Internationale Wissenschaftler kritisieren Veranstaltung im Jüdischen Museum Berlin am 8./9. November 2013
Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)
Die ARD zeigte am 28. Oktober 2013 ab 22.45 Uhr den 45minütigen Film „Die Story im Ersten: Antisemitismus heute. Wie judenfeindlich ist Deutschland?“ von Kirsten Esch, Jo Goll und Ahmad Mansour. Darin geht es um den Antisemitismus von Neonazis, Islamisten, Linken und der Mitte der deutschen Gesellschaft. Die Linguistin und Antisemitismusforscherin Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel vom Institut für Sprache und Kommunikation an der TU Berlin betonte die Wirkmächtigkeit von Sprache und die Tatsache, dass gerade hervorragend ausgebildete Bürgerinnen und Bürger sich ganz ungeniert in Briefen und E-Mails antisemitisch äußern. In dem Film wurden Aufnahmen der diesjährigen antisemitischen al-Quds-Demonstration in Berlin gezeigt (seit Jahren ist die Internet-Seite Muslim-Markt Mitorganisator dieser Veranstaltung). Zur Sprache kamen gleichermaßen die antisemitischen Tendenzen in der Partei Die Linke, wie in einem Flugblatt, das auf der Homepage der Linken in Duisburg zu finden war und linke Aktivisten, die für den Boykott israelischer Waren agitieren. Notwendigerweise wurde letzteres mit dem nationalsozialistischen Boykott jüdischer Geschäfte sowie aktueller politischer Initiativen der extremen Rechten wie der NPD in Beziehung gesetzt.
Für langjährige Beobachter der Debatte um Antisemitismus war zudem Folgendes in der ARD-Sendung auffällig: keine Vertreterin und kein Vertreter des einzigen an einer Universität in Deutschland angesiedelten Instituts für Antisemitismusforschung, dem Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der TU Berlin, wurde interviewt. Doch was macht das ZfA eigentlich unter der neuen Leitung der Historikerin Stefanie Schüler-Springorum?
Das Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA), das Jüdische Museum Berlin sowie die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) veranstalten am 8. und 9. November 2013 im Jüdischen Museum Berlin eine internationale Konferenz unter dem Titel „Antisemitism in Europe Today: the Phenomena, the Conflicts“ (Antisemitismus im heutigen Europa: Phänomene, Konflikte). In fünf Panels sollen verschiedene Aspekte des heutigen Antisemitismus diskutiert werden.
Den Hauptvortrag der Konferenz wird der britische Autor und Philosoph Brian Klug halten. Sein Abendvortrag ist zugleich die einzige öffentliche Veranstaltung im Rahmen der internationalen Konferenz. Klug ist weltweit bekannt bzw. berüchtigt aufgrund seiner betonten Weigerung, von einem „neuen Antisemitismus“ seit der zweiten Intifada im September 2000 bzw. nach 9/11 zu sprechen. Er ist in Großbritannien als Verharmloser des Antisemitismus verschrien und war Mitbegründer der „Independent Jewish Voices“, einer anti-israelischen Splittergruppe innerhalb der jüdischen Gemeinschaft auf der Insel.
Einigen wenigen Berlinern ist Brian Klug ein Begriff, da er 2009 und 2010 beim „AK Nahost“ Vorträge gehalten hat. Der AK Nahost ist eine Gruppe, die für den Boykott Israels eintritt und Israel als „Apartheid“ diffamiert. Von den Protagonisten des Arbeitskreises wird der Staat Israel mit einer Vielzahl Methoden und Strategien diffamiert und dämonisiert. Zweimal lud der AK Nahost beispielsweise Omar Barghouti ein, einen Mitbegründer der antisemitischen BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, Sanctions: Boykott, Investitionsstop und Sanktionen gegen Israel).
Brian Klug stellt Israel als jüdischen Staat in Frage. Er agiert und agitiert gegen Israel. Er kokettiert vielfältig mit der Negation des Existenzrechts Israels. Einer dieser Texte erschien 2010 original in deutscher Sprache in einem von Hermann Dierkes mit herausgegebenen Buch. In diesem Artikel weigert sich Brian Klug, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Dierkes ist Lokalpolitiker der LINKEN in Duisburg und erreichte seinerseits international Aufmerksamkeit, als er 2011 auf die Top-Ten-Liste derjenigen Autoren mit den schlimmsten antisemitischen Beschuldigungen (antisemitic slurs) des Simon Wiesenthal Centers (SWC) aus Los Angeles kam. Eine zweifelhafte Ehre, die er sich unter anderem mit Thilo Sarrazin und dem Journalisten Jakob Augstein teilt.
In jenem Buch finden sich außerdem Beiträge deutscher israelfeindlicher Aktivisten, darunter der LINKE-Politiker Norman Paech, der im Mai 2010 zusammen mit gewalttätigen religiösen Fundamentalisten die völkerrechtlich legitime Seeblockade des Hamas-Territoriums durchbrechen wollte.
Auf solchen Thesen soll eine Antisemitismuskonferenz in der deutschen Hauptstadt 70 Jahre nach der Shoah fußen: Brian Klug sagte auf einer Veranstaltung des AK Nahost in Berlin im März 2009, dass „der Zionismus Juden davon abhält, eine normale Lebenskonzeption zu haben.“
Ein früherer Kollege Klugs aus Großbritannien, der Historiker Tony Judt, macht es noch kürzer: „Israel ist schlecht für die Juden.“ Das wiederum gefällt offenbar dem Soziologen Detlev Claussen, der Judt gerade für dessen Attacken gegen Israel in einer Rezension in der tageszeitung (taz) lobhudelte. In diesem Sinne ist es nur konsequent, dass das ZfA, die EVZ und das Jüdische Museum Claussen eingeladen haben, Klugs Vortrag zu kommentieren. Claussen war in den 1980er Jahren einmal als Kritiker des Antisemitismus angetreten, doch seine Euphorie ob Tony Judts Attacken gegen Israel lassen seine Fähigkeit, Kritik am neuen Antisemitismus zu üben, blass erscheinen.
2008 gab Brian Klug zusammen mit der Literaturwissenschaftlerin Jacqueline Rose und anderen ein Buch heraus („A Time to Speak out“), das die Position der „Independent Jewish Voices“ aus Großbritannien darstellt. Rose schrieb 2005 in ihrem Buch „The Question of Zion“, dass Adolf Hitler womöglich im Mai 1895 (im Alter von sechs Jahren) während eines Konzerts von Wagner-Musik dazu inspiriert worden sei, „Mein Kampf“ zu schreiben. Während des gleichen Konzerts sei Theodor Herzl dazu inspiriert worden, sein Buch „Der Judenstaat“ zu schreiben. Jacqueline Rose parallelisiert damit intentional, dass der Zionismus die gleichen Wurzeln wie der Nationalsozialismus habe.
Dieser Irrsinn hat Jacqueline Rose heftige Kritik von seriösen Forschern des Fachgebiets eingebracht, wie Anthony Julius aus England und Robert Wistrich aus Israel. Prof. Dr. Evytar Friesel, ein 1930 in Deutschland geborener israelischer Historiker der Hebräischen Universität Jerusalem, hat im Oktober 2013 die anti-israelische Ideologie und den jüdischen Antizionismus von Jacqueline Rose und Brian Klug scharf kritisiert. Doch der britische Historiker David Feldman, ein Newcomer im Bereich der Antisemitismusforschung aber gleichwohl Leiter des Pears Institute for the Study of Antisemitism in London, lud Rose 2012 zu einem Vortrag über ihr neuestes Buch an seiner Einrichtung ein. Auf dem Veranstaltungsmitschnitt ist zu hören, dass Rose und Feldman offenbar gut miteinander auskommen. Im Sommer 2013 organisierte Feldman dann eine Konferenz, zu der auch Vertreter der antisemitischen BDS-Bewegung eingeladen wurden.
Nun wird Feldman auf der ZfA-Konferenz im Jüdischen Museum sprechen. Er und Schüler-Springorum sind institutionell verbunden (z.B. über ein Konsortium von Forscherinnen und Forschern zu Antisemitismus und Rassismus). Feldmans Podiumspartner in Berlin wird der ZfA-Projektmitarbeiter Peter Ullrich sein, der bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung seine Dissertation über Antisemitismus und die Linken publizierte und im Oktober 2013 ein kleines Buch auf den Markt brachte („Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs“), in dem er die kritische Antisemitismusforschung am Beispiel des Göttinger Politologen Samuel Salzborn und des Historikers Sebastian Voigt attackiert. Zudem lehnt Ullrich die EUMC Arbeitsdefinition zu Antisemitismus just dort ab, wo sie konstatiert, dass die Leugnung des Existenzrechts Israels antisemitisch sei. Das ist für Ullrich nicht haltbar, da darunter viel zu viele Gruppen fallen (!). Von der Hamas über Neonazis, marginale anti-israelische jüdische Kreise bis hin zu selbsternannten Kosmopoliten, Liberalen, Linken und westlichen Antistaatlern (zu denen er sich wohl selbst zählt), die alle aus je unterschiedlichen Gründen gegen den jüdischen Staat mobil machen. Peter Ullrich wäre ein Fall für den ARD Film über Antisemitismus gewesen, wenn er damit kokettiert, das Existenzrecht Israels abzulehnen.
Das Buch von Ullrich hat zudem vorab den Koscherstempel des Pädagogen Micha Brumlik bekommen, der ein Vorwort verfasst hat (und selbst einen binationalen dem jüdischen Staat vorzieht!), ohne offenbar zu merken, dass ein Kollege und Freund, der Historiker Wolfgang Kraushaar und dessen Analyse und Kritik des linken Antisemitismus gleich in Fußnote zwei diffamiert wird. Kraushaar ist „fassungslos“ ob dieses Vorworts, wie man auf Brumliks Blog nachlesen kann. Nun ärgert sich Brumlik öffentlich auf seinem Blog, dass er diese Fußnote nicht gesehen habe. Was sollen Forscher von anderen Vor- oder Nachworten Brumliks halten, wenn unklar ist, ob er die jeweilige Studie überhaupt en detail gelesen hat?
Mehr noch: auf dem gleichen Blog publizierte Brumlik auch E-Mails von Peter Ullrich, mit denen dieser sich in gleichsam kumpelhafter Weise an das ZfA wendet und von der ersten Kritik an seinem Buch berichtet (damit ist die Kritik von BICSA gemeint), die ihm von einem ZfA-Mitarbeiter zugetragen worden sei. Ullrich macht sich dabei über die Antisemitismusforscher Samuel Salzborn und Lars Rensmann lustig.
Es ist beachtlich, welchen Weg insbesondere das früher einmal international geachtete ZfA in Berlin vor allem in den letzten fünf Jahren genommen hat. Seine seit 2011 neue Leiterin, die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum, hat kein einziges Buch zum Thema Antisemitismus veröffentlicht. Dafür scheint sie ein Faible für anti-israelische Forscher und Aktivisten zu haben, wie mehrere jüngere Einladungen und Positionierungen zeigen. Im Dezember 2010 lud sie, damals noch Leiterin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg, die Historikerin Tamar Amar-Dahl ein, ihre Dissertation vorzustellen. Amar-Dahl hat bei dem umstrittenen Historiker Horst Möller, einem Anhänger Ernst Noltes, und bei dem anti-israelischen Soziologen Moshe Zuckermann mit einer Arbeit über Shimon Peres promoviert. Der Staatspräsident Israels und Sozialdemokrat wird darin als Nationalist und Rassist dargestellt, womit Amar-Dahl zeigen möchte, dass nicht nur rechtskonservativer Zionismus ein Übel sei, sondern der Zionismus als solches. Amar-Dahl gab 2006 ihren israelischen Pass zurück und tritt gerne auf „israelkritischen“ Veranstaltungen auf. Dafür wird sie geschätzt von dem wohl größten deutschsprachigen Internetportal für Muslime, „Muslim-Markt“, der mit ihr ein wohlwollendes Interview (17.02.2011) führte. Wie eingangs beschrieben wirkt diese aggressiv israelfeindliche Seite bei den jährlichen al-Quds-Demonstrationen („Kindermörder Israel“ / „Intifada bis zum Sieg“) mit und promotet durchgestrichene Davidsterne. Interviewpartner des Portals waren nichtsdestotrotz der damalige Leiter des ZfA, Wolfgang Benz (am 01.11.2010), sowie (weniger überraschend) der Linken-Politiker Hermann Dierkes (am 12.03.2009). Das ZfA ist also direkt und indirekt mit einer Gruppierung verbunden, die in der ARD Sendung gerade als Beispiel für heutigen Antisemitismus analysiert, dokumentiert und kritisiert wurde. Denn öffentliche Stellungnahmen des ZfA gegen die Beziehungen ihrer ehemaligen Vorgesetzten (Benz) bzw. Gäste (Brian Klug) zu solchen Kreisen sucht man vergeblich.
Im Frühjahr 2012 holte Schüler-Springorum außerdem den antizionistischen Islamwissenschaftler Achim Rohde als wissenschaftlichen Mitarbeiter (kurzzeitig) ans ZfA. Rohde hat über Geschlechterverhältnisse im Irak unter Saddam Hussein promoviert, er lehnt sich an die post-orientalistische, postkolonialistische, anti-westliche und antisemitische Ideologie von Edward Said an und zitiert am Ende seiner Dissertation zustimmend das groteske Werk der oben erwähnten Jacqueline Rose. Mehr noch setzt Rohde „Islamophobie“ und Antisemitismus historisch wie gegenwärtig auf eine Stufe.
Vor diesem Hintergrund ist es zwar nicht verwunderlich, dass Schüler-Springorum mit Brian Klug einen anti-israelischen Juden einlädt und somit den Eindruck erweckt, gegen den jüdischen Staat Israel Stimmung machen zu wollen.
Ein Skandal wird aber nicht weniger skandalös dadurch, dass er andauert.
Es erscheint wie eine Obsession, sich fortwährend mit Israel zu befassen, nicht aber mit dem Problem der Weigerung der arabischen und Teilen der muslimischen Welt, Israel als jüdischen Nachbarstaat neben sich anzuerkennen.
Von einer besonderen, für jene Kreise jedoch symptomatischen Perfidie ist es zu guter Letzt, eine solchermaßen besetzte Veranstaltung zielgenau zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November 2013 durchzuführen – in der Einladung zu der Tagung wird dieser Jahrestag noch nicht einmal erwähnt.
Das Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) hat Stellungnahmen zum öffentlichen Vortrag von Brian Klug auf der internationalen Konferenz am 8–9. November 2013 zu „heutigem Antisemitismus in Europa“, organisiert und ausgerichtet vom Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA), der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) sowie dem Jüdischen Museum Berlin, von folgenden Personen erhalten:
- Prof. Dr. Gerald Steinberg, Politikwissenschaft, Bar-Ilan Universität
- Isi Leibler, ehem. Vorsitzender Jüdische Gemeinde Australien; Jerusalem
- Dr. Günther Jikeli, Co-Direktor, International Institute for Education and Research on Antisemitism Berlin/London; Moses Mendelssohn Zentrum; Potsdam
- Dr. Mordechai Kedar, Begin-Sadat-Center (BESA), Bar-Ilan Universität
- Ben Cohen, Journalist; New York City
- Dr. Denis MacShane, ehemaliger Minister in Großbritannien und langjähriger Parlamentarier (1994–2012) der Labour-Partei; London
- Prof. Dr. Neil Kressel, Psychologie und Vorsitzender des ‚Honors Program‘ in den Sozialwissenschaft; Wayne, New Jersey
- Sam Westrop, , Direktor, Stand for Peace; Senior Fellow, Gatestone Institute; London
- Jörg Rensmann, Vorstand, Scholars for Peace in the Middle East (SPME)/German Chapter
- Prof. Dr. Efraim Karsh, Nahost- und Mittelmeerstudien, Kings College; Politikwissenschaft, Bar-Ilan Universität; London
- Jonathan Hoffman, Zionist Federation (ZF); London
- Richard Millett, London
- Prof. Dr. Norman Simms, Department of Humanities and English, Hamilton, Neuseeland
- Samuel Laster, Herausgeber juedische.at, Wien
- André Freud, Israelitische Kultusgemeide Nürnberg
- Prof. Dr. Elhanan Yakira, Professor für Philosophie, Hebräische Universität Jerusalem
Alle Statements sind in dem Dossier hier zu finden.
Fast alle Texte wurden in kurzer Zeit exklusiv für BICSA verfasst. BICSA bedankt sich sehr herzlich bei allen Autoren!