Von Dr. phil. Clemens Heni, 25. März 2020
Siehe dazu auch Katja Thorwarth, Frankfurter Rundschau: Die Bewegungsfreiheit ist aufgrund der Coronakrise massiv eingeschränkt. Sind die Einschnitte notwendig bzw. rechtens? Die Juristin Jessica Hamed im Interview.“ Coronavirus: „Risikogruppen haben nichts davon, wenn alle ‚weggesperrt‘ werden“, 25.03.2019
Einer der weltweit führenden Gesundheitswissenschaftler und Statistiker, der 1965 in New York geborene John P. A. Ioannidis, C.F. Rehnborg Chair in Disease Prevention an der Stanford Universität in Kalifornien und Professor für Medizin, Gesundheitsforschung- und politik sowie Statistik, hat jüngst mit zwei Aufsehen erregenden Artikeln die unabschätzbaren Gefahren der gegenwärtigen Massenpanik angesichts der Coronavirus-19-Pandemie herausgestellt. Am 17. März veröffentlichte er den Artikel „A fiasco in the making? As the coronavirus pandemic takes hold, we are making decisions without reliable data”, am 19. März publizierte die peer-review Fachzeitschrift European Journal of Clinical Investigation seinen Text „Coronavirus disease 2019: the harms of exaggerated information and non‐evidence‐based measures“, der frei zugänglich im Netz steht. Peer-review heißt, dass mindestens zwei andere Wissenschaftler*innen einen Artikel prüfen und für eine Publikation zur Veröffentlichung vorschlagen, ablehnen oder Änderungen anmahnen. Das heißt, das ist ein wissenschaftlich hochkarätiger Text, der ernst genommen werden muss.
Ioannidis stellt zentrale Fragen:
Early estimates of the projected proportion of global population that will be infected seem markedly exaggerated
- Early estimates of case fatality rate may be markedly exaggerated
- The proportion of undetected infections is unknown but probably varies across countries and may be very large overall
- Reported epidemic curves are largely affected by the change in availability of test kits and the willingness to test for the virus over time
- Of the multiple measures adopted, few have strong evidence, and many may have obvious harms
- Panic shopping of masks and protective gear and excess hospital admissions may be highly detrimental to health systems without offering any concomitant benefit
- Extreme measures such as lockdowns may have major impact on social life and the economy; estimates of this impact are entirely speculative
- Comparisons with and extrapolations from the 1918 influenza pandemic are precarious, if not outright misleading and harmful.
Demnach werden also ohne eine auch nur annähernd seriöse Datenbasis gravierende Maßnahmen ergriffen.
Der „renommierte Gesundheitswissenschaftler Professor John Ioannidis“ hatte Ende März 2019 „eine Dependance seines kalifornischen Forschungszentrums Metrics am Quest-Center des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIH) eröffnet“, er ist also auch in Deutschland bekannt. Durchaus ähnlich wie der Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité in Berlin Stefan Willich es in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel kundtut, ist auch Ioannidis sehr kritisch gegenüber Ausgangssperren und dem totalen Lockdown ganzer Gesellschaften und Ökonomien.
Ioannidis sieht schlechterdings unverhältnismäßige Maßnahmen und schreibt in seinem peer-review Artikel, dass die Todesraten extrem übertrieben sind und ausgesprochen haltlos, da wir gar nicht ausreichend testen. In Gesellschaften, die alle Personen in einem bestimmten Gebiet testen, kommen viel geringere Todesraten anstelle der ca. 3,4 Prozent, von denen häufig die Rede ist, zu Tage. Auch die Anzahl der Personen, die von einer infizierten Person angesteckt werden können, variiert ganz extrem und zwar von 1,3 bis 6,5. Mit solchen ungeheuerlichen Schwankungen kann eine Panik geschürt werden und nie zuvor haben die Medien und die Politik diese Chance der Aufhetzung der ganzen Welt sofort ergriffen.
Ioannidis schreibt:
Leaving the well-known and highly lethal SARS and MERS coronaviruses aside, other coronaviruses probably have infected millions of people and have killed thousands. However, it is only this year that every single case and every single death gets red alert broadcasting in the news.
Es gab also schon früher Coronaviren, nur hat sie niemand beachtet, es führte zu keiner Panik. Warum jetzt? Ioannidis betont nachdrücklich, über was für Dimensionen wir hier reden. Weltweit sterben ca. 60 Millionen Menschen jedes Jahr. Davon werden ganz evtl. 0,01 Prozent Corona-19 zugeschrieben werden, wobei das fast alles alte und schwer vorerkrankte Menschen sein werden – gleichzeitig aber werden Milliarden Menschen durch den ökonomischen Lockdown extrem getroffen und viele Menschen werden verarmen und die Beziehung von Armut, Krankheit und Tod ist unzweifelhaft.
Ob diese Menschen nur an Covid-19 sterben oder einem Mix mit anderen Viren bzw. den jeweiligen Vorerkrankungen, muss ohnehin in die Berechnung mit einfließen, was derzeit nur sehr unprofessionell geschieht. Wenn ein Toter in Italien in Bergamo (auch posthum) auf Covid-19 positiv getestet wurde, zählt die Person als Corona-Toter, doch ob das die Todesursache war, ist damit keineswegs gesagt, wie kritische Mediziner betonen.
Als Epidemologe und Medizinwissenschaftler und Statistiker warnt Ioannidis davor, die derzeit weltweit pulsierende Panikmache mitzumachen und plädiert nachdrücklich dafür, besser anzufangen, kritisch zu bedenken und inne zu halten.
Neben den konkreten Menschen, die durch Ausgangssperren und Kontaktsperren verzweifeln und sterben werden, wird auch die Seriosität von Wissenschaft und Forschung im Bereich der Medizin ganz massiv leiden, wenn mit gänzlich unterschiedlichen Datensätzen in verschiedenen Ländern extrem unterschiedliche Todesraten publiziert werden, die einer wissenschaftlichen Analyse am Ende womöglich alle nicht standhalten. Es braucht viele Millionen mehr Tests, denn jedem nur halbwegs mathematisch denken Menschen ist klar, dass 40.000 Infizierte bei 500.000 Getesteten eine ganz andere Bedeutung haben als die gleiche Anzahl bei 7 Millionen Getesteten.
Viele Menschen sehen jetzt in wenigen Wochen ihr Lebenswerk dahinschmelzen, sei es ein Club, ein Restaurant, eine Kneipe, ein Kleiderladen, ein Töpferladen oder Schmuckatelier, linke und sonstige Veranstaltungsorte, Theater aller Art, ja fast alle Branchen sind betroffen. Es kann sich als die unglaublichste Umstrukturierung unserer Ökonomie handeln. Verstaatlichungen wären kein Resultat einer rationalen Überlegung, sondern Panikmaßnahmen. Der Kern ist und bleibt die Stabilität von Polizei und Krankenhäusern, diesem polizeistaatlichen Imperativ ist alles – alles – untergeordnet, vorneweg die Freiheit der Menschen.
Die Büchse der Pandora ist jedenfalls geöffnet. Die aktuelle quasi Gesundheitsdiktatur zeigt: Jede faschistische Regierung, die Europa in den nächsten Jahren und Jahrzehnten heimsuchen wird, hat jetzt schon mal gelernt, wie unfassbar schnell weiteste Teile der Bevölkerung sich manipulieren, einsperren und elementarer Grundrechte berauben lassen.
Aber er ist noch viel schlimmer, weil wir jetzt merken, wie geradezu erpicht weite Teile der Bevölkerung sind, wesentliche Rechte wie das Asylrecht, die Versammlungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Bewegungsfreiheit, die Gewerbefreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und der Bildung und andere Freiheiten mehr, einfach zeitweilig aufzugeben – und damit autoritären Politiker*innen zu zeigen, wie willfährig und ohne jede substantielle Opposition das deutsche Volk da mitmacht. In Frankreich oder Ungarn und Österreich und Italien sieht es teils noch autoritärer aus, denken wir an das unverantwortliche, die Bevölkerung aufpeitschende wie einschüchternde Gerede Macrons vom „Krieg“ gegen das Virus.
Würde es der Bundesregierung und den Landesregierungen tatsächlich um das Wohl der Menschen gehen, würden sie die Rüstungsproduktion stoppen, Tempo 120 auf Autobahnen einführen (wie in den USA, wo es noch niedriger ist, es aber trotzdem 40.000 Tote im Straßenverkehr gibt, die 120 km/h sind eher ökologisch begründet), die kapitalistische Grundstruktur der Gesellschaft in Frage stellen, den patriarchal-natalistischen Imperativ zur Diskussion stellen, sich aktiv gegen den Klimawandel und z.B. sofort gegen Kohlekraftwerke und gegen die extreme Gefahr von Atomkraftwerken stellen (was wiederum nicht wenige extrem rechte vorgebliche Kritiker der aktuellen Coronoa-Hysterie nicht tun), die Politik hätte schon vor Jahrzehnten Billigflugreisen massiv besteuern können oder sich für die Produktion von klimaneutralen Aircondition-Geräten eingesetzt, die womöglich mehr Menschen in den kommenden Sommern das Leben retten würden als die paar Tausend Beatmungsgeräte, die jetzt jeden Ausnahmezustand rechtfertigen.
Es gibt übrigens von ganz anderer Seite auch eine Art Verhetzung des Volkes, wenn die Spiegel Kolumnistin Ferda Ataman auf Twitter suggeriert, dass Nicht-Deutsche bzw. als solche Kategorisierte bei der Verwendung von Beatmungsgeräten im Zweifeslfall zu kurz kommen würden – ohne jeden empirischen Anhaltspunkt Ärzten in Deutschland diesen Rassismus zu unterstellen, ist ungeheuerlich und sie spielt nur auf besonders perfide Weise auf der Klaviatur der Coronamassenpanik:
Screenshot
Die Skepsis des führenden Gesundheitswissenschaftlers und Epidemologen John P. A. Ioannidis sollte auch hierzulande die wenigen Kritiker*innen darin bestärken, massive und laute Kritik daran zu üben, wie in ganz kurzer Zeit das gesamte Land lahmgelegt wird aufgrund von Annahmen von Virologen, die international wie von Professor John P. A. Ioannidis, einem der weltweit am häufigsten zitierten Wissenschaftler unserer Zeit überhaupt, in Frage gestellt werden. Dass die Bundeskanzlerin mit Virologen Pressekonferenzen macht, ohne zugleich Soziolog*innen oder Politolog*innen auf dem Podium zu haben, ist eine Katastrophe für die Demokratie.
Schon jetzt fangen Juristen an, das Grundgesetz daraufhin zu untersuchen, wie man noch schneller Notstandsgesetze implementieren kann – beim nächsten kompletten Lockdown riesiger Gesellschaften, die wir bislang Demokratien nannten (Frankreich, Deutschland, Österreich, Indien, USA, etc.). Während die Notstandsgesetzgebung von 1964 bis zur endgültigen Verabschiedung durch die große Koalition Ende Mai 1968 zu den massivsten Protesten der Studentenbewegung führte, ist die heutige Jugend im Alter von 16 bis 40 so dermaßen angepasst, dass man dafür noch Worte suchen muss. Vorauseilender Gehorsam wäre ein Euphemismus, das Internalisieren techno-faschistischer Maßnahmen wie das Überwachen von Handys oder das Registrieren der Körpertemperatur, mit direktem Link zu Gesundheitsämtern und Verfassungs- und Staatsschützern ist ubiquitär.
Um das etwas aufgelockerter zu sagen: für die ganz krassen Leute wird das ohnehin nichts ändern, weil der Heavy-Metal-Universalismus dem partikularistischen Nationalismus apriori entgegengesetzt ist und festlegt: „Metal is for everyone, stronger than the Law„.
Die Demokratie zu retten, heißt Skeptiker und Kritiker der aktuellen Massenpanik zu sein. Es ist wissenschaftlich unklar, ob es mehr Tote geben würde, wenn überhaupt keine restriktiven Maßnahmen ergriffen worden wären, oder ob es mehr Tote geben wird, weil die sozialen Folgen eines Shutdowns so extrem sind, dass Armut, wirtschaftlicher Bankrott, Gewalt gegen Frauen, Einsamkeit und Suizid in einem Maße zunehmen werden, wie wir es weltweit zum gleichen Zeitpunkt jedenfalls im 21. Jahrhundert noch nicht gesehen haben.
Bei einem Virus, dessen Gefahr noch überhaupt nicht abschätzbar ist, der aber empirisch bis heute viel weniger Menschen tötet als die Grippe (Influenza), ist es ethisch problematisch, die ganze Welt in Atem zu halten und massiv zu gefährden, damit eine offenkundig sehr kleine und vorerkrankte Gruppe von Menschen evtl. weniger in Gefahr gerät, was diese Gruppe jedoch auch ohne faschistoide Maßnahmen selbst tun könnte.
Was wir jetzt und in Zukunft brauchen, sind politik- und sozialwissenschaftliche wie geisteswissenschaftliche Institute für kritische Epidemologie- und Krisenforschung. Es kann nicht sein, dass weiterhin Virologen die Politik bestimmen. Sie können zu Rate gezogen werden, aber ausschlaggebend müssen Politikwissenschaftler*innen und kritische Gesundheitspolitiker*innen sein, die die gesamte Gesellschaft im Blick haben und nicht nur ein Virus, das irrational als die einzige und wahnwitzig große Gefahr herbei halluziniert wird, bar jeder Empirie. Die ersten politikwissenschaftlichen und kommunikations- und medienwissenschaftlichen Doktorarbeiten zur Erzeugung der Massenhysterie bezüglich Covid-19 sind schon auf ihrem Wege. Die Tage der wissenschaftlichen wie politischen Abrechnung werden kommen.
Ioannidis schreibt, dass wir diese Saison womöglich sogar weniger Grippetoten haben werden wegen den heftigen Ausgangssperren, wobei wir bislang noch nie wegen der Influenza solche Maßnahmen getroffen hatten:
Most lives saved may actually be due to reduced transmission of influenza rather than coronavirus.
Die Medien spielen eine absolut zentrale Rolle. Ohne die wahnsinnige Panikmache durch alle Mainstreammedien wären wir an einem anderen Punkt und würden zur Prime Time Professoren wie Ioannidis hören anstatt provinzielle deutsche Virologen aus Berlin. Was sagt der Professor?
Exaggerated case fatality rate (CFR): Early reported CFR figures also seem exaggerated. The most widely quoted CFR has been 3.4%, reported by WHO dividing the number of deaths by documented cases in early March.7 This ignores undetected infections and the strong age-dependence of CFR. The most complete data come from Diamond Princess passengers, with CFR=1% observed in an elderly cohort; thus, CFR may be much lower than 1% in the general population; probably higher than seasonal flu (CFR=0.1%), but not much so.
Neben den Medien ist die ganz breite Masse des Volkes jetzt als Faschismus kompatible, äußerst manipulierbare Gruppe zu identifizieren. Kaum jemand denkt kritisch oder stellt Maßnahmen in Frage, vielmehr wird die Politik geradezu angeheizt, noch schärfer vorzugehen. Das Volk umfasst diesmal keineswegs nur AfD-Wähler*innen, sondern weiteste Teile, nicht zuletzt das ach-so-linksliberale Milieu, das nicht mal der brutale Schrei nach dem neuen Führer à la Sebastian Kurz (Österreich), Söder (Bayern) oder Spahn (Berlin, Bundesregierung) zum Nachdenken bewegt oder für Irritation sorgt.
Es gibt gegen die Influenza sogar eine Impfung, warum aber werden allein in dieser Grippesaison 2019/2020 Grippetote einfach so hingenommen, aber bei Corona-Toten wird völlig durchgedreht? Diese Frage stellt sich der Professor aus Stanford:
This year’s coronavirus outbreak is clearly unprecedented in amount of attention received.Media have capitalized on curiosity, uncertainty and horror. A Google search with “coronavirus” yielded 3,550,000,000 results on March 3 and 9,440,000,000 results on March 14. Conversely, “influenza” attracted 30- to 60-fold less attention although this season it has caused so far about 100-fold more deaths globally than coronavirus.
Die Grippe (Influenza) hat also schon bislang 100mal mehr Tote verursacht als Corona – wo ist der Aufschrei, wo die Panik ob der Grippe?
Wo bleibt die Gelassenheit, dass Menschen wissen, dass sie sterben und dass es immer Viren geben wird oder andere Ursachen, die nicht zu vermeiden sind, vor allem wenn man alt und vorerkrankt ist?
Die Leute überbieten sich mit Vorschlägen nach dem Motto „Wie werde ich Blockwart, ohne mich schlecht zu fühlen?“, „Ist nicht Musizieren Zuhause mindestens so schön wir in einem Konzerthaus mit Profis?“ oder „Ist der Büroalltag nicht schon immer überbewertet worden? HomeOffice als Zukunftsprojekt der postkapitalistischen Monade“ und so weiter.
Ich warte weiter auf den neuen Foucault (w/m/d), denn so viel biopolitische und machtpolitische history in the making gab es seit 1945 noch nie.
Wie sagt Ioannidis?
The current coronavirus disease, Covid-19, has been called a once-in-a-century pandemic. But it may also be a once-in-a-century evidence fiasco.
(Die aktuelle Coronavirus-Krankheit, Covid-19, wurde eine Jahrhundert-Pandemie genannt. Es könnte sich aber ebenso als ein Jahrhundert-Evidenz-Fiasko herausstellen.)