damit bezweckt werden sollte. Eine weitere SPD-Politikerin vorzuführen, die sich lächerlich macht? Oder den Ostermarsch vorzuführen, dass er es nicht schafft, so eine Person mit Trillerpfeifen von der Bühne zu fegen, zumal Breymaier dann nicht mal auf dem Ostermarsch dabei war, da sie zu einer Kundgebung von ver.di bei der Galeria Kaufhof Karstadt ging. Der Ostermarsch führte direkt an der Galeria am Bismarckplatz vorbei, die ca. 40 ver.di Leute blieben dumpf stehen, als die 250 Ostermarschierer*innen vorbeizogen, sie hätten sich ja auch anschließen können („Bürger lass das Glotzen sein, Komm herunter, reih dich ein“ hieß es früher).

Großartig war vor allem der Heidelberger Schmetterling:

 

Die Demonstration bewegt sich Richtung Neckarwiesen, Blick von der Theodor-Heuss-Brücke, Foto: privat

 

Auftaktkundgebung, Ostermarsch Heidelberg, 8. April 2023, vor der Stadtbibliothek, Foto: privat

 

Update, 21:36 Uhr:

Dass Menschen, die sich gegen den Mensch gemachten Klimawandel auch noch gewaltfrei zur Wehr setzen, wegen angeblicher „Nötigung“ drei bis fünf Monate ins Gefängnis müssen, zeigt, wie verkommen dieses Land und vor allem wie verkommen die unerträgliche, geisttötende, obsessiv anti-intellektuelle Auto-, Lidl- und Kaufland-Dieter-Schwarz-Stadt Heilbronn am Neckar ist. Es gilt: Solidarität mit den Verurteilten der letzten Generation und den anderen Klimaaktivist*innen! Wer jemals in Heilbronn lebte, weiß, was für dermaßen primitive Auto-Menschen (Deutsche und Migranten, je ca. 50/50 Prozent) hier leben, Protest, gerade auf den Straßen, ist mehr als not-wendig. Hier, in der geistlosesten „Universitätsstadt“ (kein Witz!) des ganzen Landes, sind die Neo-Nazi-Morde des NSU weiter ungeklärt, Straßen weiter nach Nazis benannt, aber es ist ganz wichtig für die Justiz, Umweltaktivist*innen wegen harmlosen Aktionen, die maximal eine „Ordnungswidrigkeit“ sind, hinter Gitter zu bringen. Hier werden Autos produziert mit 390 oder 520 PS und auf a-soziale Raser zugelassen (!), die dann Menschen zu Tode fahren (jüngst in der Wollhausstraße in der Innenstadt passiert). Dabei gehörten die Produzenten und Käufer, nicht nur die Todesfahrer selbst in den Knast! Das ist Deutschland 2023!! Waffen für die Ukraine, aber junge Leute, die gegen die Klimapolitik protestieren, hinter Gitter setzen!

Eine 3-Staatenlösung in Israel? Oder eine Versöhnung mit Jaffa-Keksen?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 03. April 2023

Das Wort „Hinterland“ kennen viele sicher von dem links-autonomen Slogan „Aufruhr Widerstand – Es gibt kein ruhiges Hinterland“. Doch vielleicht ist dem nicht so, vielleicht wollen die Hinterwäldler Hinterwäldler oder Hinterländler sein und bleiben. Das Wort hinterland wird – kleingeschrieben – auch im Englischen verwendet, wie ein faszinierender Blog-Text in der Times of Israel (TOI) zeigt.

Der Historiker Martin Wein schlägt eine 3-Staatenlösung vor: Einen neuen Staat Tel-Aviv-Jaffa, Israel und Palästina. Kurz gesagt haben die weltlichen Zionist*innen in Tel Aviv die Schnauze gestrichen voll vom reaktionären Hinterland. Die seit 13 Wochen kontinuierlich andauernden Massendemonstrationen gegen Netanyahu und seine rechtsextreme Regierung sind der Beweis, wie enorm tief gespalten Israel ist. Wein sieht den Ursprung des Endes eines liberalen Zionismus für ganz Israel in der Ermordung von Yitzhak Rabin am 4. November 1995. Seitdem und zuletzt als Import aus den USA hätten sich parallele Welten in Israel verfestigt: jene der „femininistischen“, „säkularen“ und „queeren“ Leute, die fast ausschließlich in Tel Aviv-Jaffa leben würden, und dem „Rest“, dem elenden „Hinterland“.

In diesem Hinterland leben die Ben Gvirs, jener vorbestrafte, rechtsextreme, antifeministische und homophobe Schläger, der nicht mal von der israelischen Armee aufgenommen wurde, weil er zu extrem war. Der bekommt jetzt eine eigene Privatarmee von 2000 Personen, eine „Nationalgarde“. Das erinnert an Diktaturen wie in Nicaragua, wo es auch eine solche Nationalgarde gab. Das israelische Kabinett hat diesem Projekt zugestimmt, jedes Ministerium verkürzt seinen Etat um 1,5 Prozent, damit Ben Gvir eine Milliarde neue israelische Schekel, das entspricht 278 Millionen US-Dollar, für seine quasi Privatarmee erhält, also jährlich im Budget der Regierung.

Was könnte man mit so viel Geld nicht alles Sinnvolles machen. Zum Beispiel Aufklärungsprogramme für ultraorthodoxe Frauen, wie Verhütung geht, dass Abtreibung ein Frauen- und Menschenrecht ist und dass sich Frau-Sein ganz sicher nicht über Mutter-Sein definiert. Aber vermutlich wäre so ein Programm ein no-starter, warum sollten die Frauen weniger fanatisch sein wie die Männer? Gibt es dafür Indizien?

Der ehemalige israelische Polizeipräsident von 2004 bis 2007 Moshe Karadi sieht in dem Plan von Ben Gvir ein „Rezept für eine Katastrophe“. So könnte der rechtsextreme Schläger Ben Gvir als Minister, der er ist, dieser Nationalgarde befehlen, Zehntausende Demonstrant*innen vom Ayalon-Highway in Tel Aviv zu fegen, während die Polizei in Tel Aviv ein solches Verhalten für unverhältnismäßig und gegen das Grundrecht auf Demonstration ansehen würde, wie die Erfahrung der letzten Wochen beweist.

Daher gab es bislang auch häufig eine Duldung solcher Blockaden, auch wenn es teils Gewalt von berittener Polizei und von Wasserwerfern gab. Doch eine ausschließlich politisch orientierte Nationalgarde hätte mit einer Demokratie und einer Gewaltenteilung nichts mehr zu tun.

Netanyahu, der wegen Korruption Angeklagte, extreme Opportunist und mittlerweile sehr wohl nicht mehr liberale, sondern rechtsextreme Aktivist, der selbst kürzlich am Shabbes in London in nicht koscheren Restaurants dinierte, aber jetzt ein Gesetz verabschiedet, nachdem Patient*innen im Krankenhaus (!) in Israel zu Pessach keine gesäuerten Lebensmittel essen dürfen – gestern wurden einer schwangeren Frau Kekse im Krankenhaus weggenommen, womöglich auch noch Jaffa-Kekse! -, hatte Ben Gvir die Zusage zu dieser paramilitärischen Einheit gegeben, da Ben Gvir die Koalition nicht verließ, obwohl Netanyahu die geplante Zerstörung der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit des Obersten Gerichts (lediglich) um fünf Wochen verschob. Ab dem 1. Mai, in der Sommersitzungsperiode der Knesset, plant die rechtsextreme Regierung weiterhin ohne jedes Zugeständnis, ohne jeden Kompromiss an ihrer „Justizreform“ festzuhalten, die sowohl die Wahl der Obersten Richter*innen durch die jeweilige Regierung als auch die Möglichkeit mit nur einer Stimme Mehrheit Urteile des Obersten Gerichts zu annulieren vorsieht.

Moshe Karadi sieht in der neuen Nationalgarde, einer Art Privatarmee für Ben Gvir, eine Analogie zu den islamistischen Revolutionsgarden im Iran, so die Times of Israel. Auch der ehemalige Polizeipräsident Assaf Hefetz sieht in der neuen Nationalgarde eine extreme Gefahr, es gebe doch bereits eine Polizei und ein Militär, die jeweils demokratisch kontrolliert würden und eigenständig seien, das sei völlig ausreichend.

Man muss sich wirklich einmal vorstellen. Bis ins Jahr 2020 hing zu Hause im Wohnzimmer von Ben Gvir ein Bild des Massenmörders Baruch Goldstein, der am 25. Februar 1994 in Hebron 29 Muslime in einer Moschee massakrierte. Dass ein solcher Pro-Terrorist wie Ben Gvir überhaupt Minister wurde ist ein Skandal und eine Schande für den Zionismus und Israel. Das wäre wirklich ein seriöser Grund, Israel zu boykottieren. Eine Regierung, die einen Fascho wie Ben Gvir in ihren Reihen hat, hat keinerlei Legitimation.

Aber das Problem sind natürlich jene gut 48 Prozent Israelis, die Ben Gvir, Vorsitzender der rechtsextremistischen Anti-Abtreibungs-Partei Otzma Yehudit, Smotrich, Vorsitzender der Partei Ha-Ichud HaLeumi – Tkuma oder den Likud unter Netanyahu gewählt haben. Der vorbestrafte Vorsitzende der religiösen Schas-Partei Arje Deri, Vater von neun Kindern (die laut Forbes Magazin „mächtigste Frau der Welt“ und Präsidentin der EU Kommission Ursula von der Leyen, hat nur sieben!), unterstreicht nochmal, was für ein kriminelles Potential im Kabinett Netanyahu VI steckt.

Ähnlich wie der Historiker Martin Wein plädiert auf den Blogs der Times of Israel, der wohl größten Plattform für zionistische Blogger*innen weltweit, die neben den professionellen Journalist*innen der TOI dort publizieren, auch der ehemalige Leiter des Presseamtes der israelischen Regierung von 1977 bis 1982 Zev Chafets für eine „Teilung des Landes“. Es sei vollkommen aussichtslos, säkular-weltlichen Zionist*innen in Tel Aviv die Weltsicht der Ultraorthodoxen von Jerusalem näher zu bringen. Und der regelrechte Hass vieler fanatischen Religiösen gegenüber den Weltlichen ist unübersehbar. Daher: Teilung des Landes.

Der zionistische Traum ist am Ende. Es wird aller Voraussicht nach kein geeintes Israel mehr geben, und auch keine Zweistaatenlösung. Die Palästinenser sind dafür nicht reif, ihr Antisemitismus steckt viel zu tief, und damit sind nicht nur die Hamas und der Islamismus verantwortlich, sondern auch säkulare Antisemiten in der Folge der PFLP und anderer Terrorgruppen.

Die Bevölkerungspolitik der Islamisten („Macht nicht drei, sondern fünf Kinder, denn ihr seid die Zukunft Europas“, sagte Erdogan am Freitag im westtürkischen Eskisehir, März 2017) wie der jüdischen Extremisten wird Israel nicht nur verändern, sondern im zionistisch-weltlichen Kern zerstören. Wer sich anschaut, wie jüdische Fanatiker ihre Torah-Indoktrinationsgebäude in jedem Stadtteil von Jerusalem ausbreiten, merkt, wie fanatisch und obsessiv da vorgegangen wird. In diesem Text ist ein Video verlinkt zu „Jerusalem: the secular struggle“ und ich bin froh, dass meine beiden Freund*innen Schaul und Hanna aus Jerusalem, die beide Anfang der 1920er Jahre in der Weimarer Republik bzw. in Österreich geboren worden waren und Ende der 1930er Jahre gerade noch so den Nazis entkommen konnten und sodann das Land Israel, den zionistischen Traum verwirklichten und vor wenigen Jahren, jeweils über 90 Jahre alt, starben, das nicht mehr erleben müssen.

Der Historiker Martin Wein, der über 10 Jahre lang die Geschichte Tel Avivs unter anderem an der Universität Tel Aviv unterrichtete, meint das durchaus ernst, auch wenn ihm die realitätsferne Dimension seiner Fantasie klar sein dürfte:

If a “Velvet Divorce” can be achieved, the solution of Tel Aviv and Jaffa (plus Herzliya?) quitting the State of Israel is a good one, and not only for the city-state, but also for the entire country. This division will not weaken Israel, but help it to re-evaluate its power balances. It can in and of itself serve as a model for a future division of the entire land between Israelis and Arabs in an orderly, agreed upon, and functional manner. (…) There are many models of small or miniature countries in the world. It should be possible to reach similar arrangements that have been successfully implemented elsewhere and adapt them to the current situation without reaching a crisis point with Jerusalem. It is especially important to allow the free movement of people and trade via a security membrane. At least until the construction of an industrial port in the territory of the city-state, Tel Aviv-Jaffa will be dependent on supplies via Israel. But it would already be possible to start daily fast ferry services for passengers to places such as Larnaca, in Cyprus (with an international airport). Jaffa, perhaps the world’s oldest continuously used port city, may soon become – together with Tel Aviv and Herzliya – the UN’s newest, 194th member state.

Eine solche Lösung ist natürlich keine Revolution, sondern immanent-kapitalistisch. So wie viele, die von „Klimaneutralität“ reden, doch nur den Profit der Solar- und Windenergie-Fonds meinen. Aber es wäre ein angenehmeres Leben in Tel Aviv, ohne 20.000 rechtsextreme Schläger, die letzte Woche quasi im Auftrag der Regierung (!) aus dem ganzen Land anreisten und eine Demonstration für die geplante Justizzerstörung in Tel Aviv abhielten – am Samstag darauf, vorgestern, waren wieder ca. 200.000 gegen die Politik von Netanyahu und die „Reform der Justiz“ auf den Straßen von Tel Aviv – einer Stadt mit weniger als 500.000 Einwohner*innen, dazu gab es Demos in weiteren 150 Städten und Gemeinden.

Zef Chafets hat einen realistischen Blick auf das Land. Er möchte keine 3-Staatenlösung, sondern erstmal eine politisch-kulturelle Trennung des denkenden und des religiösen Teils des Landes. Er ist wie alle Menschen, die er kennt – wirklich alle! – bei den Demonstrationen in Tel Aviv auf der Straße. Aber den Schlachtruf nach „Demokratie“ schreit er nicht mit. Weil es nämlich eher zu viel Demokratie gebe, nicht zu wenig, wie er schreibt. Die Massen an religiösen Fanatiker*innen hassen zwar die Demokratie, aber sie lieben die Wahlen – weil sie die auch in Zukunft immer, wirklich immer, gewinnen werden. Wenn eine säkulare Frau in Tel Aviv nur zwei Kinder oder – Gott behüte! – gar keine bekommt und ihre Schwester in der besetzten Westbank 11 Kinder, und diese Kinder von Geburt an indoktriniert werden und es extrem schwer haben werden, zu selbst denkenden Wesen zu werden, dann ist das Schicksal des Landes Israel besiegelt.

Zef Chafets schreibt:

Like everyone I know (or care to know) I have been demonstrating in the streets of Tel Aviv. But I have not joined my fellow protesters in their chants for dem-o-cratia! It is a battle cry that misunderstands the real crisis that Israel faces. There is too much democracy here, not too little.

The government headed by Bibi Netanyahu was elected fair and square. Nobody is accusing the winners of voter fraud, intimidation, or sleight of hand. The contest was a pure exercise in electoral democracy. The people spoke.

Chafets war schon vor bald 30 Jahren ein sehr weitblickender Analyst. 1996 forderte er in einer dreiteiligen Artikelserie im „Jerusalem Report“ eine solche Teilung des Landes zwischen Säkularen und Religiösen. Es sei zweck- und sinnlos, die jeweils andere Seite zu überzeugen.

Die avisierte 3-Staatenlösung von Martin Wein ist insofern noch hellsichtiger, als sie explizit die Palästinenser, deren Unerbittlichkeit im Kampf gegen Israel er keineswegs ignoriert, mit einbezieht. Es wäre eine 3-Staatenlösung, zwei fanatische Einheiten für Juden beziehungsweise Muslime und Palästinenser, und einen weltoffenen, kleinen Hafen der Freude und Vielfalt (immer natürlich unter dem Diktat des Ware-Seins des Menschen unterm Kapitalismus) in Tel Aviv-Jaffa.

Schließlich gilt schon seit sehr langer Zeit: ein Leben ohne Jaffa-Kekse wäre zwar möglich, aber völlig sinnlos, wie der Spiegel 2019 berichtete.

Screenshot, https://www.aldi-nord.de/sortiment/snacks-suessigkeiten/kuchen-gebaeck-kekse/jaffa-cake-3507-0-0.article.html

LIVE: Volksaufstand gegen Netanyahu und für Israel: 700.000 auf den Straßen des ganzen Landes

Von Dr. phil. Clemens Heni, 27. März 2023

Nach der gestrigen Entlassung des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant, der doch noch Mut hatte und am Samstag in einer Video-Botschaft seine eigene Regierung aufforderte, die geplante Justizreform auszusetzen, durch Benjamin Netanyahu abends gegen 22 Uhr Ortszeit, gibt es aktuell (Montagmorgen kurz vor 1 Uhr Ortszeit Israel) einen regelrechten Volksaufstand. Es wird geschätzt, dass aktuell bis zu 700.000 Menschen – mitten in der Nacht – auf den Straßen sind, und gegen die Entlassung des Verteidigungsministers und die gesamte Politik von Netanyahu demonstrieren. Darunter sind Zehntausende Reservisten, Elitesoldat*innen, Polizist*innen, Geschäftsleute, Linke, Liberale, die breite Mitte und auch Konservative und gar einige Religiöse.

700.000 Demonstrant*innen auf den Straßen – in einem Land mit 9 Millionen Einwohner*innen!!!

Sie demonstrieren vor den Privatadressen von Ministern oder auch dem Regierungssitz von Netanyahu. Die zentrale Autobahn in Tel Aviv, der knapp 30km lange Ayalon Highway, den alle kennen, die je in Israel waren, ist blockiert. Das kam in den letzten 12 Wochen schon häufig vor, aber nie von so vielen Zehntausenden wie heute und bislang auch nicht mit brennenden Barrikaden. Es ist Volksaufstands-Zeit!

Wer diese Bilder sieht, merkt, das ist ein Volksaufstand:

Jetzt gibt es auch Feuer. Game over, Bibi.

Der ehemalige Chef des Mossad Efraim Halevy, sprach im TV-Sender CNN in scharfen Worten gegen die geplante Politik von Netanyahu. Dabei wird auch eine Stellungnahme der ehemaligen Botschafterin Israels in Frankreich Yale German, die im Februar 2023 aus Protest zurücktrat, eingespielt.

Halevi sagt, dass Netanyahu ein Lügner ist, da er vor der Wahl nichts zu dieser geplanten Justizzerstörung gesagt habe und die Wahl ganz sicher verloren hätte, wenn das als ein zentraler Programmpunkt seines Wahlprogramms bekannt gewesen wäre. Halevi wurde vor Jahren von Netanyahu als Chef des Mossad eingesetzt. In dem Gespräch mit CNN geht die Moderatorin auch auf die schockierenden Gewaltexzesse in Huwara im Westjordanland ein, als nach dem Mord an zwei Juden durch Palästinenser Häuser und Autos der Palästinenser durch Siedler angezündet wurden und ein Mensch ermordet wurde, Dutzende wurden verletzt. Der israelische Finanzminister Smotrich sprach sodann davon, man solle die Stadt von der Landkarte wischen, also zerstören. Sein späteres Dementi war lachhaft, er wurde von Netanyahu nicht entlassen. Schließlich geht es in dem faszinierenden CNN-Gespräch um den von China eingefädelten Deal von Saudi-Arabien mit dem Iran. Der Ex-Mossad Chef betont, dass Israel eigentlich gar keinen Konflikt mit dem Iran habe, keine gemeinsame Grenze etc., und dass man genauer schauen müsse, gerade als Israeli, wie die Chinesen das geschafft hätten, was der Preis war und ob es nicht für Israel eine Möglichkeit geben könnte, sich mit dem Iran zu verständigen …

Als die Leute von dem Rausschmitt Gallants aus der Regierung hörten, kamen sie aus der Philharmonie, Frauen in High-Heels und mit Stolas, Leute rannten aus Restaurants und alle strömten zum Kaplan Platz und zur Stadtautobahn Ayalon. Die Polizei versuchte anfangs, die Demonstrant*innen aufzuhalten, aber es war eine unglaublich riesige Gruppe, Zehntausende.

Es geht um jede Sekunde und Stunde. Morgen früh ab 8 Uhr möchte der rechtsextreme Vorsitzende des Justiz- und Verfassungs-Ausschusses Simcha Rothman die Gesetzgebung eines Gesetzes zur Wahl der Höchsten Richter fortführen und noch am selben Abend das Gesetz, das der Regierung die Macht geben würde, Höchste Richter nach ihren politischen und nicht juristischen Vorlieben zu bestimmen, mit aller Gewalt durch die Knesset peitschen.

Was jetzt zählt ist: Rücktritt von Netanyahu, sein Ende als Politiker, seine Anklage und dann mal sehen, ob er in Freiheit oder im Gefängnis seinen nächsten Hochzeitstag verbringt. Aber das ist egal.

Rücktritt der ganzen Regierung, die Israel in seinen Grundfesten zerstören will, intentional, sie wollen keinen Rechtsstaat, weil sie nationalistische, rechtsextreme und zumal religiöse Fanatiker sind.

Sie müssen gestoppt werden.

Es geht um den Zionismus und Israel als demokratischen Rechtsstaat.

Der ehemalige israelische Regierungschef Ehud Barak betont in aller Schärfe, dass ein bloßes Verschieben oder Aussetzen der Abstimmung die Proteste überhaupt nicht beende würde. Es geht um ein ENDE dieser Justizreform, die eine Zerstörung der Unabhängigkeit der Justiz wäre, religiösen Extremisten die Möglichkeit geben würde, eine Gender-Apartheid in Bussen durchzusetzen oder weiterhin die Sonderregelung für die Religiösen bedeuten würde, nicht zur IDF gehen zu müssen. Nun kann ich verstehen, wenn man keine Lust auf Krieg hat – aber die Begründung ist religiös, nicht rational und in Israel ist es überlebensnotwendig eine sehr starke Armee zu haben, von der auch die Religiösen profitieren, aber überhaupt nichts für die IDF leisten.

Dass es der übergroßen Mehrheit der Protestierenden nicht um die Besatzungspolitik geht und dass eine militärische Sprache überhand nimmt, die von Krieg redet und damit Bürgerkrieg meint, das ist selbst für israelische Verhältnisse neu.

Gallant, der noch am Donnerstag von Netanyahu zensiert wurde, hat zwei Tage später eben doch noch seine Meinung gesagt und berichtet, dass er noch nie eine so dramatische Stimmung in der israelischen Armee erlebt hat wie derzeit. Die Soldat*innen sind nicht bereit, für diese Regierung zu üben, geschweige denn zu kämpfen.

Eine Ironie am Rande: wann gab es zuletzt Demonstrationen gegen die aktuellen Zustände in Israel, die ausgerechnet in London mit Israelfahnen bestückt waren?

DAS Symbol des Protests ist die blau-weiße Fahne mit dem Davidstern. Es kam schon vor, dass rechtsextreme Schlägertrupps Menschen mit einer Israelfahne in Israel (!) angriffen, weil sie denken (zu Recht), dass es sich hierbei um zionistische Kritiker*innen der aktuellen Regierung handelt.

Bislang war ja die Israelfahne in Israel eher Symbol der Rechten.

Jetzt aber ist sie zu dem Symbol des Zionismus geworden, zum Symbol für Vielfalt, LGBTQ+, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und für Minderheitenrechte. Doch dass daraus eine radikale Kritik der Besatzungspolitik erwächst, ist eher unwahrscheinlich, darum geht es kaum bis gar nicht. Der extreme Rechtskurs von Netanyahu hat das Land erschüttert wie nichts seit 1973 und dem Yom Kippur Krieg, wie die Times of Israel schreibt.

Es kann jetzt nicht um ein Aufschieben dieser diktatorischen Gesetzung auf die Zeit nach Pessach, also auf Mitte/Ende April 2023 gehen, wie es jetzt selbst Netanyahu in Erwägung zieht. Es muss um ein Ende der Justizzerstörungs-‚Reform‘ gehen. Das betont auch Ehud Barak, es sein ein point of no return erreicht. Die Demonstrationen werden nicht aufhören, bis alle rechtsextremen Gesetzgebungsideen von Yariv Levin, Ben Gvir, Deri und Netanyahu und alle anderen komplett vom Tisch sind.

Yalla, es lebe der Zionismus! Nieder mit Netanyahu, korrupten, nationalistischen und religiösen Extremisten, Platz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

 

Update 9:34 Uhr:

Der Chef der Gewerkschaft Histadrut Arnon Bar-David, droht mit

einem nie dagewesenen Generalstreik, wenn die geplante Justizzerstörungsaktion von Netanyahu nicht gestoppt wird. Dieser Generalstreik würde alle Bereiche der Gesellschaft betreffen, auch Krankenhäuser etc. Schon heute könnte der Generalstreik beginnen. Schon heute kündigen Kindergärten an, zu schliessen, Einkaufszentren schließen gegen Mittag und Morgen öffnen viele Geschäfte überhaupt nicht.

Der ehemalige Minister und Ex-Netanyahu Vertraute und Vorsitzende der Partei Israel Beytenu (Unser Haus Israel) Avigdor Liberman, fordert den Likud auf, Netanyahu und Justizminister Levin auszuschließen bzw. zu entlassen. Die gestrige Blockade der Ayalon Stadtautobahn gingen laut Times of Israel bis ca. 4 Uhr am Morgen.

9:58 Uhr

Der Flughafen Ben-Gurion ist im Streik. Offenkundig hatte wenige Minuten zuvor Bar-David tatsächlich den historischen Generalstreik ausgerufen.

Schon gestern Abend berichtete Haaretz, dass der israelische Generalkonsul Asaf Zamir in der weltweit größten jüdischen Stadt (in keiner anderen Stadt leben mehr Juden) – New York City – seinen Rücktritt erklärt hat. Er gab eine Erklärung auf einer Veranstaltung im jüdischen Museum New York vor 900 Gästen ab.

10:12 Uhr:

Der Präsident Israels Isaac Herzog forderte laut Jerusalem Post heute Morgen die Regierung auf, die geplante Justizreform sofort, also HEUTE, zu stoppen. Das Land wäre am Rande eines Kollapses, weil weite Teile der Bevölkerung, der Armee und aller zentralen Einrichtungen gegen die geplante Justizreform sind und es letzte Nacht Gewalt und Barrikaden gab.

11:13 Uhr:

Die Rechtsextremen, Rassisten, Schläger und Hooligans des Beitar Jerusalem Fußballclubs von „La Familia“ („Death to Arabs“) kündigen an, heute Abend um 18 Uhr Ortszeit auf die Kaplanstraße in Jerusalem zu marschieren. Der Knessetabgeordnete und Vorsitzende des Justiz- und Verfassungsausschusses Simcha Rothman von der Partei Religiöser Zionismus forderte seine Anhänger (wie La Famlia) auf, zu demonstrieren. Schon jetzt fahren Tausende Kritiker*innen der Regierung mit Zügen und Autos in Richtung Jerusalem, um gegen die Justizzerstörung vor der Knesset zu demonstrieren. Die Kaplan Street führt am Rosengarten vorbei direkt zur Knesset. Auch in Tel Aviv gehen die Demonstrationen über die Kaplanstraße.

Ben Gvir droht, dass die Regierung platzen wird, wenn Netanyahu die Gesetzgebung stoppen sollte. Schön wär’s!

NEU Vorankündigung: Pandemic Turn – Antisemitismusforschung und Corona

Im April 2023 erscheint:

Clemens Heni

Pandemic Turn

Antisemitismusforschung und Corona

ISBN 978-3-946193-39-5 | 17 x 24 cm | Hardcover mit Schutzumschlag | Lesebändchen | xxxvi + 638 Seiten | 38€ | 202 Abbildungen |

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Antisemitismus, Band 8 |

Leseprobe Heni Pandemic Turn 2023

Ich liebte Karstadt – Die irrationale und fanatische deutsche Corona- und Ukrainepolitik zerstört die Innenstädte vollends

Von Dr. phil. Clemens Heni, 13. März 2023

Die menschenfeindliche, irrationale, demokratiefeindliche und aktuell zutiefst rassistische, blutige, gegen Diplomatie gereichtete, ja geradezu Rache für Stalingrad herbeischreiende, kriegsgeile Politik der deutschen Bundesregierung und ihrer staatsfetischistischen Medien führt zum Ende der Innenstädte, wie wir sie kannten. Karstadt ist fast völlig am Ende. Nahezu jede zweite Filiale wurde durch die Politik der deutschen Bundesregierung und dem kapitalistischen Prinzip an und für sich zerstört. Das Nicht-Einkaufen-Können während Corona und die extrem gestiegenen Energiepreise seit dem deutschen Wirtschaftskrieg gegen Russland gaben dem ohnehin dem kapitalistischen Diktat von Oligarchen unterworfenen Warenhausriesen den Rest.

Karstadt, das war die BRD. Das war das Leben bis 1989.

Dabei war das Prinzip des Warenhauses fortschrittlich. Es war die Idee, unter einem großen Dach alle wichtigen Waren des Alltags kaufen zu können, Hosen, Schuhe, Knöpfe, Teller, Osterhasen aus Schokolade, Schnürsenkel, Parfüm, Jeans, Unterwäsche, Mäntel und Jacken, Schreibwaren, Glückwunschkarten, Spielzeug, Sportgeräte, Zelte – und in jedem Karstadt gab es oben ein super Restaurant.

Der Blick von der Galeria Kaufhof in Stuttgart in der Eberhardstraße ist genial. Ähnlich dem Weitblick in die rheinische Tiefebene und hin zum Neckar von der Galeria Karstadt am Bismarckplatz in Heidelberg.

Als ich wenige Tage nach dem 11. September 2001 meine alten Genossinnen und Genossen, die zu Tausenden auf einer Demonstration ihre Schadenfreude hinausbrüllten und ihre Bin Laden Cocktails schlürften, mit gelben Flugzetteln zur Kritik des islamistischen Terrorismus überschüttete, flüchtete ich danach vor diesen antisemitischen und antiamerikanischen, pro-jihadistischen Autonomen – natürlich in den Karstadt in Bremen und genoss dort die kulinarischen Köstlichkeiten.

Als ‚wir‘ Autonomen Jahre zuvor, ca. 1993 auf einer Antifa-Demo den Weihnachtsmarkt in Essen auflockerten, war der Karstadt auch ein Schutzraum.

Meine ersten Waren kaufte ich im Karstadt in Esslingen am Neckar (im gleichen Gebäude, damals noch „Hertie“), nehmen wir Zelte, Campingkocher, Badetücher, Jogginghose – das war in den 1980er Jahren.

Galeria Kaufhof, die ja vor Jahren mit Karstadt fusionierten (Monopolkapitalismus, die letzte Stufe vor dem Ende), waren das Symbol für Urbanität. Jenseits des Miefs kleiner Läden, die nicht nur um 1900 Leute nach dem Äußeren aussonderten und schief anschauten, waren Kaufhäuser kosmopolitisch, das Warenangebot riesig und es war anonym. Da war keine Einlasskontrolle, es war das kapitalistische Warenparadies, natürlich nur für jene, die Geld haben, klar. Aber man konnte auch – im Gegensatz zu den spießigen, noch viel teureren kleinen Modeboutiquen oder Kitschläden – einfach stundenlang durch die Gänge schlendern, Rolltreppe fahren, Aufzug fahren, Sachen anprobieren, an- und wieder ausziehen, sich einen Spaß machen oder natürlich als Teenager auch mal Sachen kaufen, für die man dann gar nichts bezahlen musste.

Die Karstadt-Filialen in Essen, Bremen, Regensburg am Neupfarrplatz, in Esslingen, in Reutlingen, in Stuttgart in der Eberhardstraße und Dutzende weitere schließen jetzt in wenigen Monaten. Hier ist die Liste jener Galeria Karstadt Kaufhof Filialen, die geschlossen werden – die man als Oligarchen-Kapitalismus-Liste sowie Coronapolitik- und Ukraine-Solidaritätsliste bezeichnen kann.

 

Massenproteste in Israel für Demokratie und Zionismus – Der größte inoffizielle Unterstützer der antisemitischen BDS-Bewegung heißt Benjamin Netanyahu

Von Dr. phil. Clemens Heni, 11. März 2023

Noch nie gab es in der Geschichte Israels an zehn aufeinanderfolgenden Wochen jedes Wochenende und dazu unter der Woche Demonstrationen mit über 100.000 bis zu 500.000 Teilnehmer*innen im ganzen Land, vorneweg über 100.000 jeweils in Tel Aviv.

Heute am Samstag, den 11. März 2023 sind es am Abend gegen 21 Uhr Ortszeit 250.000 Demonstrant*innen allein in Tel Aviv!!

Es herrscht Revolutionsstimmung. Das Militär, die Polizei, die Unternehmer, die Student*innen, die NGO-Szene, die Kneipenwirte – alle sind sie dabei, Linke, Rechte, Liberale.

In ganz Israel sind heute laut den Organisatoren 500.000 Menschen auf den Demonstrationen gegen die Regierung Netanyahu und die geplante „Justizreform“. Man muss sich die Dimension vorstellen: Tel Aviv, die erste hebräische Stadt, die Bauhaus-Stadt, in der am 14. Mai 1948 von David Ben-Gurion die Unabhängigkeit des jüdischen und demokratischen Staates Israel verkündet wurde, hat heute knapp 450.000 Einwohner*innen. Israel hat ca. neun Millionen.

Heute wurde der entlassene und jetzt wieder eingesetzte Polizeichef von Tel Aviv beklatscht und bejubelt auf der Demonstration.

Man muss sich das alles vorstellen, weil es so phänomenal ist. Endlich gibt es Proteste, die über das typisch linke Milieu hinausgehen!!

Hier demonstriert die Mitte der Gesellschaft. Hier demonstrieren Israelis, die für ihr Land kämpfen, für den Zionismus, für die Demokratie. Sie haben es geschafft, die israelische Fahne als das Symbol des Widerstands zu etablieren – bislang waren Demonstrationen mit der Israelfahne eher mit den Rechten oder Siedlern assoziiert.

Viele verkleiden sich als oberster Richter*innen, denen kein Gehör mehr geschenkt wird. 37 von 40 Reservisten einer Elite-Einheit der israelischen Luftwaffe hatten sich am Mittwoch geweigert, eine Übung abzuhalten. Sie erschienen zwar zum Dienst, aber diskutierten über die geplante Justizreform, die einer Zerstörung der Gewaltenteilung gleich käme, da die Knesset mit einfacher Mehrheit jedes Urteil des Obersten Gerichthofs überstimmen könnte. Das könnte das Ändern von Wahlkreisen, die Zulassung oder Nicht-Zulassung zur Wahl (wie von arabischen Parteien, von Linken etc.), Urteile über illegale Siedlungen und vieles mehr bedeuten.

Dabei war der oberste Gerichtshof bislang gar nicht sonderlich links – er hat die völkerrechtlich nicht haltbaren Siedlungen in der Westbank nicht verurteilt, sondern nur besonders eklatant illegale Außenposten. Darauf weisen Texte wie in Haaretz diese Woche hin.

Es geht vor allem um den Kampf der säkularen Mehrheit des Landes gegen die Religiösen, die in einer klaren Minderheit, aber jetzt an der Macht sind. Die Pointe: die Rechtsextremen und Religiösen wie die Mitglieder, Minister oder Knessetabgeordneten der Shas-Partei oder der Partei United Torah Judaism dienen gar nicht in der Armee. Sie tun nichts zur Verteidigung Israels gegen den Iran, gegen palästinensische Terrorist*innen oder andere Gefahren. Der Volksverhetzer, Rassist, Sexist und homophobe, vorbestrafte Schläger Ben-Gvir wurde gar nicht erst zur israelischen Armee zugelassen!

Es gab Demonstrationen von Marinesoldaten im Hafen von Haifa.

Am Frauenkampftag 8. März demonstrierten Frauen in Tel Aviv, angezogen als Richterinnen:

Red was chosen as the theme color of the “Women’s Chain for Democracy” after groups of crimson-robed “handmaids” – inspired by the Margaret Atwood novel and Hulu series “The Handmaid’s Tale” – have become staples of the weekly mass demonstrations across the country.

. Sie sehen die Gefahr dass die extrem patriarchal-religiös-rechtsextremen Männer unter Netanyahu zum Beispiel die von vielen Religiösen gefordete Separierung von Frauen und Männern in öffentlichen Bussen wie in Stadtteilen von Jerusalem und anderen Städten einführen könnten – vorne die Männer, hinten die Frauen. Eine Apartheid gegen die Frauen, wie man sie in Saudi-Arabien verorten würde.

 

Letzten Samstag demonstrierten in Tel Aviv Zehntausende gegen „Bibistan“ und forderten wie heute auf, „zu revoltieren“.

Andere demonstrierten gegen das neu-rechte Think Tank „Kohelet Policy Forum“, das ja federführend für die Ausarbeitung der geplanten Justizzerstörung verantwortlich ist.

Es wird damit gerechnet, dass eine Vielzahl von Reservisten, gerade in Eliteeinheiten, die für Einsätze gegen Terrorgruppen in Syrien oder dem Libanon etc. verantwortlich sind, nicht für Netanyahu in den Krieg ziehen werden. Ein unglaublicher Vorgang – für den niemand anderes als Netanyahu verantwortlich ist.

Am Donnerstag musste der israelische Regierungschef mit dem Helikopter zum Flughafen Ben-Gurion geflogen werden – weil die Zufahrtsstraßen von Protestierenden völlig blockiert waren. Der amerikanische Verteidigungsminister Austin konnte am Donnerstag nicht nach Tel Aviv oder Jerusalem, sondern musste sich provisorisch in Gebäuden neben dem Flughafen mit Netanyahu treffen. In Israel wird Ben-Gvir von Oppositionschef Yair Lapid als „TikTok-Clown“ lächerlich gemacht, Netanyahu wird als Chef einer „Bananenrepublik“ bezeichnet, der gegen das eigene Volk mit dem Hubschrauber zum Flughafen geflogen werden muss.

 

Es geht um den Kern des Zionismus: gleiche Rechte für alle und ein demokratischer und jüdischer Staat für die Juden UND alle anderen Bewohner*innen des Staates Israel. Es geht um Säkularismus versus religiösem Fanatismus.

Täglich verliert das Land zig Millionen Schekel von Firmen, die sich aus Israel zurückziehen und ihr Geld in den USA, Europa oder anderswo investieren.

Die High-Tech Branche ist erstmals in höchster Alarmstimmung und zentraler Teil der mittelständischen Proteste gegen die geplante Justizreform, die einer Zerstörung der Gewaltenteilung gleich käme, da Urteile des Obersten Gerichtshofs mit einfacher Mehrheit von 61 Stimmen in der Knesset von der Regierung oder einer anderen Mehrheit überstimmt werden könnten. Dazu soll die Regierung auch fünf von neun Sitzen in dem Gremium erhalten, das neue Richter im ganzen Land bestimmt. Das alles ist seit Jahrzehnten geplant, da die Neue Rechte nach der totalen Macht strebt.

Netanyahu möchte aus Israel ein nahöstliches Ungarn machen und ein homophobes, frauenfeindliches, rassistisches Klima noch verschärfen.

Täglich gibt es neue Desinvestitionsansagen von Firmen. BDS war gestern – heute ist Netanyahu derjenige, der Israel isoliert und den Boykott des Staates voranbringt. Man muss sich nur anschauen, wie in England oder USA in jüdischen Gemeinden mit Fassungslosigkeit über die aktuelle Politik diskutiert wird. Aber in Deutschland? Ein bisschen deskriptives Beschreiben der Situation in der Jüdischen Allgemeinen und die angeblichen Pro-Israel Blogger kaprizieren sich wie immer auf Muslime und den Jihad. Israel ist ihnen schlichtweg egal!!

Und aus all diesen Gründen ist Benjamin Netanyahu die aktuell größte Gefahr für Israel – er zerstört das Land von innen heraus.

Benjamin Netanyahu möchte am 16. März 2023 nach Berlin reisen.

Am Donnerstag, vorgestern, sprach der israelische Präsident Herzog in ganz scharfen Worten gegen die „Justizreform“ und sagte, die Regierung solle das Unterfangen sofort stoppen – sonst würde Israel auseinanderbrechen.

Letzteres ist ja das Ziel der Neuen Rechten, sie lieben den permanenten Ausnahmezustand. Darin ähneln sie der Hamas, die gestern wieder einen Terroranschlag in Tel Aviv verübte. Das sehen sehr viele Israelis exakt so. Sie sehen sich in einem zweiten Unabhängigkeitskrieg – dieses Mal nicht gegen die Araber, sondern gegen extremistische Juden der Regierung Netanyahu.

Nächsten Donnerstag also möchte Netanyahu nach Berlin fliegen, angenommen, er kommt überhaupt am Flughafen an und es gibt eine Crew, die ihn fliegen will – denn auch das gab es diese Woche, dass El Al Mitarbeiter*innen sich weigerten, Netanyahu nach Rom zu fliegen.

Ich habe Netanyahu im Mai 2015 in Jerusalem auf dem Global Forum for Combating Antisemitism in Jerusalem erlebt. Es war ein peinlicher Auftritt. Anfangs musste der ganze Saal sich erheben, Minuten bevor der König hereinkam. Eine Bekannte von mir aus Tel Aviv blieb sitzen. Die Arroganz dieses wegen Korruption angeklagten Mannes, der eigentlich viel für Israel geleistet hat, aber seit Jahren dabei ist, das Land zu zerstören, war schwer erträglich. Das hatte mit Zionismus und Sozialismus nichts mehr zu tun. Sicher sind auch die StartUp-Nation-Zionisten alles nur keine Sozialisten. Aber sie bekämpfen Minister wie Smotrich, der nach einem mörderischen Terrorangriff in der Westbank auf zwei Juden forderte, man sollte den Ort, wo es passierte, die Kleinstadt Huwara, „platt machen“. Wer einen solchen Typen als Minister hat, hat kein Recht, sich Demokrat zu nennen.

Und gestern bekam ich wieder mal einen Newsletter von so selbst ernannten Israelfreunden aus Deutschland, die sich primär um den Iran und den Islamismus kümmern, was natürlich wichtige Themen sind. Aber deren Schweigen zum aktuellen Rechtsextremismus in Israel, zur geplanten „Justizreform“, die auch alle amerikanischen Juden in Aufruhr versetzt – bis auf die extremen Rechten natürlich, wie AIPAC -, dieses Schweigen schadet Israel.

Wer wirklich das Gute möchte für Israel, muss jetzt protestieren. Die Times of Israel oder Haaretz tun das auch mit einer Intensität, die ihresgleichen sucht.

Der Deutsche Bundestag hat sich gegen die BDS-Bewegung ausgesprochen.

Also muss er sich auch gegen Netanyahu aussprechen, keiner hat mehr zur Destabilisierung und zum Desinvestment beigetragen wie er.

Nieder mit Netanyahu und der aktuellen Regierung.

Für ein jüdisches UND demokratisches Israel.

Für die Gleichheit aller Bürger*innen in Israel.

Für Minderheitenrechte.

Für Gewaltenteilung.

Für eine israelische Verfassung.

Es lebe der Zionismus.

Am Israel chai.

 

Update 12. März 2023:

Die Times of Israel berichtet jetzt auch von Verschwörungsmythen aus Netanyahus direktem Umfeld, dass die USA – wer sonst – hinter den Protesten stehen würden und Demonstrant*innen bezahlen würden. Soviel Realitätsverleugnung gepaart mit antisemitischen Verschwörungsmythen (Juden würden nicht von sich aus gegen die Politik demonstrieren, sondern seien gekauft!!) – passen zu einem korrupten Politiker wie Bibi und seinem rechtsxtremen und religiös-fanatischen Umfeld.

Preisfrage: Warum darf Deutschland der Ukraine Waffen liefern, China Russland aber nicht?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 06. März 2023

Wer die Antwort auf die Frage im Titel dieses Artikels kennt, könnte eine Kandidatin (m/w/d) für den nächsten Friedensnobelpreis werden.

Frieden schaffen ohne Waffen ist ja das Motto der Stunde. Möchte man meinen. Doch weit gefehlt!

Denn der Glatzkopf aus Berlin meint Waffen für die Ukraine würden Frieden schaffen. Waffen für Russland von China jedoch wären ein Fall für den Weltkrieg. Das sei verboten.

Frage: Darf man Waffen nur an Länder liefern, die Plätze, Fußballstadien, Briefmarken, Straßen und so weiter nach Antisemiten und Tätern im Holocaust benennen?

Wieso durften die NATO, die USA und der Westen von 2014 bis Ende 2021 Waffen im Wert von vielen Milliarden Dollar und Euro an die Ukraine schicken, China darf aber bis heute nicht einmal eine einzige Patrone an Russland schicken?

Was ist die Antwort?

Mit Prof. Hajo Funke, Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und dem Zionisten Naftali Bennett für eine Friedenslösung in der Ukraine

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin Hajo Funke, bei dem ich vor 20 Jahren einmal Doktorand war, bevor ich nach Österreich ging, hat in einem sehr interessanten Gespräch mit der Deutschen Welle klar gemacht, warum das „Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht so enorm bedeutsam ist. Funke ist sehr besorgt über die Situation in der Ukraine. Er möchte, dass das Blutvergießen endet. Am Ende, egal ob nach einem langen Blutvergießen oder früher, stehen in jedem Fall Verhandlungen. Er wendet sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands, so wie es das Manifest für Frieden, das ich auch unterschrieben habe, ebenso tut.

Es ist aber, so Funke, seit John F. Kennedy und der Kuba-Krise klar, dass eine Atommacht nicht besiegt werden KANN. Eine Demütigung würde einen Atomschlag provozieren. Das wollen offenbar Scholz, vor allem aber Baerbock, Victoria Nuland und Boris Johnson. Wer von der NATO nicht reden will, soll vom Ukraine-Konflikt schweigen. Ironischerweise, auch darauf weist Funke hin, ist das Pentagon skeptischer als Biden… weil Experten halt doch wissen, dass dieser Krieg von der Ukraine nicht gewonnen werden kann und das auch kein Ziel sein kann.

Screenshot, https://www.youtube.com/watch?v=l_mHnunVUeg

Freundinnen und Freunde der Ukraine wollen eine Eskalation nicht.

Also: Es muss sofort um Verhandlungen um eine Friedenslösung gehen.

Screenshot, https://www.youtube.com/watch?v=l_mHnunVUeg

Wie Funke sagt: Lasst unter UN-Aufsicht die vier Oblaste und die Krim in Volksabstimmungen entscheiden, ob sie zur Ukraine oder zu Russland gehören wollen – oder die kommunistische Weltrevolution anstreben, würde ich hinzufügen.

Stoppt den Kriegdiskurs in Deutschland!

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für Verhandlungen.

Über 600.000 Menschen haben in wenigen Tagen die Resolution „Manifest für Frieden“ unterschrieben.

Screenshot, https://aufstand-fuer-frieden.de/

Die Resolution „Manifest für Frieden“ macht Furore wie kein anderer Vorgang seit dem Ende des Corona-Regimes. Die Medien und die Politik haben Panik – vor dem Frieden!!

Screenshot, https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden

Wenn im Ukraine-Konflikt jemand „rechtsoffen“ ist, dann der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland Melnyk. Er hat in München Blumen am Grab eines Antisemiten und Nazi-Kollaborateurs wie Stepan Bandera abgelegt und sich geweigert, sich vom Antisemitismus von Bandera zu distanzieren. Viel „rechtsoffener“ für Nazi-Kollaborateure kann man kaum sein. Melnyk wurde für seinen Liebe zum Antisemiten Bandera von Selensyki zum stellvertretenden Außenminister der Ukraine in Kiew befördert und keineswegs abgestraft, nur weil er nicht mehr Botschafter in Deutschland ist. Seine Hetze sprudelt weiter ungehindert aus ihm.

Darauf weist Sahra Wagenknecht heute in ihrem Video hin:

Screenshot, https://www.youtube.com/watch?v=16QS-8YnSZg

Das betrifft auch eine Vielzahl von Bürgermeister*innen in der Ukraine, die Straßen und Plätze nach Antisemiten und weiteren Nazi-Kollaborateuren benennen und in den letzten Jahren benannten:

In meinem neuen Buch, das in wenigen Wochen erscheinen wird, heißt es:

Die jüdische Zeitung Forward hat eine umfangreiche Forschung des Journalisten Lev Golinkin[1] publiziert,[2] indem er das Gedenken an Antisemiten, Nazikollaborateure und Judenmörder weltweit dokumentiert. Die Ukraine hat ein besonders langes Kapitel. So heißt es über Stetsko:

Screenshot, https://forward.com/news/462916/nazi-collaborator-monuments-in-ukraine/

„Ternopil — A bust of the genocidal Yaroslav Stetsko (1912–1986), who led Ukraine’s 1941 Nazi-collaborationist government which welcomed the Germans and declared allegiance to Hitler. A rabid antisemite, Stetsko had written[3] ‚I insist on the extermination of the Jews and the need to adapt German methods of exter­mi­nat­ing Jews in Ukraine.‘ Five days prior to the Nazi invasion, Stetsko assured[4] OUN-B leader Stepan Bandera: ‚We will organize a Ukrainian militia that will help us to remove the Jews.‘“

Stetsko schrieb: „Ich beharre auf der Vernichtung der Juden und wir müssen die deutschen Methoden der Ausrottung der Juden in der Ukraine übernehmen“.

Jeder einzelne Mensch in Deutschland, der Ukraine, den USA oder England etc. pp, der oder die sich unerbittlich hinter die Ukraine stellt, Panzer und am besten Kampfjets und Atomwaffen schicken möchte, stellt sich hinter diesen Antisemiten Stetsko, der zur „Vernichtung der Juden“ aufrief im Zweiten Weltkrieg.

Jeder und jede einzelne unkritische Pro-Ukrainer (m/w/d) stellt sich hinter ein Land, das unzählige solche Denkmäler hat für Antisemiten und Verbrecher wie Stetsko. Und es gibt viele solcher Denkmäler, wie der jüdische Forward dokumentiert.

Screenshot, https://forward.com/news/462916/nazi-collaborator-monuments-in-ukraine/

Screenshot, https://forward.com/news/462916/nazi-collaborator-monuments-in-ukraine/

Nach vielen dieser Massenmörder sind heute in der Ukraine Straßen und Plätze benannt, nicht nur nach Stepan Bandera, dem bekanntesten Nazi-Kollaborateur und Antisemiten, sondern auch nach Roman Shukhevych, ukrainischer Nationalist und Massenmörder bei der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), Roman Rudiy, Mitglied der SS-Division Galizien, Yaroslav Stetsko, Kopf der ukrainischen Regierung, die mit der Wehrmacht und den Nazis zu­samm­en­ar­beit­ete. Im März 2021 wurde ein Fußballstadion in der Stadt Ternopil nach Roman Shukhevych benannt, was zu einem Protest des Simon Wiesenthal Centers bei der FIFA[5] und zu einem Aussetzen der städtepartnerschaftlichen Kooperation mit der polnischen Stadt Zamość führte.[6]

Die Ukraine ist ein vollkommen verkommenes Land, was die Nicht-Erinnerung des Holocaust betrifft. Das rechtfertigt natürlich keinen völkrerrechtswidrigen Angriffskrieg, so wenig die Tatsache, dass Saddam Hussein ein Antisemit und Israelfeind war, den massenmörderichen Irak-Krieg der Amerikaner und ihrer Freunde rechtfertigte (2003).

Wer die Ukraine unterstützen möchte und nicht die Zerstörung weiterer Teile des Landes in Kauf nehmen will, der oder die muss sich für Friedensverhandlungen einsetzen. Wer die Ukraine zurück in den Kreis der zivilisierten Ländern führen möchte, setzt sich erstens für einen sofortigen Waffenstillstand ein und nach einer Friedenslösung für einen Abbau all dieser Denkmäler, die nach Antisemiten und Nazi-Kollaborateuren benannt sind. Auch Straßen und Plätze, die nach Antisemiten und Nazi-Kollaborateuren und Holocausttätern benannt sind, müssen umbenannt werden. Dabei sollten internationale Komitees der Ukraine helfen. Das stärkt eine Demokratie – Waffen, Privatisierung und Oligarchen zerstören sie.

Hilfe bei der Nicht-Benennung von Straßen und Plätzen nach alten Nazis, Antisemiten oder Wehrmachtssoldaten hätte auch Deutschland nach 1945 dringend nötig gehabt – und hat es bis heute nötig!!!

Es ist geradezu ironisch, dass sich die überhaupt nicht als Freundin des Zionismus oder Israels bekannte Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Sahra Wagenknecht im hebräischen Originalton auf Bennett bezieht, der am fünften Februar 2023 in einem langen Podcast mit einem israelischen Journalisten Tacheles redete. Bennett erläuterte darin wie hinlänglich bekannt – auch der zentrale online Fernsehsender Küppersbusch TV hat darüber berichtet -, dass Selenskyi und Putin sich auf einen Kompromiss geeinigt hatten:

Screenshot, https://www.youtube.com/watch?v=3G7lSnFDL1U

KEINE NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.

RÜCKZUG Russlands auf die Linien vor dem 24. Februar 2022.

Das war den Kriegstreibern Boris Johnson und Joe Biden zu viel des Friedens. Sie wollten und wollen weiterhin KRIEG.

Sie wollten und wollen offenbar, dass die Russen nicht mal die Chance erhalten, Denkmäler, die nach Holocausttätern, Antisemiten und Nazi-Kollaborateuren benannt sind, zu schleifen.

Und wenn jetzt ausgerechnet Wagenknecht völlig affirmativ einen zionistischen Politiker wie Bennett zitiert, dann ist es höchste Zeit, mit ihr gemeinsam für den Frieden, für eine Verhandlungslösung, wie sie Bennett schon vor einem Jahr versuchte, zu demonstrieren.

Funke erwartet im Deutsche Welle Interview womöglich bis zu 50.000 Demonstrant*innen morgen ab 14 Uhr in Berlin am Brandenburger Tor.

Wenn jemand „rechtsoffen“ ist, dann die deutsche Bundesregierung und die Mainstream-Medien, die seit über einem Jahr ukrainischen Antisemiten Platz bieten.

Wenn jemand „rechtsoffen“ ist, dann der Teil der ukrainischen Bevölkerung, der Straßen, Plätze und Fußballstadien nach Holocausttätern, Antisemiten und Nazi-Kollaborateuren benennt.

Eigentlich wäre die AfD prädestiniert, sich mit diesen Ukrainer*innen zu verbinden, schließlich liebt auch die AfD deutsche Traditionen.

Die Demonstration für ein Manifest für den Frieden stemmt sich gegen die deutsche Tradition des unerbittlichen Krieges.

Doch Baerbock, die deutsche Bundesregierung oder die Redaktion von Markus Lanz stehen in dieser Tradition:

„Krieg als inneres Erlebnis (Leitung: Ernst Jünger).

Der Zwang zur Friedfertigkeit hat wesentliche Erfahrungsbereiche verkümmern lassen. Noch unsere Väter wußten, daß in der Vergangenheit immer wieder ganze Völker sich zu gemeinsamen, existenziellen Erfahrungen im Grenzbereich begegneten. Diese ursprünglichen Erlebnisse drohen uns heute verloren zu gehen. Mit dem großen Wissenden Ernst Jünger wollen wir uns diese Welt wieder zugänglich machen und lernen, Gemeinheit und Niedertracht wieder lustvoll praktizieren zu dürfen. Bekannte und unbekannte Gefühle und Erregungen tauchen auf und lassen uns spüren, wie spannend es sein kann, seine Mitmenschen in Angst und Schrecken zu versetzen.“[7]

Nie wieder Deutschland heißt nie wieder Krieg!

Nie wieder Deutschland heißt Verhandeln statt Aufrüsten!

Nie wieder Deutschland heißt Bennett statt Baerbock!

 

[1] https://forward.com/authors/lev-golinkin/.

[2] Lev Golinkin (2021): Nazi collaborator monuments in Ukraine. Many new streets and monuments have been erected since a new government took over in 2014, 27. Januar 2021, https://forward.com/news/462916/nazi-collaborator-monuments-in-ukraine/.

[3] Karel C. Berkhoff/Marco Carynnyk (1999): The Organization of Ukrainian Nationalists and Its Attitude toward Germans and Jews. Iaroslav Stetsko’s 1941 Zhyttiepys, in: Harvard Ukrainian Studies, Dez. 1999, Vol. 23, Nr. 3–4, S. 149–184.

[4] Grzegorz Rossoliński-Liebe (2011): The „Ukrainian National Revolution“ of 1941: Discourse and Practice of a Fascist Movement, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History, Vol. 12, Nr. 1 (Winter 2011), S. 83–114.

[5] Roman Tymotsko (2021): Local governments name stadiums after Bandera and Shukhevych, provoking protest from Israel and Poland, The Ukrainian Weekly, 19. März 2021, https://www.ukrweekly.com/uwwp/local-governments-name-stadiums-after-bandera-and-shukhevych-provoking-protest-from-israel-and-poland/.

[6] „Beteiligung am Holocaust: Stadion nach Nazi-Unterstützer benannt – FIFA eingeschaltet“, 18. März 2021, https://www.mopo.de/sport/beteiligung-am-holocaust-stadion-nach-nazi-unterstuetzer-benannt-fifa-eingeschaltet-38192286/.

[7] Initiative Sozialistisches Forum (Hg.) (1984): Diktatur der Freundlichkeit. Über Bhagwan, die kommende Psychokratie und Lieferanteneingänge zum wohltätigen Wahnsinn, Freiburg: Ça-Ira-Verlag, S. 216. In späteren Jahren schreibt sich der Verlag ça ira.

 

Wer Kampfflugzeuge in die Ukraine schicken will, ist ein Antisemit, möchte Pro-Holocaustdenkmäler schützen und den Dritten Weltkrieg

Von Dr. phil. Clemens Heni, 09. Februar 2023

Der Titel dieses Beitrags sagt alles. Hier der Hintergrund.

 

Diffamierung der Kritik der Coronapolitik, Angriff auf den Obersten Gerichtshof: Zwei Amerikanische Juden und die extreme Rechte in Israel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Verleger, Edition Critic

 

Im September 2020 wollte der damalige Minister für Öffentliche Sicherheit im Kabinett V von Benjamin Netanyahu, Amir Ohana, sich von einem juristischen Experten Rat geben lassen, wie man die Demonstrationen gegen die antidemokratische, medizinisch irrationale und gesundheitsgefährdende Coronapolitik der israelischen Regierung eindämmen könnte. Doch der damalige Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hatte das schon zuvor ausgeschlossen, Israel sei eine Demokratie und Demonstrationen müssten erlaubt bleiben, egal ob ein Virus herumhüpft oder nicht.

Im Dezember 2022 wurde Amir Ohana der erste offen bekennende schwule Parlamentspräsident in Israel. Doch er hat ein problematisches Verhältnis zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit und er hat den weiblichen Körper in frauenverachtender Manier als bloßes menschliches Reagenzglas benutzt und mit seinem Partner zwei Kinder aus Leihmutterschaft herstellen lassen.

Jedenfalls hatte Ohana im September 2020 einen Experten mitgebracht, der auf dem Flur wartete, er wollte ihn an der Sitzung des „Corona“-Kabinetts teilnehmen lassen als juristischer Berater. Doch Mandelblit verweigerte das. So blieb der Experte draußen auf dem Flur stehen und ging nach Hause. Wer ist dieser Experte? Es handelt sich um den Juristen Aviad Bakshi. Darauf weist ein Text des Journalisten Nettanel Slyomovics vom 11. März 2021 in Haaretz hin.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Bakshi erlangt seit Januar 2023 massive öffentliche Aufmerksamkeit im Zuge der Massenproteste gegen die geplante Justizreform in Israel. Dabei sind auch gestern wieder am fünften Wochenende nacheinander 60.000 Demonstrant*innen in Tel Aviv auf die Straße gegangen – in einem Land mit neun Millionen Einwohner*innen, das entspräche einer Mega-Demo in Deutschland mit 540.000 Leuten in Berlin oder Hamburg. Es waren sogar schon 100.000 Demonstrant*innen in Tel Aviv in Zuge dieser monatelangen Massenproteste auf der Straße, dazu auch in anderen Städten wie in Haifa oder Jerusalem.

Ein Kernpunkt dabei ist die geplante Klausel, die es dem Parlament erlaubt, Urteile des Obersten Gerichtshofs zu überstimmen. Das wäre das Ende der Gewaltenteilung. Es gäbe keine Instanz, die Menschen- und Grundrechte mehr schützen könnte. Israel hat keine Verfassung und nur eine Kammer, die Knesset, keinen Bundesrat oder Senat/Repräsentantenhaus und Regierung wie in den USA. Seit vielen Jahren ist der extremen Rechten der Oberste Gerichtshof ein Dorn im Auge.

Der Gesetzesentwurf wurde jedoch nicht vom Justizminister Yariv Levin verfasst, sondern von einer Nichtregierungsorganisation (NGO) mit dem Namen Kohelet Policy Forum. Aviad Bakshi ist der Verfasser dieses Plans, das Oberste Gericht seiner Unabhängigkeit zu berauben.

Das für mich auch persönlich Schockierende ist nun Folgendes: Ich habe Aviad Bakshi, mit dem ich nie Kontakt hatte, in dem Band „Der israelische Nationalstaat“, herausgegeben von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern, im Jahr 2017 mit einem Kollegen übersetzt und im Verlag Edition Critic publiziert. In den biographischen Angaben zu den Autor*innen erwähnte ich sogar:

Aviad Bakshi ist Direktor der Rechtsabteilung am Kohelet Politik Forum sowie Dozent am Ono Academic College und an der Bar-Ilan Universität. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Einwanderungsrecht, Sprachenrechte, kulturelle und nationale Rechte sowie Gewaltenteilung.

Vor dem Hintergrund, dass Bakshi jetzt mit dem Kohelet Politik Forum die Gewaltenteilung de facto aushebeln möchte, bekommt das einen dramatischen Drive. Ich hatte in meiner Editorischen Vorbemerkung zu dem Band meine Kritik an der Neuen Rechten betont, aber selbst vollkommen übersehen, dass mit Bakshi ein solcher neu-rechter Agitator mit dabei ist. Ich schrieb im Januar 2017:

Die vorliegende Übersetzung des von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern edierten Bandes Der israelische Nationalstaat ist eine vehemente, differenzierte, wissenschaftliche Grundlegung des Zionismus und des jüdischen und demokratischen Staates Israel. Die sechzehn Autorinnen und Autoren sind alle Israelis und bieten einem deutschsprachigen Publikum Originaleinblicke in derzeitige Debatten in Israel und über Israel. Im Unterschied zu vielen Pub­li­kat­ionen in deutscher Sprache zu Israel ist dieser Band wirklich an dem interessiert, was in Israel passiert, wie sich der Zionismus entwickelt hat, welche Gegenkräfte es gab und gibt, und wie die Zukunft des jüdischen Staates aussehen könnte. Namentlich der philosophische Beitrag von Shira Wolosky in Kapitel 4 über Levinas und Habermas, das philosophische Hauptstück dieses Buch­es, könnte eine breite Debatte über Universalismus und Partikularismus anstoßen. Wolosky stellt Emmanuel Levinas‘ Verteidigung des Partikularismus in den Kontext seiner frühzeitigen Kritik an Heidegger (einem sein­er Lehrer), dem deutschen Nationalsozialismus, Hitlers sowie – das ist das Frappierende – am Universalismus.

Damit spannt Levinas einen Bogen von Plato über Heidegger hin zu Habermas, die jeweils viel näher zum nazistischen Willen des Einebnens und Auslöschens von Differenz stünden, als das antifaschistische Selbsteinschätzungen – wie bei Habermas – vermuten ließen. Selbst viele sich eher als pro-israelisch betrachtenden Philosoph*innen, Forscher*innen oder Aktivist*innen haben sich hierzulande kaum mit den Schattenseiten gerade des Universalismus beschäftigt.

Das hat insofern allerdings in der Tat einen Grund, als Antikosmopolitismus und Antiuniversalismus Urständ feiern und der Rechtsextremismus und die Neue Rechte in ganz Europa und den USA eine sehr große Gefahr darstellen, was wiederum auch nicht unerhebliche Teile der „Israelsolidarität“ betrifft, die diese Gefahr nicht nur nicht sieht, sondern zuweilen ein aktiver Teil dieser rechten Szene (geworden) ist. Wahrlich dialektisch zu denken hieße wohl, den Partikularismus und dezidierten – mit Levinas argumentierenden, antifaschistischen und zionistischen – Antiuniversalismus des jüdischen Staates zu erkennen und zu verteidigen, aber gleichzeitig die anti­universalistische, anti­kosmopolitische, reaktionäre, nationalistische Rech­te und Linke wie den Mainstream in Deutschland und weiten Teilen Euro­pas, Amerikas und Russlands zu attackieren, und das massiv.

Mit einem US-Präsidenten Trump als „Freund“ – manche „Marxisten“ sehen in ihm gar Hegels „List der Vernunft“, manche Juden und gewisse Israelis (wie der israelische Innenminister Arye Dery) die Ankunft des „Messias“ und eine große amerikanisch-jüdische NGO (das Simon Wiesenthal Center, repräsentiert durch seinen Gründer und Vorsitzenden Rabbi Marvin Hier) betete für Trump auf dessen Inauguration – und der beschriebenen Gefahr der Einstaatenlösung braucht Israel seriöse, liberale, linke und demokratische Stimmen. Für die israelische Soziologin Eva Illouz, die sich an Sigmund Freuds Analyse des Unheimlichen anlehnt, indiziert die positive Reaktion auf Trump ein „Erdbeben“ in der „jüdischen Welt“.[1] Hatten Juden bislang gegen Antisemitismus und für Menschenrechte gekämpft, so stehen sie nun, so Illouz, angesichts von Trump in nicht geringen Teilen Seite an Seite mit antisemitischen Positionen und einer Unzahl weiterer auch für die Demokratie und die Menschenrechte (für alle Bewohner*innen) in Israel gefährlichen Gruppen, Personen und Tendenzen.

Das Kohelet Policy Forum wurde 2012 vom Mathematiker und Computerexperten Moshe Koppel gegründet. Koppel ist Professor für Computerwissenschaften an der Bar-Ilan Universität. Koppel stammt aus New York City und machte 1980 Aliyah und ging nach Israel.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Zu den Hauptsponsoren des Kohelet Policy Forums gehören die beiden Multimilliardäre Jeff Yass und Arthur Dantchik. 1987 haben sie mit vier Studienfreunden vom Binghampton College in upstate New York die Firma Susquehanna International Group gegründet. Sie spielten Karten, vor allem Poker, und merken in Las Vegas, dass man damit auch an der Wall Street Geld, richtig viel Geld machen kann.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Das Vermögen Susquehanna International Group wird von Forbes auf ca. 80 Milliarden US-$ geschätzt wird, die Anlagen, die sie verwalten, hatten 2018 einen Wert von 1,5 Billionen US-$. Der Börsencrash vom Oktober 1987 war wundervoll für die Firma, sie prosperierten und hatten 1988 bereits ein Vermögen von 30 Millionen US-Dollar. Entgegen Trump haben Yass und Dantchik keine Profilsucht, sie agieren im Hintergrund. Yass wird am 5. Februar 2023 auf Platz 38 der reichsten Menschen geführt, mit einem Vermögen von 38 Milliarden US-Dollar.

Zuletzt kamen Yass und Dantchik in die Schlagzeilen, unter anderem wegen ihrer Unterstützung von rechtslibertären Politikern in den USA, wie Haaretz berichtet:

Susquehanna International Group was based in Bala Cynwyd, an affluent suburb of Philadelphia. The choice to locate far from Wall Street exemplified their powerful desire for secrecy. “Stealthy and mysterious” is how Philadelphia magazine described the firm. Indeed, very little has been written about the pair of partners, who make a point of avoiding the limelight. As it happens, however, during the past two months, they found themselves in the headlines. Twice. In one case it was in a flattering business connection, relating to the immense profit they made from a small investment a decade earlier. The millions they gave a Chinese entrepreneur to invent the TikTok app are now worth $15 billion.

Neither Yass nor Dantchik are household names in Israel, or in the U.S., for that matter – and not by chance. The two billionaires are strictly low-profile, even though they are among the biggest donors to the Republican Party, notably its Trumpian wing.

The second occasion was less favorable. It occurred in the wake of the attempted coup at the Capitol on January 6. The riots sparked criticism of Donald Trump’s loyalists in Congress, particularly Senators Ted Cruz and Josh Hawley. Afterward, the criticism was extended to Trumpist donors, especially Yass, who is ranked sixth on the list compiled by Opensecrets.org of the major donors to all Republican candidates in 2020. Four years earlier he was the biggest donor to the libertarian candidate for president of the United States, Gary Johnson – Trump wasn’t enough of a libertarian for him.

Diese amerikanisch-jüdischen und israelischen Kreise sind politisch extrem rechts. Sie haben wie das Kohelet Policy Forum das umstrittene Nationalstaatsgesetz in Israel von 2018 mit formuliert, sind verbunden mit dem Tikvah Fund aus den USA, der wiederum im rechten und antisemitischen ungarischen Präsidenten Victor Orbán einen großen Anhänger hat, wie ein Treffen mit dem Vertreter des Tikvah Funds aus Israel mit Orbán zeigt, worauf Dr. Debra Shushan auf JStreet hinweist:

Screenshot, https://twitter.com/PM_ViktorOrban/status/1616091547371438080 (05.022023)

Shushan geht auf die Pro-Siedlungs Politik des Kohelet Forums und seiner Verbündeten wie dem Shilot Forum ein, das entgegen dem ursprünglichen Zionismus von 1948 und dem Völkerrecht beweisen möchte, dass Siedlungen auf palästinensischem Gebiet wie dem Westjordanland legal und legitim seien.

Screenshot, https://jstreet.org/shushan-street-meet-the-israeli-organization-behind-the-legislation-to-subvert-israeli-democracy-and-the-american-billionaires-that-fund-it/ (05.02.2023)

Darüber hinaus basiert das Kohelet Forum auf der Extremform des neoliberalen Kapitalismus. Staatliche Eingriffe, abgesehen von Behinderungen von Demonstrationen zum Beispiel!, sind Tabu, selbst systemimmanente Zuckerstückchen wie wohlfahrtsstaatliche Regulierungen werden abgelehnt. Der „freie“ Mark soll bestimmen, also survival of the fittest. Friss den Kapitalismus oder stirb.

Da werden sich die Gründerinnen und Gründer des jüdischen und demokratischen Staates von 1948, die häufig Sozialisten waren, im Grabe umdrehen.

Ein Text in Haaretz von Anshel Pfeffer vom 3. Februar 2023 sieht die dramatische Bedeutung von Yass und Dantchik und meint, dass die beiden als einflussreichste Juden Amerikas in die Geschichte eingehen könnten, wenn diese Reform des Justizsystems, das einer Zerstörung der Gewaltenteilung gleichkommt, durchgeht.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2023-02-03/ty-article/.premium/can-u-s-liberal-jews-change-israeli-politics-right-wing-jews-know-the-answer/00000186-124b-d559-adee-527b79000000 (05.02.2023)

Dabei hat Pfeffer die lange Vorarbeit der Neuen Rechten im Blick:

The plans of the Netanyahu government to drastically weaken the Supreme Court and effectively obliterate judicial oversight were authored by the Kohelet Policy Forum. This conservative think tank was founded by the American-born Moshe Koppel and heavily funded by American-Jewish libertarian billionaires Jeff Yass and Arthur Dantchik.

Kohelet didn’t invent the campaign against the Israeli legal system. Right-wing and religious politicians have been railing against the courts for decades. But it was Kohelet’s ruthlessly effective lobbying, the detailed blueprints for the court’s evisceration that they prepared and the placing of their people in strategic locations in Israel’s political structure that laid the groundwork for the lightning assault on Israeli democracy we have been seeing since the new government came to power five weeks ago.

Die immer noch konservative Jerusalem Post hat sich gegen die Kritik am Kohelet Forum verwahrt und dem Senior Fellow beim Kohelet Policy Forum David Weinberg Platz für seine Apologie gegeben, ohne einen einzigen Kritikpunkt an der extrem rechten und turbokapitalistischen, den Zionismus beschädigenden Pro-Siedler, Anti-Gewaltenteilung-Ideologie von Kohelet zu entkräften.

In einem Video zeigt Kohelet sein Unverständnis einer unabhängigen Gerichtsbarkeit. Beispielhaft regen sich die Macher*innen darüber auf, dass der Oberste Gerichtshof gegen Off-Shore Anlagen zur Gasgewinnung, gegen Ausnahmeregelungen der ultraorthodoxen Gemeinschaft vom Militärdienst, zuungunsten des freien Marktes oder allgemeiner gegen religiösen Extremismus geurteilt habe.

Schließlich habe ich in dem Buch „Der israelische Nationalstaat“ auch einen Beitrag von Gadi Taub publiziert, Taub ist ebenso (mittlerweile) ein extrem rechter Akteur.

Screenshot, https://www.972mag.com/new-right-jerusalem-conservative-conference/ (05.02.2023)

Das Magazin 972 berichtet:

I wrote several stories for Haaretz Magazine back when Golden was its editor; he was always kind to me, as was Taub when we ran into each other at a cafe after I wrote a piece attacking him. Nowadays, their paranoid style makes me uneasy. The two belong to a small yet influential group of high-profile “former leftists,” which includes Haaretz’s literary editor, Benny Ziffer, who has become an avid Netanyahu supporter, author Irit Linur, who hosts a popular talk radio show on IDF Radio (and is also a speaker at the conference), and the libertarian attorney Ari Shamay. (…)

Taken together, they introduce a certain sense of hipness, something strictly Tel Avivian, which separates the new right and the old one. And like their American counterparts, the use of irony and the shattering of liberal taboos are their main rhetorical tools. When Taub hosted Linur on his podcast, she opened by telling their audience she is speaking from her kitchen, “because this is where women belong,” a half-serious slight at the way so-called “woke” Israeli liberals see Linur. Taub, for his part, described how much he enjoyed the backlash to one of his tweets, which stated “You can’t solve the Palestinian problem because the Palestinians are the problem.”

But now, speaking before hundreds at the conference, Taub casts aside the irony and speaks directly: “The struggle now is not over the future of Judea and Samaria [the Israeli term for the occupied West Bank], but rather between nationalism and a global, post-national liberal elite that wants us governed by international treaties,” Taub tells the audience. “Being a conservative is being nationalist.”

In der rechten, kostenlosen, aber am meisten gelesenen Boulevard-Tageszeitung Israel Hayom wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, was die Neue Rechte so extrem nervt – die Gleichheit der Menschen und damit Minderheitenrechte:

The defenders of the court ignore this 800-pound gorilla in the room: In the name of a passionate defense of minority rights, the court has abrogated its responsibility to the will of the majority.

Das liest sich wie ein Pamphlet der AfD oder von Trump.

Das ist der Hintergrund, vor dem die ach-so-pro-israelische Szene in Deutschland und den USA beleuchtet werden muss.

Es ist mir persönlich äußerst unangenehm, Leute wie Bakshi und Taub vor gerade mal sechs Jahren in diesem Sammelband von Oz-Salzberger und Stern übersetzt und publiziert zu haben, auch wenn ich mich schon 2017 klar und scharf gegen alle Rechten in Israel, den USA und gegen Netanyahu gewandt habe.

Screenshot, https://www.jpost.com/opinion/an-army-of-nine-million-644213 (05.02.2023)

Wer sich hinter die Konservativen, Neuen Rechten, Religiösen und Rechtsextremen stellt, stellt sich gegen den Zionismus, der ein vielfältiges und demokratisches Israel meinte, von Anbeginn. Wer das nicht will, ist kein Zionist, sondern ein ethnischer Rassist und Nationalist.

Seit 1948 galt es, gleiche Rechte für alle Menschen im Staat Israel zu gewährleisten. So hatte ich auch den Duktus von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern interpretiert. Stern jedoch hatte während der Coronapandemie sein autoritäres Gesicht gezeigt und die Israelis dazu aufgefordert, Bürger*innen, die sich nicht an die Maßnahmen halten würden, öffentlich an den Pranger zu stellen und zu beschämen. In einem publizistischen Tobsuchtsanfall lallte Stern in der Jerusalem Post – anders kann man das nicht bezeichnen – von einer „Armee von neun Millionen, um Corona zu bekämpfen“. Ich habe das in der Times of Israel (Blogs) scharf kritisiert.

Screenshot, https://blogs.timesofisrael.com/hope-is-in-the-air-the-israeli-common-sense-model-for-corona-in-context/ (05.02.2023)

Ironischerweise kann er sich da mit Aviad Bakshi ideologisch treffen, der ja wie eingangs zitiert, auch Wege suchte, um demokratischen Protest gegen die irrationale und wissenschaftsfreie Coronapolitik von Netanyahu im Herbst 2020 zu unterbinden. Jetzt spricht sich Stern vorsichtig gegen die Justizreform aus, aber sein Wutausbruch 2020 gegen die demokratische Kritik an der Coronapolitik mag viel eher eine Nähe zu Bakshi indizieren, als ihm lieb ist. Stern ist mittlerweile Präsident des Jewish People Policy Institute, heute, am Sonntag, den 5. Februar 2023 startet das Jewish People’s Institute eine Kampagne für einen Kompriss, für Dialog und gegen einen – tatsächlich sehen sie diese Gefahr! – „Bürgerkrieg“ („The Jewish People Policy Institute (JPPI) will launch a large campaign on Sunday calling for Israel’s leaders to reach a compromise on the government’s planned judicial reform under the slogan „No to coercion and violence, yes to dialogue,“ the Jerusalem Post learned on Thursday“).

Screenshot, https://www.jpost.com/israel-news/article-730429 (05.02.2023)

Eine zionistische Politik unterstützt die evidenzbasierte Medizin, wendet sich gegen die aggressive und antidemokratische Coronapolitik der Jahre 2020 und 2021, gegen das Verkaufen der Gesundheitsdaten der ganzen geimpften Bevölkerung an Pfizer/BioNTech und gegen die geplante Zerstörung der Gewaltenteilung in Israel.

Doch die Neue Rechte hat mit dem Kohelet Policy Forum ein enorm einflussreiches Instrument, um die Politik in Israel mitzubestimmen. Finanziert von extrem rechten Amerikanern, die de facto somit dem Zionismus schaden wie wenige amerikanische Juden in den letzten Jahrzehnten.

Ben-Gvir war jahrzehntelang ein Anhänger des jüdischen Rechtsterroristen und Rassisten Meir Kahane. Ben-Gvir ist wie Smotrich oder Moaz religiös-reaktionär, homophob und aggressiv.

Screemsjpt. https://www.bbc.com/news/world-middle-east-63780509 (05.02.2023)

Ben-Gvir möchte mit Besuchen auf dem Tempelberg provozieren, egal wie absurd es ist, dass Muslime durchdrehen, wenn dort ein Nicht-Muslim betet. Religion macht Menschen sehr schnell fanatisch, nicht nur Muslime, auch wenn suicide bombing eine besonders krasse und mörderische islamistische Spezialität ist.

Smotrich hat gar kein Problem damit, als Faschist bezeichnet zu werden, da es seinen rechtsextremen Wählern egal sei, sie teilen seine Position.

Screenshot, https://www.timesofisrael.com/smotrich-my-voters-dont-care-im-a-homophobic-fascist-but-my-word-is-my-word/ (05.02.2023)

Wie Meirav Arlosoroff in Haaretz zeigt, ist ein Papier des Kohelet Forums absurd, das beweisen möchte, dass Israel eine völlige Ausnahme ist im Kreise der entwickelten kapitalistischen OECD-Länder, was die Auswahl der höchsten Richter betrifft. Doch de facto, so Arlosoroff, werden in 24 von 36 untersuchten Ländern die höchsten Richterposten sehr wohl von der Judikative selbst vorgeschlagen, auch wenn im Entscheidungsprozess in 31 von 36 Ländern die Parlamente beteiligt sind, nur in Israel nicht. Wobei man sich darüber klar sein muss, dass gerade das Involviertsein der Parlamente eine extreme Abhängigkeit der Richter*innen bedeuten kann. Wer würde ernsthaft die völlige Unabhängigkeit von Merkel und der CDU von Seiten des aktuellen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe und ehemaligen Buddies von Merkel in der CDU-Bundestagsfraktion angesichts der katastrophalen Rechtsprechung zur Coronapolitik behaupten?

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2023-01-22/ty-article/.premium/israels-most-influential-right-wing-think-tank-puts-agenda-over-data/00000185-d8d1-d3a8-a3cf-dff15c3f0000 (05.02.2023)

Ein sehr wichtiger Aspekt ist, dass Israel keine Verfassung hat – auch wenn sie, wie angedeutet, in Deutschland („Grundgesetz“) in Zeiten der größten Verfassungskrise seit 1949 auch nicht wirklich was bedeutete. Doch in der Argumentation gegen das Kohelet Papier von Vertretern des Israel Democracy Institutes, das früher wegweisend war, bis Kohelet die rechte politische Kultur in Israel pushte und heute maßgeblich die Politik beeinflusst, wenn nicht mitentscheidet, heißt es, so Arlosoroff:

Prof. Amichai Cohen, Dr. Guy Luria and Dr. Nadiv Mordechai from the Israeli Democracy Institute devoted an entire analysis of the Kohelet Forum’s study. They ask how it is possible to conduct an international comparison of the judicial selection process, and focus only on the question of whether the public’s elected representatives do the selecting, while ignoring the contexts surrounding the comparison. Thus, for example, the fact that the absolute majority of OECD countries have a constitution and a declaration of human rights which the elected officials have almost no ability to harm.

Letztlich fordern die Publizisten Yossi Klein Halevi, Matti Friedman und Daniel Goris in einem offenen Brief die Freundinnen und Freunde Israels in der jüdischen Community in den USA auf, sich lautstark gegen die geplante Justizreform in Israel zu wenden. Sie betonen, dass sie auch weiterhin mit aller Kraft Israel gegen Verleumdungen und Hetze in Schutz nehmen werden, womit sie sicherlich unter anderem die BDS-Bewegung meinen. Doch hier und heute sind sie vor allem in großer Sorge um Israel:

Screenshot, https://www.timesofisrael.com/an-open-letter-to-israels-friends-in-north-america/ (05.02.2023)

Today, though, protecting Israel also means defending it from a political leadership that is undermining our society’s cohesion and its democratic ethos, the foundations of the Israeli success story.

Man sieht allerdings auch hier einen offenbar in Israel inflationär einsetzbaren Begriff von Krieg, dabei ist Israel ja an tatsächlichen militärischen Kriegen nicht gerade arm. Doch es ist klar, was sie meinen:

We and our families, along with many tens of thousands of other Israelis, are in the streets every week demanding the government end its war against our democratic values and institutions. We need your voice to help us preserve Israel as a state both Jewish and democratic.

Wer also Israel verteidigen will, muss die aktuelle Regierung mit aller Kraft bekämpfen. Wer schweigt, stimmt zu.

Dabei ist Israel nur ein Puzzleteil im weltweiten neu-rechten Angriff auf Vielfalt, Kapitalismuskritik, Nationalismuskritik, Antifaschismus, auf Demokratie, Feminismus, soziale Gerechtigkeit, Gesellschaftskritik allgemein, LGBTQ+ und vieles mehr. Die Mischung aus neoliberalem Hedgefonds-Kapitalismus, Biopolitik wie zu Coronazeiten und in Zukunft im digitalen Überwachungskapitalismus, Autoritarismus und die Liebe zu autokratischem Herrschen, der Kampf gegen Gewaltenteilung ist weltweit ein riesiges Problem, Israel ist dabei nicht alleine.

Wer den Zionismus und Israel liebt, kämpft gegen die Besatzung des Westjordanlandes und gegen die Rassisten in der aktuellen israelischen Regierung wie ihre Wählerschaft. Das tun die Hunderttausenden, die seit Wochen auf die Straße gehen. Viele linke Zionistinnen und Zionisten, aber auch konservative sind darunter.

Wer den Zionismus und Israel liebt, kämpft gegen Netanyahu und seine rechtsextreme Regierung, die größte Gefahr, der sich Israel von innen heraus seit 1948 gegenübersieht.

 

 

[1] Eva Illouz, „An Earthquake in the Jewish World“, Haaretz, 01. Januar 2017.

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