The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Erinnerungsabwehr

Der Elefant im Raum: Antisemitismus – Aiwanger, Mahmoud Abbas und antiisraelische Historiker*innen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Antisemitismus ist der „längste Hass“, wie es der bedeutendste Antisemitismusforscher unserer Zeit Professor Robert S. Wistrich (1945-2015) schon vor über 30 Jahren in Worte gefasst hatte. Antisemitismus ist der längste, flexibelste und am weitesten verbreitete Hass – auch 78 Jahre nachdem Auschwitz von der Roten Armee der Sowjetunion befreit wurde. Drei aktuelle Beispiele zeigen, wie sich Antisemitismus heute zeigt, wahlweise als Erinnerungsabwehr an den Holocaust oder als Delegitimierung des Zionismus und von Israel.

1) Hubert Aiwanger und die Freien Wähler in Bayern

Im Schuljahr 1987/88 wurde im Schulranzen des Schülers Hubert Aiwanger ein antisemitisches und den Holocaust feierndes Flugblatt gefunden. Die Schulleitung wusste offenbar sehr wohl, wer das Flugblatt geschrieben hatte. Hubert Aiwanger musste als Strafe ein Referat über die NS-Zeit halten. Also ist jedem klar, wer dieses an Antisemitismus und Holocaust-Bejahung nicht zu überbietende Hetz-Flugblatt mit seiner Schreibmaschine geschrieben hatte. 2008 ließ Aiwanger durch eine Parteikollegin bei einem seiner damaligen Lehrer anfragen, ob Gefahr von ihm drohe. Also, dass bekannt würde, was für ein Antisemit oder Neonazi Aiwanger offenbar als Schüler war. 2008 schickte sich der Bierzelt-Einheizer Aiwanger an, mit der Partei Freie Wähler in den bayerischen Landtag einzuziehen. Mittlerweile ist er stellvertretender Ministerpräsident. Schon damals hätte Aiwanger ja einen Text schreiben und sich mit seiner antisemitischen Vergangenheit als Verbreiter oder/und Autor und diesem Flugblatt beschäftigen können. Doch jener Lehrer sagte offenbar, dass keine Gefahr von ihm drohe und so blieb in Bayern unter informierten Kreisen weiterhin nur das Gerücht, dass es dieses Flugblatt gab und dass es aus dem Hause Aiwanger stammt. Warum hat Aiwanger denn 2008 nachgehakt, wenn er doch gar nichts mit diesen antisemitischen Flugblatt zu tun hatte, wie er heute sagt? Wenn er es nur gefunden hätte im Klo, warum dann Panik, dass das bekannt würde? Panik kriegt einer, der als Neonazi so etwas Unfassbares schrieb.

Viele rechten Medien nahmen Aiwanger sofort in Schutz und faselten was vom „Versuch einer politischen Vernichtung“, so zum Beispiel exemplarisch der Cicero. Das Nomen „Vernichtung“ und das Verb „vernichten“ kam dann umgehend auch von Aiwanger als Vorwurf an seine Kritiker*innen in Anschlag, nicht wegen der Feier der Vernichtung der Juden in Auschwitz, wie sie das Flugblatt in jenem bayerischen Gymnasium 1987/88 kennzeichnete. Aiwanger solle politisch „vernichtet“ werden tönen die extremen Rechten jeglicher Couleur. Wie rechtsextrem war das Elternhaus von Aiwanger? Oder hat es sich von ihm distanziert? Gibt es da keine Zeitzeugen mehr? Das Flugblatt hat eine so tief gehende antisemitische Struktur, ist so tief durchdrungen von der Bejahung der Ermordung von sechs Millionen Juden in der Shoah, so etwas schreibt einer nicht einfach so an einem Nachmittag. Da gehört eine extreme Portion von antisemitischem Hass, von neonazistischem Denken und Handeln dazu. Das Flugblatt ist an Perfidie unerträglich. Doch so ein Bubi wie der junge Aiwanger lebte ja nicht im Vakuum, er hatte ein Umfeld und das wiederum war eingebettet in das Bayern des extrem rechten Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß, auf den die extrem rechten Bayern so stolz sind, dass sie einen Flughafen nach ihm benannt haben.

Die Art und Weise, wie sich nicht nur das dumpfe, Bier saufende bayerische Volk grölend hinter Aiwanger stellt, sondern auch wie die Partei Freie Wähler Bayern sich wie eine Volksgemeinschaft hinter ihrem Führer versammelt, zeigt, zu was dieses Land wieder fähig ist.

Richtig böse sollen jene sein, die den armen Hubert in einer „Kampagne“ „vernichten“ wollten. Und Söder hat gar kein Problem mit dem hier völlig offen zu Tage tretenden Antisemitismus, dem sekundären Antisemitismus der Erinnerungsabwehr. Wer auch nur einen der Auftritte oder Ausschnitte davon von Aiwanger sah, weiß, dass es diesem Mann überhaupt gar nicht leid tut, dass er dieses Pro-Holocaust Flugblatt in seinem Ranzen hatte und dass er auch ganz genau weiß, wer es geschrieben hat und sich schief lacht, dass es niemand zustande bringt, zu beweisen, dass er der Autor war. Martin Walser ist tot, jetzt kommen die Aiwangers – so könnte man die katastrophale Situation für die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Holocaust beschreiben.

2) Mahmoud Abbas und die Leugnung des Antisemitismus

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas leugnet in einer Rede, die er am 24. August 23 vor dem dem 11. „Revolutionären Konziel“ der Palästinensischen Befreiungsorgansation PLO hielt, dass der Antisemitismus der Deutschen zum Holocaust führte. Für ihn war es eine mehr oder weniger verständliche Reaktion auf die Rolle, die Juden als „Geldverleiher“ gehabt hätten. Die Times of Israel berichtet über diese antisemitische Rede, die vom Middle East Media Reseach Institute (MEMRI) aus dem Arabischen ins Englische übersetzt wurde. Der Antisemit Abbas fabulierte auch davon, dass die aschkenischen Juden keine Abkömmlinge der alten Israeliten seien, also gar nichts mit Israel zu tun hätten.

3) Holocaust-Historiker*innen, denen es egal ist, ob Juden in Todesgefahr leben und Israel zerstört wird

Vor dem Hintergrund dieses palästinensischen Antisemitismus ist eine Erklärung vom Sommer 2023 von mittlerweile über 2000 Akademiker*innen in den Bereichen Jüdische Studien, Holocaustforschung und Geschichte zu sehen:

 

Die Unterzeichner*innen behaupten, dass die Besetzung des Westjordanlandes der Elefant im Raum sei, den niemand in Israel und international unter den Israelfreund*innen sehen möchte. Die aktuelle und weiter geplante Justizzerstörungs-Gesetzungebung unter Benjamin Netanyahu – die ja in Israel massiv und so stark wie kein anderes Gesetzgebungsverfahren in der Geschichte des jüdischen Staates kritisiert wird, mit wöchentlich Hunderttausenden Demonstrant*innen seit Januar 2023 – ist nur der Anlass für bereits bekannte antizionistische Aktivist*innen zusammen mit bislang noch zu schüchternen, aber ebenso antizionistischen Wissenschaftler*innen jetzt aktiv zu werden. Das Schweigen zu palästinensischem Terror und Antisemitismus ist typisch für das Dokument.

Skandalös und wirklich gefährlich ist aber vor allem folgender Satz:

Without equal rights for all, whether in one state, two states, or in some other political framework, there is always a danger of dictatorship.

Ohne „gleiche Rechte für alle, ob in einer Einstaatenlösung oder Zweistaatenlösung oder irgendeinem anderen politischen Rahmen, wird es immer die Gefahr einer Diktatur geben“. Es geht um das flapsige Kokettieren mit der Zerstörung Israels, denn das wäre die Einstaatenlösung. Schon jetzt hat Israel mit 20 Prozent Arabern eine riesige Minderheit im Land, wovon übrigens die meisten ein Leben in Israel jeder Sekunde, die sie unter Abbas oder der Hamas leben müssten, vorziehen. Doch diese Historiker*innen und Forscher*innen in jüdischen Studien spielen mit der antisemitischen Fantasie, dass es doch egal sei, ob Juden in einem jüdischen oder binationalen Staat leben. Sprich: ob Millionen Palästinenser in das Land kämen, ist ihnen egal. Das wären insgesamt ca. 4,5 Millionen Palästinenser – 2 Mio aus dem Gazastreifen und 2,5 Mio aus der Westbank -, die zu den ca. 2 Mio Arabern in Israel noch hinzukämen. Etwas mehr als 7 Millionen Juden leben in Israel.

Es gibt viele liberale und linke, ja sogar konservative Kritiker*innen der unerträglichen Besetzung des Westjordanlandes. Viele sind sich aber auch im Klaren darüber, dass der Antisemitismus der Palästinenser ein weiteres Kernproblem ist, inklusive dem zentralen Aspekt der antisemitischen BDS-Bewegung nach dem „Rückkehrrecht“ der Palästinenser, das den jüdischen Charakter des Staates vollends zerstören würde, wie jeder weiß.

Völlig zurecht kritisiert das Pamphlet der Historiker*innen, dass aktuell in Israel homophobe, frauenfeindliche und messianische Kräfte am Ruder seien. Doch was bitteschön sind denn die Palästinenser? Weniger homophob? Weniger frauenfeindlich? Weniger religiös-fanatisch? Ernsthaft? Suicide Bombing ist immer noch eine primär islamistische Form des Terrors. Der Antisemitismus ist bei der Hamas nicht weniger ausgesprägt wie bei Abbas und der PLO oder den säkularen Antisemiten von Terrorgruppen wie der PFLP. Doch von alledem schweigen diese über 2000 Akademikerinnen und Akademiker.

Diese drei Beispiele zeigen die ungeheure Virulenz des längsten Hasses, des Antisemitismus.

 

Antisemitismus: Selenskyi verharmlost in Holland den Holocaust

Von Dr. phil. Clemens Heni, 05. Mai 2023

Er tut es immer wieder. Der ukrainische Präsident hat zum wiederholten Male den Holocaust verharmlost und die jüdischen Opfer der Shoah mit ganz normalen Kriegstoten analogisiert. Am gestrigen Donnerstag sprach er in Den Haag am Gedenktag für die niederländischen Opfer der Shoah, des Zweiten Weltkriegs und der Soldaten und Soldatinnen, die seither bei „Missionen“ ums Leben kamen. Dabei ertönen immer um 8 Uhr am Abend die Sirenen und das Land gedenkt zwei Minuten. Dass dieses Gedenken in den Niederlanden in der Tat problematisch ist, da es die holländischen Soldaten und Soldatinnen, die seit 1945 ums Leben kamen, inkludiert, steht auf einem anderen Blatt. Im Kern geht es aber um die niederländischen Opfer des Nationalsozialismus, wobei eine offene Frage ist, wie stark im heutigen Holland die Kollaboration mit den Nazis, Holland hatte eine der höchsten Raten an SS-Freiwilligen, Thema ist.

Selenskyi sagte:

“When today, as always on the fourth of May, at eight o’clock in the evening, you will honor the memory of all those whose lives were taken away by wars – World War II and others – please also remember Ukrainians – men and women, adults and children, who would have been alive now but for this aggression. The war we didn’t want, the one we have to make the last. We’ll do it,” Zelensky said in a speech at the Dutch parliament.

In seiner Rede im Parlament betonte also Selenskyi, dass sie in Holland neben den Opfer des Nationalsozialismus auch die ukrainischen Opfer des aktuellen Krieges Russlands in der Ukraine gedenken sollten. Diese Form des sekundären, erinnerungsabwehrenden Antisemitismus, ist typisch für den ukrainischen Präsidenten. Er möchte seine antisemitische Ukraine, die Straßen, Plätze, Briefmarken oder Fußballstadien nach Judenmördern, Antisemiten und Nazi-Kollaborateuren benennt, als Opfer darstellen wie es die Juden oder Holland im Zweiten Weltkrieg waren. So funktioniert der Antisemitismus nach 1945.

Neben dem islamistischen Iran ist aktuell kaum ein Land so antisemitisch wie die Ukraine, nur anders gepolt. Während der Iran Israel vernichten will, trivialisiert Selensyki den Holocaust, der vom Iran geleugnet wird. Selenskyi und die Ukraine haben viele Fans, auch unter Antisemitismusforscher*innen, die den islamistischen Iran ablehnen.

Wer sich jedoch heute Vormittag die Schlagzeilen anschaut, sieht auf Tagesschau.de, ZDF heute, n-tv und allen möglichen anderen Portalen keinerlei Hinweis auf den Antisemitismus von Selenskyi:

 

Seriöse Medien hingegen wie die Times of Israel (TOI) berichten heute bereits in der Überschrift und der Unterüberschrift ziemlich konsterniert von der Holocaustverharmlosung Selensykis:

Die Tagesschau bringt eine ausführlichen Bericht des gestrigen Besuchs von Selenskyi und schreibt:

Angesichts der russischen Invasion forderte Selenskyj eine „groß angelegte“ juristische Aufarbeitung. Als Vorbild eines Tribunals nannte er die Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg. „Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn wir die Aggressoren auch zur Verantwortung ziehen“, so der ukrainische Präsident.

Den Antisemitismus in dieser Analogisierung der Nürnberger Prozesse, der Shoah und dem Krieg in der Ukraine, erkennt die Tagesschau nicht nur nicht, sondern sie reproduziert ihn mit dieser kritiklosen, völlig affirmativen Darstellung.

Wäre die Tagesschau ein seriöses Medium, würde sie schreiben:

„Ukrainischer Präsident verharmlost den Holocaust gleich doppelt: er trivialisiert die Nürnberger Prozesse gegen die Deutschen und er setzt die Opfer des Holocaust in Holland auf eine Stufe mit den Kriegsopfern des Ukrainekriegs, der kein Vernichtungskrieg ist“

Doch natürlich ist die Tagesschau Äonen entfernt von einer solchen realitätsgetreuen Berichterstattung.

Dabei könnte sie ja auch betonen, dass beide Seiten – die Ukraine wie Russland – antisemitisch sind, der russische Außenminister Lawrow hatte Hitler „jüdisches Blut“ angedichtet, der auch von Ex-Kanzlerin Merkel und weiten Teilen des deutschen Kulturestablishments geliebte Komponist und Antisemit Richard Wagner ist Namensgeber für die brutale paramilitärische, private Wagner-Gruppe, die auf der Seite Russlands in der Ukraine kämpft.

Ganz anders als die Tagesschau hingegen die Times of Israel, die einen ehemaligen Vorsitzenden des ‚Zentralrats‘ der Juden in den Niederlanden zitiert, der diese Analogie von holländischen Holoaust- und Kriegsopfern und der heutigen Ukraine unerträglich findet:

Ronny Naftaniel, a former chair of the Central Jewish Board of the Netherlands, reacted to the visit on Twitter, writing that whereas Zelensky “is welcome in the Netherlands also on May 4” and is “fighting for the freedom of his country, the war in Ukraine should not be confused with the memorial day. Leave the wreath laying and the 2 minutes of silence out of it.”

Die Times of Israel zitiert auch Stimmen aus Holland wie von Linken und anderen, die den Antisemitismus goutieren und kein Problem damit haben, geschichtsblind sind. Doch der entscheidende Unterschied zu deutschen Medien wie der Tagesschau liegt darin, dass die Times of Israel betont, warum die Ukraine eine antisemitische Gedenkpolitik betreibt:

But some of the critics noted the fact that in modern-day Ukraine, including under Zelensky, streets and monuments are being named for Nazi collaborators, whom many Ukrainians view as patriots because they fought the Red Army.

“It’s a straightforward provocation to host on May 4 the Ukrainian president under whose leadership Stepan Bandera was promoted to a national hero,” economist Gerrit Zeilemaker wrote on Twitter, in reference to the leader of a rebel militia that fought alongside Nazi soldiers.

During World War II, Bandera led the Ukrainian Insurgent Army, whose men killed thousands of Jews and Poles, including women and children, while fighting alongside Nazi Germany against the Red Army and communists. Bandera’s supporters claim that they sided with the Nazis against the Soviet army in the belief that Adolf Hitler would grant independence to Ukraine.

Dazu kommt: schon vor einem Jahr bei seiner Rede an die Knesset via Video hatte Selenskyi antisemitisch agitiert. Er verglich bekanntlich den Beginn des Kriegs Russlands am 24. Februar 2022 mit der Gründung der NSDAP am 24.2.1920. Damit setzte er den Antisemitismus Hitlers und der NSDAP mit Putin und dem Krieg in der Ukraine auf eine Stufe. Und exakt so funktioniert heute Antisemitismus. Selenskyi ist ein typischer sekundärer, erinnerungsabwehrender Antisemit. Er feiert Nazi-Kollaborateure in der Ukraine, hat einen stellvertretenden Außenminister Melnyk, der den Judenhasser und Nazi-Kollaborateur Bandera mit Blumen auf dessen Grab in München würdigte.

Selenskyi verharmlost den Holocaust auf widerwärtige Weise, indem er von der Kollaboration seiner Ukraine schweigt, aber Putin mit Hitler analogisiert und damit einen antiliberalen Autokraten mit dem mörderischten Antisemiten der Weltgeschichte gleichsetzt.

Als Selenskyi in seiner Rede an die Knesset im März 2022 die NSDAP und Hitler mit Putin und dem Ukraine-Krieg gleichsetzte, wurde ihm vom Knessetabgeordneten Yuval Steinitz (Likud) vorgeworfen, dass dies „an Holocaustleugnung grenze“.

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