The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Nazis

„Positives“ über Nazis und die AfD berichten in der ARD: Wiebke Binder

Von Dr. phil. Clemens Heni, 2. September 2019

Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg am 1. September 2019 zeigen, wie viel Vergangenheit in diesem Land steckt. 27,5 Prozent der Wähler*innen in Sachsen und 23,5% in Brandenburg haben für eine Partei gestimmt, deren Spitzenkandidaten z.B. eine Hakenkreuzfahne auf einem Balkon in Griechenland hissen und wie Andreas Kalbitz aus Brandenburg schreien:

Wir wollen kein Stück vom Kuchen, wir wollen die Bäckerei!

Der Spitzenkandidat der AfD in Sachsen, Jörg Urban, der mit Björn Höcke, dem vorbestraften Lutz Bachmann und Kalbitz auf Demonstrationen geht, spricht in der gleichen Diktion:

Ein Volk kann nur die eigene Einigkeit und Freiheit bewahren, wenn es weitgehend homogen bleibt.

Darauf weist der Spiegel Online Kolumnist Christian Stöcker hin. Dessen treffende Kritik jedoch lesen ein paar Tausend oder Zehntausende Menschen.

Millionen hingegen sahen am Wahlabend live in der ARD die Journalistin des MDR Wiebke Binder, wie Der Westen berichtet:

„Positives“ möchte die MDR-Journalistin über die neuen Nazis berichten und betont, dass ihre Kolleg*innen ganz sicher „Positives“ über die AfD berichtet haben.

Das alles ist kein Zufall. Dass am 1. September 2019 der 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen war und der Zweite Weltkrieg begann, die AfD stolz ist auf die „deutsche Soldaten in zwei Weltkriegen“ (Gauland) wird da nicht kritisiert, weil die Wiebke Binders gar nicht wissen, was damals passierte.

Wiebke Binder will es gar nicht wissen, sie lächelt einfach mit Rechtsextremen um die Wette und folgt ihrem „Lebensmotto„, das auf ihrer Homepage steht:

Und dein Lebensmotto?

Lebe im Hier und Jetzt. Gestern ist vorbei und Morgen kommt von ganz allein.

Wiebke Binder gehört entlassen.

Der MDR wird hingegen sagen: „Gestern ist vorbei und Morgen kommt von ganz allein“. Da lachen Jörg Urban, Andreas Kalbitz, Björn Höcke, Alexander Gauland und Alice Weidel.

 

 

50 Jahre Mondlandung, der Nationalsozialismus, Hermann Oberth, Sigmund Jähn sowie die Neue Rechte und Henning Eichberg im Jahr 1971

Von Dr. Clemens Heni, 17. Juli 2019

In einem Text in der Stuttgarter Wochenzeitung „Kontext“ vom 17. Juli 2019 gibt es einen Text zu Hermann Oberth, dem „Raketen-Nazi mit Bundesverdienstkreuz“.

Darin wird zu Recht darauf abgehoben, dass Hermann Oberth nicht nur mit den Nazis kooperierte, sondern auch nach 1945 ein Rechtsextremist blieb und z.B. der NPD beitrat.

Das sind jedoch alles keine neuen Erkenntnisse, wie man bei der Lektüre der „Kontext: Wochenzeitung“ denken könnte, denn schon 2006 an der Uni Innsbruck, publiziert 2007 im Marburger Tectum Verlag („Salonfähigkeit der Neuen Rechten“), hatte ich folgendes Unterkapitel zu diesem Thema, das ich unten dokumentiere. Im Oktober 2018 wiederum hatte ich in der Einleitung zu der Studie „Der Komplex Antisemitismus“ wiederum auch auf die Raumfahrt abgehoben:

Wenn heute die internationale BDS-Be­weg­ung kreischt: „Kauft-nicht-bei-Juden“ und „boykottiert Musiker, Künstler-und-Forscher*innen, die in Israel auftreten“, wenn in holländ­ischen Fuß­ball­stadien „Hamas, Hamas, all Jews to the Gas“ gebrüllt wird,[1] oder wenn deut­sch-türkische Facebook-User mit Klarnamen und Bild im Juni 2010 lamentierten, Hitler hätte seinen Job leider nicht zu Ende ge­bracht oder wenn die Amerikanische Astronautische Ge­sell­schaft (Am­er­ican Astro­­naut­ic­al Society) in Kooperation mit der Raum­fahrt­behörde der USA, der NASA (National Aeronautics and Space Ad­mi­ni­strat­ion), im Oktober 2018 wieder ihr „Wern­her von Braun Memorial Sym­posium“ in Huntsville veranstaltet,[2] wird deut­lich: Ohne den National­soz­ia­lismus und deutschen Anti­semi­tis­mus würde es das alles nicht geben. „Wir“ sind Export-Welt­meister und haben den Import von Antisemitismus gar nicht nötig.

[1] Remco Ensel (2017): ‚The Jew‘ vs. ‚the Young Male Moroccan‘. Stereotypical Confrontations in the City, in: Ders./Evelien Gans (Hg.), The Holocaust, Israel, and ‚the Jew‘. Histories of Antisemitism in Postwar Dutch Society, Amsterdam: Amsterdam University Press, 377–413, hier S. 377.

[2] „Wernher von Braun Memorial Symposium, October 23–25, 2018, Huntsville, Alabama“, http://astronautical.org/events/vonbraun/ (11.05.2018). Zur Kritik an von Braun siehe Rainer Eisfeld (1996): Mondsüchtig. Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

 

Hier das Kapitel aus meiner Doktorarbeit von 2006:

  1. »Vorsprung durch Technik« (1971): Eichberg,V2 und »Mondsucht«

1971 fing die deutsche Automarke Audi 1971 an, ihren Slogan »Vorsprung durch Technik«[1] zu verbreiten. Schon wieder diese Dreieinigkeit Deutsche, Technik und Vorsprung? Noch heute hallt die Zeit der NS auch insofern nach, als die nationalsozialistische Betriebsgründung Volkswagen (VW)[2] eines ihrer Luxusmodelle Phaeton nennt, während der Automobilkonzern Auto-Union, heute unter dem alten Namen Audi eine Tochter von VW, ab 1935 ebenfalls einen Phaeton bauen ließ.[3]

Die Beziehung der Deutschen zur Technik hat bezüglich des Fliegens bzw. ›Raumfahrens‹ im Zeppelinkult des Kaiserreichs ihren national(istisch)en Grund, wie der Philosoph Helmut Reinicke in einer Studie zeigt.[4] In dieser spezifisch deutschen Liebe zu Größe, nationaler ›Ehre‹ und Unerreichbarkeit steht die NS-Raumfahrt.

Die Neue Rechte war zu der ›Vorsprung-durch-Technik‹-Zeit der Audi-Kampagne sehr technik- und fortschrittsfreundlich und Eichberg interviewte just 1971 einen führenden Ingenieur der deutschen Luft- und Raumfahrt, Hermann Oberth,[5] der als »›Vater der Raumfahrt‹«[6] vorgestellt wird. Ein biografischer Abriss unterstreicht ganz selbstverständlich dessen ›Leistung‹ für den NS:

»Seine [Oberths, C. H.] Schrift ›Die Rakete zu den Planetenräumen‹, die die geistigen Grundlagen für die moderne Weltraumfahrt legte, mußte er 1923 auf eigene Kosten drucken lassen. (…)

Obwohl aber die ersten Auflagen seines Buches reißenden Absatz fanden und auch die (internationale) Gelehrtenwelt sich ihm allmählich aufschloß, blieb Oberth von einer Verwirklichung seiner Vorstellungen noch weit entfernt. Nur einen Ersatz bedeutet es, daß der expressionistische Filmregisseur Fritz Lang, der bereits ein Gespür für das kommende Raketeninteresse entwickelt hatte, ihn 1928 für den Film ›Die Frau im Mond‹ als technischen Berater engagierte. Erst Anfang der 30er Jahre begannen militärische Stellen in Berlin, sich für die Raketenforschung zu interessieren: Der damalige Hauptmann Walter Dornberger engagierte den jungen Wernher von Braun, der vorher schon als Abiturient und Student bei Oberth gearbeitet hatte, und 1933 begannen in Kummersdorf bei Berlin, später fortgesetzt in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom, die ersten Arbeiten an den Raketen der A-Reihe, aus der später die V2 hervorgehen sollte. Oberth aber blieb – infolge Zurückhaltung der staatlichen Stellen – außerhalb der Arbeiten. Anwerbungsversuche der Sowjets 1932, der Japaner 1933 und der rumänischen Regierung 1935 wies er ab. Erst 1941 wurde Oberth in Peenemünde beteiligt, wo am 3. Oktober 1942 der erste Flug einer V2 gelang. Aber die 1944 erstmals gegen London eingesetzte Waffe konnte den Verlauf des Krieges nicht mehr beeinflussen.«[7]

 

Lapidar wird hier der Massenmord durch V2-Angriffe an englischen, holländischen oder belgischen ZivilistInnen implizit erwähnt und wiederum unausgesprochen der Tod von ZwangsarbeiterInnen als Bedingung der Produktion affirmiert – schließlich ging es um »Vergeltung«, V2 hieß Vergeltungswaffe.

Eichberg derealisiert nicht nur diese von der deutschen V2 Ermordeten, sondern erwähnt den ›geringen Erfolg‹ der V2, die den »Krieg nicht mehr beeinflussen« konnte. Ganz positiv hingegen sieht er Oberths Einsatz für Nationalismus auch nach dem Nationalsozialismus. Oberth war Mitte der 1960er Jahre NPD-Mitglied geworden, musste sich aus taktischen Gründen zwar wieder von ihr trennen, aber sein völkisches ›Weltbild‹ blieb das gleiche:

»[Eichberg] Welche Bedeutung könnte nach Ihrer Meinung Nationalismus im technologischen Zeitalter haben?

Oberth:

Ich habe die NPD keineswegs als falsch erkannt, ich bin bloß ausgetreten, weil ich glaube, daß ich der Sache des Deutschtums mehr nützen kann, wenn ich überhaupt an junge Leute herantrete und ihnen sagen kann, was sie alles noch lernen müssen, um die Politik richtig zu verstehen; andernfalls hören sie ja gar nicht, was man sagt und schreien einen bloß nieder. Drastisch gesprochen glaube ich, der Sache der Vernunft mehr als Heckenschütze nützen zu können als als Frontkämpfer.«[8]

 

Das passt zu Eichberg und der Neuen Rechten: nicht alt-rechts im Heer marschieren, sondern aus dem Hinterhalt als ›Heckenschützen‹ angreifen, ›nationalrevolutionär‹ mit modernster Technik ausgestattet. Die Gleichzeitigkeit dieses Gespräch, Oberths Reminiszenzen an die Luftraumfahrt und dem Anlaufen einer allzu deutschen Kampagne der Automarke Audi – Vorsprung durch Technik –, induziert Wesentliches: Deutschland ist wieder gut gemacht, konnte nach seinen Verbrechen prächtig prosperieren, Schuld gab es nie und Täter auch nicht.

Wenn Konstrukteure von Massenvernichtungswaffen, die auf der tödlichen Zwangsarbeit unzähliger Sklavenarbeiter basierte, wenig später ihre Taten und Erfindungen rühmen dürfen, so ist der Slogan Vorsprung durch Technik – auch die V2 sollte ja ein Vorsprung im wörtlichen Sinne sein! – nichts als Zynismus und Affirmation der Barbarei.

In der DDR war Oberth auch anerkannt. Eine Ikone der DDR, der erste Deutsche im All, Sigmund Jähn (für ›Wessis‹ bekannt geworden durch den Film »Good Bye Lenin«), war ganz glücklich, den alten Nazi noch zu treffen:

»Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, lernte Hermann Oberth 1982 anläßlich des 25. Jahrestages des Starts von Sputnik I in der Sowjetunion kennen – fünf Jahre nach seinem Raumflug. (…) Mir hat Professor Oberth in jeder Begegnung Achtung abgenötigt. Er hat ja nicht nur Bücher geschrieben, im reifen Alter übrigens auch über Parapsychologie und mit Vorschlägen für ein Weltparlament. Als er 90 Jahre alt wurde, beobachtete ich ihn, wie er den Lift des Hotels mißachtete und die drei Treppen zu Fuß ging. ›Es hat keinen Zweck mit ihm zu streiten‹, sagte mir seine Tochter, Frau Dr. Erna Roth-Oberth, die ihn begleiten mußte. Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu: ›Er war schon immer ein Querkopf, der sich durchsetzte‹.«[9]

Oberth sei ein (lustiger) ›Querkopf‹, der ›sich durchsetzte‹ – und 20 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus der NPD beitrat. In einer von Oberth autorisierten Biografie von Hans Barth sagt der Raketenfetischist 1985:

»H. B. [Hans Barth, C. H.]: Wäre der Mensch ohne Hermann Oberth erst später auf dem Mond gelandet?

Professor Oberth: Ich glaube, ja. Er wäre natürlich auch ohne ihn gelandet, allerdings hätte die Sache dann mehr Menschenopfer gefordert.«[10]

 

Angesichts der Sklavenarbeiter, die oft bis zum baldigen, qualvollen Tod für die Raketenforschung Oberths und Wernher von Brauns & Co. in Peenemünde und Mittelbau Dora arbeiten mussten, sind solche Worte, 40 Jahre nach der Befreiung der letzten noch lebenden Zwangsarbeiter, der pure Hohn.

Der Philosoph Günther Anders hat die deutsche Befindlichkeit, welche aus solchen Sätzen Oberths spricht, seziert:

»Fragen wir noch einmal: Welcher Situation verdanken wir die Raketen? Letztlich Hitlers verzweifeltem Versuch, doch noch zu siegen. Und dann der Niederlage Hitlers. Genauer: denjenigen Männern, die auf ihres ›Führers‹ Anweisung hin in hektischer Team-Arbeit die V I- und die V II-Raketen konstruierten, um der Naziregierung die Chance zu verschaffen, London in Schutt und Asche zu legen – was ihnen ja auch in weitestem Umfange gelungen ist. (…)

›Da gab es‹, so berichtet zum Beispiel auch heute noch ungerührt (beziehungsweise aufs schamloseste gerührt) der nunmehr vierundsiebzigjährige Dornberger, ›da gab es keine Handbücher, keine bewiesenen Formeln, keine Hilfe durch wissenschaftliche Vorarbeiten.‹ – Noch heute also protzt der nun alte Mann damit, und das nicht etwa in Deutschland, sondern in Amerika, vor den Verbündeten seiner Opfer von damals, daß sie, die Raketen-Konstrukteure, damals, als Hitler ihnen die Aufgabe zuerteilte, die Totalvernichtung Englands vorzubereiten, einfach mit nichts hatten anfangen müssen. Man stelle sich das vor: mit buchstäblich nichts. Die Ärmsten! Noch heute krampft sich einem, wenn man das hört, das Herz zusammen.«[11]

Eichberg hingegen würdigt den Oberthschen Einsatz für den Nationalsozialismus, indem er eine Nummer der Propagandazeitschrift der Neuen Rechten, des Jungen Forum, mit Oberth ausfüllt. Was damals schon nicht nur neu-rechts war[12], ist spätestens heute Mainstream[13]: Peenemündes Weg zur Pilgerstätte. In einem offenen Brief zweier Referenten, Günther Jacob und Nathan Sznaider, wird deutlich, dass der Tourismus nach Peenemünde und den alten V2-Anlagen in der Bundesrepublik floriert, was sich darin zeigt, dass der »Obersalzberg (jährlich 150.000 Besucher) schon 1994 übertroffen« wurde und Peenemünde »seit dem Jahr 2002 mit jährlich 350.000 Besuchern zu Deutschlands erfolgreichsten Museen« zählt.[14]

 

[1] Bis heute spielt Audi mit diesem affirmativen Deutsch-Sein, vgl. die Homepage http://www.vorsprungdurchtechnik.co.uk (06.11.2005). In einer ethnologischen Dissertation wird dieser Slogan affirmativ abgehandelt: Joana Breidenbach (1994): Deutsche und Dingwelt: Die Kommodifizierung nationaler Eigenschaften und die Nationalisierung deutscher Kultur, Münster/Hamburg (Lit; Interethnische Beziehungen und Kulturwandel, Band 22).

[2] VW wurde 1938 in der »Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben« gegründet, seit 1945 heißt die Stadt Wolfsburg. Die »Stadt des KdF-Wagens« war das größte Projekt der 1933 gegründeten nationalsozialistischen Organisation »Kraft durch Freude« (KdF). Ihr Titel war Programm: eine Art deutsches Losungswort.

[3] 1932 fusionierten die vier sächsischen Automobilhersteller Audi, Wanderer, DKW und Horch zur Auto Union. Das Symbol der vier ineinander verschlungenen Ringe hat hier seinen Ursprung, da jeder Ring für eine der Marken steht. Es wurden jedoch weiterhin Autos unter dem jeweiligen alten Firmennamen konstruiert. Zum 830er Phaeton vgl. Peter Kirchberg (1985)/1991: Horch Audi DKW IFA. 80 Jahre Geschichte der Autos aus Zwickau, 3. bearb. Aufl., Berlin (transpress; MotorbuchVerlag), S. 75.

[4] Helmut Reinicke (1998): Deutschland hebt ab. Der Zeppelinkult – Zur Sozialpathologie der Deutschen, Köln (PapyRossa).

[5] Henning Eichberg/Hermann Oberth (1971a)/1973: »Mondsucht«. Zur Zeitgeschichte der Technik und des okzidentalen Syndroms, Junges Forum, Nr. 2/1973. Der Text basiert auf einem Interview Eichbergs mit Oberth von August 1971, das er für die französische Zeitung der Nouvelle Droite, Nouvelle Ecole, geführt hat, vgl. Eichberg/Oberth 1971a: 3.

[6] Eichberg/Oberth 1971a: 7.

[7] Ebd.: 5.

[8] Eichberg/Oberth 1971a: 15.

[9] Horst Hoffmann (1998): Die Deutschen im Weltraum. Zur Geschichte der Kosmosforschung in der DDR. Mit einem Vorwort von Sigmund Jähn und unter Mitarbeit von Matthias Gründer und Andreas Schütz, Berlin (edition ost; Rote Reihe), S. 36–38.

[10] Hans Barth (1985)/1991: Hermann Oberth. »Vater der Raumfahrt«. Autorisierte Biographie. Mit einem Vorwort von Wernher von Braun, Esslingen/München (Bechtle), S. 300.

[11] Günther Anders (1970): Der Blick vom Mond. Reflexionen über Weltraumflüge, München (Verlag C. H. Beck), S. 185 f.

[12] Anders zitiert aus einem wohlwollenden Artikel in der Massenillustrierten Bunte von 1969, der Wernher von Brauns Lebensgeschichte aufrollt, vgl. Anders 1970: 186, Anm. 1.

[13] So z. B. der lobende, Kritik neutralisierende Ausstellungskatalog von Johannes Erichsen/Bernhard M. Hoppe (Hg.) (2004): Peenemünde. Mythos und Geschichte der Rakete 1923–1989, Berlin (nicolai).

[14] Günther Jacob/Nathan Sznaider (2003): Presseerklärung vom 01.08.2003. Bis „heute“ hat das Museum in Peenemünde „5 Millionen Besucher“ gehabt, wie die Homepage stolz verkündet (abgerufen am 17.07.2019):

©ClemensHeni

Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik

 

Dieser Text ist für einige pädagogische Mainstream-Fachzeitschriften selbstredend zu kritisch, daher wird er hier dokumentiert.

Abstract:

Dieser Artikel wendet die Erkenntnisse der kritischen Antisemitismusforschung im Feld der Pädagogik an. An Hand von historischen Beispielen aus dem 19. Jahrhundert, der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus wie aus der Gegenwart werden unterschiedliche Analysefelder vorgestellt. Dabei wird Antisemitismus als primärer und sekundärer (nach 1945) analysiert. Die Thematisierung von muslimischem Antisemitismus, von dem neben dem rechtsextremen Judenhass im Alltag wie an Schulen oder auf der Straße die größte Gefahr ausgeht, gehört ebenso dazu wie die Analyse der Verharmlosung von BDS und Israelfeindschaft. Nicht zuletzt werden die großen ideologischen Bögen von Holocausttrivialisierung und Holocaustuniversalisierung, wie wir sie von der Totalitarismustheorie bzw. dem Postkolonialismus kennen, in ihrer Relevanz für eine antisemitismuskritische Pädagogik vorgestellt.

 

Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA):

Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik[1]

Einleitung: Kritik des Autoritarismus  2

1.) Was ist Antisemitismus?  4

2.) „Rembrandt als Erzieher“ und der Stolz auf die deutsche Bildungsgeschichte  4

3.) Muslimischer Judenhass an Schulen  7

4.) Antisemitismus ist keine Unterkategorie von Rassismus  7

5.) Muslimische Jugendliche da abholen, wo sie stehen?  10

6.) BDS und pädagogische Programme gegen oder für Antisemitismus?  11

7.) Postkolonialer Antisemitismus  15

8.) Totalitarismustheoretischer Antisemitismus als Herausforderung
für Schulbücher in der Europäischen Union (EU) 18

9.) Holocaust und Schuldprojektion auf „die Moderne“
in einem pädagogischen Handbuch  20

10.) Die Ideologie der „linken NSDAP“ in einem führenden Fachverlag?  21

11.) Die Rückkehr der „Volkserzieher“ im Sinne Schrebers?  23

Schluss: Kategorischer Imperativ für die Erziehung nach Auschwitz  24

Literatur 25

„Durch das Gespräch mit Herrn Wagemann wurde mir zum erstenmal der Zusammenhang zwischen ‚guten‘ Deutschen und Gaskammern klar. Es bestand eine logische Verbindung zwischen den Vernichtungslagern und August Wagemanns Haltung. Ich dachte mir, daß die Todesfabriken nicht deswegen möglich waren, weil Hitler ihre Errichtung befohlen hatte, sondern weil die Wagemanns den Befehl nicht in Frage gestellt hatten. Und wie viele Wagemanns gab es in Deutschland? Ich nahm mir vor, das herauszufinden.“ (Padover 1946: 23)

Saul K. Padover, 1944

 

Einleitung: Kritik des Autoritarismus

Was lief in diesem Land, seiner politischen Kultur, Pädagogik, Gesellschaft und Politik seit 1945 alles schief, dass es noch 2019 Orte wie Herxheim am Berg in Rheinland-Pfalz mit Bürgermeistern und einer entsprechenden Bevölkerung gibt, die „Hitlerglocken“ in ihren Kirchen hängen lassen?[2] Für eine kritische Pädagogik geht es historisch wie gegenwärtig um die emanzipatorischen Nein-Sager, um jene, die sich dem Autoritarismus verweigern und keine autoritäre Ja-Sager-Persönlichkeit haben oder selbstkritisch darauf reflektieren. Es ist wichtig, von „emanzipatorischen Nein-Sagern“ zu reden, da mit Pegida oder den „Gelbwesten“ in Frankreich derzeit jeweils höchst problematische und auch den Antisemitismus befördernde[3] vorgebliche „Nein-Sager“ auf den Straßen ihr Unwesen treiben, aber alles, nur keine Emanzipation oder Kritik am Autoritarismus im Sinn haben. Damit sind wir bei einer zentralen Ausgangsposition der Antisemitismusforschung und ihrer Beziehung zur Analyse des Autoritarismus und der Wendung aufs Subjekt durch Daniel J. Levinson, R. Nevitt Sanford wie auch Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Erich Fromm und anderen Forschern der frühen Kritischen Theorie. (Rensmann 2017) Der Psychologe und Pädagoge Friedrich Funke hat deren Analysen zum Antisemitismus in einer Studie zum Autoritarismus und Rechtsextremismus herangezogen (Funke 2003).

Dieser Text nennt sich „Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik“, was impliziert, dass alle hier aufgeführten Topoi nur angerissen werden können. Antisemitismus ist eine immer größer werdende Gefahr für Juden in der Bundesrepublik Deutschland. Der jüdische und demokratische Staat Israel wird zwar von der Politik unterstützt und der Bundestag verabschiedet Resolutionen gegen antisemitische wie israelfeindliche Aktivitäten.[4] Aber in der kulturellen, wissenschaftlichen und auch pädagogischen Elite gehört es häufig zum guten Ton, Antisemitismus nur dann zu sehen – wenn überhaupt –, wenn ältere organisierte Neonazis oder rechtsextreme Jugendliche am Werke sind. Die Zeit berichtet:

„Die Zahl antisemitischer Vorfälle steigt in der Hauptstadt seit Jahren an. 527 waren es der Berliner Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus zufolge allein im ersten Halbjahr 2018; vor allem körperliche Attacken gegen Juden haben zugenommen. Besonders im Fokus sind die Schulen. Immer wieder haben in Berlin Fälle von Antisemitismus für Schlagzeilen gesorgt. Ein 14-Jähriger wurde an seiner Oberschule getreten und gewürgt, nachdem er im Ethikunterricht erwähnt hatte, dass er schon einmal in einer Synagoge war. Ein jüdischer Junge verließ eine deutsch-amerikanische Eliteschule nach monatelangem Mobbing, Mitschüler hatten ihm den Qualm einer E-Zigarette ins Gesicht geblasen und gesagt, das solle ihn an seine Vorfahren erinnern. Selbst an Grundschulen wurden schon Kinder bedroht, weil sie jüdisch sind.“[5]

Judenhass auf dem Schulhof und im Klassenzimmer wird nicht nur kaum thematisiert, sondern häufig verharmlost, unabhängig wer die Täter*innen sind. Selbst Angebote, das Thema muslimischer Antisemitismus in der Schule aufzugreifen, werden von Schulleitungen bzw. Lehrer*innen nur ganz selten wahrgenommen.[6] Kaum ein jüdischer Schüler würde an einer ganz normalen deutschen Schule (aller Altersklassen) eine Kippa und kaum eine jüdische Schülerin würde ein T-Shirt der IDF (Israel Defense Forces) oder eine Halskette mit einem Davidstern tragen.

Die kritische Antisemitismusforschung, die versucht Antisemitismus in all seinen Formen zu analysieren und nicht nur bei den Nazis und Rechten, muss erst noch Einzug erhalten in die Erziehungswissenschaft. Wie eingangs erwähnt, wird dieser Artikel einige zentrale Topoi der aktuellen Antisemitismusforschung jeweils kurz anreißen, um überhaupt einen ersten Eindruck, ja eine Art Lichtkegel auf die Komplexität des Phänomens Antisemitismus zu werfen, um die ubiquitäre Vernebelung in diesem Bereich etwas zu lichten.

1.) Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus wird in der internationalen Forschung als „der längste Hass“ bezeichnet (Wistrich 1987, 1991, 2010) und zeigt sich heute in drei grundlegenden Kategorien:

1) Der „traditionelle“ oder „primäre“ Antisemitismus bzw. Judenhass seit der prächristlichen Antike, der sich gegen die Religion des Judentums wie die Beschneidung oder das Schächten wendet, den christlichen Mythos hervorbrachte, Juden seien am Tod Jesu schuld, mittelalterliche Blutbeschuldigungen oder Fantasien über Brunnenvergiftungen popularisierte und zu Pogromen führte; spätestens seit dem späten 19. Jahrhundert kommen der biologisch-rassistische und Anfang des 20. Jahrhunderts der verschwörungsmythische Antisemitismus noch hinzu, der Juden sowohl hinter dem Kapitalismus wie dem Kommunismus sieht etc.

2) Nach dem Nationalsozialismus gibt es neben dem „primären“ den „sekundären“, die Erinnerung an den Holocaust abwehrenden Antisemitismus. Er zeigt sich in der Holocaustbejahung, Holocaustleugnung und zunehmend und am weitesten verbreitet in der Holocausttrivialisierung via Vergleich, Universalisierung und Leugnung der Präzedenzlosigkeit von Auschwitz.

3) Antizionismus oder die Israelfeindschaft. Durch die Boykott-Bewegung gegen Israel (BDS, boycott divestment sanctions) ist diese Form des Antisemitismus weit verbreitet und tritt zunehmend aggressiv auf und bedroht z.B. Musiker*innen, die in Israel auftreten oder bei Veranstaltungen teilnehmen, wo auch Israelis auftreten.

2.) „Rembrandt als Erzieher“ und der Stolz auf die deutsche Bildungsgeschichte

Antisemitismus wird jedoch in der pädagogischen Forschung in weiten Teilen wahlweise ignoriert, verharmlost, bejaht oder trivialisiert. Am ehesten wird noch der historische wie der NS-Antisemitismus analysiert, und auch das erst in jüngerer Zeit von einigen Wenigen (Ortmeyer 2008; Ortmeyer 2008a). Bezüglich der Jugendbewegung, die von vielen immer noch als rührend, aufregend oder stilbildend positiv betrachtet wird, hat Christian Niemeyer die letzten Jahre Aufklärung betrieben (Niemeyer 2013; Niemeyer 2013a; Niemeyer 2015). So wurde von einem Protagonisten der Jugendbewegungshistoriographie, Werner Kindt (1898–1981), Julius Langbehn (1851–1907), der 1890 mit seinem Werk „Rembrandt als Erzieher“ einen Besteller schrieb und als „Der Rembrandtdeutsche“ in die Geschichte einging, positiv gewürdigt.

Namentlich den Mythos eines „Triumvirats“, bestehend aus dem völkischen Vordenker Paul de Lagarde, Langbehn und Nietzsche, wie den Antisemitismus von Langbehn hat der Pädagoge und Nietzscheforscher Niemeyer kritisiert (Niemeyer 2014). „Rembrandt als Erzieher“ wurde kurz nach Ende des Nationalsozialismus vom Mitglied des katholischen, jugendbewegten Bund Neudeutschland, dem Philosophen, Pädagogen und späteren ersten Intendanten des ZDF, Karl Holzamer, gleichsam als „Mahnung“ affirmativ herangezogen (Holzamer 1946: 16). Doch was steht in dieser Schrift von Langbehn?

„Paris ist die Stadt der Demimode und der zügellosen Demokratie; hier gesellt sich dem sittlichen der politische Krankheitsfall hinzu. Gerade diese beiden Faktoren aber sind dem deutschen Volke in seiner innersten Seele verhasst, trotzdem, dass es gelegentlich mit ihnen kokettierte und ko­ket­t­iert; sie sind beide als ‚französische Krankheit‘ nach Deutschland ein­ge­drungen. Sie müssen auf den Tod bekämpft werden (…).“ (Langbehn 1890: 96)

Oder, auf dem Gebiet des Gesangs: „Deutsche Lieder sind mehr wert als französische Liederlichkeit“ (Langbehn 1890: 98). Auch religionsgeschichtlich konnte sich Holzamer nach­drücklich an den antijudaistischen Antisemitismus Langbehns anlehnen, wenn dieser mahnte:

„Wenn das Alte Testament sich nicht zur rechten Zeit ins Neue Testament ver­wandelt, so wird es zum Talmud; es ist aber nicht zu wünschen, dass die deutsche Wissenschaft zur Talmudwissenschaft wird; einen Anflug davon hat sie schon.“ (Langbehn 1890: 120)

Der Hass auf Gleichheit oder „freie Meinungsäußerung“, wie wir ihn bei rassistischen, nationalistischen wie antisemitischen Demonstrationen, Pamphleten, Texten und Aktionen die letzten Jahre in Deutschland verschärft erlebt haben, hat mit Langbehn einen der berüchtigtsten und einflussreichsten Vorläufer:

„Gleichheit ist Tod, Gliederung ist Leben. Eine auch noch so große Anzahl unter sich ganz gleichberechtigter Individuen ist nie­mals ein Volk; sie ist nicht einmal ein Heer; sondern eine Herde. (…) Die Sozialdemokratie stellt mithin einen Rückfall in das Herdenprinzip des men­sch­lich­en Daseins dar; sie ist ungegliederte, unbefruchtete, unbelebte men­sch­liche Masse; es gilt deshalb sie zu gliedern, zu befruchten, zu beleben. Und zwar gerade an dem Punkt, wo sie am unfruchtbarsten ist: an dem der allgemeinen Gleichheit! Diese muß durchbrochen werden.“ (Langbehn 1890: 224)

Sowie:

„Die politischen Scheinwahrheiten des Jahres 1789 sind nachgerade veraltet; es dürften an ihre Stelle politische Realwahrheiten des Jahres x treten. Nach der französischen Revolution kommt die deutsche Reform; nach der Gleichheit die Abstufung.“ (Langbehn 1890: 225)

Vor dem ganz aktuellen Hintergrund des nationalistischen Lobes auf die deutsche Geschichte wie von der Alternative für Deutschland (AfD) und deutschnationalen, heimatverliebten Autorinnen und Autoren, ist es besonders wichtig, auf die antidemokratische, antiwestliche und antisemitische Dimension in der deutschen Bildungsgeschichte aufmerksam zu machen:

„Und der politisch mündige Deutsche sollte endlich die Kinderschuhe aus­ge­treten haben; er sollte nicht mehr wie der politisch unmündige Franzose vor dem Wort ‚Adel‘ erschrecken; er sollte bedenken, wie viel echtes Deut­sch­tum gerade im deut­schen Geburtsadel steckt.“ (Langbehn 1890: 226)

Als weitere Belegstelle für die antifranzösische Agitation, für das antiwissenschaftliche, ja im weitesten Sinne re­stau­rativ-reaktionäre Denken bei Langbehn sei folgende Passage zitiert:

„Man hat von einem ‚Gott der Deutschen‘ gesprochen; so gibt es auch einen ‚Teufel der Deutschen‘; er wohnt im modernen Paris und kehrt gern in Berlin ein. Läßt sich dieser Gast auch auf die Dauer nicht bannen, so ist es doch gut, wenn man ihn kennt. Er heißt Plebejertum. Dieses äußert sich in der Kunst als Brutalismus, in der Wissenschaft als Spezialismus, in der Politik als De­mo­krat­is­mus, in der Bildung als Doktrinarismus, gegenüber der ‚Men­sch­heit‘ als Pharisäismus. (…) Deutsche Ehr­lich­­keit ist mehr als französische Eitelkeit und deutscher Geist mehr als franz­ös­isch­er Ungeist.“ (Langbehn 1890: 380)

Auch der folgende Auszug zum Thema Bildung beim Rembrandtdeutschen ist bezeichnend für seine antisemitische und deutschnationale Ideologie:

„[B]esonders die ‚Berliner Bildung‘ französiert gern. Und hierbei sind un­ge­sund-jüd­­ische Einflüsse besondere tätig; (…) Durch galloromanischen Ein­fluß, der zu­rück­­zu­schlagen war, ist das deutsche Kaiserreich gegründet worden; durch galloromanischen Einfluß, wenn er zurückgeschlagen wird, läßt sich auch die neue deut­sche Bildung gründen. Siegt deutsches über – im schlechten Sinne – franz­ös­isch­es, gesundes eingebornes über krankes fremd­art­iges Wesen, so ist das Vat­er­land gerettet.“ (Langbehn 1890: 358)

Das zeigt, wie wichtig es wäre, sich in Zukunft kritisch mit der Geschichte der Jugendbewegung, ihren antisemitischen Anteilen und dem Antisemitismus in der Pädagogik vor und nach 1933 zu befassen.

3.) Muslimischer Judenhass an Schulen

„Du Jude“ ist seit vielen Jahren zu einem Schimpfwort auf Schulhöfen und in Klassenzimmern geworden. Nicht selten sind muslimische Mitschüler*innen dafür verantwortlich. Folgender Fall wurde bundesweit bekannt:

„An der Berliner Paul-Simmel-Schule drohte ein muslimischer Mitschüler einem jüdischen Mädchen mit dem Tod. Der Schulleiter entschuldigt sich für die Verharmlosung der Tat und räumt weitere Vorfälle ein. Der Fall sorgte in ganz Deutschland für Aufregung. An der Berliner Paul-Simmel-Schule in Tempelhof drohte ein muslimischer Mitschüler einem jüdischen Mädchen mit dem Tod, ‚weil es nicht an Allah glaubt‘. Schon zuvor soll es zu Anfeindungen gekommen sein. Antisemitismus in einer deutschen Grundschule!“[7]

Wie kommt ein Kind wie dieser Junge zu einem solchen Fanatismus? Was für ein Elternhaus hat er und was für ignorante oder gegen Judenhass tolerante Lehrer*innen und andere Mitschüler*innen gibt es an so einer Schule, die nur exemplarisch steht? In einem Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit reden im Herbst 2018 zwei Lehrer aus Nordrhein-Westfalen über Antisemitismus an Schulen, vor allem bei rechtsextremen und muslimischen Jugendlichen.[8] Aber auch antisemitische Stereotype (die viele Linke und der Mainstream der Gesellschaft teilen) wie „der reiche Jude“ „Rothschild“ kommen in Schulbüchern vor, wie einer der Lehrer schockiert festhält. Das gilt auch für antisemitische Ressentiments gegenüber Israel in deutschen Schulbüchern.[9]

4.) Antisemitismus ist keine Unterkategorie von Rassismus

Doch selbst das Ansprechen von Antisemitismus passiert selten auf differenzierte und wissenschaftliche Art und Weise. Das fängt schon bei der Definition von Antisemitismus an. Viele Studien verkennen den genozidalen Charakter des Antisemitismus, sowohl historisch wie gegenwärtig in den Vernichtungsdrohungen (wie von der Islamischen Republik Iran) gegen Israel. Häufig wird Antisemitismus nur als beliebige Form der „Diskriminierung“ betrachtet. So schreibt beispielsweise Mishela Ivanova 2017 in ihrer Dissertation:

„Begrifflich verwende ich ‚Rassismus‘ als Oberbezeichnung für an Rassialisierungsprozesse anschließende Diskriminierungspraktiken, die sich an unterschiedliche Gruppen wenden können – z.B. gegen Jüdinnen und Juden (Antisemitismus), Roma und Sinti (Antiziganismus), Musliminnen und Muslime (Antiislamismus), Personen anderer sprachlicher (Linguizismus) oder kultureller (Kulturalismus) Zugehörigkeiten sowie gegen Personen, welche als ‚schwarz‘, ‚asiatisch‘ oder ‚ausländisch‘ definiert werden.“ (Ivanova 2017: 58; ähnlich Feierl-Giedenbacher 2016: 2)

Das groteske Wort „Rassialisierungsprozesse“ universalisiert den Rasseantisemitismus der Deutschen. Damit wird die Geschichte des Antisemitismus völlig verharmlost und der ideologische Kern des Judenhasses verkannt. Solcherart Universalisierung ist aber typisch für weite Teile der Forschung in der Pädagogik wie der Sozial- und Geisteswissenschaft insgesamt. Als ob Antisemitismus nur eine Form der Diskriminierung unter anderen gewesen sei. Der rassebiologische Antisemitismus in der deutschen Geschichte bis hin zum Holocaust wird völlig lächerlich gemacht, wenn er mit angeblicher und tatsächlicher Ausgrenzung von „Personen anderer sprachlicher“ oder „kultureller“ „Zugehörigkeiten“ verglichen wird.

Ganz typisch ist auch die Diffamierung der Kritik am Islamismus, wenn „Diskriminierungspraktiken“ gegen „Musliminnen und Muslime“ nicht etwa als diskriminierend oder rassistisch, vielmehr unter der Rubrik „Antiislamismus“ kategorisiert werden. Hingegen sollte ja ein konsequenter, zivilgesellschaftlicher, wissenschaftlicher wie staatlicher Anti-Islamismus auf der Tagesordnung stehen. Anti-Islamismus wendet sich gegen die weltweit extrem gefährliche Ideologie des Islamismus, die zwar viele Schnittmengen mit der Religion des Islam hat, darin aber nicht aufgeht. Islam ist nicht gleich Islamismus. Aber anti-islamistisch sollte jeder Demokrat und jede Demokratin sein.

Zudem wird in dieser Definition von Ivanova der Begriff der Rasse auf alle möglichen Gruppen übertragen und gerade verkannt, dass die Geschichte des Antisemitismus vom rassebiologischen Antisemitismus, der in „dem“ Juden die „Gegenrasse“ sah, bestimmt ist. Die Entspezifizierung und Universalisierung des Antisemitismus ist ganz typisch für die Forschung. So schreibt Claus Melter:

„Historischer und aktueller Rassismus beinhaltet gesellschaftliche Abwertungs-, Benachteiligungs- und Ausgrenzungsverhältnisse wie Rassismus gegen als Schwarze definierte Personen, antimuslimischen Rassismus (Feindlichkeit gegen Menschen als Muslime), Antiziganismus (Feindlichkeit gegen Menschen als Sinti und Roma), Antisemitismus (Feindlichkeit gegen Menschen als Jüdinnen und Juden) und einen verwertungsorientierten Nützlichkeitsrassismus, der von der herrschenden und sich als höherwertig definierten Gruppe bestimmt wird.“ (Melter 2013: 101)

Diese kritisch gemeinte Definition von Antisemitismus verkennt, dass Antisemitismus gerade keine Unterkategorie, nichts Abgeleitetes von Rassismus ist. Rassismus besteht auf der Höher- und Niederwertigkeit von Menschen. So sahen sich im Kolonialzeitalter Weiße allen Nicht-Weißen als überlegen an, als Herrenmenschen wie auch als herrschende weiße Frauen.

Auch heute zeigt sich Rassismus darin, andere Menschen zu diskriminieren, sie bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche, im Alltag oder im Fußballstadion zu behindern, zu beleidigen oder anzugreifen. Antisemitismus ist davon kategorial verschieden, historisch wie gegenwärtig. Juden wurden und werden nicht als minderwertig behandelt oder herablassend auf sie geschaut. Ganz im Gegenteil wurde und wird Juden aus antisemitischer Perspektive eine unglaubliche Macht zugeschrieben. Nach den Protokollen der Weisen von Zion, eine russische Fälschung von ungefähr 1905, würden wenige Juden auf raffinierte Weise planen, die ganze Welt zu beherrschen, den Kapitalismus wie den Kommunismus, das urbane Leben (z.B. via Unterwanderung der Städte durch U-Bahnen), durch ausschweifende Sexualität, durch die Herrschaft der Intellektuellen und vieles mehr. Verschwörungsmythen sind bis heute eine enorm gefährliche Ideologie, was sich z.B. in den Reaktionen nach dem 11. September 2001 zeigte, als Bestsellerautoren fabulierten, hierbei habe es sich nicht um einen islamistischen Angriff auf die westliche Welt, sondern um einen „inside Job“ gehandelt. (Jaecker 2005)

Einer der am weitesten verbreiteten Fehler der Publizistik wie der pädagogischen, sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschung zum Antisemitismus ist die Annahme, es handele sich hierbei nur um eine gegen Juden gerichtete Form des Rassismus. Das Genozidale, Wahnhafte und Obsessive am Antisemitismus wird nicht erkannt. Antisemitismus basiert auf der Angst vor der eingebildeten Macht der Juden. Daher rühren die Verschwörungsmythen, vorneweg die Protokolle der Weisen von Zion. (Ben-Itto 1998) Rassismus hingegen basiert auf der Herrschaft über eine als minderwertig definierte Gruppe. In Zeiten von Pegida und AfD ist es wichtig, sich dieser rassistischen Agitation entgegen zu stellen. (Salzborn 2017) Doch leider wird hierbei seit einigen Jahren der Antisemitismus zwar entgegen früheren Zeiten immerhin erwähnt, aber zumeist nur additiv hinzugefügt.

Eine analytische Untersuchung über die Spezifik fällt so gut wie immer unter den doch eher links-alternativen oder links-liberalen Wohlfühltisch, den die Studierenden vom Flohmarkt oder Sperrmüll haben (was ja sympathisch sein kann), während die Dozent*innen eher zu IKEA oder den hochwertigeren, Distinktion im Sinne Bourdieus versprechenden Einrichtungshäusern fahren. Doch auf den Tischen liegen dann sehr oft die gleichen Bücher und Broschüren oder es stehen die gleichen Computer darauf mit den gleichen PDFs oder Seiten, die sich irgendwie auch angeblich gegen Antisemitismus wenden. Dabei wird fast immer vom muslimischen Antisemitismus und vom überall anzutreffenden regelrechten Hass auf Israel geschwiegen.

Und selbst jene, die Antisemitismus thematisieren, verkennen seinen Gehalt, denn häufig geht es nur um die Themen Ausbeutung, Nutzen und Macht, um das cui bono. Das verkennt gerade den Antisemitismus, der jenseits von Nützlichkeitserwägungen existiert. Diese altbackenen linken Theoriegebäude versagen angesichts von Auschwitz komplett (Diner 1991; Diner 2007).

5.) Muslimische Jugendliche da abholen, wo sie stehen?

Ein ganz bezeichnendes Beispiel für migrantische Identitätspolitik und die Verharmlosung des Antisemitismus, der nur ein „Hass“ unter vielen sei, ist Dervis Hizarci, ein Lehrer aus Berlin, ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Türkischen Gemeinde Berlin und Vorsitzender des Vereins „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus KIgA e.V.“. In einem Ge­spräch am 3. Dezember 2015 mit dem United States Holocaust Memorial (USHM) spricht er ganz offen aus, dass er nicht mal holocaustleugnende Jugendliche unmissverständlich und umgehend scharf in ihre Schranken weist, sondern sie erstmal „ernst nimmt“, um sie irgendwann evtl. zu üb­er­zeugen:

„I mean, if we would ask them about these topics and they would tell us that there was no Holocaust or the numbers weren’t so big or whatever, and we would judge them for that, then we wouldn’t make any developments. We wouldn’t change anything. But this is not our goal. Our goal is to bring them to a point where they start questioning themselves. And you can just achieve this when you take them from that point where they are and bring them to your side. I believe there are connections between all kinds of hatreds, because I see this as a kind of devil’s circle – hate produces more hate.“[10]

Holocaustleugnende oder den Holocaust relativierende Jugendliche mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, wäre seines Erachtens offenbar erstmal der falsche Weg. Holocaustleugnung angesichts solcher Jugendlichen sofort und dezidiert als Antisemitismus zu bezeichnen, wäre demnach auch nicht richtig. De facto müsste Hizarci als Lehrer an einer deutschen Schule natürlich erstmal sagen, dass wir in einem Rechtsstaat leben und dass Holo­caust­leugnung in der Bundesrepublik Deutschland eine Straftat ist.

Ein Pro-Contra Holocaustleugnung gibt es nicht – darüber diskutiert man nicht. Doch er behauptet: Ohne dies­en identitären Zugang – nur er als Türke (oder Deutsch-Türke oder Deutscher mit türkischem Migrationshintergrund etc.) mit einem „gemischten Hintergrund“ habe die Möglichkeit eine „gemischte“, sprich: multikulturelle Klasse zu unterrichten – könne man migrantische Antisemiten nicht überzeugen. Ohne diesen partikularistischen, antiuniversalistischen und identitären Zugang bräche offenbar sein ganzes Engagement in sich zu­sam­m­en. Eine nicht-migrantische Lehrerin, die Holocaustleugnung sofort sanktionierte, hätte demnach keine Chance. Würde er mit Rechten auch so umspringen, wenn die den Holocaust leugnen im Schulunterricht?

Wir kennen das aus der Zeit der späten 1980er und der 1990er Jahre, als „akzeptierende Jugendarbeit“ die Rechten dort abholte, wo sie standen und ihnen Kuchen mitbrachte, sie in ihren Jugendclubs besuchte, ihre Cliquen bestehen ließ und nicht fragte, was sie „für Probleme machen“, sondern „was für Probleme sie haben“.[11] Sie wurden nicht mit ihrer faschistischen Ideologie konfrontiert, sondern sozialarbeiterisch begleitet. Es wäre eine Forschungsfrage nicht zuletzt für die Sozialpädagogik, was die heutige Arbeit mit muslimischen Antisemiten aus den negativen Erfahrungen mit akzeptierender Jugendarbeit, die ja in den 1990er Jahren zu einer extremen Stärkung des Rechtsextremismus bis hin zum NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) führte, gelernt hat.

Es gehe zudem nicht darum, was man zu den Jugendlichen sagt, sondern auch, wer es sagt, so Hizarci. Er selbst spricht von hier ge­bor­en­en Schulkindern als „Türken“, das ist also keineswegs, wie oft suggeriert wird, eine Fremdzuschreibung, sondern er selbst scheint sich auch als Türke zu begreifen, obwohl er hier geboren und Deutscher ist. Der Kern des Problems ist aber die wissenschaftlich und politisch falsche Analogie von Antisemitismus und „allen möglichen Formen von Hass“. Hizarci behauptet damit, Kritik am muslimischen Judenhass, wenn man ihn so nennt, könne zu einem „Teufelskreis“ führen, denn „Hass produziert mehr Hass“. Damit wird tendenziell eine scharfe und unmissverständliche Kritik am muslimischen Antisemitismus als angeblich Hass produzierend diffamiert.

6.) BDS und pädagogische Programme gegen oder für Antisemitismus?

Repräsentativ für das Nicht-Verstehen des Antisemitismus und namentlich des antizionistischen Antisemitismus ist ein Tagungsband einer großen, mehrjährigen Veranstaltungsreihe der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, gefördert von der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft und in Kooperation mit dem Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts sowie dem Jüdischen Museum Frankfurt und dem Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin. Unter dem Namen „Blickwinkel“ haben diese Institutionen von 2011 bis 2017 jährliche Tagungen veranstaltet, eine Auswahl der offenbar besonders guten Beiträge der Tagungen von 2014 bis 2016 wurde 2017 publiziert.

In dem Band sind neben einem Grußwort der Geldgeber und der Einleitung der Herausgeber*inn­en Meron Mendel und Astrid Messerschmidt 14 Beiträge mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Alltagskommunikation und Jugendarbeit, Religion, sozialpsychologischen Fragestellungen und „Antisemitismuskritik im Kontext von Rassismus“ abgedruckt. (Mendel/Messerschmidt (Hg.) 2017) Darunter fällt auch der Beitrag von Jihan Jasmin Dean: „Verzwickte Verbindungen: Eine postkoloniale Perspektive auf Bündnispolitik nach 1989 und heute“. (Dean 2017) Sie ist Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) und am Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies der Uni Frankfurt und postuliert:

„Insofern kann Antisemitismus als eine von mehreren, spezifischen Aus­prä­g­ungen rassifizierenden Diskurse gesehen werden, zu denen auch anti­mus­lim­ischer Rassismus, Antiziganismus und Kolonialrassismus gehören.“ (Dean 2017: 105)

Antisemitismus sei also eine von vielen Formen „rassifizierender Diskurse“. Demnach werden heute Muslime, die als Opfer von „antimuslimischem Rassismus“ eingeführt werden, so behandelt wie früher die Juden, oder wie ist das gemeint mit dem „rassifizierenden Diskurs“? Seit wann wird heute von Muslimen als „Rasse“ gesprochen? Hat sich Dean je mit der Geschichte des rassebiologischen Antisemitismus befasst? Im Text jedenfalls ist davon nichts zu merken. Im Folgenden werden von der Autorin Muslime als die eigent­lichen Opfer der heutigen Zeit seit 9/11 dargestellt.

Kein Wort des Schocks über das unglaubliche islamistische Verbrechen des 11. September 2001, als gekaperte Personenflugzeuge in die beiden Türme des World Trade Center flogen und 3000 Menschen lebendig verbrannten, zerfetzt und zer­quet­scht wurden und in den Tod sprangen. Kein Wort zu diesem Grund der Kritik am heutigen Islamismus.

Dass es schon seit vielen Jahren, lange vor 9/11, ordinären Rassismus gibt, gerade gegen Türken, aber noch früher gegen Italiener, die eher als „Gastarbeiter“ in die BRD kamen als Türken („Anwerbeabkommen“ der BRD mit Italien 1955, mit der Türkei 1961), das ist längst bekannt und viel diskutiert. Auch Griechen, (mittlerweile Ex-) Jugoslawen, Schwarze und viele andere sind in der BRD seit Jahrzehnten vielfältigen rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt. Es gibt Rassismus in Deutschland – doch der ist gegen alle als nicht-deutsch definierten Menschen gerichtet. Die Muslime als besondere Opfergruppe herauszunehmen, läuft fehl. Das umso mehr, als ja der Islamismus eines der größten Probleme unserer Zeit ist, was man vom Christentum nicht behaupten kann, unabhängig davon, ob man nun die christliche Religion sinnvoll oder nicht findet. Aber es gibt keine christlichen Selbstmordattentate weltweit und keine Sicherheitsüberprüfungen an Flughäfen aufgrund von christlichen Terroristen, sondern aufgrund von Islamisten.

Die Rechten unterscheiden nicht zwischen Islam und Islamismus, das ist ein großes Problem. Aber ebenso wenig sollte und darf das die notwendige und sehr scharfe Kritik am Jihad und Islamismus verdrängen. Die Rede von „rassifizierten Communities“ (Dean 2017: 107) ist eine sprachliche Verharmlosung, ja Leugnung der Spezifik des rassebiologischen Antisemitismus. Hier und heute wird in Deutschland keine einzige Migrantengruppe als „die Gegenrasse“ betrachtet wie früher die Juden. Das ist eine solche sprachliche Absurdität, dass man schon an der Wortwahl merkt, dass die Autorin den kategorialen Unterschied von Vernichtung und Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus nicht kennt. Schon ihr Begriff „Rassifizierung“ ist kontraproduktiv, ja universalisiert die sehr spezifische und einzigartige Konstruktion der Juden zu „der Gegenrasse“ schlechthin.

Für die Nationalsozialisten war „der“ Jude – und nicht etwa „Jüdinnen und Juden“, wie das in an diesem Beispiel grotesk anmutenden Gender-Jargon heißt – der Feind der Menschheit sowie der Deutschen. Das Kunstwort „Rassifizierung“ im Beitrag von Dean – dem längsten in dem Band – stellt eine Analogie von Juden und anderen her, die angeblich genauso oder ähnlich diskriminiert würden. Sie schreibt über Juden und den Zionismus Folgendes:

„Kritik und Anerkennung müssen nicht in Widerspruch zueinander stehen. Mitt­lerweile gibt es politische Ansätze wie den radical diasporism, welche der israelischen Besatzungspolitik kritisch gegenübersteht, sich aber glei­ch­zeitig einer öffentlichen Positionierung zu dieser entziehen bzw. widersetzen will, weil sie sich in der Diaspora verorten. Aus einer theoretischen Perspektive, die Jüdische Studien mit Postkolonialer Theorie verbindet, kann der politische Zionismus als ambivalentes Projekt – als Diskurs einer anti­kolonialen nationalen Befreiungsbewegung und eines Siedlerkolonialismus zugleich – betrachtet werden“. (Dean 2017: 121)

Dean kokettiert mit dem antizionistischen Anti­semi­tis­mus gleich doppelt, indem sie sich hinter die marginale Gruppe von Juden stellt, die sich nicht als zionistisch, sondern in der Diaspora verhaftet begreift. Dazu definiert sie in einer beachtlich überheblichen Manier die welt­hist­or­ische Bewegung des Zionismus als „ambivalent“. Jihan Jasmin Dean bezieht sich hingegen positiv auf eine der derzeit erfolgreichsten und aggressivsten antisemitischen Bewegungen: die BDS-Bewegung zum Boykott Israels. Sie schreibt:

„Darüber hinaus ist es problematisch, BDS zu einer universellen Strategie zu erheben, denn es kommt auch auf den historisch-geografischen Kontext an, in dem sie angewandt wird – in Deutschland schließt eine Boykottforderung unweigerlich an antisemitische Diskurse an. Dennoch kann BDS als eine parti­ku­lare und kontextabhängige Strategie anerkannt werden, die in der palä­sti­nen­sischen Bevölkerung breiten Rückhalt hat und auch internationale Un­ter­stützung findet“. (Dean 2017: 104)

Diese positive Würdigung der weltweiten BDS-Bewegung ist skan­da­lös – in einem Band, der sich mit „antisemitismuskritischer Bildung“ befassen möchte und doch Antisemitismus unterstützt. Der von Meron Mendel und Astrid Messerschmidt edierte Forschungsband promotet somit geradezu BDS, in dem gesagt wird, BDS sei nur in Deut­schland wegen der Geschichte un­günstig, aber nicht sonst­ wo. Dabei ist die BDS-Bewegung z.B. in Großbritannien besonders aktiv und wird auch dort wie überall sonst als antisemitisch kritisiert.[12] (Nelson/Brahm (Hg.) 2015) Die Herausgeber*innen des Bandes prei­s­en den Beitrag von Dean so­gar explizit an. (Mendel/Messerschmidt 2017a: 18) Der Beitrag von Jihan Jasmin Dean ist also in viel­facher Hinsicht höchst problematisch und zeigt, warum häufig je­ne, die vorgeben, gegen Anti­semitismus zu sein, Teil des Problems sind.

Um einen zentralen Aspekt klarzustellen: Kritik an der Regierungspolitik Neuseelands oder Kanadas ist genauso wenig problematisch wie Kritik an der Regierungspolitik Israels. Sehr viele Israelis wie auch Forscher*innen zu Israel kritisieren seit Jahren die seit 1967 andauernde Besatzung des Westjordanlandes, ohne die Agitation gegen Israel und Juden von Seiten vieler Palästinenser*innen (und nicht nur von Terrorgruppen) zu ignorieren.

Ebenso wird in Israel seit Jahren die extrem rechte Regierungspolitik Benjamin Netanyahus kritisiert. (Stern 2018) Doch das ist eine immanente Kritik, die Israel gerade im Sinne des Zionismus verbessern und schützen, ja stärken möchte. Die BDS-Bewegung möchte Israel zerstören, was alleine via dem proklamierten „Rückkehrrecht“ für die 1948 im Krieg der arabischen Staaten gegen Israel aus Israel vertriebenen bzw. von selbst gegangenen Araber und deren Millionen Nachfahren inkludiert, was an Absurdität nicht zu übertreffen ist und den jüdischen Charakter Israels zerstören würde. (Nelson/Brahm (Hg.) 2015)

7.) Postkolonialer Antisemitismus

In einem Buch zu „Postkoloniale Theologien“ von 2018 heißt es in einem Text des Theologen Michael Nausner von der Theologischen Hochschule Reutlingen:

„Ich glaube, die Situation, die wir heute in Europa und nicht zuletzt in Deut­schland vorfinden, wurzelt unter anderem auch in den Umständen, die Mbembe mit conditio nigra bezeichnet. Der Antisemitismus ist in Deutschland aus­führlich und vielfältig analysiert worden. Aber diejenigen Aspekte des Antisemitismus, die im kolonialen Denken wurzeln, sind noch immer weit­gehend unbekannt. Dabei würde ein ‚Zusammendenken der Gräueltaten des Ko­lonialismus sowie des Dritten Reichs […] erheblich dazu beitragen, ein nuan­ciertes Verständnis dafür zu entwickeln, ob und inwieweit der Kolon­ialismus und die Shoah als Fehler, die das Scheitern der europäischen Aufklärung signalisieren, wahrgenommen werden können oder ob beide Ereignisse eher als Teil des Projekts der Modern[e] zu verstehen sind.‘“ (Nausner 2018: 43)

Dieses Zitat im Zitat ist von Achille Mbembe aus seinem Band „Kritik der Schwarzen Vernunft“. (Mbembe 2014) In seinem Buch „Kritik der schwarzen Vernunft“ analysiert und kritisiert der kameruner Politologe Achille Mbembe die Gewalt des Kolonialismus und des Rassismus. Zu Recht attackiert er sowohl den Islam wie das Christentum und den Kolonialismus als universalistische Ideo­logien, die Afrika unter sich aufteilt­en, auch wenn das Wort „Ideologie“ kaum auftaucht. Die Ge­walt­för­mig­keit des „Neger“-Daseins, Mbembe verwendet absichtlich das Nomen „Neger“, wird plastisch und bedrückend dargestellt. Es ist nur so, dass Mbe­m­be im Rassismus und Kolonialismus die einzige und die Welt beherrschende Ide­o­logie sieht.

Für die Antisemitismusforschung gilt es, Mbembe kritisch zu lesen. Es geht um folgende Stelle in seinem Band „Kritik der schwarzen Vernunft“, die alles auf den Punkt zu bringen scheint. Er bezieht sich auf den auf der karibischen Insel Martinique geborenen Schriftsteller, Politiker und Mitbegründer der „Négritude“ Aimé Césaire (1913–2008), und schreibt:

„Was der Westen Hitler nicht verzeihe, sei ‚nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen gegen den Menschen […], nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern das Verbrechen gegen den weißen Menschen, die Erniedrigung des weißen Menschen, und dass er, Hitler, kolonialistische Methoden auf Europa angewendet hat, denen bislang nur die Araber Algeriens, die Kulis Indiens und die Neger Afrikas ausgesetzt waren‘“. (Mbembe 2014: 290, Anm. 9)

Dieses Zitat steht für weite Teile der postkolonialen Forschung und indiziert einen postkolonialen Antisemitismus: Es leugnet, dass die Shoah ein nie dagewesenes Verbrechen war. Zudem wurden Juden demnach nicht als Juden, sondern als „Weiße“ ermordet. Das ist eine weitere Form des Antisemitismus, die Juden das Jude-Sein abspricht und fantasiert, Juden seien nicht als Juden von den Deutschen im Holocaust ermordet worden.

Frantz Fanon (1925–1961) ist eine zentrale Quelle Mbembes. Fanon verglich in seinem Buch „Schwarze Haut, weiße Masken“ den Rassismus gegenüber Schwarzen mit dem Antisemitismus und erinnerte an seinen Philosophielehrer von den Antillen, der meinte, er sollte achtgeben, wenn jemand etwas gegen Juden habe, da Antisemiten unausweichlich auch Rassisten seien. Das ist wissenschaftlich problematisch und ignoriert, dass auch viele Schwarze Antisemiten sind und sein können, ohne zwingend rassistisch zu sein. Darüber und zu den Schwierigkeiten für Juden in der postkolonialen Theoriedebatte schreibt 2016 der israelische Literaturwissenschaftler Efraim Sicher. (Sicher 2016)

Neben seiner Analyse von Fanon geht er auf den amerikanischen Menschenrechtsaktivisten W.E.B. Du Bois (1868–1963) ein, der von einem Jahrhundert des Rassismus sprach (1850–1950) und damit offenkundig den Holocaust mit einbegriff, was falsch ist und den Holocaust in seiner Präzedenzlosigkeit negiert. Der britische Soziologe Paul Gilroy sehe ebenso „Affinitäten zwischen Schwarzen und Juden“ und stelle Vergleiche von „Kolonialismus“ mit dem „rassischen Antisemitismus“ an. (Sicher 2016: 81)

Seit den 1980er Jahren hat der Postkolonialismus die Debatte über die Geschichte auf den Kopf gestellt. (Sicher 2016: 82) Antisemitismus wird seither und bis heute in Schul- und Lehrbüchern international als ein „Modell des europäischen Rassismus“ betrachtet, der wiederum aus dem „Nationalstaat“ und „totalitärer Ideologie“ entstanden sei. Und so argumentiert die postkoloniale Ideologie, der Zionismus sei schuldig, weil er ein „exklusiver Nationalismus“ sei.

Wie Sicher analysiert, basieren weite Teile postkolonialer Theoriebildung auf der Annahme, der Holocaust habe nicht primär etwas mit der Geschichte des Antisemitismus, sondern mit dem europäischen Kolonialismus zu tun. Das ist grundfalsch und leugnet wiederum jedwede Spezifik des Antisemitismus wie die Präzedenzlosigkeit der Shoah. Für die „soziale Erziehung“ hatte schon 1991 der Historiker Dan Diner versucht, das Nie Dagewesene von Auschwitz bei der Analyse des Nationalsozialismus in das Zentrum zu rücken, was aber kaum Widerhall erfuhr. (Diner 1991; Diner 2007)

Es gab jüngst eine öffentlichkeitswirksame Kontroverse über die Spezifik der Shoah und zur Kritik bzw. Affirmation der postkolonialen Position. Es geht hier um die Kritik an der Verharmlosung der Shoah durch den Postkolonialismus. In einem Gespräch des Journalisten Alan Posener mit dem Historiker Jürgen Zimmerer, organisiert von der Wochenzeitung Freitag, dessen Herausgeber Jakob Augstein und dem Journalisten Michael Angele, lehnen sich die beiden Freitag-Journalisten an eine antisemitische Ideologie an und sagen:

„Man kann das mit der Einzigartigkeit aber auch ganz anders sehen, oder? Die aus Jamaika stammende Kulturhistorikerin Imani Tafari-Ama kümmert sich gerade in Flensburg um die Kolonialgeschichte dieser Handelsstadt, und sie hat neulich gesagt, die Europäer müssten anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels das größte Ver­brechen in der Menschheitsgeschichte sei – größer als der Holocaust. Off­en­bar hängt der Blick auf die Geschichte auch davon ab, welchem Kulturkreis man angehört.“ (Augstein/Angele 2018)

Darauf antwortet Posener:

„Es gibt keinen ‚weißen‘ oder ‚schwarzen‘, ‚jüdischen‘ oder ‚christlich­en‘ Blick auf den Holocaust; es gibt, wenn wir von Wissenschaft reden, und hier ist von einer Wissenschaftlerin die Rede, nur den wissenschaftlichen Blick auf den Holocaust. Und ‚das mit der Einzigartigkeit‘ des Holocausts kann man eben nicht ‚ganz anders sehen‘, bloß weil man aus Jamaika stammt.(Posener 2017; vgl. auch Posener 2017a)

Die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin Imani Tafari-Ama, von Juli 2017 bis März 2018 Fellow am Flensburger Schifffahrtsmuseum mit dem Projekt „KulturTransfer. Unser gemeinsames Kolonialerbe“, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes in deren Programm „Fellowship Internationales Museum“,[13] wurde in der taz Gelegenheit zur Verbreitung ihrer antijüdischen, den Holocaust als präzedenzloses Verbrechen leug­nen­den Un­ge­heu­er­lich­keit­en gegeben:

„Wenn ich Deutsche nach ihrer kolonialen Schuld befrage, heißt es oft, das kollektive Gedächtnis sei eben mit dem Holocaust viel zu sehr beschäftigt gewesen. Der habe alles andere verdrängt. Das mag stimmen. Trotzdem bleibt der Genozid an den Herero und Nama in Namibia bestehen; trotzdem bleiben die Unt­er­drück­ungs­maßnahmen in Togo, in Ruanda, in Tansania, in Kamerun – oder eben auf den Jungferninseln – Verbrechen, für die jemand haften muss. Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das größte Verbrechen in der Men­schheitsgeschichte ist, größer noch als der Holocaust.“[14]

Das ist eine offenbar im Mainstream angekommene neue Form der Holo­caust­leugnung, der Softcore-Variante. Das „größte Verbrechen der Men­sch­heits­ge­schichte“ sei der transatlantische Sklaven­handel und der Kolonialismus ge­wes­en – und nicht der Holocaust. Das ist eine antisemitische Geschichtsumschreibung. Die Sklaverei und der Kolonialismus waren schreckliche Verbrechen, aber im Kolon­ia­lis­mus wurde kein Volk aus keinem an­der­en Grund, als es zu vernichten, ver­nichtet. Es gab außerdem gerade kein „cui bono“ in der Shoah. Die Sinnlosigkeit war das Unaussprechbare, das Unvorstellbare, der Bruch jeglichen zivilisatorischen Ver­trauens.

8.) Totalitarismustheoretischer Antisemitismus als Herausforderung für Schulbücher in der Europäischen Union (EU)

Ein weiteres Beispiel für sekundären Antisemitismus ist die Gleichsetzung von Rot und Braun, Kommunismus und Nationalsozialismus. Am 28. März 2018 gaben die „Platform of European Memory and Conscience“ und die Europäische Union (EU) bekannt, dass der britisch-chinesische Architekt Tszwai So den Architekturwettbewerb für ein „Gesamteuropäisches Denkmal für die Opfer des Totalitarismus“ gewonnen hat.[15]

Das wöchentliche Architects‘ Journal (AJ) aus London gab die Entscheidung freudig bekannt[16] und machte sich somit zu einem Sprachrohr dieser in Architektur zu gießenden Ideologie des Rot = Braun. In Brüssel wird der Jean Ray Platz nach Sos Vorstellungen geplant: es sollen in Bodenplatten tausende Briefe von Opfern des „Totalitarismus“ eingelassen werden. Diese Gleichsetzung des Holocaust mit politischen Verbrechen des Stalinismus, die kategorial verschieden sind und keine Vernichtung eines Volkes zum Ziel hatten, ist also Mainstream in Europa.

Altbundespräsident (2012–2017) Joachim Gauck war 2008 einer der Erst­unt­er­zeich­ner der „Prager Deklaration“, welche den Nationalsozialismus mit dem „Komm­u­nismus“ in Europa gleichsetzt und de facto anstelle des Holo­caust­ge­denktages am 27. Januar für einen gemeinsamen europäischen Gedenktag am 23. August plädiert – der Tag, an dem 1939 der „Hitler-Stalin“-Pakt ge­schlossen wurde.[17]

Darin wird in einem 19 Punkte umfassenden Programm der Stalinismus bzw. „der Kommunismus“ mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. In Punkt eins heißt es, es solle an ein „gesamteuropäisches Verstehen“ ap­p­elliert werden, die „natio­nal­soz­ia­list­ischen und kommunistischen totalitären Regime jedes nach seinem Wert“ zu beurteilen, denn beide „Regime“ hätten gleichermaßen als „untrennbarer Teil ihrer Ideo­logien“ „aggressive Kriege angefangen“, beide hätten „ganze Nationen deportiert und vernichtet“ und diese beiden Regime stellten somit die „Haupt­kata­strop­h­en“ des „20. Jahrhunderts“ dar.

Zweitens sollen die vielen „Ver­brechen“, welche „im Namen des Kommunismus“ begangen wurden als „Verbrechen gegen die Menschheit“ betrachtet werden, „genauso wie die Nazi Ver­brechen vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal be­ur­teilt“ wurden. Von besonderer Bedeutung ist Punkt 9 der Deklaration, worin ge­ford­ert wird, den „23. August“ 1939 als „Gedenktag an die Opfer von natio­nalsozialistischem und kommunistischen Regimes“ einzurichten, „in genau der Art wie Europa die Opfer des Holocaust am 27. Januar erinnert“. In Punkt 17 wird schließlich gefordert, alle

„europäischen Lehrbücher anzupassen und zu überarbeiten, damit die Kind­er lernen und vor dem Kommunismus und seinen Verbrechen gewarnt wer­den können, auf die gleiche Weise wie sie gelernt haben die Nazi-Ver­brechen zu beurteilen.“

Damit ist der Kern der Prager Deklaration eindeutig: Der Holocaust soll ein vergleichbares Verbrechen sein, der Antisemitismus der Deutschen und ihrer Helfer war nichts Besonderes, vielmehr ‚typisch‘ für ‚totalitäre Regime‘. Der Holocaustgedenktag würde dadurch abgewertet werden. Während der Postkolonialismus angeblich ähnliche Verbrechen oder Vorläufer des Holocaust ins 19. oder frühe 20. Jahrhundert vorverlegt oder gar noch früher in die Zeit des frühen Sklavenhandels, so suggeriert die Totalitarismustheorie, Stalin habe vor Hitler Massenmord der gleichen oder ähnlichen Art betrieben, wie in der ukrainischen Hungernot 1932. Das war bereits ein Argument des Rechtsextremen und Geschichtsrevisionisten Ernst Nolte. (Nolte 1985; Nolte 1986)

Ähnlich läuft auch die Analogie von 1968 und 1933 wie beim Publizisten und Historiker Götz Aly. Dabei vergleicht Aly das Anzünden der hetzerischen Bild-Zeitung im Frühjahr 1968 mit der antisemitischen Bücherverbrennung der Nazis und deutschen Studenten am 10. Mai 1933. (Aly 2008; Aly 2008a; Driessen 2018)

9.) Holocaust und Schuldprojektion auf „die Moderne“ in einem pädagogischen Handbuch

Eine andere Version der Geschichtsumschreibung hat einer der einflussreichsten rechtsextremen Vordenker der Neuen Rechten seit den 1970er Jahren entwickelt, Henning Eichberg (1942–2017). Eichberg wurde unter den Fittichen des ehemaligen Nazis und Bandenbekämpfungsspezialist im Führerhauptquartier, Arthur Ehrhardt, groß, für den er noch 1971 eine Totenrede hielt. Er war 1972 Autor einer programmatischen Schrift über die Neue Rechte, einer Art Gründungsmanifest.

Wenig später schrieb er Texte für das Altnazi-Blatt „La Plata Ruf“, das in Argentinien vom ehemaligen Adjutanten von Goebbels, Wilfred von Oven, herausgegeben wurde. Wer Eichberg war, wurde spätestens 1982 einer Massenöffentlichkeit bekannt, als der Stern, der damals eines der größten politischen Magazine der alten BRD mit einer Auflage von knapp 2 Millionen war, Eichberg und einige seiner „Kameraden“ als die „Roten Nazis“ zerpflückte. (Völklein 1982) In den 1980er Jahren war Eichberg Hauptprotagonist der neurechten Postille „Wir selbst“.

Diese brachte nicht nur Joseph Beuys oder die Grünen aufs Titelblatt, sondern 1987 auch den Ex-SS-Mann („Ich war dabei“) und Vorsitzenden der rechtsextremen Partei „Die Republikaner“, Franz Schönhuber.[18] Diese Taktik nennt man in der Politikwissenschaft „Querfront“, häufig werden so rechtsextreme Inhalte als harmlos oder links präsentiert, was aber das offenkundige Kooperieren mit Rechtsextremen inkludiert.

Vor diesem Hintergrund ist ein grundlegender Artikel Eichberg in einem pädagogischen Handbuch doppelt skandalös. Erstens aufgrund der Personalie Eichberg, zweitens ist aber auch der Text selbst zu problematisieren. Eichberg hat seine These, 1945 sei „keine Zäsur“ ge­wes­en, in mehreren wiss­en­schaftlichen Beiträgen, auch in der Sportwissenschaft, seinem Haupt­ar­beitsgebiet, wiederholt und ausgebaut.

Am deutlichsten kann das an Hand eines programmatischen Arti­kels über Lebenswelten und All­tagswissen in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus gezeigt werden. (Eichberg 1989) In dieser 1989 im renommierten Handbuch der deutschen Bild­ungs­ge­schichte erschienenen Abhandlung untersucht er Strukturen und Phän­o­mene der Wei­m­arer Republik und des Nationalsozialismus im Wesentlichen unter ihrem Aspekt der Kontinuität:

„Es war charakteristisch, daß die Olympischen Spiele 1936 den Höhepunkt des olympischen Zeremoniells und das letzte Thingspiel des NS-Staates brachten – und zugleich das erste Auftreten des Fernsehens in einer breiteren Öff­ent­lich­keit. Die Auto- und Fernsehgesellschaft zeichnete sich bereits im NS-Staat in Um­rissen ab, einschließlich ihrer ‚amerikanisierten‘ Elemente wie Coca-Cola-Werbung und Jazzmusik.“ (Eichberg 1989: 55)

Das antisemitische nationalsozialistische Thingspiel (Euringer 1933), von dem Eichberg völlig fasziniert war (Eichberg 1976; Eichberg 1977), sei „alltagskulturell“ „Coca Cola“ geopfert worden. Er versucht den National­soz­ia­lis­mus als Gesellschaft darzustellen, die sowohl in ihren Verbrechen dem in­du­strie­gesellschaftlichen Prinzip des „Prod­uk­ti­vis­mus“ gefolgt, als auch im Alltag ganz modern gewesen sei:

„Und während die Totalitarismuslehre im Zusammenbruch des NS-Staates eine Zäsur sieht, wird der Befund aus der Analyse der Körperkonfigurationen und der Öffentlichkeiten heraus eher fließend: Mit Motorisierung und Coca Cola, mit Mallorcareisen und Fernsehen, mit Leistungswettbewerb und Üb­er­wach­ungs­staat präformierte die Alltagskultur unter dem NS-Staat die­jen­ige der Nachkriegszeit.“ (Eichberg 1989: 59)

Der „Zusammenbruch des NS-Staates“ sei keine „Zäsur“ gewesen, Au­sch­witz demnach kein Zivilisationsbruch. Die Bundesrepublik wird vielmehr, kon­se­quent sozialhistorisch, zum Nachfolger eines „Überwachungsstaates“ erklärt, „Mallorca“ und „Coca Cola“ seien die Sieger der Geschichte und schon im „NS-Staat“ prägend, ja die BRD „präformierend“ gewesen.

Die präzedenzlosen Ver­brechen der Deutschen werden derealisiert, um die Täter in den USA zu suchen. Dieser antisemitisch motivierte, er­inn­er­ungs­abwehrende Anti­am­eri­ka­nis­mus in der Diktion der Querfront ist in seiner Struktur heftiger und zu­kunfts­trächtiger als jeder offene Rechtsextremismus.

Herausgegeben und für handbuchwürdig be­fun­den wurde dieser Revisionismus der besonders neu-rechten Art vom Tüb­inger Historiker Dieter Langewiesche, späterer Leibniz-Preisträger und Mit­glied in diversesten Historikerkommissionen und Akademikerverein­igungen, sowie einem ehemaligen Vizepräsidenten der Humboldt-Uni­versität Berlin, dem Pädagogen Heinz-Elmar Tenorth. Die Universalisierung von Auschwitz wischt die deutsche Schuld beiseite (zu der die alten Nazis, mit denen Eichberg sich umgab, beigetragen hatten) und verharmlost den Antisemitismus, je generiert eine erinnerungsabwehrende, sekundär antisemitische Reaktionsweise.

10.) Die Ideologie der „linken NSDAP“ in einem führenden Fachverlag?

2018 gab es eine Kontroverse um einen Kollegen Eichbergs, den Pädagogen und Verleger des Lit Verlags, Wilhelm Hopf. Der Lit Verlag führt dutzende pädagogische Buchreihen.[19] Hopf hatte im März 2018 die rassistische „Gemeinsame Erklärung“ unterzeichnet, die sich gegen in Europa Asyl suchende Menschen wendet und Pegida quasi einen Persilschein ausstellt. Nach massiver Kritik von Autor*innen und Herausgeber*innen von Büchern im Lit Verlag zog Hopf seine Unterschrift wieder zurück.[20]

Was er nicht mehr rückgängig machen kann, ist seine jahrzehntelange Kooperation mit dem Neuen Rechten Eichberg, der mehrere Bücher im Lit Verlag publizierte (Eichberg 1986; Eichberg 1987; Eichberg 1988; Eichberg 2011) und mit dem zusammen Hopf auch schrieb. (Planck 1898) Ganz typisch für Eichberg ist dabei die Ablehnung der Gleichheit der Menschen – er präferiert, ganz identitätsversessen, die „Unterschiede“, ein typischer Sprech des rechtsextremen Ethnopluralismus nach dem Motto „Afrika den Afrikanern, Deutschland den Deutschen“ etc.[21]

In seinem Buch „Minderheit und Mehrheit“, das 1979 gar als Schulbuch herausgekommen war, schrieb Eichberg noch 2011 im Lit Verlag – auch noch im April 2018 ist dieses Buch beim Lit Verlag erhältlich. Darin schreibt Eichberg:

„In der öffentlichen Wahlpropaganda vor 1933 und auch bei einigen linken NSDAP-Führern selbst (zum Beispiel beim linken NSDAP-Flügel um Gregor Strasser) blieb hingegen der Antisemitismus zunächst im Hintergrund.“ (Eichberg 2011: 29)

Laut dem NSDAP-Parteiprogramm von 1920 konnten Juden „keine Volks­ge­noss­en“ sein. Wie kann der Lit Verlag also schreiben, der „Antisemitismus“ sei „vor 1933“ „im Hintergrund“ geblieben? Hitlers „Mein Kampf“, Erster Band, erschien 1925. Eichberg hatte sich schon früher mit Goebbels und den Strasser-Brüdern befasst, namentlich bezog er sich 1970 in seinem Text „Sozialismus von rechts“ (Eichberg 1970) positiv auf die Bro­schüre „Nazi-Sozi“ von Goebbels von 1926. Neben den Gebrüdern Strasser meint Eichberg diesen ach-so-wahnsinnig-linken Flügel der NSDAP in seiner Passage im Lit Verlag.

Gregor Strasser war mit seinem Wort von der „‚antikapitalistischen Sehnsucht des deutschen Volkes‘“ (Eichberg 1970: 16), eine führende Stimme der Nazis: „Der Radikalste des Strasserflügels aber war Joseph Goebbels, bevor er 1926 aus persönlichen Gründen zu Hitler konvertierte und damit den innerparteilichen Machtkampf gegen die Linken entschied. Er gab in seinem ‚Nationalsozialistischen Briefen‘ (ab 1925) und in der Kampfschrift ‚Der Nazi-Sozi‘ (1926) dem linken Natio­nal­sozialismus die eindeutigsten Konturen“ (Eichberg 1970: 17). Goebbels schrieb in seinem Pamphlet:

„Gewiß ist der Jude auch ein Mensch. Noch nie hat das jemand von uns be­zweifelt. Aber der Floh ist auch ein Tier, nur kein angenehmes. (…) Würden diese 60 Millionen gleich wie wir gegen den Juden kämpfen, dann brauchten sie sich nicht mehr zu fürchten, sondern dann wäre der Jude mit der Furcht an der Reihe.“ (Goebbels 1926: 8 f.)

Das soll also der gar nicht so antisemitische frühe „linke“ Flügel der NSDAP gewesen sein. Am 3. Oktober 2016, als der „Tag der Einheit“ in Dresden stattfand, agitierte ein fast pogromartiger Mob in Pegida-Manier gegen die Elite des Landes und ein „besorgter Bürger“ zeigte ein Plakat mit einem Spruch von Goebbels.[22]

11.) Die Rückkehr der „Volkserzieher“ im Sinne Schrebers?

Angesichts von Tendenzen der politischen Kultur im Zuge des Aufkommens und Erstarkens der Alternative für Deutschland (AfD) und verwandter extrem rechter Ideologeme wie der Agitation gegen Gender Mainstreaming oder gegen Chancengleichheit und Inklusion[23] sind auch Ideen wie die Prügelstrafe oder autoritäre und antidemokratische Erziehungsmethoden wieder im Gespräch. Hierbei wäre nicht nur ein Rückblick auf die erziehungswissenschaftliche Kritik der letzten Jahrzehnte von Bedeutung, sondern vielleicht auch das In-Erinnerung-Rufen eines reaktionären Klassikers wie Schreber.

Nach Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808–1861) werden bis auf den heutigen Tag die Schrebergärten bezeichnet. Er war im 19. Jahrhundert ein Volkserzieher und Naturdomestizierer ersten Ranges. Seine Bücher (Schreber 1858) erlangten hohe Auflagen, seine Ideologie war mitunter eine pädagogische Vor­weg­nahme der Carl Schmittschen (Sombart 1991) Freund-Feind Dichotomie und also sehr deutsch: „die edlen Keime der menschlichen Natur sprießen in ihrer Reinheit fast von selbst hervor, wenn die unedlen (das Unkraut) rechtzeitig verfolgt und aus­ge­rott­et werden“. (Schreber 1858: 104)

Der sprachliche Duktus lässt die im­pli­zit­en und expliziten Exegeten Schrebers als diejenigen Deutschen erkennbar werden, die prak­tisch wurden: eliminatorische Antisemiten. Wobei es kein Zufall war, dass das Tötenwollen, bei Schreber ‚ausrotten‘ genannt, in Deut­schland Juden traf, da diese häufig mit Ungeziefer und Unkraut ana­log gesetzt wurd­en, wie es ja Schrebers Vernichtungs- und Aus­merz­ungs­päda­gog­ik/-gär­t­ner­ei pro­pa­gierte und praktizierte.

Die Dimension von Natur­be­herr­schung, wie sie in der Dialektik der Aufklärung kritisiert wird (Horkheimer/Adorno 1947), hat in Schreber einen Apologeten und Protagonisten vor sich, der weiß wovon er spricht, denn die Men­sch­en­ver­suche an seinen eigenen Kindern – Ans-Bett-Binden bei nächtlicher Er­ek­tion, oder kalte Dusche beim selben ‚Vergehen‘, Ge­rad­sitz­en incl. der Her­stell­ung extra dafür entwickelter Geradehalter (Langenbach 1988; Burkard 1990) etc. – hat bei einem Sohn den Selbstmord, beim anderen ‚Wahnsinn‘ erzeugt; letzterer ist als Daniel Paul Schreber in die Geschichte der Psychoanalyse u.a. bei Freud eingegangen. (Santner 1996) Schreber bringt innere und äußere Natur­be­herr­sch­ung auf den Punkt:

„Der Mensch soll seiner hohen Bestimmung gemäß immer mehr und mehr zum Siege über die materielle Natur gelangen, der einzelne Mensch zur Herrschaft über seine eigene Natur, die Menschheit im Ganzen zur Herrschaft über die Natur im Großen“. (Schreber 1858: 121)

Für das bürgerliche Selbst hat solche innere Naturbeherrschung, die Folge einer patriarchal evozierten und die sinnlose kapitalistische Warenwelt legitimierenden Selbstkasteiung ist, die „Introversion des Opfers“ (Horkheimer/Adorno 1947: 62) zur Kon­se­quenz.

Schluss: Kategorischer Imperativ für die Erziehung nach Auschwitz

Am 18. April 1966 postulierte der Philosoph Theodor W. Adorno einen kategorischen Imperativ nach der Shoah: „Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ (Adorno 1966: 674) Eine kritische Subjekttheorie könnte im Anschluss an Niemeyer versuchen, jene reformistischen Projekte eines „besser, höher, weiter, mehr“ der (allerdings ohnehin in Europa im Zerfall begriffenen und der extremen Rechten Platz machenden) Sozialdemokratie grundsätzlich in Frage zu stellen.

In neoliberal-kapitalistischen Zeiten ist es für viele auf den ersten Blick schwer vorstellbar oder gar kontraproduktiv, sich gegen die typisch gewerkschaftlichen Forderungen nach „mehr“ zu positionieren. Es kann nicht immer nur um das „bessere Leben“ gehen, nein, es sollte um das „richtige Leben“ gehen, wie Niemeyer in Anschluss an Nietzsche mit Adorno im Gepäck in seiner Abschiedsvorlesung (die auf ihre Weise eine Willkommensvorlesung für die „nächsten 25 Jahre“ ist) postuliert. Niemeyer bringt es auf den Punkt und das sollte zumal sein Metier, die Pädagogik und Sozialpädagogik, zum Nachdenken animieren:

„Vielleicht erklärt dies auch dass die via Habermas nur unzurei­chend auf Nuancen à la Nietzsche vorbereitete studierendenbewegte Grün­dergeneration der BRD-Sozialpädagogik offenbar nur unvollständig verstand, was die durch Adorno populär gewordene Vokabel ‚richtiges Leben‘ verbietet: nämlich den gleichwohl vielfach gezogenen Rückschluss, ‚richtiges‘ falle mit ‚gutem‘ Leben in eins im Sinne vorgeblicher sexueller Befreiung à la Jerry Ru­bin (1971) oder in der Linie paternalistisch herzustellender sexueller Freizügig­keit in Kinderläden und Heimen. Es geht um etwas ganz anderes, nämlich um den Auftrag an jeden einzelnen, sich um ein Leben in Selbstaufgeklärtheit im ‚Denken und Handeln‘ zu bemühen mit dem Ziel, zumindest einen Part dazu beigetragen zu haben, ‚daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe‘ (Adorno 1970, S. 358) und ersatzweise, auch psychologisch tragfä­hig, ein Leben in Offenheit für das Andere und den Anderen möglich wird.“ (Niemeyer 2018: 289)

Für eine kritisch-pädagogische Antisemitismusforschung der Zukunft hat diese Aufforderung eine große Bedeutung. Wie ich zu zeigen versuchte, kann die Antisemitismusforschung eine ganz  breite Wirkung in der Pädagogik erzielen, wenn erkannt wird, auf wie vielen Feldern die Erkenntnisse der kritischen (und nicht herkömmlichen wie sich selbst immunisierenden) Antisemitismusforschung angewandt werden können. Viele Vertreter*innen der Pädagogik wie der Sozial- und Geisteswissenschaften, die meinen, irgendwie kritisch oder links oder zumindest aufgeklärt zu sein, denken von sich selbst, nicht antisemitisch sein zu können. Der Antisemitismus sei doch im Feld der Rechten beheimatet. Pustekuchen, Antisemitismus kommt in allen Teilen der deutschen Gesellschaft vor und nicht zuletzt bei den sich selbst kritisch dünkenden Forscher*innen.

Literatur

 

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[1] Dieser Text war für einige pädagogische Mainstream-Fachzeitschriften selbstredend zu kritisch, daher wird er hier dokumentiert.

[2] „‘Hitler-Glocke‘ darf hängen bleiben“, 22.10.2018, http://www.spiegel.de/panorama/justiz/herxheim-hitler-glocke-darf-haengen-bleiben-a-1234565.html (13.01.2019).

[3] „The Ugly, Illiberal, Anti-Semitic Heart of the Yellow Vest Movement. The protests have combined legitimate economic grievances with the worst of far-right politics. And the French left has been happy to go along“, 7. Januar 2019, https://newrepublic.com/article/152853/ugly-illiberal-anti-semitic-heart-yellow-vest-movement (13.01.2019).

[4] „Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Antisemitismus entschlossen bekämpfen, Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/444, 17.01.2018“, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/004/1900444.pdf (13.01.2019).

[5] „Ein Schüler sagte: ‚Israel gibt es doch gar nicht‘“, 24. November 2018, https://www.sueddeutsche.de/bildung/antisemitismus-an-schulen-ein-schueler-sagte-israel-gibt-es-doch-gar-nicht-1.4220606 (13.01.2019).

[6] Von 30 angefragten Schulen zum Thema muslimischer Antisemitismus haben sich nur 5 bzgl. eines Seminars rückgemeldet, Arnfried Schenk (2018): „Hitler war ein guter Mann“, sagt die Mitschülerin, Die Zeit, 17/2018, 19. April, https://www.zeit.de/2018/17/antisemitismus-juden-muslime-schule-deutschland/komplettansicht (13.01.2019).

[7] „Antisemitismus: Schulleiter entschuldigt sich für Verharmlosung“, 29. März 2018, https://www.bz-berlin.de/berlin/antisemitismus-an-paul-simmel-grundschule-schulleiter-raeumt-weitere-vorfaelle-ein (13.01.2019); „Berliner Grundschülerin soll antisemitisch gemobbt worden sein“, 25. März 2018, https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2018/03/vorwurf-antisemitismus-schule-berlin-tempelhof.html (13.01.2019).

[8] „‘Schon wieder Holocaust?‘ Rechtsradikale Schüler mobben jüdische Kinder, arabischstämmige loben Hitler. Was können Schulen gegen Antisemitismus tun? Zwei Lehrer berichten von ihren Erfahrungen”, 12. September 2018, https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2018-09/diskriminierung-antisemitismus-rechtsextremismus-juden-schulen-mobbing/komplettansicht (13.01.2019).

[9] „Verzerrtes Israel-Bild in deutschen Schulbüchern“, 4. Juni 2018, https://blogs.faz.net/blogseminar/der-nahost-konflikt-deutschen-schulbuechern/ (13.01.2019).

[10] https://www.ushmm.org/confront-antisemitism/antisemitism-podcast/dervis-hizarci (29.07.2018).

[11] Siehe dazu Michael Lausberg (2015): Akzeptierende Jugendarbeit, 28.11.2015, https://de.indymedia.org/node/6745 (31.07.2018).

[12] „Groups condemn ‚appalling‘ anti-Israel motion which claims to be ‚protecting Jewish students’“, 21. November 2018, https://www.thejc.com/news/uk-news/jewish-students-slam-appalling-anti-israel-motion-which-claims-to-be-protecting-jewish-students-1.472884 (13.01.2019).

[13] https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/programme/fellowship_internationales_museum/kultur_transfer.html (23.07.2018).

[14] „Koloniale Amnesie geht nicht“, 11.06.2017, http://www.taz.de/!5416099/ (30.04.2018).

[15] „British­‐Chinese Architect Tszwai So Wins Platform’s Competition for a Proposal of a Pan­‐European Memorial for the Victims of Totalitarianism in Brussels“, 28. März 2018, https://www.memoryandconscience.eu/wp-content/uploads/2018/03/press_release_28.3.2018.pdf (30.05.2018).

[16] „Spheron chief wins contest for monument to totalitarianism’s victims“, 9. April 2018, https://www.architectsjournal.co.uk/news/spheron-chief-wins-contest-for-monument-to-totalitarianisms-victims/10029849.article (30.05.2018).

[17] http://www.praguedeclaration.eu/ (07.08.2018); http://defendinghistory.com/wp-content/uploads/2012/01/Prague-Declaration-Declaration-Text.htm (07.08.2018).

[18] Heft 1/1987, Siehe eine Abbildung hier: http://www.wir-selbst.de/1987/01/ (13.01.2018).

[19] http://www.lit-verlag.de/cgi-local/suchbuch (Stand 12.01.2019).

[20] „Verleger zieht Unterschrift zu ‚Erklärung 2018‘ zurück“, 10. April 2018, https://www.tagesspiegel.de/kultur/wilhelm-hopf-verleger-zieht-unterschrift-zu-erklaerung-2018-zurueck/21160718.html (13.01.2019).

[21] Eichberg 2011, 116: „Wer von einer bestehenden oder/und gewollten Gleichheit der Menschen ausgeht, wird dazu neigen, sowohl Diskriminierung als auch Sondergruppenbildung von Minderheiten für überflüssig oder anachronistisch zu halten. Er wird eine ‚Gesellschaft ohne Hautfarbe‘ (Rolf Italiaander) anstreben.“

[22] „So viel Hass“, 3. Oktober 2016, Stuttgarter Zeitung, https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.einheitsfeiern-in-dresden-so-viel-hass.32ed59d3-90dd-45ee-9063-345d75e5f9f1.html (13.01.2019)

[23] http://www.news4teachers.de/2016/03/auf-krawall-gebuerstet-wie-die-afd-auch-mit-der-bildungspolitik-stimmung-macht/ (11.01.2019).

©ClemensHeni

JETZT lieferbar: Clemens Heni – Eine Alternative zu Deutschland. Essays (*Leseprobe * Inhaltsverzeichnis)

JETZT lieferbar:

Clemens Heni

Eine Alternative zu Deutschland. Essays

 

Berlin: Edition Critic, 2017

ISBN 978-3-946193-17-3 | Softcover | 14,8x21cm | 262 Seiten | Personenregister | 15€

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder versandkostenfrei direkt beim Verlag:

info[at]editioncritic.de

 

Dieses Buch ist eine intellektuelle Zeitreise von Juli 2006 bis September 2017.

Es zeigt auf, wie es vom »Sommermärchen« 2006 über die Rede vom »Inneren

Reichsparteitag«, Pegida, den Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit), die

Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten bis hin zum Aufstieg der AfD kommen

konnte. Betont wird die Verantwortung der Medien und des Fernsehens für

diesen Aufstieg. Die demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag müssen

sich das erste Mal in der Geschichte mit neonazistischen Positionen im Parlament

befassen – doch sind sie darauf vorbereitet?

 

»Wer nach einer Vergewisserung sucht, wo Deutschland heute steht, wird sie in diesem Buch finden. Mit scharfem Verstand und mit angespitzter Feder zeichnet Clemens Heni funkelnde Momentaufnahmen der letzten elf Jahre. Heraus kommt, wie bestürzend sich die zivile Achse des zuvor offenen Selbstverständnisses nach rechts verschoben hat. Wer die Hoffnung auf eine bessere Zukunft teilt, muss die Gegenwart schonungslos kritisch beleuchten. Daraus mag ›eine Alternative zu Deutschland‹ entstehen.«

Gert Weisskirchen, 1976–2009 Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB), 1999–2009 außenpolitischer Sprecher SPD Bundestagsfraktion, 2006–2008 persönlicher Beauftragter des OSZE Vorsitzenden im Kampf gegen  Antisemitismus, Prof. (em.).

»Clemens Heni erkennt in der aktuellen politischen Kultur dieses Landes noch immer die Spuren des Judenhasses und des von Deutschen begangenen und zu verantwortenden Mordes an den europäischen Juden. Ohne mit Heni in allen Fällen übereinzustimmen, führen seine Beiträge doch ins Herz der aktuellen Debatte über Deutschland und regen zu fruchtbarem Widerspruch an.«

Prof. Dr. Micha Brumlik, 2000–2013 Professor für »Theorien der Bildung und Erziehung « am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main, 2000–2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, Forschungs- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust an der Goethe Universität.

»Wo nationalistische Töne sich erheben, ein Schlussstrich unter die deutschen Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts gefordert und Judenhass zu einer scheinheiligen Kritik an Israel sublimiert wird, holt Clemens Heni zum grossen Rundumschlag aus: gegen Zyniker, Großaffirmatoren, Antihumanisten und Holocaustverharmloser im Deutschland der Gegenwart. Selbst wenn man ihm nicht immer folgen mag, schreibt er doch mit viel Scharfsinn und Sachkenntnis. Fazit: Unbedingt lesenswert und gerade vor dem Hintergrund der Bundestagswahl von brennender Aktualität.«

Dr. phil. Michael Kreutz, Politologe und Orientalist

»Clemens Heni ist ein Ein-Mann-Korrektiv zum andauernden deutschen Geschichts-Roll-Back, wach, intelligent, unerlässlich in Zeiten der schwächelnden Demokratie.«

Georg Diez, Spiegel-Online-Kolumnist, Buchautor, 2016/17 Nieman Fellow der Harvard Universität, USA

Clemens Heni Eine Alternative zu Deutschland 2017 Inhalt Einleitung (PDF):

Einleitung  7

Das nationale Apriori: Wie aus der BRD endgültig Deutschland wurde  12

Ein deutsches Graduiertenförderungswerk, 2002:  ein Küchlein mit Folgen  13

Ein weiteres deutsches Graduiertenförderungswerk, Juni 2006:
Ich bin deutsch und was bist du?  14

Walk of Ideas, Berlin 2006  15

„Die Nazis wurden doch sportlich, 1936“ – Neu-deutsche Wissenschaft als Rehabilitierungsübung für den Nationalsozialismus  16

Weitere Beispiele ‚linker‘ Wissenschaftler und deren  Verharmlosung der deutschen Verbrechen  21

Das Opfer bringen und singen: „Blüh im Glanze“  „deutsches Vaterland“ –
von Diem zu Klinsmann  22

Keine „Reue“ zeigen: Gegen „amerikanischen Messianismus“ –  Matusseks nassforsche Invektiven oder wie funktioniert  sekundärer Antisemitismus?  25

Joachim Fests Kampf: Über Historismus und Antisemitismus  26

Ästhetizistische Parallelwelten: K.H. Bohrer möchte wieder ein stolzes Deutschland …   29

Deutsche Lust: Zusammen, was zusammengehört: Nation und Sozialismus – „Volkslust“… 32

Kritik an Broders Rechtsruck 2007  35

Martin Mosebach: Gegenaufklärung als sekundärer Antisemitismus  39

„Rheinischer” Revisionismus? Journalisten verlegen Beginn des Zweiten Weltkriegs auf 1935  41

Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“  45

Karl Rössel, der Mufti, und die Aporien des Antiimperialismus  45

Merkwürdiger Komparatismus: Harald Welzer  50

Antisemitismus trivialisieren? Fragen an den Facebookexperten Götz Aly  52

Das ZDF oder wenn Deutsche zu sehr lieben: „Innerer Reichsparteitag“  56

Das grüne Ressentiment: Die Grünen, Paul Bonatz, die „Adolf-Hitler-Kampfbahn“, Stuttgart 21    59

Stuttgart ist keine „Vorstadt von Jerusalem“… Paul Bonatz, der NS und Die Grünen (K21)  61

Erinnern, um zu vergessen: Alfred Grosser  66

„Ausgerechnet Billy Wilder“ – Christian Wulff, die „deutsche Kultur“ und der Holocaust 68

Flanierend die Verbrechen des Nationalsozialismus goutieren  69

Antisemitismus und die Prager Deklaration  75

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013  78

Die „Bloodlandisierung“ der Linken am Beispiel Helmut Dahmer  83

Özgida – eine antirassistische Antwort auf Pegida  86

32 Thesen: Pegida zeigt den Extremismus der deutschen Mitte  90

2014: Ein Land gefangen zwischen Islamismus und dem Extremismus der Mitte  95

Exkurs: War Deutschland Teil des Abendlandes?  96

Auschwitz, 27. Januar 1945  98

Eike Geisel und die Erinnerung an den Holocaust 103

Die „Klimaverschärfung“ – AfD und Pegida machen das Land peu à peu unbewohnbar  108

Das Ende des Ludwig-Börne-Preises – Der „post-humanistische Denkraum“ Peter Sloterdijks  116

AfD für „Alphabetisierte“: Peter Sloterdijk am Sinai auf einem „deutschen Weg“  127

Die ganz normalen Deutschen des 13. März 2016  133

Gegen das Brexit-Volk des 23. Juni 138

Deutsche Männer mit Schnappatmung – Zur Kampagne gegen die
Amadeu Antonio Stiftung  142

Von der SED zur AfD? Für die Neue Rechte war die DDR schon
1981 besonders „deutsch“  145

16 Jahre NSU, 15 Jahre 9/11: Deutschland zwischen braunem und grünem Faschismus  150

Schaut auf diese Stadt: Nazis, die AfD und der Mob in Berlin vor dem Einzug ins Parlament 152

Auschwitz und andere Gemeinheiten. Carolin Emcke bekommt den Friedenspreis  159

Ein Präsident für die antiwestliche Internationale  167

Die neue Querfront – Mit Hegels „List der Vernunft“ für Trump … 175

Stalingrad, „monströser Zivilisationsbruch“ –

Die Wiedergutwerdung der Deutschen in Aleppo  184

Der Trumpismus, die Fratze des Philoisraelismus und die Chance
des säkularen Zionismus  188

Amerikas 1933 und die „identitäre Demokratie“ (=Faschismus)  192

Locker bleiben. Es ist lediglich der mächtigste Mann der Welt, der
den Faschismus intoniert 194

Erlösendes Gedenken, Norbert Lammert, die „wechselvolle“ deutsche Geschichte  200

Freiheit für Deniz Yücel – Jetzt sofort! Power durch die Mauer, bis sie bricht! 204

G20-Proteste: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ (Brecht)  206

Koscherstempel für faschistische Autoren: Die Berliner Buchhandlung „Topics“  209

Holocaustopfer, schwarzrotgold: Gerhard Richter im Bundestag  214

„Ist doch für einen guten Zweck“: Mafia-Methoden im politischen Diskurs  214

TV-Duell: AfD-Propaganda-Show führender TV-Journalist*innen in
ARD, ZDF, RTL und Sat1  217

Endnoten  223

Personenregister  256

Lesprobe:

Einleitung

Für „Otto Normalvergaser“ wie die Politiker*innen und Wähler*innen der Alternative für Deutschland (AfD) „ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen“.[1] Das zeigt sich an der Parteivorsitzenden Frauke Petry, die das Wort „völkisch“ wieder verwendet, an dem ehemaligen (1973–2013) CDU-Mitglied und AfD-Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2017, Alexander Gauland, der „stolz“ ist auf die deutschen Soldaten im „Ersten und Zweiten Weltkrieg“ und an Björn Höcke, für den das Holocaustmahnmal ein „Mahnmal der Schande ist“. Die Welt am Sonntag berichtete am 9. September 2017 über einen E-Mail-Wechsel der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel von 2013, worin es über Mitglieder der Regierung Angela Merkel heißt:

„Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen.“[2]

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 führt das erste Mal dazu, dass Neonazis im Deutschen Bundestag sitzen werden. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sprach im Vorfeld von der Gefahr, dass „echte Nazis“ im Parlament vertreten sein werden.[3] Der 24. September 2017 war der schlimmste Tag für die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik. Die 12,6% Stimmen für die AfD zeigen die Fratze des Volkes. Die Millionen AfD-Wähler*innen wissen, wie völkisch, rassistisch, nationalistisch, agitatorisch und antisemitisch diese Partei ist und haben sie gerade deshalb gewählt.

Dieses Land braucht eine Alternative zu Deutschland. Es war noch vor fünf Jahren undenkbar, dass eine Partei in den Bundestag einziehen wird, die „Deutschland erwache“ twittert,[4] so wie damals die Nazis mit diesem Spruch agitierten. Eine Partei, die Politiker hat, die so reden wie Goebbels und die Erinnerung an den Holocaust nicht nur abwehren, sondern im Kokettieren mit dem damaligen Propagandaminister die Shoah gar nicht so klammheimlich affir­mieren. Eine Partei, die deutschen Staatsbürgerinnen die Staatsbürgerschaft abspricht und diese in „Anatolien entsorgen“ will. Schließlich eine Partei, die Mitglieder hat, welche die gefährlichste aller antisemitischen Verschwörungsmythen, die Protokolle der Weisen von Zion, unterstützen.[5] Der Mob schreit „Volksverräter“, „Lügenpresse“ oder „Merkel muss weg“, wie es auf Wahlkampfveranstaltungen der AfD passierte, und möchte die Kanzlerin wegputschen und die Demokratie zerstören. Solche Neo-Nazisprüche und -Ideologie gibt es schon seit Jahrzehnten – aber niemals im Deutschen Bundestag als Teil der Ideologie einer ganzen Partei. Dazu kommen eine ungeheuerliche Agitation gegen die Demokratie und Gewaltfantasien, die rechte Aktivisten von Pegida und Politiker*innen der AfD und deren Anhängerschaft in den sozialen Medien äußern.[6] Wie Bundesjustizminister Heiko Maas knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl schreibt, ist die AfD „in Teilen verfassungswidrig.“[7] Doch die Alternative für Deutschland (AfD) entstand nicht in einem Vakuum, sondern ist Ausdruck eines lang andauernden Prozesses der Renationalisierung dieses Landes wie auch Europas und des Westens. Rassismus, Separatismus und die Hinwendung zum „Eigenen“ sind schockierender Aus­druck sowohl des Brexit im Juni 2016, dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU, wie der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten im November 2016.

Die deutsche Renationalisierung kann hier nicht in allen Einzelheiten untersucht werden. Die jüngste Form der Renationalisierung war ein Epochenbruch: 2006. Eine Kernthese dieses Bandes lautet: Ohne das „Sommermärchen“ von 2006 und den schwarzrotgoldenen Taumel, ohne die „inneren Reichsparteitage“ und gegenintellektuelle Stimmungsmache für mehr Nation und weniger Reflektion, mehr Stolz auf die deutsche Geschichte und weniger Gesellschaftskritik, wäre es nicht zu Pegida und zur Katastrophe der völkischen AfD gekommen. Die AfD hat am Wahlabend die deutsche Nationalhymne gesungen,[8] es ist die gleiche Hymne, die schon zu Nazizeiten gesungen wurde.

Es sind krasse Zeiten. Wir können mittlerweile wählen, ob wir den braunen, nazistischen, oder lieber den grünen, islamistischen Faschismus bevorzugen. Zwischen diesen beiden Polen ist der Westen derzeit gefangen. Der jihadistische Terrorismus, der Islamismus, das Ressentiment auf die westliche Welt, der Antiamerikanismus, der Antisemitismus und der Israelhass des 11. September 2001 veränderten die Welt. Seit jenem Tag wachen wir jeden Morgen auf, und wissen nicht, ob wieder ein jihadistischer Anschlag passierte, ob auf Bali, im Irak, in Syrien, Afghanistan, den USA, Frankreich, Dänemark, Berlin, Tel Aviv, Jerusalem, Brüssel, Toulouse, London, Manchester, Madrid, Djerba, Barcelona, Nizza und unzähligen weiteren Orten. Seit über 16 Jahren geht das so und es ist kein Ende in Sicht. Weltweite massive Sicherheitsvorschriften an Flughäfen, das unwillkürliche Aufmerksamwerden auf isoliert herumstehende Koffer, Taschen oder Rucksäcke an Bahnhöfen, Flughäfen und sonst im öffentlichen Raum waren vor 9/11 nicht denkbar. Unser Blick auf die Realität hat sich verändert. Dazu kommt in der Bundesrepublik ein noch viel heftigerer, massenwirksamerer und seit dem 24. September 2017 auch bundespolitisch mit enormen Konsequenzen und einem Machtzuwachs nie geahnten Ausmaßes ausgestatteter nationalistischer, rechtsextremer und neonazistischer Aufbruch.

Das Volk ist nicht „abgehängt“ oder „perspektivlos“, nein, das Volk ist durchaus böse, rassistisch, antisemitisch, dumpf, brutal und abstoßend. Das zeigt sich nicht nur an Tomaten- wie Verbalattacken auf Angela Merkel bei Wahlkampfauftritten während des Bundestagswahlkampfes 2017 oder bei den Pegida Demonstrationen seit Oktober 2014, sondern zum Beispiel auch im Sommer 2017, als in einem ganz normalen westdeutschen Dorf bekannt wurde, dass dort seit 83 Jahren eine „Hitlerglocke“ im Kirchturm hängt und der Pfarrer (aus musikalischen Gründen, klar) wie der Bürgermeister total „stolz“ sind auf ihre Glocke mit der Inschrift „Alles fuer’s Vaterland. Adolf Hitler“ und darunter befindet sich ein dickes Hakenkreuz. Das hat seit 1945 keinen Menschen in diesem ganz normalen deutschen Dorf in Rheinland-Pfalz (Herxheim am Berg) gestört.

Diese beiden Großthemen, Jihad und der stolzdeutsche Aufbruch, das „nationale Apriori“ der Deutschen, bestimmen in weiten Teilen die politische Kultur, möchte man meinen. Wer aber am 3. September 2017 das einzige TV-Duell der beiden Kanzlerkandidat*innen zur Bundestagswahl am 24. September auf den vier größten Fernsehkanälen ARD, ZDF, RTL und Sat1 gesehen hat, traute seinen Augen und Ohren nicht mehr. Da wurde weit über die Hälfte der Sendezeit nur gegen Nicht-Deutsche gleichsam agitiert, die Fragen hörten sich an, als wären alle vier Fragenden direkt von der AfD bestellt gewesen. Die Gefahr des Rechtsextremismus wurde verleugnet. Die Medien haben eine Hauptverantwortung für den Aufstieg der AfD. Der Journalist Georg Diez resümiert am Vormittag des 24. September 2017:

Die Erfolge der AfD haben auch die Plasbergs dieser Welt mitzuverantworten. Denn die öffentlich-rechtlichen Talker haben den reaktionären Kräften schon früh und dann immer wieder eine Bühne geboten.“[9]

Die AfD hat es in zwei Jahren, seit Beginn der „Flüchtlingskrise“ Anfang September 2015, geschafft, dieses Thema als das zentrale Thema des ganzen Landes durchzusetzen, auch wenn im Spätsommer 2017 kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland und Europa durchkommen, da die Abschottung jetzt schon in Afrika beginnt. Die Renationalisierung, die in dieser Aggressivität nie dagewesene nationalistische Rede, wurde von der AfD in den Mainstream gebracht und die Medien nahmen das geradezu dankbar und begierig auf. Aufgrund dieses In-die-Zange-Nehmen der westlichen Welt durch den braunen und grünen Faschismus verschwinden andere Themen oft. Der Klimawandel, der von US-Präsident Donald Trump und seinen deutschen Fans geleugnet wird, aber auch viel weiter gefasste Themen wie Entschleunigung, Ökologie und das Mensch-Natur-Verhältnis, vom Atomausstieg über Braunkohleabbau, Windkraft oder Solarenergie hin zum Dieselskandal, der nur die Wahrheit auf den stinkenden Punkt bringt, dass der Kapitalismus nicht zum Vergnügen da ist, sondern zur Profiterzielung. Themen wie das Grundeinkommen, ungebremste Mietsteigerungen in Großstädten und Ballungsräumen, prekäre Arbeitsverhältnisse für die gut und sehr gut Ausgebildeten, Minijobs und Mehrfachjobs für alle und sicherlich die neoliberale Deregulierung vieler Ge­sell­schaftsstrukturen wie die Internalisierung der Imperative des Kapi­ta­lis­mus: Das wären alles sehr wichtige Themen, die aber seit 9/11 und dann seit 2006 sowie später weltpolitisch durch die Wahl Trumps wie den Aufstieg der AfD massiv überlagert werden durch diese beiden Großthemen brauner versus grüner Faschismus.

Dazu kommt: Die Entpolitisierung ist prägend für weite Teile dessen, was früher einmal als „bürgerliche Mitte“ wie auch „die Linke“ (jenseits der Partei) bezeichnet wurde. Unabhängig von bezahlten Jobs in NGOs gibt es nur noch sehr wenige politisch aktive Menschen, die grundsätzliche Fragen an die Gesellschaft stellen und nicht nur Einpunktbewegungen anhängen. Jene, die sich in den letzten Jahren massiv politisiert haben, sind die Völkischen oder „besorgten Bürger“. Der Antisemitismus wird äußerst selten zu einem zentralen Thema der Kritik gemacht. Daher versuchen die Essays in diesem Band ganz unterschiedliche Aspekte des heutigen Antisemitismus zu thematisieren und sie am Beispiel von teils zentralen Akteuren oder Ereignissen im politischen, wissenschaftlichen wie kulturellen Feld zu analysieren. Wenn zum Beispiel ‚linke‘ Aktivisten oder Künstler aktiv werden, sieht das heute so aus: Auf der documenta14 in Kassel sollte es im Sommer 2017 eine Aktion geben mit dem Titel „Auschwitz on the Beach“. Dabei sollten Salzwasser mit Zyklon B und Flüchtlinge mit Juden verglichen und gleichgesetzt, sowie darüber hinaus die europäischen Gesellschaften und Israel als neue „Gauleiter“ zu den Nazis von heute gemacht werden.[10] Diese Abwehr der Er­inn­er­ung an die präzedenzlosen Verbrechen der Shoah geschieht mit dem best­en linken Gewissen, was sich darin zeigte, dass der Event zwar aufgrund von Protesten abgesagt wurde, aber ohne eine inhaltliche Distanzierung der documenta-Leitung von diesem doppelten Antisemitismus. Es handelte sich um einen Antisemitismus, der die Erinnerung an den Holocaust für politische Zwecke instrumentalisiert und zudem noch antizionistisch agitiert. Dann gibt es mittlerweile ‚Linke‘, selbst Kritiker solcher Events auf der documenta, welche die Agitation gegen den Islam als fortschrittlich empfinden und den Rechtsextremismus der AfD schlicht verdrängen. Das ist auch bei vielen Trump-Anhängern so, die sich zuvor als liberal oder links tarnten.

Wie der Spiegel Online Kolumnist Georg Diez wenige Wochen vor der Wahl schrieb, kann man sehen, wie seit Jahrzehnten in Deutschland

„der Diskurs mehr und mehr nach rechts verschoben wurde, von Martin Walsers Paulskirchenrede über Thilo Sarrazin bis zu den Untergangsfantasien von Botho Strauß. In der Sprache von Peter Handke könnte man sagen, es waren Zurüstungen für die Unmenschlichkeit.“[11]

Die Essays in diesem Band spannen einen Bogen vom „Sommermärchen“ 2006 über den „Inneren Reichsparteitag“ (2010) hin zu Pegida (2014), den Brexit, die Wahl Trumps (2016) und den Aufstieg der AfD zur ersten Partei mit Neonaziideologie im Deutschen Bundestag (2017). Während es Hunderte ehemaliger NSDAPler im Bundestag und anderen Parlamenten seit 1949 gab,[12] werden ab September 2017 erstmals neue Nazis im Bundestag sitzen. Die Essays[13] in diesem Band umfassen eine Zeitspanne von Juli 2006 bis September 2017 und können als eine Art intellektuelles Tagebuch betrachtet werden. Mögen sie zur Kritik und Reflektion, zum Nachdenken über eine Alternative zu Deutschland anregen.

[1] Eike Geisel (1998): Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung, Berlin: Edition Tiamat, 69.

[2] Sven-Felix Kellerhoff/Martin Lutz/Uwe Müller (2017): „Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte“, Die Welt, 09.09.2017, https://www.welt.
de/politik/deutschland/article168480470/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten-der-Siegermaechte.html (18.09.2017); „Die WELT AM SONNTAG hält an ihrer Berichterstattung über die Mail in vollem Umfang fest. Der Redaktion liegt eine eidesstattliche Versicherung des E-Mail-Empfängers vor. Um Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit auszuräumen, könnte Weidel ihrerseits bei Gericht eine eidesstattliche Versicherung einreichen, in der steht, was zuvor schon der Anwalt behauptet hatte: Dass sie den Text nicht verfasst hat. Doch dies hat sie bisher nicht getan. Die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt wird nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder Geldstrafe geahndet“, Martin Lutz/Uwe Müller (2017): AfD-Spitzenkandidatin Weidel spricht nicht mehr von Fälschung, Die Welt, 15.09.2017, https://www.welt.de/politik/deutschland/article168695526/AfD-Spitzenkandidatin-Weidel-spricht-nicht-mehr-von-Faelschung.html?wtrid=socialmedia.
email.sharebutton (18.09.2017); „AfD-Spitzenkandidatin Weidel plötzlich kleinlaut. Ein Bericht über eine Wut-Mail hat die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel erzürnt. Sie sprach von einer Fälschung. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2017, http://www.faz.net/aktuell/politik/wut-mail-afd-spitzenkandidatin-weidel-ploetzlich-kleinlaut-15202774.html (18.09.2017).

[3] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl/alle-schlagzeilen/gabriel-attackiert-afd-echte-nazis-am-rednerpult/20315768.html (16.09.2017).

[4] http://www.jc-courage.de/wp-content/uploads/2017/02/Die_AfD_in_Koeln.pdf (16.09.2017), 11; http://www.rp-online.de/nrw/panorama/koelner-hauptmann-und-afd-politiker-soll-ns-parole-getwittert-haben-aid-1.6807113 (15.09.2017): „Die Linken-Politiker werfen [Hendrik] Rottmann vor, am 29. Januar auf Twitter eine Meldung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, mit den Worten ‚Deutschland erwache‘ kommentiert zu haben – eine Parole, die im Dritten Reich von der Nazi-Organisation SA benutzt wurde. Ein Screenshot des Tweets liegt unserer Redaktion vor – der Twitter-Account, von dem der umstrittene Spruch abgesetzt worden sein soll, existiert nicht mehr.“

[5] So Wolfgang Gedeon aus Baden-Württemberg, siehe dazu meine Analyse: Germany’s Hot New Party Thinks America Is ‘Run by Zionists’, Tablet Magazine, 1. August 2016, http://www.tabletmag.com/jewish-news-and-politics/209243/germanys-hot-new-party (24.09.2017).

[6] „Alle Tünche, die Pegida am Anfang noch trug, war in den sozialen Netzwerken schnell hinfällig. In der scheinbaren Anonymität des WorldWideWeb oder in geschlossenen Facebook-Gruppen, in denen man sich unter sich glaubte, nahmen Mitglieder des Pegida-Orgateams kein Blatt mehr vor den Mund. Verfolgte man Bachmanns inzwischen gelöschten Twitter-Account, der auch in die Zeit vor Pegida zurückreicht, so stieß man auf vulgären Rassismus und Homophobie. Beispielsweise twitterte er am 6. September 2013 über die Grünen: ‚Gehören standrechtlich erschossen diese Öko-Terroristen! … allen voran Claudia Fatima Roth!‘“ (Lucius Teidelbaum (2016): Pegida. Die neue deutschnationale Welle auf der Straße, Münster: Unrast, 31); Die Hannoversche Allgemeine berichtet am 10. September 2017: „Von der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel soll eine E-Mail mit rassistischen Bemerkungen und Demokratie-verachtenden Thesen aufgetaucht sein. Die AfD bestreitet allerdings in Weidels Namen, dass sie die Autorin ist. Die ‚Welt am Sonntag‘ berichtet jedoch, ihr liege eine eidesstattliche Versicherung des Mail-Empfängers, eines früheren Bekannten Weidels, vor. Der Zeitung zufolge heißt es in der E-Mail vom 24. Februar 2013 in Originalschreibweise: ‚Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden.‘ Zudem werde in dem Schreiben die Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) verunglimpft: ‚Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen‘, zitiert das Blatt weiter“, http://www.haz.de/
Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten (11.09.2017). Der Ex-AfDler Holger Arppe aus Mecklenburg-Vorpommern hat Pro-Nazi und zur Gewalt aufrufende Nachrichten verschickt und war jahrelang eng verbunden mit führenden AfDlern. Sein Austritt aus der Partei ist rein taktisch. Der NDR berichtet über ihn: „Arppes Chatverläufe dokumentieren auch, wie nah die AfD in Mecklenburg-Vorpommern offenbar an die rechtsextreme ‚Identitäre Bewegung‘ (IB) herangerückt ist – obwohl es einen Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundespartei gibt. Über Monate hinweg chattete Arppe ausweislich der Protokolle mit Daniel F., einem der führenden Köpfe der IB. F. war früher bei der NPD engagiert. Im Juli 2015 schrieb Arppe: ‚Diesen Revoluzzergeist brauchen wir! Der [Daniel F.] ist ein absolutes Muss für unsere Partei. Seine Vergangenheit interessiert mich einen Scheißdreck.‘ Die Dokumente zeigen auch, dass Arppe die IB darum bittet, als Ordner für eine Demonstration zur Verfügung zu stehen. ‚Daniel, könnten von Euch welche als Ordner fungieren bei unserer Demo am Samstag? Wir brauchen noch ein paar ordentliche Nazis als Freiwillige‘, schrieb Arppe demnach im Oktober 2015. Der IB-Mann sichert daraufhin drei Helfer aus seinen Reihen zu“, https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Rassistische-Chats-Fraktionsvize-verlaesst-AfD,afd1204.html (11.09.2017). Das Handelsblatt vom 9. September 2017 ergänzt diese Analyse des rechtsextremen Netzwerkes, in das Arppe eingebunden ist: „Arppe war, wie andere umstrittene AfD-Politiker auch, schon früher wegen seiner deutschnationalen Gesinnung aufgefallen. Er übte mit Wissen der Bundespartei offen den Schulterschluss mit der ‚Identitären Bewegung‘, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und pflegte Kontakte zum Chefredakteur des rechten Monatsmagazins ‚Compact‘, Jürgen Elsässer. Bei einer entsprechenden Veranstaltung im vergangenen Jahr war das AfD-Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg mit dabei. Arppe nahm auch schon am sogenannten ‚Kyffhäuser-Treffen‘ in Thüringen teil. Veranstalter ist die rechtsnationale AfD-Gruppierung ‚Der Flügel‘ der AfD-Fraktionschefs Björn Höcke (Thüringen) und Poggenburg (Sachsen-Anhalt). Am vergangenen Wochenende kamen nach Polizeiangaben 550 bis 600 Teilnehmer zu der Kundgebung am Kyffhäuserdenkmal. Unter ihnen waren neben AfD-Chef Jörg Meuthen auch Vize-Parteichef Gauland und Pegida-Chef Lutz Bachmann“, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/
bundestagswahl/alle-schlagzeilen/der-fall-arppe-und-die-folgen-staatsrechtler-bringt-afd-beobachtung-ins-spiel/20302334.html (11.09.2017).

[7] http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/heiko-maas-afd-ist-in-teilen-verfassungswidrig-a-1348338?GEPC=s5 (11.09.2017).

[8] https://twitter.com/maria_fiedler/status/911984268355805185 (24.09.2017).

[9] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-im-bundestag-wie-der-rechtsruck-herbei-geredet-wurde-a-1169404.html (24.09.2017).

[10] https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2017/08/auschwitz-am-strand-die-documenta-ueber-den-einsatz-von-zyklon (18.08.2017).

[11] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rechtsruck-in-deutschland-die-geistig-moralische-wende-zum-schlechten-a-1166689.html (11.09.2017).

[12] Eine inoffizielle Liste ehemaliger Nazis, die nach 1945 politisch aktiv waren (wie z.B. als Abgeordnete im Bundestag) findet sich hier: https://de.wikipedia.
org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%
A4tig_waren (21.09.2017).

[13] Bis auf die Einleitung und den Text „Ist doch für einen guten Zweck…“ sind alle Texte dieses Bandes online auf verschiedenen Portalen erschienen und wurden für diese Publikation überarbeitet. Die Datumsangaben am Ende von URLs zeigen das Datum des letzten Abrufs der Seite an.

Solidarität mit Lamya Kaddor – Kampf der „Deutschomanie“

Zuerst erschienen auf Heise.de/Telepolis, am 8.10.2016, hier ein Auszug:

 

Die deutsche Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor hat ein enorm wichtiges, kritisches und mutiges Buch geschrieben – Die Zerreissprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht, Berlin: Rowohlt, Oktober 2016 –, aufgrund dessen sie jetzt Morddrohungen von ganz normalen „besorgten Bürgern“, ergo: rassistischen Deutschen bekommt. Sie hat deshalb vorübergehend ihren Schuldienst als Islamlehrerin bis nächsten Sommer ausgesetzt.

Kaddor sagt: „Wir haben ein Rassismusproblem in Deutschland. Lasst uns endlich öffentlich darüber reden.“ (S. 23) Kaddor wurde in Westfalen geboren. Ihre Eltern sind vor Jahrzehnten aus Syrien eingewandert. Sie ist eine junge, weibliche, muslimische Deutsche und Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

(…)

Lamya Kaddor hat die großen Linien der politischen Kultur und des Rassismus in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren im Blick. Sie kritisiert die Verharmlosung der AfD-Wähler, die in der Tat häufig von „gruppenbezogener Mensschenfeindlichkeit“ (egal ob man diesen Begriff nun für sinnvoll hält oder eher nicht) geprägt seien. Ja, viel mehr noch, wie Hermann L. Gremliza schreibt („Wir sind ein völkisch Volk“):

„Keiner – bis auf ein paar Freaks und mich, Leute, die allen stolzen Deutschen als bösartig oder verrückt gelten – nennt die AfD, ihre Wähler oder die Pegida, was klingt wie Napola, Nazis.“ (Konkret 10/16, S. 9)

(…)

Kaddor zitiert zwei Textpassagen heran, die beide den Publizisten Henryk M. Broder aufgrund dessen ‚Islamkritik‘ positiv rezipieren und promoten. Beide Zitate sind ganz ähnlich positiv. Das eine jedoch kommt von der (angeblich) antideutschen Postille „Bahamas“, das andere von der NPD Chemnitz. (S. 102) Das ist die neue „Querfront“

Auch wenn Kaddor das nicht zu ahnen vermag: selbst antideutsche Kritiker*innen werden an ihrer Seite stehen gegen die AfD, Broder, Tichy, Pegida und all die neu-rechten, rechtsextremen („rechtspopulistischen“ und von „besorgten Bürgern“ betriebenen) und neonazistischen Netzwerke, die schon einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn sie von weitem die Antifa sehen oder die politische Elite des Landes, die sich jeweils ja gar nicht mögen. Aber der Feind steht rechts und das hat auch ein Norbert Lammert erkannt, auch wenn sein Tonfall immer noch ruhig ist, der Lage nicht unbedingt angemessen.

Wie schreibt Gremliza in seinem Suhrkamp-Band:

„Die Lage des Kritikers korrespondiert mit der Lage der Menschheit vorzüglich. Beide sind hoffnungslos.“ (S. 7)

 

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

 

Der Autor, Clemens Heni (Jg. 1970), hat neben einer Grundausbildung im „Antifaschismus-Komitee Tübingen/Reutlingen“ von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre universitäre Abschlüsse in Empirischer Kulturwissenschaft (B.A.) und Politikwissenschaft (B.A., Diplom) erlangt, 2006 in Innsbruck mit einer Arbeit über die Kritik an der „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“ promoviert (Dr. phil, bei Prof. Anton Pelinka), war sodann Post-Doc an der Yale University in USA und gründete 2011 das Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) wie auch den Verlag Edition Critic. Er ist Autor von fünf Büchern und vielen Artikeln in Deutsch und Englisch zu Rechtsextremismus, Neuer Rechter, Antisemitismus, politischer Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Holocaust, Kritischer Theorie, Israel und Islamismus.

 

 

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