The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Neue Rechte

Diffamierung der Kritik der Coronapolitik, Angriff auf den Obersten Gerichtshof: Zwei Amerikanische Juden und die extreme Rechte in Israel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Verleger, Edition Critic

 

Im September 2020 wollte der damalige Minister für Öffentliche Sicherheit im Kabinett V von Benjamin Netanyahu, Amir Ohana, sich von einem juristischen Experten Rat geben lassen, wie man die Demonstrationen gegen die antidemokratische, medizinisch irrationale und gesundheitsgefährdende Coronapolitik der israelischen Regierung eindämmen könnte. Doch der damalige Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hatte das schon zuvor ausgeschlossen, Israel sei eine Demokratie und Demonstrationen müssten erlaubt bleiben, egal ob ein Virus herumhüpft oder nicht.

Im Dezember 2022 wurde Amir Ohana der erste offen bekennende schwule Parlamentspräsident in Israel. Doch er hat ein problematisches Verhältnis zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit und er hat den weiblichen Körper in frauenverachtender Manier als bloßes menschliches Reagenzglas benutzt und mit seinem Partner zwei Kinder aus Leihmutterschaft herstellen lassen.

Jedenfalls hatte Ohana im September 2020 einen Experten mitgebracht, der auf dem Flur wartete, er wollte ihn an der Sitzung des „Corona“-Kabinetts teilnehmen lassen als juristischer Berater. Doch Mandelblit verweigerte das. So blieb der Experte draußen auf dem Flur stehen und ging nach Hause. Wer ist dieser Experte? Es handelt sich um den Juristen Aviad Bakshi. Darauf weist ein Text des Journalisten Nettanel Slyomovics vom 11. März 2021 in Haaretz hin.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Bakshi erlangt seit Januar 2023 massive öffentliche Aufmerksamkeit im Zuge der Massenproteste gegen die geplante Justizreform in Israel. Dabei sind auch gestern wieder am fünften Wochenende nacheinander 60.000 Demonstrant*innen in Tel Aviv auf die Straße gegangen – in einem Land mit neun Millionen Einwohner*innen, das entspräche einer Mega-Demo in Deutschland mit 540.000 Leuten in Berlin oder Hamburg. Es waren sogar schon 100.000 Demonstrant*innen in Tel Aviv in Zuge dieser monatelangen Massenproteste auf der Straße, dazu auch in anderen Städten wie in Haifa oder Jerusalem.

Ein Kernpunkt dabei ist die geplante Klausel, die es dem Parlament erlaubt, Urteile des Obersten Gerichtshofs zu überstimmen. Das wäre das Ende der Gewaltenteilung. Es gäbe keine Instanz, die Menschen- und Grundrechte mehr schützen könnte. Israel hat keine Verfassung und nur eine Kammer, die Knesset, keinen Bundesrat oder Senat/Repräsentantenhaus und Regierung wie in den USA. Seit vielen Jahren ist der extremen Rechten der Oberste Gerichtshof ein Dorn im Auge.

Der Gesetzesentwurf wurde jedoch nicht vom Justizminister Yariv Levin verfasst, sondern von einer Nichtregierungsorganisation (NGO) mit dem Namen Kohelet Policy Forum. Aviad Bakshi ist der Verfasser dieses Plans, das Oberste Gericht seiner Unabhängigkeit zu berauben.

Das für mich auch persönlich Schockierende ist nun Folgendes: Ich habe Aviad Bakshi, mit dem ich nie Kontakt hatte, in dem Band „Der israelische Nationalstaat“, herausgegeben von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern, im Jahr 2017 mit einem Kollegen übersetzt und im Verlag Edition Critic publiziert. In den biographischen Angaben zu den Autor*innen erwähnte ich sogar:

Aviad Bakshi ist Direktor der Rechtsabteilung am Kohelet Politik Forum sowie Dozent am Ono Academic College und an der Bar-Ilan Universität. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Einwanderungsrecht, Sprachenrechte, kulturelle und nationale Rechte sowie Gewaltenteilung.

Vor dem Hintergrund, dass Bakshi jetzt mit dem Kohelet Politik Forum die Gewaltenteilung de facto aushebeln möchte, bekommt das einen dramatischen Drive. Ich hatte in meiner Editorischen Vorbemerkung zu dem Band meine Kritik an der Neuen Rechten betont, aber selbst vollkommen übersehen, dass mit Bakshi ein solcher neu-rechter Agitator mit dabei ist. Ich schrieb im Januar 2017:

Die vorliegende Übersetzung des von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern edierten Bandes Der israelische Nationalstaat ist eine vehemente, differenzierte, wissenschaftliche Grundlegung des Zionismus und des jüdischen und demokratischen Staates Israel. Die sechzehn Autorinnen und Autoren sind alle Israelis und bieten einem deutschsprachigen Publikum Originaleinblicke in derzeitige Debatten in Israel und über Israel. Im Unterschied zu vielen Pub­li­kat­ionen in deutscher Sprache zu Israel ist dieser Band wirklich an dem interessiert, was in Israel passiert, wie sich der Zionismus entwickelt hat, welche Gegenkräfte es gab und gibt, und wie die Zukunft des jüdischen Staates aussehen könnte. Namentlich der philosophische Beitrag von Shira Wolosky in Kapitel 4 über Levinas und Habermas, das philosophische Hauptstück dieses Buch­es, könnte eine breite Debatte über Universalismus und Partikularismus anstoßen. Wolosky stellt Emmanuel Levinas‘ Verteidigung des Partikularismus in den Kontext seiner frühzeitigen Kritik an Heidegger (einem sein­er Lehrer), dem deutschen Nationalsozialismus, Hitlers sowie – das ist das Frappierende – am Universalismus.

Damit spannt Levinas einen Bogen von Plato über Heidegger hin zu Habermas, die jeweils viel näher zum nazistischen Willen des Einebnens und Auslöschens von Differenz stünden, als das antifaschistische Selbsteinschätzungen – wie bei Habermas – vermuten ließen. Selbst viele sich eher als pro-israelisch betrachtenden Philosoph*innen, Forscher*innen oder Aktivist*innen haben sich hierzulande kaum mit den Schattenseiten gerade des Universalismus beschäftigt.

Das hat insofern allerdings in der Tat einen Grund, als Antikosmopolitismus und Antiuniversalismus Urständ feiern und der Rechtsextremismus und die Neue Rechte in ganz Europa und den USA eine sehr große Gefahr darstellen, was wiederum auch nicht unerhebliche Teile der „Israelsolidarität“ betrifft, die diese Gefahr nicht nur nicht sieht, sondern zuweilen ein aktiver Teil dieser rechten Szene (geworden) ist. Wahrlich dialektisch zu denken hieße wohl, den Partikularismus und dezidierten – mit Levinas argumentierenden, antifaschistischen und zionistischen – Antiuniversalismus des jüdischen Staates zu erkennen und zu verteidigen, aber gleichzeitig die anti­universalistische, anti­kosmopolitische, reaktionäre, nationalistische Rech­te und Linke wie den Mainstream in Deutschland und weiten Teilen Euro­pas, Amerikas und Russlands zu attackieren, und das massiv.

Mit einem US-Präsidenten Trump als „Freund“ – manche „Marxisten“ sehen in ihm gar Hegels „List der Vernunft“, manche Juden und gewisse Israelis (wie der israelische Innenminister Arye Dery) die Ankunft des „Messias“ und eine große amerikanisch-jüdische NGO (das Simon Wiesenthal Center, repräsentiert durch seinen Gründer und Vorsitzenden Rabbi Marvin Hier) betete für Trump auf dessen Inauguration – und der beschriebenen Gefahr der Einstaatenlösung braucht Israel seriöse, liberale, linke und demokratische Stimmen. Für die israelische Soziologin Eva Illouz, die sich an Sigmund Freuds Analyse des Unheimlichen anlehnt, indiziert die positive Reaktion auf Trump ein „Erdbeben“ in der „jüdischen Welt“.[1] Hatten Juden bislang gegen Antisemitismus und für Menschenrechte gekämpft, so stehen sie nun, so Illouz, angesichts von Trump in nicht geringen Teilen Seite an Seite mit antisemitischen Positionen und einer Unzahl weiterer auch für die Demokratie und die Menschenrechte (für alle Bewohner*innen) in Israel gefährlichen Gruppen, Personen und Tendenzen.

Das Kohelet Policy Forum wurde 2012 vom Mathematiker und Computerexperten Moshe Koppel gegründet. Koppel ist Professor für Computerwissenschaften an der Bar-Ilan Universität. Koppel stammt aus New York City und machte 1980 Aliyah und ging nach Israel.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Zu den Hauptsponsoren des Kohelet Policy Forums gehören die beiden Multimilliardäre Jeff Yass und Arthur Dantchik. 1987 haben sie mit vier Studienfreunden vom Binghampton College in upstate New York die Firma Susquehanna International Group gegründet. Sie spielten Karten, vor allem Poker, und merken in Las Vegas, dass man damit auch an der Wall Street Geld, richtig viel Geld machen kann.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Das Vermögen Susquehanna International Group wird von Forbes auf ca. 80 Milliarden US-$ geschätzt wird, die Anlagen, die sie verwalten, hatten 2018 einen Wert von 1,5 Billionen US-$. Der Börsencrash vom Oktober 1987 war wundervoll für die Firma, sie prosperierten und hatten 1988 bereits ein Vermögen von 30 Millionen US-Dollar. Entgegen Trump haben Yass und Dantchik keine Profilsucht, sie agieren im Hintergrund. Yass wird am 5. Februar 2023 auf Platz 38 der reichsten Menschen geführt, mit einem Vermögen von 38 Milliarden US-Dollar.

Zuletzt kamen Yass und Dantchik in die Schlagzeilen, unter anderem wegen ihrer Unterstützung von rechtslibertären Politikern in den USA, wie Haaretz berichtet:

Susquehanna International Group was based in Bala Cynwyd, an affluent suburb of Philadelphia. The choice to locate far from Wall Street exemplified their powerful desire for secrecy. “Stealthy and mysterious” is how Philadelphia magazine described the firm. Indeed, very little has been written about the pair of partners, who make a point of avoiding the limelight. As it happens, however, during the past two months, they found themselves in the headlines. Twice. In one case it was in a flattering business connection, relating to the immense profit they made from a small investment a decade earlier. The millions they gave a Chinese entrepreneur to invent the TikTok app are now worth $15 billion.

Neither Yass nor Dantchik are household names in Israel, or in the U.S., for that matter – and not by chance. The two billionaires are strictly low-profile, even though they are among the biggest donors to the Republican Party, notably its Trumpian wing.

The second occasion was less favorable. It occurred in the wake of the attempted coup at the Capitol on January 6. The riots sparked criticism of Donald Trump’s loyalists in Congress, particularly Senators Ted Cruz and Josh Hawley. Afterward, the criticism was extended to Trumpist donors, especially Yass, who is ranked sixth on the list compiled by Opensecrets.org of the major donors to all Republican candidates in 2020. Four years earlier he was the biggest donor to the libertarian candidate for president of the United States, Gary Johnson – Trump wasn’t enough of a libertarian for him.

Diese amerikanisch-jüdischen und israelischen Kreise sind politisch extrem rechts. Sie haben wie das Kohelet Policy Forum das umstrittene Nationalstaatsgesetz in Israel von 2018 mit formuliert, sind verbunden mit dem Tikvah Fund aus den USA, der wiederum im rechten und antisemitischen ungarischen Präsidenten Victor Orbán einen großen Anhänger hat, wie ein Treffen mit dem Vertreter des Tikvah Funds aus Israel mit Orbán zeigt, worauf Dr. Debra Shushan auf JStreet hinweist:

Screenshot, https://twitter.com/PM_ViktorOrban/status/1616091547371438080 (05.022023)

Shushan geht auf die Pro-Siedlungs Politik des Kohelet Forums und seiner Verbündeten wie dem Shilot Forum ein, das entgegen dem ursprünglichen Zionismus von 1948 und dem Völkerrecht beweisen möchte, dass Siedlungen auf palästinensischem Gebiet wie dem Westjordanland legal und legitim seien.

Screenshot, https://jstreet.org/shushan-street-meet-the-israeli-organization-behind-the-legislation-to-subvert-israeli-democracy-and-the-american-billionaires-that-fund-it/ (05.02.2023)

Darüber hinaus basiert das Kohelet Forum auf der Extremform des neoliberalen Kapitalismus. Staatliche Eingriffe, abgesehen von Behinderungen von Demonstrationen zum Beispiel!, sind Tabu, selbst systemimmanente Zuckerstückchen wie wohlfahrtsstaatliche Regulierungen werden abgelehnt. Der „freie“ Mark soll bestimmen, also survival of the fittest. Friss den Kapitalismus oder stirb.

Da werden sich die Gründerinnen und Gründer des jüdischen und demokratischen Staates von 1948, die häufig Sozialisten waren, im Grabe umdrehen.

Ein Text in Haaretz von Anshel Pfeffer vom 3. Februar 2023 sieht die dramatische Bedeutung von Yass und Dantchik und meint, dass die beiden als einflussreichste Juden Amerikas in die Geschichte eingehen könnten, wenn diese Reform des Justizsystems, das einer Zerstörung der Gewaltenteilung gleichkommt, durchgeht.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2023-02-03/ty-article/.premium/can-u-s-liberal-jews-change-israeli-politics-right-wing-jews-know-the-answer/00000186-124b-d559-adee-527b79000000 (05.02.2023)

Dabei hat Pfeffer die lange Vorarbeit der Neuen Rechten im Blick:

The plans of the Netanyahu government to drastically weaken the Supreme Court and effectively obliterate judicial oversight were authored by the Kohelet Policy Forum. This conservative think tank was founded by the American-born Moshe Koppel and heavily funded by American-Jewish libertarian billionaires Jeff Yass and Arthur Dantchik.

Kohelet didn’t invent the campaign against the Israeli legal system. Right-wing and religious politicians have been railing against the courts for decades. But it was Kohelet’s ruthlessly effective lobbying, the detailed blueprints for the court’s evisceration that they prepared and the placing of their people in strategic locations in Israel’s political structure that laid the groundwork for the lightning assault on Israeli democracy we have been seeing since the new government came to power five weeks ago.

Die immer noch konservative Jerusalem Post hat sich gegen die Kritik am Kohelet Forum verwahrt und dem Senior Fellow beim Kohelet Policy Forum David Weinberg Platz für seine Apologie gegeben, ohne einen einzigen Kritikpunkt an der extrem rechten und turbokapitalistischen, den Zionismus beschädigenden Pro-Siedler, Anti-Gewaltenteilung-Ideologie von Kohelet zu entkräften.

In einem Video zeigt Kohelet sein Unverständnis einer unabhängigen Gerichtsbarkeit. Beispielhaft regen sich die Macher*innen darüber auf, dass der Oberste Gerichtshof gegen Off-Shore Anlagen zur Gasgewinnung, gegen Ausnahmeregelungen der ultraorthodoxen Gemeinschaft vom Militärdienst, zuungunsten des freien Marktes oder allgemeiner gegen religiösen Extremismus geurteilt habe.

Schließlich habe ich in dem Buch „Der israelische Nationalstaat“ auch einen Beitrag von Gadi Taub publiziert, Taub ist ebenso (mittlerweile) ein extrem rechter Akteur.

Screenshot, https://www.972mag.com/new-right-jerusalem-conservative-conference/ (05.02.2023)

Das Magazin 972 berichtet:

I wrote several stories for Haaretz Magazine back when Golden was its editor; he was always kind to me, as was Taub when we ran into each other at a cafe after I wrote a piece attacking him. Nowadays, their paranoid style makes me uneasy. The two belong to a small yet influential group of high-profile “former leftists,” which includes Haaretz’s literary editor, Benny Ziffer, who has become an avid Netanyahu supporter, author Irit Linur, who hosts a popular talk radio show on IDF Radio (and is also a speaker at the conference), and the libertarian attorney Ari Shamay. (…)

Taken together, they introduce a certain sense of hipness, something strictly Tel Avivian, which separates the new right and the old one. And like their American counterparts, the use of irony and the shattering of liberal taboos are their main rhetorical tools. When Taub hosted Linur on his podcast, she opened by telling their audience she is speaking from her kitchen, “because this is where women belong,” a half-serious slight at the way so-called “woke” Israeli liberals see Linur. Taub, for his part, described how much he enjoyed the backlash to one of his tweets, which stated “You can’t solve the Palestinian problem because the Palestinians are the problem.”

But now, speaking before hundreds at the conference, Taub casts aside the irony and speaks directly: “The struggle now is not over the future of Judea and Samaria [the Israeli term for the occupied West Bank], but rather between nationalism and a global, post-national liberal elite that wants us governed by international treaties,” Taub tells the audience. “Being a conservative is being nationalist.”

In der rechten, kostenlosen, aber am meisten gelesenen Boulevard-Tageszeitung Israel Hayom wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, was die Neue Rechte so extrem nervt – die Gleichheit der Menschen und damit Minderheitenrechte:

The defenders of the court ignore this 800-pound gorilla in the room: In the name of a passionate defense of minority rights, the court has abrogated its responsibility to the will of the majority.

Das liest sich wie ein Pamphlet der AfD oder von Trump.

Das ist der Hintergrund, vor dem die ach-so-pro-israelische Szene in Deutschland und den USA beleuchtet werden muss.

Es ist mir persönlich äußerst unangenehm, Leute wie Bakshi und Taub vor gerade mal sechs Jahren in diesem Sammelband von Oz-Salzberger und Stern übersetzt und publiziert zu haben, auch wenn ich mich schon 2017 klar und scharf gegen alle Rechten in Israel, den USA und gegen Netanyahu gewandt habe.

Screenshot, https://www.jpost.com/opinion/an-army-of-nine-million-644213 (05.02.2023)

Wer sich hinter die Konservativen, Neuen Rechten, Religiösen und Rechtsextremen stellt, stellt sich gegen den Zionismus, der ein vielfältiges und demokratisches Israel meinte, von Anbeginn. Wer das nicht will, ist kein Zionist, sondern ein ethnischer Rassist und Nationalist.

Seit 1948 galt es, gleiche Rechte für alle Menschen im Staat Israel zu gewährleisten. So hatte ich auch den Duktus von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern interpretiert. Stern jedoch hatte während der Coronapandemie sein autoritäres Gesicht gezeigt und die Israelis dazu aufgefordert, Bürger*innen, die sich nicht an die Maßnahmen halten würden, öffentlich an den Pranger zu stellen und zu beschämen. In einem publizistischen Tobsuchtsanfall lallte Stern in der Jerusalem Post – anders kann man das nicht bezeichnen – von einer „Armee von neun Millionen, um Corona zu bekämpfen“. Ich habe das in der Times of Israel (Blogs) scharf kritisiert.

Screenshot, https://blogs.timesofisrael.com/hope-is-in-the-air-the-israeli-common-sense-model-for-corona-in-context/ (05.02.2023)

Ironischerweise kann er sich da mit Aviad Bakshi ideologisch treffen, der ja wie eingangs zitiert, auch Wege suchte, um demokratischen Protest gegen die irrationale und wissenschaftsfreie Coronapolitik von Netanyahu im Herbst 2020 zu unterbinden. Jetzt spricht sich Stern vorsichtig gegen die Justizreform aus, aber sein Wutausbruch 2020 gegen die demokratische Kritik an der Coronapolitik mag viel eher eine Nähe zu Bakshi indizieren, als ihm lieb ist. Stern ist mittlerweile Präsident des Jewish People Policy Institute, heute, am Sonntag, den 5. Februar 2023 startet das Jewish People’s Institute eine Kampagne für einen Kompriss, für Dialog und gegen einen – tatsächlich sehen sie diese Gefahr! – „Bürgerkrieg“ („The Jewish People Policy Institute (JPPI) will launch a large campaign on Sunday calling for Israel’s leaders to reach a compromise on the government’s planned judicial reform under the slogan „No to coercion and violence, yes to dialogue,“ the Jerusalem Post learned on Thursday“).

Screenshot, https://www.jpost.com/israel-news/article-730429 (05.02.2023)

Eine zionistische Politik unterstützt die evidenzbasierte Medizin, wendet sich gegen die aggressive und antidemokratische Coronapolitik der Jahre 2020 und 2021, gegen das Verkaufen der Gesundheitsdaten der ganzen geimpften Bevölkerung an Pfizer/BioNTech und gegen die geplante Zerstörung der Gewaltenteilung in Israel.

Doch die Neue Rechte hat mit dem Kohelet Policy Forum ein enorm einflussreiches Instrument, um die Politik in Israel mitzubestimmen. Finanziert von extrem rechten Amerikanern, die de facto somit dem Zionismus schaden wie wenige amerikanische Juden in den letzten Jahrzehnten.

Ben-Gvir war jahrzehntelang ein Anhänger des jüdischen Rechtsterroristen und Rassisten Meir Kahane. Ben-Gvir ist wie Smotrich oder Moaz religiös-reaktionär, homophob und aggressiv.

Screemsjpt. https://www.bbc.com/news/world-middle-east-63780509 (05.02.2023)

Ben-Gvir möchte mit Besuchen auf dem Tempelberg provozieren, egal wie absurd es ist, dass Muslime durchdrehen, wenn dort ein Nicht-Muslim betet. Religion macht Menschen sehr schnell fanatisch, nicht nur Muslime, auch wenn suicide bombing eine besonders krasse und mörderische islamistische Spezialität ist.

Smotrich hat gar kein Problem damit, als Faschist bezeichnet zu werden, da es seinen rechtsextremen Wählern egal sei, sie teilen seine Position.

Screenshot, https://www.timesofisrael.com/smotrich-my-voters-dont-care-im-a-homophobic-fascist-but-my-word-is-my-word/ (05.02.2023)

Wie Meirav Arlosoroff in Haaretz zeigt, ist ein Papier des Kohelet Forums absurd, das beweisen möchte, dass Israel eine völlige Ausnahme ist im Kreise der entwickelten kapitalistischen OECD-Länder, was die Auswahl der höchsten Richter betrifft. Doch de facto, so Arlosoroff, werden in 24 von 36 untersuchten Ländern die höchsten Richterposten sehr wohl von der Judikative selbst vorgeschlagen, auch wenn im Entscheidungsprozess in 31 von 36 Ländern die Parlamente beteiligt sind, nur in Israel nicht. Wobei man sich darüber klar sein muss, dass gerade das Involviertsein der Parlamente eine extreme Abhängigkeit der Richter*innen bedeuten kann. Wer würde ernsthaft die völlige Unabhängigkeit von Merkel und der CDU von Seiten des aktuellen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe und ehemaligen Buddies von Merkel in der CDU-Bundestagsfraktion angesichts der katastrophalen Rechtsprechung zur Coronapolitik behaupten?

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2023-01-22/ty-article/.premium/israels-most-influential-right-wing-think-tank-puts-agenda-over-data/00000185-d8d1-d3a8-a3cf-dff15c3f0000 (05.02.2023)

Ein sehr wichtiger Aspekt ist, dass Israel keine Verfassung hat – auch wenn sie, wie angedeutet, in Deutschland („Grundgesetz“) in Zeiten der größten Verfassungskrise seit 1949 auch nicht wirklich was bedeutete. Doch in der Argumentation gegen das Kohelet Papier von Vertretern des Israel Democracy Institutes, das früher wegweisend war, bis Kohelet die rechte politische Kultur in Israel pushte und heute maßgeblich die Politik beeinflusst, wenn nicht mitentscheidet, heißt es, so Arlosoroff:

Prof. Amichai Cohen, Dr. Guy Luria and Dr. Nadiv Mordechai from the Israeli Democracy Institute devoted an entire analysis of the Kohelet Forum’s study. They ask how it is possible to conduct an international comparison of the judicial selection process, and focus only on the question of whether the public’s elected representatives do the selecting, while ignoring the contexts surrounding the comparison. Thus, for example, the fact that the absolute majority of OECD countries have a constitution and a declaration of human rights which the elected officials have almost no ability to harm.

Letztlich fordern die Publizisten Yossi Klein Halevi, Matti Friedman und Daniel Goris in einem offenen Brief die Freundinnen und Freunde Israels in der jüdischen Community in den USA auf, sich lautstark gegen die geplante Justizreform in Israel zu wenden. Sie betonen, dass sie auch weiterhin mit aller Kraft Israel gegen Verleumdungen und Hetze in Schutz nehmen werden, womit sie sicherlich unter anderem die BDS-Bewegung meinen. Doch hier und heute sind sie vor allem in großer Sorge um Israel:

Screenshot, https://www.timesofisrael.com/an-open-letter-to-israels-friends-in-north-america/ (05.02.2023)

Today, though, protecting Israel also means defending it from a political leadership that is undermining our society’s cohesion and its democratic ethos, the foundations of the Israeli success story.

Man sieht allerdings auch hier einen offenbar in Israel inflationär einsetzbaren Begriff von Krieg, dabei ist Israel ja an tatsächlichen militärischen Kriegen nicht gerade arm. Doch es ist klar, was sie meinen:

We and our families, along with many tens of thousands of other Israelis, are in the streets every week demanding the government end its war against our democratic values and institutions. We need your voice to help us preserve Israel as a state both Jewish and democratic.

Wer also Israel verteidigen will, muss die aktuelle Regierung mit aller Kraft bekämpfen. Wer schweigt, stimmt zu.

Dabei ist Israel nur ein Puzzleteil im weltweiten neu-rechten Angriff auf Vielfalt, Kapitalismuskritik, Nationalismuskritik, Antifaschismus, auf Demokratie, Feminismus, soziale Gerechtigkeit, Gesellschaftskritik allgemein, LGBTQ+ und vieles mehr. Die Mischung aus neoliberalem Hedgefonds-Kapitalismus, Biopolitik wie zu Coronazeiten und in Zukunft im digitalen Überwachungskapitalismus, Autoritarismus und die Liebe zu autokratischem Herrschen, der Kampf gegen Gewaltenteilung ist weltweit ein riesiges Problem, Israel ist dabei nicht alleine.

Wer den Zionismus und Israel liebt, kämpft gegen die Besatzung des Westjordanlandes und gegen die Rassisten in der aktuellen israelischen Regierung wie ihre Wählerschaft. Das tun die Hunderttausenden, die seit Wochen auf die Straße gehen. Viele linke Zionistinnen und Zionisten, aber auch konservative sind darunter.

Wer den Zionismus und Israel liebt, kämpft gegen Netanyahu und seine rechtsextreme Regierung, die größte Gefahr, der sich Israel von innen heraus seit 1948 gegenübersieht.

 

 

[1] Eva Illouz, „An Earthquake in the Jewish World“, Haaretz, 01. Januar 2017.

Coronavirus 19 und Kulturlosigkeit – Von Damian Mosthaf bis heute: „Mir brauchet koi Kunscht, mir brauchet Grombiera*“

Von Dr. phil. Clemens Heni, 3. April 2020

Die Corona-Massenhysterie nimmt kein Ende, die Leute fanatisieren sich selbst und laufen zunehmend mit Masken zum Einkaufen, obwohl sie es die letzten acht Wochen auch nicht getan haben und nicht gestorben, ja nicht mal krank geworden sind. Es zeigt sich, wieviel Rechtextremismus doch im staatlichen Apparat immer steckte, auch bei den Gewerkschaften wie bei der „Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP)“, die jetzt fordert, Parks zuzusperren – entgegen der Tatsache, dass der Berliner Senat betont, wie verantwortungsbewusst die Leute derzeit in der Öffentlichkeit agieren, testen diese Polizisten, wieviel „Selbstermächtigung“ der Polizei, wieviel Polizeistaat und autoritäres Einsperren die Menschen ertragen, wie die taz schreibt:

Das Coronavirus hat längst auch gemäßigte Sicherheitspolitiker infiziert. Sie werfen mit kompromisslosen Forderungen um sich, und erschreckenderweise werden diese auch von vielen sonst (oder muss man sagen: früher?) liberal eingestellten Menschen für gut befunden. Bürgerrechte stehen in diesen Tagen hintenan. Hoffentlich wird irgendwann diskutiert, welchen Schaden sie in der Coronakrise genommen haben.

Der deutsche Staat zeigt ein weiteres Mal, dass er eine Einrichtung ist, die auf Befehl und Gehorsam basiert und nicht auf einer gegenseitigen demokratischen Versicherung von Gesellschaft einerseits und Staat andererseits. Anarchistische Kritik wusste das seit jeher. Dabei würde es ohne die Bürger*innen den Staat nicht geben. Wir, die Menschen, könnten auf den Staat verzichten. Der Staat kann auf uns nicht verzichten. Allerdings machen sehr viele Deutsche gerne mit beim Faschismus-Spielen, bei der Freude am Aussperren und Denunzieren, am Quälen.

„Hallo Polizei, hier sitzt eine ca. 84jährige Frau völlig entspannt auf einer Parkbank, ganz alleine, bringen Sie diese Person weg!“

Die Regierung ist beliebt, Kritiker*innen werden diffamiert.

Jetzt wird der Staat einfach so 150 Milliarden Euro ausgeben für Hilfsprogramme, was viele Jahrzehnte nicht ansatzweise denkbar war für Programme für ein kostenloses Gesundheitssystem, weniger Subventionen für die umweltzerstörende Landwirtschaft und viele andere Bereiche, dafür mehr Klimaschutz etc. Dabei wissen alle, dass durch die Klimakrise hierzulande und weltweit viel mehr Menschen sterben werden als durch dieses Virus.

Ein Blick nach Schweden wäre äußerst interessant, da es dort offenkundig ohne den großen Shutdown auch geht und die Menschen in viel engerem Kontakt zu staatlicher Autorität stehen, da beide wissen, dass sie sich gegenseitig brauchen.

Sehr interessant wäre eine öffentliche Diskussion über Alter, Tod und Pflege, eine Diskussion die über Jahrzehnte gezielt nicht geführt wurde. Die Vorsitzende des Vereins Pflegeethik Initiative Deutschland e.V., Adelheid von Stösser, die seit den 1970er Jahren in der Pflege gearbeitet hat, schreibt in einem Text („Eine Welt im Corona-Wahn“):

Ich habe hunderte von Menschen sterben sehen und dabei auch die Umstände und Ursachen mitbekommen,  an denen sie verstorben sind.  Zu 90 Prozent waren es Menschen über 80 Jahre,  mit einem Krankheitsverlauf der früher oder später  tödlich endet.  Für viele war das Sterben eine Erlösung. Lungenentzündung (Pneumonie) war dabei eine sehr häufige Todesursache.  Darum wurden wir bereits in der Ausbildung auf Pneumonieprophylaxe getrimmt. Wenn  es trotz medizinischer und pflegerischer Bemühungen zu einer schweren Lungenentzündung kam, die mit Antibiotika nicht mehr behoben werden konnte,  wurde dies als Zeichen des nahenden Todes verstanden.  Diese Sterbenden wurden dann nur noch palliativ behandelt. Sie kamen nicht wie heute üblich noch auf Intensivstationen und wurden nicht an Beatmungsgeräte angeschlossen.  Sie durften gehen.  Ganz einfach und ohne Patientenverfügung.  Nach Augenmaß und mit gesundem Menschenverstand  wurde im kleinen Kreis entschieden, wann die Behandlung eingestellt wird.

Heute findet man eher eine umgekehrte Haltung vor.  Ärzte und Pflegekräfte werden oft erst richtig aktiv, wenn eigentlich nichts mehr zu retten ist.  Von den rund 28.000 Intensivbetten die deutschlandweit zur Verfügung stehen,  dürften die allermeisten  mit  hochbetagten Patienten belegt sein, von denen nur wenige diese Station lebend wieder verlassen. Das dürfte in Italien und in anderen Ländern ähnlich aussehen.  Hier fehlt ein gesundes Verhältnis zum Sterben dürfen, wenn der Körper erschöpft ist, wenn die Reserven aufgebraucht sind, wenn sich das Immunsystem  nicht mehr gegen neue Viren wie Covid-19 wehren kann.

 

Kleine Antifa-Fußnote:

Da leider sehr viele Menschen auf kritische Informationen jenseits des Mainstreams angewiesen wird, wird u.a. die Seite „Rubikon“ häufig geklickt und besucht, doch deren Betreiber Jens Wernicke ist ein bekannter neu-rechter Querfront-Aktivist, der mit den Rechtsextremisten des Antaios-Verlags von Götz Kubitschek kooperiert (Update 17.04.: der Antaois Verlag bewirbt Bücher von Wernicke und die neu-rechte Agitatorin Ellen Kositza hat ein Buch von Wernicke in der neu-rechten Postille Sezession lobend rezensiert). Das sind unsere Feinde, Feinde der pluralen Gesellschaft, die jetzt ausschließlich deshalb die Kritik an der Massenhysterie pushen, weil es gegen Merkel und „das System“ geht. Aus diesem Milieu Wernickes und Rubikons kommen auch antisemitische Verschwörungsmythen bezüglich 9/11 und die Verharmlosung der jihadistischen Gefahr. Deshalb braucht es aufgeklärte, plurale, heterogene, rationale, liberale oder linke Stimmen gegen den herrschenden Wahnsinn.

Es wird von der Bundesregierung unterschieden, was „systemrelevante“ Berufszweige sind und welche völlig unnötig sind für den Alltagsbetrieb einer modernen Industriegesellschaft.

  • Häuser bauen ohne Mindestabstand von 1,5 Metern der Arbeiter – das ist OK und absolut not-wendig.
  • Forschen und die derzeitige Massenhysterie historisch verorten mit Quellen aus allen möglichen Archiven und Bibliotheken – das ist verboten, in ganz Europa.
  • Todkranken Menschen, die ohne (oder mit) Corona im Sterben lagen, einen letzten Besuch abstatten, das ist verboten (bis auf allerengste Angehörige).
  • Gottesdienste – verboten. Ein Wahnsinn, was sich Christen, Juden und Muslime und alle anderen Religionsgemeinschaften derzeit alles gefallen lassen. Als Ungläubiger ist mir das egal, aber es geht hier nicht darum, was ich persönlich denke, sondern was eine plurale Gesellschaft zusammenhält.

 

Folgendes Zitat bezüglich der Zählweise der Toten von Seiten des Robert-Koch-Instituts (RKI) ist sehr aufschlussreich:

So hat in der Zwischenzeit der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) bestätigt, dass testpositive Verstorbene unabhängig von der wirklichen (und kausalen) Todesursache als ‚Corona-Todesfälle‘ gezählt werden (‚Bei uns gilt als Corona-Todesfall jemand, bei dem eine Coronavirus-Infektion nachgewiesen wurde‘). D.h. auch Menschen, die mit Corona (und nicht an Corona) verstorben sind, werden in der Statistik aufgeführt. Hiermit wird nicht nur gegen ein Grundgebot der Infektiologie verstoßen, sondern auch gegen datenethische Grundsätze. Die Daten aus Italien zeigen, dass über 99% der Verstorbenen eine oder mehrere chronische Vorerkrankungen aufwiesen. Daher sollten auch die italienischen Daten kritisch hinterfragt werden und die verfälschten Statistiken nicht als Blaupause für Maßnahmen Anwendung finden.

Es ist zudem wissenschaftlich nicht klar, was der weltweit für die größte Massenpanik seit 1945 sorgende „Test“ auf Coronaviren wirklich testet: nur Viren des Coronavirus 19, oder auch andere Viren? Der Test ist offenbar, wie Virologen betonen, viel zu schnell auf den Markt gekommen und nicht ausreichend wissenschaftlich validiert worden.

Die Politik weiß nicht genau, wie das Coronavirus übertragen wird, aber sie zerstört fast die gesamte Gesellschaft mit Maßnahmen, die antidemokratisch sind.

Die extreme Hilflosigkeit der Politik führte nicht dazu, viele verschiedene Expertinnen und Experten zu Rate zu ziehen, aus der Gesundheitspolitik, der Altenpflege, den Krankenhäusern, der Sozialpsychologie und Suchtberatung, der Politikwissenschaft und Soziologie, nein: es wurde ohne Übertreibung ein einziges Institut als quasi neue Bundesregierung eingesetzt, das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin.

Völlig egal wie brillant und meisterhaft am RKI geforscht wird oder wie stümperhaft und fahrlässig: niemals darf eine Gesellschaft nur einer Stimme, einer Meinung oder Position Folge leisten.

Es muss in einer vielfältigen Gesellschaft immer mehrere Stimmen geben, und bei so einem extrem kontroversen und wissenschaftlich überhaupt gar nicht eindeutigen Fall müssen noch viel mehr unterschiedliche Expert*innen angehört werden und bei den Entscheidungen beteiligt werden.

In der Gesellschaft wächst der Widerstand (jedenfalls bei den kritischen Leuten), weil extrem viele Menschen leiden, weil sie alle ohne jede Plausibilität und ohne jede wissenschaftliche Nachprüfbarkeit in ein riesiges Gefängnis gesteckt werden.

Bauarbeiter dürfen weiter lärmen und Luxusinnenstadtobjekte (aus)bauen – für wen? Für jene prekär beschäftigten Künstler*innen, die monatelang auf Premieren an Theatern, Opern oder Kleinkunstbühnen geprobt haben und dann am Tag vor der Premiere sehen, wie ihr Theater geschlossen wird, ohne jede nachvollziehbare Begründung, aus reiner Willkür, der Machtgeilheit einiger weiß bekittelten Virologen und schon immer auf den Ausnahmezustand hinarbeitenden Politiker*innen?

Diese Extremsituation wird viele Opfer fordern, es werden aller Voraussicht nach viel mehr Menschen wegen des Shutdowns sterben als an Corona 19. Extrem und abrupt ansteigende Arbeitslosigkeit wie in den USA, aber auch in einer nie dagewesenen Größenordnung von 25 Prozent in Israel, wird Menschen töten.

  • Jetzt ist die Zeit des Widerstands und der Vernunft.
  • Schluss mit den Ausgangsbeschränkungen.
  • Es muss wieder Gewerbefreiheit, Bewegungsfreiheit, Religionsfreiheit und Freiheit von Kunst, Bildung und Wissenschaft geben.
  • Wir haben keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass Coronavirus 19 ein „Killervirus“ ist.
  • Wer würde von „Killerinfluenza“ sprechen? Dabei sind in den letzten Jahren durch die Influenza viel mehr Menschen gestorben als an einem Virus wie dem Coronavirus 19.
  • Warum werden die Leichen nicht obduziert, um zu wissen, ob sie an Corona oder an einer anderen Ursache starben, aber dazu mit diesem Virus infiziert waren, der aber nicht ursächlich war für den Tod – oder eben doch ursächlich für den Tod, das könnten doch Obduktionen feststellen?
  • Wieso wird in Tabellen nicht zu allererst angezeigt, wie viele Hunderttausende Menschen auf Covid 19 getestet wurden und dann erst in weiteren Balken dargestellt, wie viele davon positiv getestet wurden, wie viele Symptome zeigten, wie viele leicht erkrankten, schwer erkrankten, intensivmedizinisch behandelt werden mussten und ganz am Ende, wie viele starben?
  • Der bloße Fokus auf die Toten schürt extreme Panik – es muss zudem immer hinzugesagt werden, wie alt ein Toter war und welche Vorerkrankungen die Person hatte (siehe Obduktion).
  • Es muss öffentliche Diskussionen mit all den kritischen Virolog*innen und Epidemiolog*innen geben, die dieses Virus völlig anders einordnen als das RKI und andere Mainstream-Einrichtungen.
  • Es müssen Soziolog*innen, Sozialpsycholog*innen, Politolog*innen und andere, die die gesamte Gesellschaft im Blick haben, zu Rate gezogen werden
  • Schluss mit der Panikmache durch die Massenmedien.

Gewonnen hat schon jetzt der affirmative Wahnsinn der ganz normalen Mitläufer*innen: „Mir brauchet koi Kunscht, mir brauchet Grombiera“, dieser Spruch von 1827** zeigt nicht nur die ach-so-clevere Beschränktheit oder den „Pragmatismus“ vieler Schwaben, er ist jetzt zu dem Motto von Angela Merkel und allen sechzehn Landesregierungen geworden, ja ist die Lingua franca beziehungsweise die Ideologie der Gesundheitsdiktatur Europas und der Welt.

Es gibt viel zu viele Leute, die die Dramatik der jetzigen Situation nicht verstehen und von „Entschleunigung“ gleichsam faseln, das klare Wasser in Venedig bewundern oder den geringeren Stromverbrauch von Hamburg, Berlin, Köln und München. Wieder andere feiern die Absage der antisemitischen Bayreuther Wagner-Festspiele, als wäre das nicht ein wahnwitziges Fanal, jetzt schon Events von August 2020 abzusagen. Bislang sind die großen Rockfestivals ab Anfang Juni noch auf Kurs und sollen stattfinden, das gilt auch für die Bundesliga und alle Kunst- und Theaterveranstaltungen.

Es muss um den konkreten Schutz der wirklich (oder vermutlich) Gefährdeten gehen, um alte Menschen und um deren Pflegepersonal. Um diese Menschen zu schützen können und dürfen nicht alle 82 Millionen Menschen eingesperrt werden, de facto. Das geht nicht, das ist nicht verhältnismäßig und wird das Virus eh nicht aufhalten, wie Virolog*innen betonen. Evtl. sind wir alle schon infiziert, wissen es nur nicht, weil es für 99 Prozent gar nicht spürbar ist. Das ist eine OFFENE wissenschaftliche Frage – aber die Politik tut so, als ob sie es bereits wüsste.

  • Es gibt wissenschaftlich keinen Grund für diesen Lockdown.
  • Warum verursachten 2018 25.000 Grippe-Toten keinerlei Schock oder Panik, 500 Tote bzw. schon wenige Dutzend hingegen lassen das Land 2020 in die größte Massenhysterie verfallen, die diese Republik je sah? Warum? Wie kam es dazu? Das ist eine kommunikations-, medien-, politik- und sozialwissenschaftliche Frage, die alles entscheidend ist.

Sozial betrachtet ist dieser Lockdown für den sensiblen und nachdenkenden Teil der Bevölkerung wie auch für eigentlich affirmative (Klein-)Unternehmer*innen unterschiedlicher Art eine Art Todesstoß. Die einfachen Gemüter genießen womöglich dörfliche oder familiäre Idylle – während im Großstadthochhaus die Frauen geschlagen werden und die Kneipengänger*innen sich allein zu Hause zu Tode saufen.

  • Auch liebenswerte Tiere wie Schweine mögen Kartoffeln.
  • Kunst hingegen ist das einzige, was den Menschen zum Menschen macht.
  • Das Allerletzte worauf wir Menschen verzichten können, ist Kunst und Kultur.

 

* „Grombiera“ ist ein schwäbischer Ausdruck für Kartoffeln.

** „Ein Grund für die Brisanz der Duelle [zwischen dem VFB und den Bayern] mag darin liegen, dass die zwei Vereine die unterschiedlichen Mentalitäten der beiden Landeshauptstädte repräsentieren. Deren Diskrepanz kolportiert eine Anekdote aus dem 19. Jahrhundert. Im Jahre 1827 spottete der Stuttgarter Landtagsabgeordnete Damian Mosthaf: ‚Mir brauchet koi Kunscht, mir brauchet Grombiera.‘ Mosthaf bezog sich auf das Angebot der Brüder Boisserée, zweier bedeutender Kunstsammler, die ihren Bestand an altdeutschen und altniederländischen Tafelgemälden Württembergs König Wilhelm I. verkaufen wollten.

Der Monarch folgte angesichts der wirtschaftlichen Nöte des Landes Mosthafs Rat: Er entschied sich gegen die Sammlung und für die Kartoffeln. So wurden die Werke stattdessen an König Ludwig I. von Bayern verhökert, der sie dem bayerischen Staat schenkte; heute bilden sie den Grundstock der Alten Pinakothek in München.“

 

 

Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus (Rezension zu Norbert Frei u.a.)

Von Dr. phil. Clemens Heni, 13. November 2019

Die ganze Rezension auf dem „Portal für Politikwissenschaft“ lesen.

„Dieser auf Initiative des Verlags entstandene Band von Norbert Frei und seinen Koautor*innen besteht aus acht Kapiteln, von denen jeder Autor und jede Autorin zwei verfasst hat, sowie den beiden gemeinsam geschriebenen einführenden und abschließenden Abschnitten.

(…)

Zentrale Elemente des neuen Nationalismus wie das „Sommermärchen“ von 2006 oder die höchst problematische Rolle der Massenmedien im Umgang mit der AfD wie beispielsweise in Talkshows in ARD und ZDF werden in dem Band nicht touchiert.

Unter dem Strich merkt man dem Buch an, dass Frei vom Ullstein Verlag zweimal gebeten werden musste, es auf den Weg zu bringen. Einzig Tändler hat einige interessante Abschnitte, die auch für die politikwissenschaftliche Forschung zur Neuen Rechten und dem erstarkenden Nationalismus relevant sind. Entgegen den Autor*innen geht es meines Erachtens gerade nicht um die richtige „Dosis“ an „Patriotismus“ ( 216), sondern um eine klare begriffliche und ideologiekritische Analyse und Kritik gerade auch des Begriffs „Patriotismus“ in Deutschland, um dem Nationalismus in die Schranken zu weisen. Die vier Autor*innen wenden sich gegen die „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ (207), wie sie von Björn Höcke und der AfD vertreten wird. Dabei unterstützen sie doch nicht weniger eine solche erinnerungspolitische Wende, wenn sie, wie gezeigt, Rot und Braun analogisieren.“

 

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Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus
Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus
Ullstein Buchverlage
Berlin

Norbert Frei und seine Ko-Autor*innen sehen die Gefahr, dass „Deutschland derzeit von rechts zusammenzuwachsen“ drohe. Viele Positionen von AfD, Pegida und der Neuen Rechten seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen und die liberale Demokratie sei durch eine neue nationalistische Formation bedroht. Mit dem Buch sollen die Kontinuitäten rechten Denkens seit 1945 und dann wieder seit 1989/90 aufgezeigt werden. Es geht dabei jedoch weniger, wie Rezensent Clemens Heni anmerkt, um die heutige Neue Rechte und deren zeithistorische Einordnung, sondern einzelne Kapitel beleuchten die Adenauerzeit, die DDR sowie rassistische Umtriebe in den 1970er und 1990er-Jahren.

 

Was Linke nicht kapieren werden: Nie zeigte sich der Kern der Neuen Rechten so brutal wie am 9. Oktober 2019 – Der antisemitische Anschlag auf die Synagoge und die Juden in Halle

Von Dr. phil. Clemens Heni, 11. Oktober 2019

Der vermutlich schlimmste Anschlag in Deutschland auf Juden seit 1945 in Halle in Sachsen-Anhalt am 9. Oktober 2019 an der dortigen Synagoge zeigt mit unfassbarer Brutalität, deutscher Kälte und minutiös geplantem Vernichtungsdrang den Kern der Neuen Rechten und des Neonazismus: den Antisemitismus.

Von Holocaustleugnung, die der Täter via Livestream seiner Nazi-Fanbasis auf Englisch präsentierte, über Verschwörungsmythen hin zum perfide geplanten Datum, dem höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur, zeigt sich der in diesem Land immer abrufbare Drang zur Tötung von Juden.

Es geht Nazis darum Juden zu töten, alle anderen Opfer sind „nur“ Konsequenz des Judenhasses. Ohne Juden gäbe es keine Migration, keine Holocausterinnerung, keinen Feminismus, keine Klimadiskussion etc. pp.

Innenminister Horst Seehofer ist ein enger Kumpel von Victor Orbán, der exakt diesen Antisemitismus promotet – ein Jude wie George Soros sei für NGOs verantwortlich, die Migranten nach Europa schleusten, damit die „nationale Identität“ Ungarns (oder Bayerns) destabilisiert würde. Natürlich ist jetzt Seehofer sehr betroffen. Hat nix mit nix zu tun.

Dazu kommt wie immer in Deutschland das staatliche Versagen oder Mittun. Seit Jahren fordert die jüdische Gemeinde in Halle Polizeischutz, auch diesmal, explizit an Yom Kippur. Es geschah nichts und man darf eine antijüdische Grundhaltung im Polizeipräsidium sehr wohl annehmen, denn die Kosten für die Abstellung von wenigstens zwei bewaffneten Beamten auch nur an diesem speziellen, wichtigsten jüdischen Tag im Jahr, sind lächerlich.

Die Hilflosigkeit der „TV-Experten“ zeigte sich zum Beispiel auf n-tv, wo mancher Experte fast schon hoffte, dass der Nazi „wahllos“ um sich geschossen habe, es also doch nicht gezielt gegen Juden gegangen sei. Diese Entwirklichung des Antisemitismus kennen wir seit langer Zeit.

Es ist purer Zufall und unglaubliches Glück, dass jene Türe der Synagoge den Schüssen und Molotowcocktails des Nazitäters standhielt, sonst hätte es vermutlich das schrecklichste antisemitische Massaker in Deutschland seit dem Ende des Nationalsozialismus gegeben. Es ist kein Zufall, dass angesichts des Trumpismus das schlimmste antisemitische Massaker in den USA passierte, in Pittsburgh in einer Synagoge. Hierzulande sind die Neuen Rechten große Fans von Trump.

Halle hängt direkt mit der Alternative für Deutschland und deren zur Gewalt und zu Antisemitismus aufhetzender Rhetorik zusammen, von Gaulands „Vogelschiss“, den der Holocaust bedeute, über Goebbels-Höckes Geschrei nach Widerstand hin zu den Gewaltfantasien in den anti-sozialen Netzwerken der Anhänger*innen der AfD, der Identitären Bewegung und anderer Nazis.

Der Angriff auf die Juden in Halle zeigt ganz deutlich: das Ziel der neuen Nazis ist das gleiche wie das ihrer Großväter, die Juden. Wenn sie die jedoch aus zufälligen Gründen oder technischen Problemen nicht als Opfer vor den Gewehrlauf bekommen, dann werden andere Opfergruppen gewählt, Muslime, Migranten, Linke, Feministinnen.

Wir haben es mit Staatsversagen zu tun, mit dem absichtlichen Nicht-Gewähren von Polizeischutz für die Synagoge in Halle an der Saale. Im Heucheln ist Deutschland schon seit langem Weltmeister. In Berlin oder München und Hamburg werden jüdische Einrichtungen doch primär deshalb massiv geschützt, weil es eine PR-Maßnahme ist, es wäre „für das Ausland“ ein erschreckendes Zeichen, wenn wieder Synagogen brennen würden. Wäre es die letzten Jahre tatsächlich um den Schutz aller jüdischen Einrichtungen in diesem Land gegangen, wäre der Anschlag in Halle nicht passiert. Ja, wäre die Polizei wenigstens SOFORT nach dem Notfall-Anruf des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle losgerast, wäre wenigstens der Mord in dem Döner-Restaurant verhindert worden.

Wie die Publizistin Veronika Kracher festhält, ist es absolut unfassbar, dass dieser Nazi, den die Bild-Zeitung natürlich auf die Titelseite brachte und auch (zumal private) TV-Stationen den Mörder minutenlang in Großaufnahme zeigten, fünf Minuten in voller Kampfuniform und mit Waffen vor der Synagoge stand. Das nennt man Staatsversagen. Eine Polizeistreife braucht eine Minute, um an einem solchen Ort in der INNENSTADT einer Großstadt zu sein.

Auch ein roter Notfallbutton ist den Juden verwehrt worden, dabei ist das ein technisches Kinderspiel, alte Leute haben so einen Button etc. pp.

Und dann gibt es das Versagen der Linken bei der Analyse des Antisemitismus. Im Juni 2018 gab es eine Kampagne mit dem Titel „Solidarität statt Heimat“. Es geht gegen Rassismus, Nazis und die Neue Rechte. Das ist sehr richtig. Aber zu Gaulands „Stolz auf deutsche Soldaten in zwei Weltkriegen“, also sekundärem Antisemitismus, kein Wort. Nichte eines. Das Nomen Antisemitismus oder das Adjektiv antisemitisch sucht man vergebens in diesem Manifest „Solidarität statt Heimat“.

Auch vom islamistischen Antisemitismus natürlich kein Wort. Auch jetzt wird kaum jemals erwähnt, dass letzten Freitag, 04. Oktober 2019, ein Syrer in Berlin vor der großen Synagoge in der Oranienburger Straße mit einem Messer bewaffnet, „Fuck Israel“ und „Allahu Akbar“ schreiend, Polizist*innen bedrohte, die dort 24/7 die Synagoge bewachen und den Angreifer mit Pfefferspray unschädlich machten. Ein Richter ließ ihn wieder frei, bis er nach mehreren Tagen dann doch festgenommen wurde.

Die Erklärung „Solidarität statt Hass“ wurde von der Elite in den Sozial- und Geisteswissenschaften unterzeichnet, all jenen, die sich als die „Guten“ vorstellen. Doch sind sie es? Von der mit antisemitischen Invektiven in ihrer Doktorarbeit promovierten Naika Foroutan und dem jüdischen Koscherstempelverteiler für die antisemitische Boykottbewegung BDS Micha Brumlik hin zu dem „Experten“ für Rechtsextremismus Matthias Quent sind fast 17.000 Unterschriften unter diesem erbärmlichen Dokument „Solidarität statt Heimat“ zu finden. Mit keinem Wort wird der Antisemitismus der Neuen Rechten, der AfD oder der Identitären Bewegung auch nur en passant erwähnt. Dabei ist der Antisemitismus der Kern der Neuen Rechten und aller Nazis seit jeher.

Das ergänzt somit den neu-rechten Einsatz von Publizisten wie Henryk M. Broder, der mit AfD-nahen Kolleginnen wie Vera Lengsfeld seit Jahren für ein hetzerisches Klima in diesem Land steht und namentlich Migration, den Islam, den Feminismus und Angela Merkel attackiert. Es gibt auch jüdische Fanatiker wie den Journalisten Eldad Beck, der sich vor wenigen Tagen in der Propagandapostille Israel Hayom fürchterlich aufregte, dass Angela Merkel den Herzl Award des World Jewish Congress erhalten wird.

Dabei hat Angela Merkel mehr für jüdisches Leben in Deutschland geleistet als die meisten Politiker*innen oder die erwähnten Publizisten.

Angela Merkel hat verhindert, dass dieses Land völlig in den Faschismus kippt und der Antisemitismus noch stärker wird. Dass das immer noch viel zu wenig war, völlig richtig. Aber wenn sie nicht mehr Kanzlerin sein wird, dann behüte uns – wer vor dem neuen Faschismus? Gott („Gott ist tot“)? Die Engländer („fuck Brexit“)? Die US Army („fuck Trump“)? Macron? Die Linke?

Juden würden hinter allem Übel stecken. Das ist der Kern des 20. Jahrhunderts, des Nationalsozialismus und der Shoah. Bis heute hat sich der Antisemitismus, der „längste Hass“ seit der Antike (Robert S. Wistrich), gehalten, in unzähligen Varianten.

Antijüdische Hetzparolen wie „Die Juden sind unser Unglück“ (Heinrich von Treitschke, 1879), „Israel ist unser Unglück“ (2019, Partei „Die Rechte“), die „Protokolle der Weisen von Zion“ von 1905 und allen unerdenklichen Verschwörungsmythen, die Juden gleichzeitig hinter dem Kapitalismus und dem Kommunismus sehen, hinter patriarchaler Naturzerstörung und antipatriarchalem antinatalistischem Feminismus, zeigen die unfassbare „Vielfalt“ des Antisemitismus, seine Wandelbarkeit und zur Vernichtung schreiende Dimension. Es ist eine „mörderische Obsession“, wie das Meisterwerk des bedeutendsten Antisemitismusforschers unserer Zeit von 2010 heißt (Robert S. Wistrich, 1945–2015).

Der Anschlag in Halle zeigt den Antisemitismus in ungeschminkter Version, ganz offen und brutal. Nur durch Glück gab es kein Massaker in der Synagoge, die Polizei hätte es geschehen lassen – und zwar absichtlich, das ist der Skandal, der alles über die (ost-)deutschen Zustände sagt. Jetzt wird es Polizeischutz geben, weil jetzt nicht mal mehr das Polizeipräsidium in Halle behaupten kann, die Synagoge in Halle sein nicht akut gefährdet und jüdisches Leben sicher.

Die Lehre aus Halle lautet:

1) Der Kern der Neuen Rechten und des alten und neuen Nazismus ist der Antisemitismus.

2) Auf den deutschen Staat können sich Juden nicht verlassen.

3) Die TV-Anstalten werden weiterhin die neuen Nazis in die Studios einladen und den Neonazismus schön reden.

4) Die Linken werden so tun, als ob sie das alles hätten kommen sehen, dabei war es gerade die Linke, die den Antisemitismus als Phänomen sui generis verleugnet und exemplarisch zeigt, dass sie noch nicht mal den Judenhass der Nazis und Neuen Rechten sieht oder ernst nimmt.

 

 

Spatial turn goes Antifa – Arch+ 235, die Neue Rechte und der antisemitische Fleck des Postkolonialismus

Ein Rezensionsessay

Von Dr. phil. Clemens Heni, 4. September 2019

Man musste nicht bis zum 1. September 2019 warten, als ein Viertel der Wähler*innen in Brandenburg bzw. Sachsen eine Partei wählten, die Spitzenkandidaten[1] hat, die vor wenigen Jahren mit einer Hakenkreuzfahne auf dem Balkon in Griechenland im Kreis von anderen Neonazis aktiv waren,[2] um die enorme Bedeutung des Themas Rechtsextremismus und Neue Rechte zu sehen. Das Volk ist nicht gut oder neutral, sondern häufig sehr böse. Das deutsche Volk liebt es offenkundig, Nazis zu wählen, nicht nur 1933 und davor, auch 2019, was moralisch noch unendlich schlimmer ist – diese deutschen Wähler*innen wissen, was nach 1933 passierte, sie wissen, dass sechs Millionen Juden vergast und massakriert wurden und sie haben damit kein Problem.

Am 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs wählen die Deutschen wieder Nazis in extremer Anzahl in zwei Landesparlamente und alle Mainstreamjournalist*innen interviewen freudestrahlend die AfD-Rechtsextremen. Kein/e Journalist*in weigerte sich, solchen Nazis die Hand zu geben oder sie einfach zu boykottieren, weil das Leute sind, die alle Antifas oder weltoffenen CDUler bei nächster Gelegenheit erschießen würden (die Frauen davor vergewaltigen). Zum ersten Mal seit 1945 haben wir Neonazis im Bundestag und allen Landesparlamenten. Die Fernseh-Journalist*innen grinsen blöd um die Wette, machen Späßchen am Wahlabend und laden seit Jahren die neuen Nazis in die unerträglichen, nicht nur kulturindustriellen, sondern den Faschismus mit vorbereitenden Talkshows ein und bewerfen die neuen Nazis mit Wattebällchen und schauen blöd, wenn mit scharfer Munition zurückgeschossen wird.

Die Journalistin Mely Kiyak ist fassungslos ob Bettina Schausten, stellvertretende Chefredakteurin des ZDF, die nur pars pro toto für wirklich alle Mainstream-Journalist*innen steht, die am Wahlabend in ARD und ZDF moderieren durften, und bringt es auf den Punkt:

Der Faschismus hat keinen moderaten Flügel.[3]

Daher ist seit jeher die Analyse rechter Räume eine Unabdingbarkeit für jede linke Theorie und Praxis. Das Heft 235 von Arch+. Zeitschrift für Architektur und Urbanismus von Mai 2019 hat das aktuelle Thema „Rechte Räume. Bericht einer Europareise“. Die 27 Autor*innen plus ein Autorenteam von Arch+ 235 haben im Editorial, der Einführung und 33 Texten (oder Fotoessays) sehr wichtige, eingreifende, kritische, faszinierende, häufig klar antifaschistische und teils scharfe Texte gegen die (Neue) Rechte und ihre Räume vorgelegt.

Literaturwissenschaftliche, soziologische, politologische, historische, kulturwissenschaftliche, geografische, kunsthistorische, polit-ökonomische und architekturtheoretische Zugänge ergänzen sich auf vielfältige Weise. Die europäische Dimension des Projektes macht es umso spannender und bedeutender: es geht um eine 7-tägige Reise durch Europa und seine extrem rechten Räume. Der Großteil der Texte ist in diese 7 Tage eingeteilt, beginnend in Rom und endend in Berlin – die Achse Berlin-Rom. Die Reise im November 2018[4] führte also von Italien über Österreich nach Deutschland. 7 Tage (oder 7 x 24 Stunden) dauerte auch meine Rezension des Heftes 235 von Arch+.

Der folgende Rezensionsessay würdigt den großen Einsatz Trübys und seines Teams, die sich der Neuen Rechten in der Architektur, dem Feuilleton und der Gesellschaft insgesamt entgegenstellen. Je länger und intensiver meine Beschäftigung mit dem Heft jedoch wurde, desto klarer traten dann zwar vereinzelte, aber eben doch massive Irritationen auf, die wiederum viel über den postkolonialen Mainstream in den Sozial- und Geisteswissenschaften aussagen.

In dem Heft gibt es ergänzend zu den Reiseberichten eine Vielzahl an Beiträgen über das Gebiet von Ex-Jugoslawien, Ungarn, Spanien, Griechenland, Frankreich, die Schweiz, Holland, Polen, England, USA und die Türkei. Neu-rechte Agitator*innen drehten schon im Frühjahr 2018 durch, als der Protagonist des Heftes, Professor Stephan Trüby vom Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) der Universität Stuttgart, seine Analyse und Kritik der Rekonstruktionsarchitektur am Beispiel der von Neuen Rechten wie Claus M. Wolfschlag initiierten neuen Altstadt von Frankfurt am Main am 8. April 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vorgelegt hatte:[5]

Ganz anders die neue Frankfurter Altstadt: skandalös ist hier, dass die Initiative eines Rechtsradikalen ohne nennenswerte zivilgesellschaftliche Gegenwehr zu einem aalglatten Stadtviertel mit scheinbar bruchlosen Wiederholungsarchitekturen führte; historisch informiertes Entwerfen verkommt damit zum unterkomplexen Heile-Welt-Gebaue, das Geschichte auf ein eindimensionales Wunschkonzert reduziert. Vergangenheit soll für dieses Publikum wie geschmiert laufen, und zwar in Richtung einer alternativen Historie für Deutschland: Einer Historie, in der der Nationalsozialismus, die deutschen Angriffskriege und der Holocaust allenfalls noch als Anekdoten einer ansonsten bruchlosen Nationalgeschichte überleben.

Arch+ wird von der Bundeszentrale für politische Bildung, der Volksbühne Berlin, dem Arch+ Foerderverein und einigen anderen Institutionen gefördert, kostet 22€ und ist derzeit (Stand Anfang September 2019) vergriffen. Das Heft 235 von Arch+ hat 239 Seiten (etwas größer als DinA4) und wurde unter der Regie Trübys mit seinem Team erarbeitet. Ein zentrales Kapitel und Aufhänger ist Trübys Kritik der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt. Seine These ist wohlbegründet: Der Bruch, den der Nationalsozialismus bedeutet, soll z.B. via Rekonstruktion und Zerstörung von Bauten, die nach 1945 in den betroffenen und zuvor bombardierten Städten gebaut wurden, verleugnet werden und Städte so wiederaufgebaut werden, wie sie zuvor waren. Die deutsche Geschichte soll wieder in einem architektonischen Kontinuum stehen, natürlich ohne Juden, die vertrieben und vernichtet wurden, aber das macht nichts.

Trübys sehr wichtige und mutige – für eine Professur in Architektur an einer führenden Universität im Bereich Architektur, der Uni Stuttgart, womöglich bahnbrechende – Arbeit hat einen massiven Shitstorm der extremen Rechten verursacht und reicht bis weit in den bürgerlichen Mainstream. Die extrem rechte Hetzseite Politically Incorrect (PI News), Facebookposts von no-names oder auch die „rechtsantideutsche“ Hauspostille Bahamas diffamieren ihn wegen seiner Kritik der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, die wie gesagt auf die Idee von Rechtsradikalen zurückgeht wie auch der Wiederaufbau der Garnisonskirche in Potsdam.[6]

In dem Heft 235 von Arch+ gegen die rechten Räume geht es um Hitlers wie Mussolinis Geburtsorte, den rechtsextremen und AfD-Wallfahrtsort Kyffhäuser in Thüringen, um die Dresdner Frauenkirche und das nationale Pathos der breiten Mitte, um die größte Christus-Statue (36 Meter) im fanatisch-katholischen Polen oder die völkischen Siedler*innen in Mecklenburg-Vorpommern. In einem sehr instruktiven Rundblick über rechte Architektur- und heimattümelnde Vordenker geht Trüby auf Wilhelm Heinrich Riehl, Ernst Rudorff, Paul Schultze-Naumburg,[7] aber auch auf Alexander Senger ein, der ebenso als „Protagonist einer ‚Konservativen Architekturrevolution‘“ vorgestellt wird und in Richard W. Eichler einen Kollegen aus der Zunft der extrem rechten Kunsthistoriker hatte.

Die Zeitschrift Tumult oder andernorts im Heft die jüngere neurechte Postille Cato oder die schweizer Zeitschrift DU und das neu-rechte schweizer Netzwerk um Blocher (im Text von Rebekka Kiesewetter) werden hervorragend dargestellt und kritisiert. Es findet sich bei Trüby auch eine nachträgliche Selbstkritik der Arch+, die z.B. 1985 den von vielen erst in den letzten Jahren und posthum als extrem rechts erkannten Historiker Rolf Peter Sieferle mit einem Text zu „Heimatschutz und das Ende der romantischen Utopie“ publiziert hatte.

In einem Gespräch über das Arch+ Heft mit der Wochenzeitung Die Zeit vom 12. Juni 2019 analysiert Trüby detailliert, was an der Rekonstruktionsarchitektur speziell in Dresden so problematisch ist und wie das mit Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und der AfD zusammenhängt:

In der Sporergasse 12 steht zum Beispiel das sogenannte Triersche Haus, rekonstruiert im Jahre 2016 nach dem Vorbild eines 1695 errichten Barockhauses. Ins Vorgängerhaus zog im Jahr 1920 ein jüdisch-orthodoxer Verein ein. Auf die einstigen jüdischen Bewohner wird auch am Erinnerungsschild aufmerksam gemacht, das seit Kurzem am Neubau angebracht wurde. Darauf steht korrekterweise zu lesen: ‚Ab 1940 wurden jüdische Familien gezwungen, hier im ‚Judenhaus‘ zu wohnen, bevor sie in andere Lager deportiert wurden.‘ Aber der Schlusssatz lautet: ‚Bei der Zerstörung des Hauses am 13. Februar 1945 fanden zahlreiche jüdische Bewohner den Tod.‘ Was hier auf engstem Raum gesagt wird, ist eine ungeheuerliche Geschichtsfälschung. Die könnte man so zusammenfassen: ‚Ja, die Nazis haben Juden deportiert, das war nicht gut, aber getötet wurden sie von den Alliierten mit ihren Bomben.‘ Was sich hier geschichtspolitisch abzeichnet, summiert sich zu einer mehr als Besorgnis erregenden Tendenz. Am Trierschen Haus, am Neumarkt und der Frauenkirche ist die ‚erinnerungspolitische Wende um 180 Grad‘, die der AfD-Politiker Björn Höcke fordert, bereits vollzogen.[8]

Das ist eine ganz hervorragende Analyse und Kritik zum städtebaulichen sekundären Antisemitismus der Erinnerungsabwehr in Dresden. Dazu etwas in Kontrast steht hingegen seine Forderung einer Re-Ideologisierung und möglichen Zurückerkämpfung völlig kontaminierter Begriffe und Ideologeme. Denn zur heutigen Debatte schreibt er in dem Arch+ Heft:

Der Frankfurter Altstadtstreit zeigt auch, dass ein zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Wort zurück auf die Tagesordnung (nicht nur) architektonischer Debatten kommen sollte: die Ideologie. Denn der revisionistischen Architektur-Ideologisierung der Neuen Rechten, die mit Camouflage-Slogans wie ‚Schönheit‘, ‚Heimat‘, ‚Tradition‘, ‚Identität‘ oder ‚Seele‘ hantiert, ist nur mit einer emanzipatorischen Gegen-Ideologisierung beizukommen, mit der entweder diese Begriffe zurückerkämpft oder verlockende Alternativen angeboten werden.

Da ist man dann allerdings durchaus ganz schnell (bestenfalls) bei Habecks Grünen oder bei Cem Özdemir, der ernsthaft den neuen Nazis im Bundestag vorwarf, zu wenig deutsch zu sein und bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer für Russland anstatt für „unsere“ Deutschen zu sein.[9] Solcherart gründeutsches, linksdeutsches oder liberaldeutsches Gerede, das sich die geliebte „Heimat“ so wenig madig machen lässt wie Steinmeier, der Heimatminister oder Robert J. De Lapuente[10] vom Neuen Deutschland, kann im Architekturdiskurs über rechte Räume keine Option sein.

Da schließlich neu-rechte Attacken wie auf Trüby nerven und nicht ungefährlich sind, wäre die positive Rezeption seiner Kritik der Rekonstruktionsarchitektur womöglich eine Erwähnung wert gewesen.[11]

Matteo Trentini geht auf den Faschismus in Italien im 21. Jahrhundert ein, die Lega Nord (bzw. mittlerweile nur noch Lega) und Matteo Salvini sowie vor allem auf die rechtsextreme identitäre Bewegung CasaPound, die als Ikone die Schildkröte hat. Dieses liebevolle und harmlose Tier wird von diesen Faschos identitär, nationalistisch, faschistisch bzw. national-sozialistisch instrumentalisiert, da die Schildkröten immer ihr eigenen Haus bei sich haben, was Neonazis auf die Gesellschaft übertragen wollen. Die natalistische Ideologie, „Zeit Mütter zu sein“ („Tempo di essere madri“) war ein Slogan von CasaPound von 2007, wobei ja auch viele Linke dem patriarchalen natalistischen Dogma strahlend Folge leisten, in jedem Alter. Treffend fasst Trentini zusammen:

Wie im Faschismus geht es um das Propagieren von Wohnen und Familie als Grundrechte, die der Staat durch direkten Eingriff garantieren muss.

Der Beitrag von Silke Hünecke über den Faschismus bzw. Franquismus in Spanien und dessen „fortwährende Präsenz“ wie in der riesigen Gedenkstätte Valle de los Caidos besticht durch die nachdrückliche Betonung des Skandalons der Abwehr der Erinnerung in Spanien bis auf den heutigen Tag.

Eine ähnliche, aber anders gelagerte Erinnerungsabwehr, wird in einem Gespräch von c/o now mit dem politischen Theoretiker Gal Kirn via einer Kritik der Kapitalisierung der ehemals staatseigenen Gebäude in Ex-Jugoslawien auf den Punkt gebracht:

Mit dem Verkauf des gesamten kommunalen Eigentums – und als Jugoslaw*innen hatten wir dazu eine besondere Beziehung – hat man unsere Geschichte getötet und unsere Zukunft verkauft. Das Kapital hat die alleinige Verfügungsgewalt über die Zukunft errungen, den nationalen Apparaten bleibt die Spekulation mit der Vergangenheit. Ich würde diesen Prozess als eine ursprüngliche Akkumulation von Erinnerungen bezeichnen.

Über diese interessante Transformation des Marx’schen Terminus „ursprüngliche Akkumulation“ auf die Geschichtspolitik könnte man diskutieren. Immerhin geht Kirn auf den Islamismus ein, ohne das Wort allerdings zu verwenden, und kritisiert die „wahhabitische König-Fahd-Moschee“ und „eine salafistische Zelle“ wie auch „Insignien“ vom „Islamischen Staat (IS)“.

Die Hinweise auf Nationalismus und reaktionäres Pathos wie eine „22 Meter hohe Statue Alexander des Großen“ in Mazedonien sowie das Verkleiden von brutalistischer Architektur mit „dorischen Architekturelementen“ ergänzen den skeptischen Blick Kirns. Es stimmt jedoch nachdenklich, dass er aktuell ankündigt, alsbald im relativ kleinen, linksradikalen Verlag „Pluto Press“ zu publizieren,[12] was ein hardcore antiwestlicher und antizionistischer Verlag aus Großbritannien ist, wo antisemitische Autoren wie Edward Said, Ilan Pappé oder der kosmopolitische Israelhasser und Vertreter einer „islamischen Befreiungstheologie“ Hamid Dabashi publiziert werden.[13] Auch Kirns enge Beziehung zum Institute for Cultural Inquiry (ICI) in Berlin lässt zumindest die Frage aufwerfen, wie er selbst zu dortigen, skandalösen Pro-BDS Events wie 2018 steht.[14]

Neben Trübys Beitrag „Altstadt-Opium fürs Volk“ über die Rekonstruktionsarchitektur ist die Forschung von Verena Hartbaum in diesem Heft Arch+ 235 von besonderer Bedeutung für eine Kritik der heutigen Architektur in Deutschland. Sie untersucht in ihrem wunderbar „Rechts in der Mitte. Hans Kollhoffs CasaPound“ betitelten Beitrag den von dem Architekten Hans Kollhoff gestalteten Walter-Benjamin-Platz in Berlin, der 2001 fertig wurde. Der Platz ist 108 Meter lang und 32 Meter breit, er erinnert die Autorin zudem an einen Abschnitt der Via Roma in Turin, der 1936 von Mussolinis Architekt Marcello Piacentini entworfen wurde.

Der Bezug zu Mussolini wird noch extrem verstärkt, indem Kollhoff in das Granitsteinpflaster folgenden Spruch des amerikanischen Dichters Ezra Pound (1885–1972) eingelassen hat: „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein / die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, / dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.“ Man kann nicht sofort erkennen, dass der Spruch von Pound ist, da der Autor nicht genannt wird. Der Antisemitismus spricht aus dem Wort Wucher oder Usura.

Hartbaum resümiert:

Mit dem Ezra-Pound-Zitat auf dem Walter-Benjamin-Platz machte sich Kollhoff Pounds antisemitisch konnotierte Kapitalismuskritik als die Wurzel allen wirtschaftlichen, sozialen und nicht zuletzt schöpferischen Übels zu eigen: Dort, wo der Wucher, im antisemitischen Jargon das ‚zinstreibende Judentum‘, herrscht, kann keine gute Architektur entstehen, verlieren Handwerk und Wertigkeit des Materials ihre Bedeutung.

Kollhoff war im Trend der Zeit, 2003 gründete sich die Neo-Nazi oder Identitäre Bewegung CasaPound in Rom. Auch CasaPound vertritt neben dem Nationalismus eine „Kapitalismuskritik mit antisemitischen Motiven“, wie Hartbaum festhält. Selbst den FAS-Autoren Stephan Trüby will die FAZ, hier Niklas Maak, via einer Kritik an Hartbaum und Arch+ diffamieren.

In einer Besprechung von drei Büchern zu Hans Poelzig, Paul Bonatz und Paul Schmitthenner kritisiert ein Altmeister der kritischen Architekturgeschichte, Winfried Nerdinger, den nationalistischen, monumentalistischen und alsbald nazistischen Einsatz der drei Protagonisten. Der Text wurde original 2011 auf Italienisch publiziert, schon 2010 hatte ich selbst auf zentrale nationalsozialistische Aktivitäten von Bonatz hingewiesen.[15]

Zu Nerdinger passt der Beitrag von Tina Hartmann, auch bei ihr geht es um rechtes Denken im Mainstream. Ihr Beitrag „Die Zeit als Scheibe. Der rechtspatriarchale Raum in der Literatur“ betont die Beziehung von Misogynie und Antisemitismus und glücklicherweise unterstreicht sie hierbei auch, dass die weit verbreitete These, der revolutionäre 1848er Richard Wagner sei ein anderer als der antisemitische deutsch-nationale, falsch ist. Ihre Analyse der Berliner „Bibliothek des Konservatismus“ ist bedeutsam.

Ob Hundt von Radowsky „der Begründer des eliminatorischen Antisemitismus“ ist, mag bezweifelt werden, weil allein schon Achim von Arnim 1811 in „Versöhnung in der Sommerfrische“ die Pulverisierung der Juden durchdeklinierte, was in der literaturwissenschaftlichen Forschung als „der schlimmste antisemitische Text der deutschen Romantik“ bezeichnet wird.[16] Darüber hinaus geht Hartmann auf die wohl erste politisch motivierte Bücherverbrennung der modernen deutschen Geschichte ein, das Verbrennen von Schriften des Aufklärers Christoph Martin Wieland durch den Göttinger Hainbund im Jahr 1772.[17]

Schließlich ist Hartmanns Hinweis auf einen ideologischen Anker des Rechtsextremismus und der Neuen Rechten sehr relevant: der „Ethnopluralismus“. Gleichwohl transformiert der Ethnopluralismus nicht 1:1 den Antisemitismus in heutige rassistische Ideologie, sondern indiziert eigenständig das Neue am Rechtsextremismus nach 1945: Weg von der „Rasse“ hin zur „Kultur“. „Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken oder Polen den Polen“ ist der Kern des rassistischen Ethnopluralismus-Konzepts, auf das auch Philipp Krüpe in seinem Beitrag „Reaktionäre Architektur-Memes in den sozialen Medien. Von Paul Schultze-Naumburg zu 4chan“ eingeht.[18]

Trüby übernimmt in seinem einführenden Text ein „politisches Positionenmodell“ des slowenischen Philosophen Slavoj Zizek, das in einem Quadrat links eine „doppelte Linke“, gegenüber die „doppelte Rechte“, oben einen „Progressiven Liberalismus“ und unten die „Querfront“ verortet. So interessant dies sein mag und zumal Trübys sehr treffende Attacken auf Kollegen wie den Architekten Patrik Schumacher, „der Chef von Zaha Hadid Architects, der sich zum rechtslibertären Anarchokapitalisten und Brexit-Fan entwickelt hat“, wichtig sind, so reduktionistisch ist die Definition bzw. Nicht-Definition von Antisemitismus. Denn es werden eine „antisemitische Linke“ und eine „antisemitische Rechte“ erkannt, aber Zizek meint damit reduktionistische Kapitalismusdefinitionen oder völkische Hetzer, jedoch nicht sich selbst.

Gerade nach der Bundestags-Resolution gegen die antisemitische BDS-Bewegung vom Mai 2019 drehen weite Teile der linken kulturellen Elite und der Nahost-, Islam- und Jüdische Studien-Forschung völlig durch[19] und Zizek ist Teil davon. Er wendet sich gegen die Bezeichnung, dass BDS antisemitisch ist (wie es der Deutsche Bundestag tut), das würde den Holocaust „entwerten“[20] und schmiegt sich somit an Leute an, die Juden wenn nicht sofort töten, so doch vertreiben wollen, denn das ist das Ziel der BDS-Bewegung: „Palestine – from the river to the sea.“

BDS ist gerade keine Kritik am Rechtsdrall in Israel oder an der Besatzung des Westjordanlandes, nein: BDS ist antisemitisch, wie die Forschung gezeigt hat,[21] weil es das herbei fantasierte „Rückkehrrecht“[22] der Palästinenser einfordert, die 1948 aus freien, arabisch-antisemitischen Stücken das Land verließen, um nicht den Judenstaat zu legitimieren, oder aber in der Tat vertrieben wurden. Dieses Rückkehrrecht, das völlig absurderweise auch noch alle Nachkommen inkludiert und somit eine Zahl von über 5 Millionen Menschen bedeutet, gibt es nicht. Es ist ein antijüdisches „Recht“, das den jüdischen Charakter Israels zerstören würde. Es gibt keine Indizien, dass Trüby BDS teilt oder damit kokettiert – aber wie sieht es mit Arch+ aus? Wir kommen darauf zurück!

Etwas merkwürdig ist ein Gespräch von Stephan Trüby mit seinem 10 Jahre älteren Stuttgarter Architektur-Kollegen Hartmut Mayer über „Germanische Tektonik“. Der Architekt Paul Ludwig Troost wird gewürdigt und namentlich Mayer fühlt sich geradezu in die Gedanken der frühen Nazizeit ein. Troost starb 1934 und Trüby stellt die merkwürdige Frage, warum Troost „doppelte Eingänge“ für den Münchener „Führerbau“ und ein Nazi Verwaltungsgebäude plante. Zumal bei Mayer hat man das Gefühl, dass er nicht einmal das Wort „Antifa“ je gehört hat. Wie Nazi-Gebäude auf Juden und deren Nachfahren und andere Opfer der Nazizeit und deren Nachkommen wirken – diese Frage wird nicht gestellt. Dabei ist das die einzig relevante Frage, nicht die, die nach dem Unterschied von Säule und Wand, korinthisch oder dorisch fragt oder die vor Affirmation der Geschichte strotzenden Positionen von Mayer, Karl Bötticher habe „die Schinkelschen Ideen fast ein halbes Jahrhundert lang gerettet“ und die „griechische Ornamentik für Berlin bewahrt“. Nicht ein Ton z.B. über den deutsch-nationalen Revanchismus Schinkels und seine Denkmäler für die antifranzösischen „Befreiungskriege“.

Ergänzt wird dies en passant durch nicht weniger problematische, Holocaust verharmlosende, formalistische Analogien von NS- und Stalinscher Architektur. Gleiche Fassade, aber einmal Hakenkreuz, das andere Mal Hammer und Sichel auf der Stirnseite des Gebäudes. Da lachen vielleicht estnische, litauische, ukrainische oder lettische Antisemiten wie auch Joachim Gauck[23] und weitere Unterzeichner der „Prager Deklaration“ von 2008. Letztere setzt kategorial Rot und Braun auf eine Treppenstufe und hält explizit die EU an, das gedenkpolitisch umzusetzen – was die vor Antikommunismus und NS-Verharmlosung triefende EU auch machen wird, wie am Jean-Ray-Platz in Brüssel, was ja in Architekturkreisen 2018 bekannt, oder sagen wir besser wie selbstverständlich goutiert wurde.[24] Das wird ein extrem rechter Raum werden, der die Opfer der Shoah mit Stalinismusopfern mit in den Boden eingelassenen Briefen und Dokumenten gleichsetzen und damit das Nie-Dagewesene von Auschwitz leugnen wird, ein Raum mithin, den auch Arch+ im Auge behalten sollte.

Die beiden letzten Texte des Arch+-Heftes sind nichts weniger als skandalös. Anna Yeboah schreibt über die „Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonskirche“ und vor allem über das Humboldt Forum in Berlin, das wieder aufgebaute Berliner Stadtschloss im Herzen des alten Ost-Berlin unweit des Alexanderplatzes. Die Kritik am Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche, die wie kein zweiter Ort für die Kollaboration von Hitler und Hindenburg, Nazis und dem Konservatismus steht, ist sehr wichtig. Das gilt auch für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses bzw. des Humboldt Forums, dessen koloniale Geschichte die Autorin aufzeigt. Die Kritik an beiden Bauten ist allerdings viel zu bedeutsam, um sie einem solchen postkolonial-ideologisierten Text zu überlassen. Denn am Ende schreibt Yeboah, wie es zu ihrem Text kam:

Die Verfasserin bedankt sich beim Bündnis Decolonize the City, ohne deren Arbeit dieser Text nicht möglich gewesen wäre.

Schaut man sich allein den Twitter-Account dieses Bündnisses Decolonize the City an, sieht man den üblichen anti-israelischen Antisemitismus in vielen Tweets.[25] Trüby hingegen bezieht sich mehrfach völlig affirmativ auf Yeboah, so in dem Zeit-Gespräch von Juni 2019 oder auf einer Heftpräsentation in der Volksbühne (siehe dazu unten mehr), wo er erwähnt, dass sie ihm und einer Gruppe von Leuten die postkoloniale Kritik am Beispiel Berlin in einem Stadtrundgang näher brachte.

Die koloniale Geschichte des wieder errichteten Berliner Stadtschlosses, also des Humboldt Forums, ist offenkundig.[26] Die Betonung Yeboahs – die auch den Alltagsrassismus von Neonazis in Brandenburg benennt, den sie persönlich als schwarze Deutsche, die auch einen ghanaischen Pass hat, regelmäßig erlebt –, dass das historische Schloß auf dem Profit basierte, den die Hohenzollern aus dem Kolonialismus zogen, ist wichtig. Es wäre auch naheliegend gewesen zu betonen, dass eine zentrale Motivation für den Bau dieses Forums/Schlosses der Abriss des Palasts der Republik der DDR war.[27] Dieser moderne Bau war ein architektonisches Glanzlicht für Ost-Berlin und die DDR-Bürger*innen. Der nicht weniger als obsessive Antikommunismus der Berliner Republik basiert städtebaulich auf der Auslöschung der Erinnerung an die DDR an diesem zentralen Platz im Herzen Ost-Berlins.

Die koloniale Geschichte des nun wieder aufgebauten Schlosses kommt additiv hinzu. Während eine solche anti-links motivierte Zerstörung oder kapitalistische Vereinnahmung von Bauten aus der Zeit des Realsozialismus im Kapitel zu Jugoslawien im Arch+ Heft unterstrichen wird, ist sie hier plötzlich gar kein Thema mehr. Ist das nicht merkwürdig? Der Postkolonialismus vernebelt auch hier alle Köpfe.

Der entscheidende und kategoriale Denkfehler von Anna Yeboah (und weiter Teile der postkolonialen Autor*innen weltweit), zeigte sich öffentlich auf einer über 2 Stunden dauernden Vorstellung des Heftes 235 von Arch+ in der Berliner Volksbühne am 24. Mai 2019[28] unter der Regie von Trüby und mit einer euphorischen Einführung durch den Arch+ Mitherausgeber Anh-Linh Ngo. Letzterer betonte, dass die rechte Ideologie vom „großen Austausch“ gefährlich und falsch ist, womit er selbstredend völlig Recht hat, und er wie alle anderen natürlich nicht gehen wird.

Im Laufe des Events der Heftvorstellung in der Volksbühne kamen unterschiedliche Beiträger*innen des Heftes auf die Bühne und präsentierten die Ergebnisse. Die Architektin Yeboah sagte, die Idee des „Anders-Seins“ sei „erst mit dem Kolonialismus“ aufgekommen. Da wird man stutzig. Also nochmal: Ausgrenzung und Grenzziehung seien erst mit dem Kolonialzeitalter aufgekommen und hätte es unter Weißen nicht gegeben; „der Standard des weißen Mannes wurde bis heute beibehalten“. Das sagte Yeboah so. Kein Widerspruch von niemand. Warum ist dieser Satz so ungeheuerlich postkolonial und falsch? Weil er die jahrtausendealte Unterdrückung der Juden nicht sehen kann. Die christlichen Kreuzzüge und das Abschlachten der Juden hat demnach wohl nichts mit dem erfundenen „Anders-Sein“ der Juden zu tun gehabt, die ja auch „Weiße“ waren, wie der postkoloniale Antisemitismus es immer sagt, seit Aimé Césaire und W.E.B. Dubois etc.pp.[29] In ihrem Text in Arch+ vertritt Yeboah den gleichen postkolonialen linken Geschichtsrevisionismus:

Mit dem Kolonialismus wurden binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert, die Menschen diskriminatorisch in ‚Zugehörige‘ und ‚Fremde‘ unterteilen.

Sie schreibt mit keinem Wort, dass es zuvor schon viel tiefer gehende „binäre Macht- und Identitätsmodelle“ gab, den Antisemitismus. Sie schreibt nicht, dass mit dem Kolonialismus ein anderes „binäres Macht- und Identitätsmodell“ auftaucht. Nein, sie schreibt, dass „mit dem Kolonialismus“ „binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert“ wurden. Etablieren meint etymologisch „befestigen“ oder „sich niederlassen“. Synonyme sind z.B. laut Duden „sich ansiedeln, aufbauen, auf die Beine stellen, begründen, einrichten, einsetzen, eröffnen, errichten, gründen, ins Leben rufen“. Demnach hat es vor dem Kolonialismus also keine „binäre[n]“ Macht- und Identitätsmodelle“ gegeben. Yeboah hat den Antisemitismus, der viel älter und unendlich tiefer in die europäische Geschichte und Gesellschaft eingeschrieben ist, einfach vergessen oder übergangen oder bewusst weggewischt, wir wissen es nicht. Die Kritik am kolonialen Denken und den kolonialen Verbrechen ist von sehr großer Bedeutung. Aber es scheint bei postkolonialen Autor*innen nicht ohne eine Diminuierung oder Vernebelung zu gehen.

Fakt ist: das ist eine unwissenschaftliche und politisch skandalöse Aussage von Yeboah in Arch+ und auf der Heftvorstellung, wo sie jeweils das exakt gleiche sagte bzw. schreibt, einmal lang diskutiert und formuliert, redigiert und lektoriert, das andere Mal spontan und live. Demnach wurden die Juden zuvor, nehmen wir das Mittelalter, nicht als „Fremde“ ausgeschlossen. Die Juden wurden also nicht als der „Antichrist“, als die Brunnenvergifter oder Blutsauger und Pestverbreiter aus der christlichen Mehrheitsgesellschaft Europas ausgeschlossen und wahlweise massakriert oder in Ghettos gesteckt. Das vierte Laterankonzil von 1215 mit seinen antijüdischen Beschlüssen hat es gar nicht gegeben, weil es ja nicht gegen Schwarze ging und nichts mit dem Kolonialismus zu tun hatte. Die jahrtausendealte Ausgrenzung der Juden wird hier einfach verleugnet und postkolonial die Geschichte umgeschrieben.

Die Juden wurden also nicht als „Fremde“ ausgeschlossen, das Muster des Ausschlusses ganzer Gruppen von Menschen würde es erst seit dem Kolonialismus geben. Das ist ein antijüdisches Märchen von Anna Yeboah, die nur pars pro toto für den postkolonialen Irrsinn steht. Weder der Gastredaktion (Stephan Trüby, Matteo Trentini, Philipp Krüpe, Verena Hartbaum, Tobias Hönig, Hartmut Mayer, Sandra Oehy, Andrea Röck, Zsuzsanne Stanitz) noch den beteiligten „Stipendiat*innen“ und der Redaktion (Nikolaus Kuhnert, Anh-Linh Ngo, Mirko Gatti, Christian Hiller, Max Kaldenhoff, Alexandra Nehmer, Nora Dünser, Angelika Hinterbrandner, Christine Rüb, Frederick Coulomb, Dorothea Hahn, Melissa Koch, Jann Wiegand), also einer geballten Ladung akademischer „Bildung“, ist da was aufgefallen. Ausgrenzung und „binäre Macht- und Identitätsmodelle“ gebe es erst seit dem Kolonialismus.

Eine solche Leugnung der jahrtausendlangen Ausgrenzung der Juden im Jahr 2019 ist beachtlich – und sie wird geschrieben, diskutiert, gedruckt und öffentlich vorgestellt, kein Widerspruch, nirgends. Alle fühlen sich als „die Guten“, es geht ja gegen rechts.

Exkurs: Postkoloniale Geschichtsumschreibung und Antisemitismus

Da sich die Arch+-Autorin Anna Yeboah so euphorisch auf ihre Freund*innen von „Decolonize the City“ bezieht, ohne deren Hilfe das Schreiben ihres Artikels nicht möglich gewesen sei, und das Team um Trüby und Arch+ sich mit „Decolonize the City“ offenkundig nicht befasst hat oder deren Ideologie unhinterfragt goutiert, mag ein Blick in das Buch dieses Bündnisses hilfreich sein. Als Herausgeber*in des Bandes „Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche | Aushandlungen | Perspektiven“ fungiert ein „Zwischenraum Kollektiv“.[30]

„Decolonize the City“ war eine Konferenz vom 21.–23.09.2012 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung,[31] um den aktivistischen Charakter zu unterstreichen. 2017 kamen die Beiträge als Buch im Unrast Verlag heraus,[32] 2018 dann als E-Book.[33] Eine der Beteiligten von 2012 war Anna Younes,[34] die später vom Twitter-Account von „Decolonize the City“ mit einem anti-israelischen Text verlinkt wurde. 2016 wurde Younes wegen einem Festival im Ballhaus Naunynstraße in Berlin Kreuzberg kritisiert:

Von Kuratorin Anna-Esther Younes etwa ist laut ‚Berliner Zeitung‘ der Satz dokumentiert, dass ‚mit der Gründung Israels ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurde‘.[35]

Die BDS-Vertreterin und antisemitisch-antizionistische Jüdin Judith Butler, für die der Zionismus nicht Teil des Judentums ist, wird in dem Buch in einem Text von Paola Bacchetta, Fatima El-Tayeb und Jin Haritaworn über „Queer-of-Color-Politik und translokale Räume in Europa“ völlig positiv dargestellt und dafür gelobt, einen Preis des CSD (Christopher-Street-Day) u.a. wegen „antimuslimischem Rassismus“ oder weil die schwul/lesbisch/transsexuellen etc. Organisator*innen zu westlich, kapitalistisch, kriegerisch etc. seien, nicht angenommen zu haben.

Der ganze Ansatz des Buches „Decolonize the City“ wie weiter Teile des Postkolonialismus weltweit wird in einem Beitrag von Ramón Grosfoguel zu „Was ist Rassismus? Die ‚Zone des Seins‘ und die ‚Zone des Nicht-Seins‘ in den Werken von Frantz Fanon und Boaventura de Sousa Santos“ deutlich:

Für Fanon ist Rassismus eine globale Machthierarchie von Über- und Unterlegenheit an der Grenze zum Menschlichen, die jahrhundertelang für die moderne/koloniale, kapitalistische/patriarchale, imperialistische/westlich zentrierte Weltordnung politisch produziert und reproduziert wurde (Grosfoguel 2011). Personen, die sich oberhalb dieser Grenze befinden, werden gesellschaftlich in ihrer Menschlichkeit anerkannt und mit Rechten und Zugang zu Subjektivität und Mensch-/Bürger_innen-/Arbeitnehmer_innenrechten ausgestattet. Personen, die unterhalb dieser Grenze eingeordnet werden, werden als nicht-menschlich oder gar unmenschlich betrachtet; ihre Menschlichkeit wird infrage gestellt und ihnen abgesprochen (Fanon 2010).

Das ist völlig falsch. Das Mensch-Sein würde also einer unglaublich riesigen Zahl von Menschen seit Jahrhunderten abgesprochen, farbigen Menschen aller Art aller Zeiten, seit Kolumbus die neue Welt entdeckte (1492). Es geht hier nicht um eine völlig notwendige Herrschaftskritik, um Kritik am Rassismus Europas – sondern um eine Verleugnung des Regimes, das tatsächlich Menschen zu Nicht-Menschen deklarierte und vergaste: der Nationalsozialismus. Logisch bleiben Antisemitismus, Shoah und die deutsche Spezifik völlige Leerstellen in diesem Konzept des Postkolonialismus, der ernsthaft meint (man sieht das in jedem Text, namentlich bei Grosfoguel) die ganze Welt erklären zu können. Das kann der Postkolonialismus gerade nicht, vielmehr ist er Teil des Problems. Und das Problem heißt Antisemitismus.

Demnach gibt es für Autoren wie Grosfoguel nur Rassismus auf der Welt, Höher- und Niederwertigkeit, ja eine universell anzutreffende „Rassifizierung“, was nur andeutet, dass der Autor noch nie ein Buch oder einen Text von einem nationalsozialistischen Autor gelesen und von Nazi-Deutschland schlichtweg keinerlei Ahnung hat. Die einzige „Gegenrasse“, die jemals konstruiert wurde und vernichtet werden sollte, waren die Juden und niemand sonst. Das wird im gesamten Postkolonialismus verleugnet.

Der regelrechte sprachliche Stumpfsinn des Konzepts „Nicht-Sein“ in dem Band „Decolonize the City“ hört sich z.B. so an:

Ein nicht-westlicher, heterosexueller Mann in der Zone des Nicht-Seins lebt privilegiert und unterdrückt nicht-westliche heterosexuelle Frauen und/oder Schwule/Lesben innerhalb der Zone des Nicht-Seins. Obwohl ein nicht-westlicher, heterosexueller Mann ein unterdrücktes Subjekt in der Zone des Nicht-Seins im Vergleich zur Zone des Seins darstellt, gestaltet sich die gesellschaftliche Situation für eine Frau oder einen Schwulen oder eine Lesbe in der Zone des Nicht-Seins schlechter.

Die Kritik am Patriarchat, an Homophobie, Sexismus und Rassismus wie der bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung ist von sehr großer Bedeutung – sie wird hier aber so dermaßen absurd als „Zone des Nicht-Seins“ gefasst, dass man dieses Konzept des Postkolonialismus nicht ernst nehmen kann. Mit Gesellschaftsanalyse hat das überhaupt nichts zu tun, mit einer identitären Selbstvergewisserung, das arme Opfer zu sein und gar in einer „Zone des Nicht-Seins“ zu sein und eigentlich gar nicht da zu sein, sehr viel. Da fallen dann antisemitische Ressentiments namentlich von Schwarzen, people of colour, Muslimen, Christen, Säkularen oder anderen Menschen aus nicht-westlichen Gesellschaften völlig durch das Raster. Antisemitismus taucht als Kategorie auch überhaupt nirgends auf. Dafür umso stärker die sekundär antisemitische Analogie von Kolonialismus und Holocaust.

Der „Intersektionalismus“, also die Überschneidung verschiedener Herrschafts- oder Unterdrückungsformen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Klassismus – früher hieß das 3:1[36] – ist nichts Neues. Auffallend aggressiv sind heute jedoch z.B. muslimisch-islamistische Aktivist*innen und ihre Fans. Die Feministin Alice Schwarzer hat das 2017 bei einem Vortrag an der Universität Würzburg erlebt.[37]

Eine Handvoll aggressiver Aktivist*innen haben ihr genau das vorgeworfen, was sie gar nicht gesagt hatte: dass Islamismus und Islam das gleiche seien, dass es nur unter Nicht-Deutschen Sexismus gebe oder dass sie Algerien hassen würde, wobei Schwarzer erst kurz zuvor zwei Wochen bei Freund*innen in Algerien zu Gast war und das Land kennt und schätzt – aber zumal die Traumatisierungen durch den mörderischen islamistischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre mit 200.000 Toten erlebte. Da hörten die jungen verschleierten und nicht verschleierten Hetzer*innen einfach nicht hin. Schwarzer fasst zusammen:

Das Phänomen ist meiner Politikgeneration wohlbekannt. In den 1968er und 1970er Jahren hießen diese Politsekten KBW oder KPDML oder Maoisten oder Trotzkisten. Ihr Diskurs war genauso verhetzt, wirklichkeitsfremd und stellvertretend (für ‚das Proletariat‘) wie der dieser heutigen, pseudolinken Szene (für ‚die Muslime‘), der jedoch fatalerweise zur Verbreitung ihrer wirren Ideen auch noch das Internet zur Verfügung steht. Und die Schlagworte heute lauten nicht mehr ‚Internationale‘ und ‚Klassenkampf‘, sondern ‚Intersektionalismus‘ und ‚Antirassismus‘.

Intersektionalismus und Antirassismus sind auch Kernpunkte des Bandes „Decolonize the City“. Es geht um die „koloniale/kapitalistische/imperiale“ Welt und man fühlt sich wie Schwarzer zurückversetzt in die primitivsten ökonomistischen Analysen der K-Gruppen der 1970er Jahre oder noch früher an die Zeiten der KPD der Weimarer Republik etc.pp.

Der „Decolonize the City“ Autor Grosfoguel steigert das noch massiv, indem er von der „Zone des Seins“ und der des „Nicht-Seins“ daher redet. Damit sind nicht Sobibor, Treblinka oder Auschwitz gemeint – sondern er meint Typisches für unsere Welt:

In der Zone des Nicht-Seins erleben Subjekte, die als unterlegen eingeordnet werden, rassistische Unterdrückung anstatt Privilegierung aufgrund von Rassismus.

Natürlich ist rassistische Diskriminierung schrecklich und gehört bekämpft, hier und heute und an jedem Ort. Aber die Menschen leben doch und das wird mit dem grotesken Terminus „Zone des Nicht-Seins“ geleugnet. Wenn der alltägliche Rassismus in London, Berlin, Paris oder Rio de Janeiro etc. eine „Zone des Nicht-Seins“ bedeutet, dann ist die eigentliche Zone des Nicht-Seins der KZ- und Vernichtungslager des Nationalsozialismus völlig trivialisiert, ja verleugnet. Der ganze Text strotzt nur so von Nichtwissen und Ignoranz gegenüber den historisch existenten Zonen des Nicht-Seins in NS-Deutschland und während des Holocaust.

Diese postkoloniale, absurde Sprache steht für das obsessive Verweigern einer Beschäftigung mit dem Holocaust. Würde sich der Postkolonialismus mit der Shoah befassen, würde er merken, dass das nicht das gleiche ist wie koloniale Gewalt wo und wann auch immer. Aber die Postkolonialist*innen fühlen sich als „die Guten“ und befassen sich weniger mit der Realität als ihren krampfhaften Analogien von NS und Kolonialismus. Da wird dann aus einer völlig lebendigen Lebensrealität hier und heute eine „Zone des Nicht-Seins“, wie bescheuert, gewalttätig, rassistisch, sexistisch oder klassistisch dieser Alltag auch immer aussieht – die Leute leben und niemand plant sie zu vergasen.

In einem Gespräch der Frankfurter Rundschau vom 4. September 2019 angesichts des Gießener Kultursommers mit zwei Aktivist*innen gegen Antisemitismus und den Sänger Xavier Naidoo, der auf dieser Veranstaltung am 31.8. vor 5000 Leuten auftrat (25 protestierten gegen ihn), kann man lernen, was der Unterschied von Rassismus und Antisemitismus ist:

Nur weil sich jemand für eine gute Sache einsetzt, schließt das nicht aus, dass dieselbe Person bei einer anderen Thematik fragwürdige Sichtweisen öffentlich äußert. Außerdem sind Rassismus und Antisemitismus zwei unterschiedliche Phänomene. Antisemitismus ist das Narrativ der übermächtigen kleinen Gruppe, die für alles Übel der Welt verantwortlich gemacht wird und ein imaginiertes ‚Wir‘ durch Zersetzung bedroht. In der logischen Konsequenz können ‚Wir‘ nur gerettet werden, wenn die übermächtige Gruppe vernichtet wird. Rassismus dagegen ist die Idee, dass es unterlegene, oder gar als unzivilisiert geltende Menschen gibt, die nicht zu ‚Uns‘ gehören.

Eine solche Differenzierung kann man von typischen postkolonialen Autor*innen nicht erwarten. Kien Nghi Ha moniert in „Die fragile Erinnerung des Entinnerten“, dass zwar seit den 1960er Jahren der Holocaust erinnert werde, aber nicht der Kolonialismus, womit schon gesagt ist, dass beides irgendwie ähnlich schlimme Verbrechen gewesen seien:

Die über Jahrzehnte hinweg verweigerte Aufarbeitung des Holocaust und der nazistischen Tradierungen konnte gegen große gesellschaftliche Widerstände letztlich noch erfolgreich institutionalisiert werden, sodass diesem Aufklärungsprozess eine kontinuierliche Struktur verliehen wurde.

In dem Band schreiben zudem Vanessa E. Thompson und Veronika Zablotsky über „Nationalismen der Anerkennung – Gedenken, Differenz und die Idee einer ‚europäischen Kultur der Erinnerung‘“:

Der politische Umgang mit dem Holocaust, dem Völkermord an den Herero und Nama durch das Deutsche Kaiserreich und dem Völkermord an den Armenier_innen und anderen Minderheiten im Osmanischen Reich spannt ein Feld auf, innerhalb dessen strategisch zwischen materiellen Entschädigungen (‚Wiedergutmachung‘), politischer Anerkennung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohne Rechtsfolgen (‚politische Äußerungen‘) und dem moralischen ‚Stehen‘ zu historischer Verantwortung ohne politische Verhandlungen im eigentlichen Sinne (‚ehrliche Aufarbeitung‘) gewählt werden kann, um ‚Unrechtsschulden“ zu ‚tilgen‘.

Ohne jegliche wissenschaftliche Differenzierung oder Analyse, ob denn das überhaupt ein Völkermord war und selbst wenn, dass ihm ein militärisch antikolonialer Angriff vorausging und so weiter – das wird alles nicht diskutiert, sondern autoritär gesetzt. Man soll es glauben, nicht wissen. Verbrechen gegen die Menschheit sollen demnach alle möglichen Kolonialverbrechen gewesen sein, so wie die Shoah. Das ist eine Universalisierung, die wiederum gesetzt wird, ohne jegliche Diskussion.

An anderer Stelle wird gerade die Architektur des Jüdischen Museums Berlin, das den Bruch, den der Zivilisationsbruch Auschwitz bedeutet, visuell andeuten möchte, diffamiert, da es sich „scharf vom übrigen Stadtbild“ im Multikulti-Bezirk Kreuzberg „absetzt“ und so

lässt sie die Umgebung im Umkehrschluss unbeteiligt erscheinen, als sei diese nun nicht länger in koloniale, imperiale, und nationalsozialistische Vernichtungspolitik impliziert.

Das hört sich so absurd an, dass man den Satz mehrfach lesen muss und ihn immer noch nicht versteht. Ein jüdisches Museum sei aufgrund der Architektur, die gerade den BRUCH, den die Shoah bedeutet, versucht diesen irgendwie in kleinsten Ansätzen darzustellen, höchst problematisch, weil es die (vor allem muslimischen oder migrantischen etc.) Nachbarn nicht dort abholen würde, wo sie wohnen, sondern mit so einer intellektuell gleichsam anmaßenden Architektur nur ausgrenzten.

Das Zitat oben ist zudem ein sekundär antisemitischer Sprech, eine Erinnerungsabwehr, die nur vorgibt, zu erinnern. Warum? Weil sie das Wort „Vernichtungspolitik“ im Kolonialismus und Imperialismus verortet und das 1:1 auf die Shoah überträgt und somit die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz, Treblinka und den Wäldern von Litauen leugnet.

In einer Analyse an der Art des Erinnerns oder gerade Nicht-Erinnerns der Spezifik der Shoah zeigte der Historiker Saul Friedländer bereits 1982 (frz., 1984 auf dt.) in seinem Essay „Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus“ in seiner Kritik marxistischer Analysen bzw. Reduktionismen des Antisemitismus, was die kategoriale Differenz von Kolonialismus und Holocaust bedeutet:

Eine solche Interpretation [wie vom Marxisten Abraham Léon, CH] sagt uns jedoch nicht, wie ein auf wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Antagonismus basierender Rassenhaß – der in anderen Fällen zu Plünderung, Vertreibung, Versklavung oder sporadischen Tötungen (so etwa in den Kolonien) – hier den festen Vorsatz zur totalen Vernichtung annehmen konnte.[38]

Ganz offensiv wird hingegen diese Leugnung des Nie-Dagewesenen des Holocaust in „Decolonize the City“ von Thompson und Zablotsky propagiert bzw. damit kokettiert:

Kritische Haltungen in Bezug auf die Singularität des Holocaust als erstem industriellem Massenmord und der Unmöglichkeit, Verbrechen gegen die Menschlichkeit als solche darzustellen, werden somit für die Belange der Mehrheitsgesellschaft instrumentalisiert, welche die Kontinuitäten von Kolonialismus und Eugenik mit Verweis auf Erinnerungskultur und Gedenkorte in Abrede stellt.

Was sind denn „kritische Haltungen in Bezug auf die Singularität des Holocaust“? Lacht da nicht die AfD, wenn das Nie-Dagewesene des Holocaust in Abrede gestellt wird, was ja ein zentrales Ziel jedes Antikommunismus und Antisemitismus seit Ernst Nolte und zuletzt bei Timothy Snyder ist?

Sandrine Micossé-Aikins schreibt über „Vorwärtsgehen, ohne zurückblicken – eine kolonialismuskritische aktivistische Perspektive auf das Humboldtforum“ über die „brandenburgische Kolonie Großfriedrichsburg“, die in „Princess Town“ „von 1683–1717“ bestand und im kolonialen Dreieckshandel Europa-Afrika-Amerika involviert war und die Hohenzollern profitierten davon.

Dieser Text von Micossé-Aikins ähnelt in vielen Aspekten dem Text von Yeboah im Arch+ Heft 235 von 2019, was verständlich ist, da es sich heute um einen häufig sehr unkritischen bis affirmativen Diskurs handelt. Hier merkt man am deutlichsten, warum sich Anna Yeboah bei „Decolonize the City“ so herzlich bedankt. In dem Text von Micossé-Aikins wird jedoch wie selbstverständlich wiederum die Kontinuität von Kolonialismus und Nationalsozialismus und Shoah aufgemacht:

Die Geschichte dieser Gebeine markiert die in der dominanten Geschichtsschreibung weitgehend ignorierten historischen Verbindungen zwischen Kolonialzeit und dem Nationalsozialismus bzw. dem Genoziden in Deutsch-Südwest Afrika und dem Holocaust.

Da merkt man dann durchaus, woher Anna Yeboah ihre eigene Rede- und Schreibweise hat, wenn sie wie zitiert schreibt:

Mit dem Kolonialismus wurden binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert, die Menschen diskriminatorisch in ‚Zugehörige‘ und ‚Fremde‘ unterteilen.

Das ist exakt die Tonlage des ganzen „Decolonize the City“ Buches. Der Bezug auf Aimé Césaire ist ganz typisch für die postkoloniale Literatur. Die Zeitschrift Peripherie („Politik Ökonomie Kultur“) teilt diese Form des postkolonialen Antisemitismus. In der Ausgabe 146/147 von August 2017 schreiben Aram Ziai und Daniel Bendix:

Ein entsprechendes ‚Pro und Kontra Kolonialismus‘-Tabu gilt in der heutigen BRD nicht. Aimé Césaire hat es schon 1955 gewusst: Weiße Opfer, zu denen er Jüd*innen zählte, scheinen (zumindest für die meisten Weißen) gleicher als andere. Deswegen wurden nicht die kolonialen Völkermorde, sondern erst der Völkermord im Nationalsozialismus von der westlichen Welt als ‚Zivilisationsbruch‘ wahrgenommen (Diner 1996).

Demnach war die Shoah kein Zivilisationsbruch, sondern koloniale Verbrechen seien auch Zivilisationsbrüche gewesen. Damit wäre Auschwitz gerade nicht präzedenzlos. Das ist ein Antisemitismus mit bestem postkolonialem Gewissen, trendig und preisgekrönt jüngst via Achille Mbembe, der sich exakt auf diese Passage von Césaire bezieht.

Der Schriftsteller Heiner Müller hatte in dieser Hinsicht die gleiche Holocaust trivialisierende und universalisierende Ideologie. 2017 wurde bei Suhrkamp ein Band mit Texten Müllers gegen den Kapitalismus herausgegeben, der zeigt, wie ungeniert heute im Mainstream der Antisemitismus trivialisiert und der Nationalsozialismus und Auschwitz universalisiert werden. In Anlehnung an ein Wort des später Müller von 1995 – „Für alle reicht es nicht. Daraus folgt die Selektion“ – wird von den beiden Herausgeber*innen Helen Müller und Clemens Pornschlegel der Nationalsozialismus als bloße Epoche in der Geschichte des Kapitalismus herunter dekliniert. Der Antisemitismus hat da nicht nur keinen Platz, Auschwitz wird in seiner Sinnlosigkeit geleugnet:

Die Behauptung, dass es einen systematischen Zusammenhang gebe zwischen Hitlers massenmörderischen Selektionen und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, zwischen Auschwitz und der Deutsche Bank (aber auch: I.G. Farben, VW, Thyssen, Bertelsmann, Audi, Hugo Boss, Oetker usw.), erschien verrückt. (…) In den Jahrzehnten nach 1990 haben nicht Frieden und Wohlstand, nicht blühende Landschaften und das kindlich-naive Vertrauen in die Gesetzlichkeiten oder harmonischen Gleichgewichte des freien Marktes zugenommen, sondern zugenommen haben (vom Reichtum der Reichen und Superreichen einmal abgesehen) Arbeitslosigkeit, Kriege, soziale und politische Gewalt (…).“[39]

Das ist Suhrkamp 2017. Von Auschwitz in wenigen Sätzen zu Arbeitslosigkeit zu gelangen ist an links-antikapitalistischer Obszönität und antijüdischem Ressentiment unüberbietbar. Das ist sekundärer Antisemitismus, eine Abwehr der Erinnerung dessen, was Auschwitz war. Es indiziert die analytische Hilflosigkeit wie auch die unverschämte linke Ignoranz gegenüber dem, was in Auschwitz geschah: der Zivilisationsbruch.

Das intellektuell nicht nur dürftige, sondern regelrecht widerwärtige, sich selbst immer nur obsessiv als Opfer des Kapitals imaginierende Niveau Heiner Müllers passt exakt zu seinen postkolonialen Epigon*innen oder literaturwissenschaftlichen Herausgeber*innen und Fans Helen Müller und Clemens Pornschlegel, wenn Heiner Müller 1984 schrieb:

Es gab ein Gastspiel mit der Aufführung SCHLACHT in Belgrad, bei BITEF, diesem Theaterfestival. Hinterher war eine Diskussion, ein Jugoslawe polemisierte gegen irgendwas, und dann habe ich gesagt, daß man doch auch sehen müßte, daß der deutsche Faschismus nur eine besonders blutige Episode war in dem kapitalistischen Weltkrieg, der schon vierhundert Jahre dauert.[40] Und das Besondere daran, daß zum ersten Mal mitten in Europa etwas gemacht wurde, was in Afrika, in Asien und in Lateinamerika völlig normal war seit Jahrhunderten: die Vernichtung von Völkern, die Versklavung von Bevölkerung. Der Jugoslawe war sehr empört, er war Partisan gewesen und sagte: Für mich war das keine Episode. Für ihn war das sein ganzes Leben. Er hat recht, aber trotzdem ist es richtig, daß man das mal sehen muß in einem globalen Kontext.“[41]

Damit universalisiert und rationalisiert Heiner Müller den Holocaust und die nie dagewesenen Verbrechen der Deutschen und ihrer Alliierten. Nie zuvor gab es den Plan, ein ganzes Volk zu vernichten, alle Juden sollten ermordet werden auf der ganzen Welt. Das gab es nie zuvor und nie seither.

Die Juden wurden mit Verschwörungsmythen wie den „Protokollen der Weisen von Zion“ (um 1905, russisch) für alles Übel auf der Welt verantwortlich gemacht, den Kapitalismus, den Kommunismus, die moderne Zivilisation und ihnen eine Weltverschwörung angedichtet. Nichts dergleichen gab es jemals zuvor oder seither mit irgendeiner anderen Gruppe von Menschen. Das zu leugnen und einen jahrhundertelangen, kapitalistischen, kolonialistischen und imperialistischen Krieg der Weißen gegen die Nicht-Weißen oder des Kapitalismus gegen den Rest der Welt zu imaginieren, ist nicht nur ahistorisch, sondern exkulpiert darüber hinaus die jeweiligen Ideolog*innen von ihrem eigenen Antisemitismus, der allein schon darin besteht, in sekundär antisemitischer, erinnerungsabwehrender Weise die Präzedenzlosigkeit von Treblinka, Sobibor, Chelmno, Majdanek, Auschwitz, den Wäldern von Litauen oder der Schlucht von Babi Yar zu leugnen.

Das passt darüber hinaus zu einer Art postkolonialer Geschichte, die Müller erzählte (wie mir berichtet wurde): In Afrika wurden demnach Filmaufnahmen aus den deutschen KZs gezeigt, um Aufklärung über die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus und den Holocaust zu leisten. Doch beim Anblick der Toten und fast Toten lachten viele afrikanische Zuschauer*innen und hielten sich die Bäuche. Warum? Weil sie es komisch fanden, „Weiße“ als Opfer von Weißen zu sehen. Auch das deutsche Publikum von Müller lachte einmal herzhaft, als er das erzählte. Diese Form des (sekundären) Antisemitismus, der Juden zu Weißen macht, ist der Kern der Geschichtspolitik des Postkolonialismus. Heiner Müller, der sich ja selbst als „Neger“ bezeichnete, war ein Vordenker hiervon, in den Fußstapfen von Aimé Césaire.

Auch Decolonize the City vertritt exakt diesen Césaire‘schen Antisemitismus, wenn Thompson/Zablotsky schreiben (in Anm. 4 zu ihrem Text):

Obwohl die Entnazifzierungspolitik der alliierten Besatzungsmächte häufig aus unterschiedlichen Gründen als unzureichend kritisiert worden ist, wurde nur selten ein expliziter Zusammenhang zur kolonialen Vergangenheit hergestellt. Als Ausnahmen sind hier insbesondere Aimé Césaires Diskurs über den Kolonialismus (1950) und Hannah Arendts Elements und Ursprünge totaler Herrschaft (1951) hervorzuheben.

Dass Césaire Juden zu Weißen machte und gerade nicht den Zivilisationsbruch Auschwitz auch nur ansprach, wird damit akzeptiert.

Andernorts spricht Kien Nghi Ha in dem gleichen universalisierenden und Auschwitz als präzedenzlos leugnenden Duktus, der nicht nur für Decolonize the City, sondern weiteste Teile postkolonialer Literatur (die Autor*innen beziehen sich auf viel Literatur, die das jeweils genauso sieht) steht:

Die strukturelle Verankerung überkommender Ideologeme, die nicht ohne die kolonialrassistische und antisemitische Vergangenheit Deutschlands denkbar sind und analysiert werden können, wirft unweigerlich politisch unangenehme Problemlagen auf.

Der Historiker Dan Diner hat seit den späten 1980er Jahren bei der Analyse des Zivilisationsbruchs Auschwitz Wegweisendes geleistet. Er sagt 2007 über die kategoriale Differenz von Kolonialismus und Holocaust:

Die Kolonialmacht will ‚pazifieren‘, nicht vernichten.

Weiter:

Wie nahe kommen sich genozidale Kolonialkriege und Holocaust? Bei aller Absolutheit der kolonialen Gewalt – und dies im Unterschied zum konventionellen Krieg zwischen sich als Gleiche anerkennenden Gegnern – steht der Holocaust als eine bloße Vernichtung jenseits von Krieg, Konflikt und Gegnerschaft. Weder gilt es durch Gewalt einen Willen zu brechen noch etwas zu erzwingen. Der Vernichtungstod ist ein im Kern grundloser Tod.[42]

Von diesen kritischen Erkenntnissen ist „Decolonize the City“ unendlich weit entfernt und steht damit exemplarisch für den Postkolonialismus. Der Afrika-Historiker Jakob Zollmann hat dieselben haltlosen Positionen einer Linie von Windhuk nach Auschwitz am Beispiel des postkolonialen Gurus Jürgen Zimmerer seit 2007 bis heute detailliert durchdekliniert und scharf kritisiert.[43] Der sekundäre Antisemitismus via Universalisierung der deutschen Tat und der Shoah wird durch den unverblümten antizionistischen Antisemitismus auf dem Twitter-Account von „Decolonize the City“ noch potenziert. Das also sind offenkundig nach Selbstauskunft die Freund*innen von Anna Yeboah, der Arch+-Autorin.

***

Der abschließende Text von Arch+ 235 von Merve Bedir ist nicht weniger desaströs als der Text von Yeboah. Es geht um die Türkei, doch das Wort Islamismus sucht man vergeblich. In einem polit-ökonomischen Reduktionismus, wie wir ihn bis heute von Sekten von MLPD, DKP bis hin zu vielen sonstigen „antiimperialistischen“ Gruppen weltweit kennen, wird der Kapitalismus als einzige Macht herbei fantasiert, die einen faschistoiden Ideologen wie Erdogan determiniere. Der Ausdruck „religiöser Nationalpopulismus“ ist ein Euphemismus und weigert sich beständig, von Islamofaschismus oder Islamismus zu reden. Doch das ganze kulminiert in dieser Suada:

Die Raumpolitik der Neuen Türkei kann nicht ohne diesen erweiterten politischen Kontext verstanden werden. Den populistischen und autoritären Nationalismus, die Entwicklung hin zu einer illiberalen Demokratie, die Ablehnung von Immigrant*innen und Globalisierung und vor allem die Tatsache, dass diese Politik bereits an der Macht ist, hat die Türkei mit Staaten  wie Ungarn, Italien, Ägypten, Israel, Indien, den Philippinen, Brasilien oder den USA gemein.

Die Kritik an Ungarn, Brasilien oder Italien ist von Bedeutung, aber der Kern ist hier der Judenstaat. Der wird einfach so denunziert, ohne jegliche Differenzierung, was zum Israel bezogenen Antisemitismus passt. Es gibt kein Land der Erde, dem mit Vernichtung gedroht wird – außer Israel, wie von der Islamischen Republik Iran. Ich bin seit Jahren ein scharfer Kritiker der rechten Politik von Benjamin Netanyahu[44] – aber als Linkszionist und nicht als antiimperialistisch herum fuchtelnde Autorin, die mit Verve den Judenstaat mit Faschisten in eine Linie setzt. Das ist keine innerzionistische Kritik an Israel, wie sie weite Teile der linken, Demokraten wählenden amerikanischen Juden und weite Teile der jüdischen Intellektuellen in Israel üben.[45]

Was Bedir nicht erwähnt, sind islamfaschistische Regime wie (schiitisch) in Teheran oder (sunnitisch) in Riad. Der Islamismus ist schlichtweg kein Thema. Bei Erdogan nicht von Islamismus zu reden, ist völlig grotesk und zeugt von einem Realitätsverlust.

Auf der Heftvorstellung in der Volksbühne wurde von Trüby am Ende die Leninsche Frage „Was tun“ gestellt, nun: Es gibt eine „Alternative zu Deutschland“,[46] sie heißt intellektuelle Kritik an den gegenintellektuellen Tendenzen. Übrigens gibt es keine rechten „Intellektuellen“, was sich die meisten Autor*innen merken sollten, die Forschung spricht bei Rechten von „Gegenintellektuellen“, auch die häufige Verwendung von „Rechtspopulisten“ oder anderen Formen von „Populismus“ ist fragwürdig und verschleiernd. In Anschluss an Siegfried Kracauer ist ein Intellektueller eine Person, die Mythen knackt und nicht reaktiviert.[47] Also kann kein Rechter je ein Intellektueller sein.

Unterm Strich war auf der Heftvorstellung die postkoloniale Ideologie überall der große Gewinner, sie überlagerte alle noch so guten und wichtigen Analysen der Neuen Rechten. Tina Hartmann sagte auf der Heftvorstellung, heutzutage bzw. seit langer Zeit (seit 9/11 meinte sie wohl) würde ein Gegensatz von Abendland und Morgenland aufgemacht, was sich sehr saidianisch anhört und noch bestärkt wurde durch ihr Betonen, dass die Position, „der Islam“ „bedrohe die Errungenschaften der Aufklärung“, falsch sei.

Doch was ist daran falsch, die Geschlechterapartheit des Islamismus, der ja eine massive Schnittmenge mit „dem“ Islam hat, ohne in ihm aufzugehen, als antiaufklärerisch zu bezeichnen? Was ist daran falsch, nach dem Pulverisieren, Zerquetschen und Verbrennen von 3000 Menschen im World Trade Center durch Mohammed Atta und die anderen Jihadisten am Dienstag, den 11. September 2001, den Islamismus als riesige Gefahr für die Menschheit, den Westen und die aufgeklärte Welt zu erkennen? Die Bemerkungen von Hartmann in der Volksbühne über den armen Islam, der zum Antipoden der Aufklärung gemacht werde und dies somit nicht sei, sind wissenschaftlich und politisch bedenklich. Diese Derealisierung von Jihad und legalem Islamismus ist weit verbreitet im sich links dünkenden kulturellen Establishment, von Arch+ bis zur Volksbühne Berlin und unzähligen Lehrstühlen und Forschungsprojekten aller Art.

Hartmanns Betonen, es gehe der „Bibliothek des Konservatismus“ um eine „Akademisierung“ der Neuen Rechten ist richtig. Nur sieht sie nicht, dass dies bereits in den 1970er Jahren durch den tatsächlich neu-rechten Henning Eichberg geschah. Dieser war national-sozialistisch, nationalrevolutionär, neu-rechts, rechtsextrem und Begründer der Querfront und nicht Siemens-kapitalistisch oder konservativ wie der selbst ernannte Faschist Armin Mohler oder die „Bibliothek des Konservatismus“, was nicht heißt, dass beide Gruppen deutsch-nationale und völkische Schnittmengen haben.

Sicherlich ist schließlich der Antisemitismus nicht mit der deutschen Nationalversammlung von 1848 entstanden, der Gegensatz von „wir“ oder „das Volk“ gegen die Juden, der ist viel älter. Hartmann meinte jedoch auf der Heftvorstellung in der Volksbühne, bis 1848 hätte es den Antijudaismus gegeben, nicht den Antisemitismus, dabei ist diese Unterscheidung in der internationalen Forschung längst ad acta gelegt und widerlegt worden.[48]

Sodann wurde auch auf dieser Heft-Präsentation zu den rechten Räumen am 24. Mai 2019 mit keinem Wort eine der antisemitischsten Kampagnen seit 1945 in der Bundesrepublik Deutschland auch nur erwähnt: die Wahlplakate zur Europawahl der Neonazi-Partei „Die Rechte“: „Zionismus stoppen. Israel ist unser Unglück.“ Ist das kein rechter Raum, wenn Neonazis im Mai 2019 solche Plakate aufhängen? In den Tagen vor der Veranstaltung gab es viele Berichte in Tageszeitungen über diese rechtsextreme antisemitische Aktion.[49]

Man fragt sich, was die letztlich 13 Leute auf dem Podium für Zeitungen lesen oder was für Medien sie konsumieren, wenn nicht eine Person die exakt in dieser Woche vom 24. Mai 2019 bundesweit diskutierte anti-israelische Hetze dieser Neonazis auch nur erwähnte (so ich es nicht überhört habe). Könnte es sein, dass die meisten Leute einfach gar nicht hinhören, sobald es gegen Israel geht, weil man selbst (wie Decolonize the City oder Zizek) gegen ein demokratisches und jüdisches Israel ist? Kein Wort bei der Heftpräsentation von Arch+ zu dieser Neuauflage von Heinrich von Treitschkes Slogan, den die NSDAP dann aufgriff: „Die Juden sind unser Unglück“.

Ja, mehr noch: Leider scheint die Arch+ tatsächlich keinerlei Problem mit dem Antizionismus oder dem Antisemitismus von BDS zu haben, in Heft 231 von 2018 publizierte sie die deutsche Übersetzung eines Kapitels aus dem Buch über Klimawandel und Kapitalismus der Bestsellerautorin und seit 2009 als antiisraelische und BDS-Unterstützerin berüchtigten kanadischen Publizistin Naomi Klein.[50] Neben Judith Butler aus den USA oder dem Musiker Roger Waters aus Großbritannien ist Klein eine der bekanntesten Unterstützerinnen dieser antisemitischen Bewegung, die immer so tut, als ob sie es nicht wäre.

Angesichts der Beiträge von Bekir und Yeboah im Heft, den internationalen Kontakten von Kirn – der Publizist und taz-Kolumnist Micha Brumlik würde hier wieder aggressiv von der angeblichen „Kontaktschuld“ oder so reden und sieht immer nur bei Kritikern des Antisemitismus einen McCarthy, aber ahnt nicht, dass er selbst zum Kommunistenfresser von damals eine viel größere Nähe haben mag, als ihm lieb sein möchte, nur frisst Brumlik keine Kommunisten, sondern Kritiker*innen des antizionistischen Antisemitismus –, der engen Beziehung von Yeboah zu „Decolonize the City“, dem Publizieren von Naomi Klein durch Arch+ und nicht zuletzt durch das Hofieren Zizeks just im Mai 2019, steht man fast sprachlos vor diesem Heft.

Die Kritik an den rechten Räumen mit teils wirklich guten Beiträgen trifft die Neue Rechte, der Aufschrei des bürgerlichen Feuilletons und der rechtsextremen Pöbler im Netz zeigen, wie gut getroffen die Autor*innen und namentlich Trüby oder Hartbaum haben – aber dann dieses selbstverliebte Schweigen und Hinnehmen des postkolonialen oder säkular-leninistisch-hegelianisch-trendigen Mainstream-Antisemitismus oder das Verleugnen der islamistischen Gefahr.

Noch nicht mal Zizeks wirklich vulgärer Patriarchalismus und seine Angst vor weiblichen Entdeckungsreisen zur Vulva sind offenbar in diesen Kreisen ein no-go, obschon doch gerade die Neue Rechte so massiv patriarchal pöbelt. Demnach spricht ein Kommentar von Margarete Stokowski, die zeigt, wie ähnlich männlich-sexistisch misogyn Superstars der Rechten (Jordan Peterson) und Linken (Slavoj Zizek) ticken, offenbar ins Leere, die Kulturelite à la Volksbühne und Arch+ ignoriert ihre Kritik jedenfalls, Zizek bleibt der Star.[51]

Die perfide Logik des Heftes von Arch+ ist nun folgende: die Autor*innen geben vor, gegen Antisemitismus zu sein. Doch darunter wird der Antizionismus gerade nicht gefasst. Auch der Postkolonialismus taucht in diesem Schema gerade nicht als überaus reduktionistische und bisweilen antisemitische Ideologie auf. Der überaus beliebte Hetzer Zizek (von der Süddeutschen Zeitung über die Arch+ bis hin zu jedem hippen Uni-Seminar in den Sozial- und Geisteswissenschaften) spricht im Mai 2019, nur einen Tag nach dem Bauchpinseln durch Trüby, vom „zionistischen Antisemitismus“,[52] weil Israel sich gegen Juden wenden würde, die nicht pro-israelisch sind.

Wer letztendlich die islamistisch organisierte Landnahme via öffentlichem Massengebet auf dem Tempelhofer Feld in Berlin im August 2019 durch die Neuköllner Begegnungsstätte sieht, die mit Tausenden Muslimen, fanatisch getrennt nach Geschlechtern, verschleiert und mit Teppichen ausgestattet, Angst und Schrecken bei weltlichen und antiislamistischen Besucher*innen des Tempelhofer Feldes evozierten (ich selbst wohnte sechs Jahre unweit des Tempelhofer Feldes und besuchte den Ort fast täglich), kann nur der liberal-muslimischen Anwältin und Feministin Seyran Ates zustimmen:

Das sind muslimische Identitäre.[53]

Man könnte sprachlich geschickter vielleicht auch von identitären Muslimen sprechen, denn der Islamismus ist ja keine Unterkategorie des Rechtsextremismus, sondern eine eigenständige Ideologie, die historisch viel mit den Nazis gemein hatte, so wie der neu-rechte Vordenker Eichberg mit Gaddafi kooperierte und die Muslimbruderschaft und die Verschleierung feierte[54] – aber heute kooperiert der Islamismus ideologisch intensiv mit der Linken.[55]

Die Schadenfreude weiter Teile der Kulturelite nach 9/11[56] wie auch das Schweigen oder klammheimliche Klatschen und Kichern angesichts des Jihad von denselben Kreisen wird in dem Band nicht erwähnt. Dabei ist das für nicht wenige heutige neu-rechten Hetzer ein Ausgangspunkt, wobei die not-wendige Kritik am Islamismus und Jihad zu einem deutsch-nationalen Furor gegen „den“ Islam, „die“ Genderideologie oder „die Flüchtlinge“ und das „rot-grün versiffte Gesocks“ sich schnell wandelte.

Vom Antisemitismus zu reden und damit „nur“ den NS oder die Neo-Nazis, die Neue Rechte und Teile der bürgerlichen Mitte zu meinen, aber nie den Antizionismus der Linken, ja nicht mal den antiisraelischen Judenhass von Neonazis, ist reduktionistisch und falsch. Das hatte mich schon im Sommer 2002 angesichts ganz typischer linker und migrantischer Invektiven bei der Hans-Böckler-Stiftung, wo ich seinerzeit Doktorand war, zu folgendem Spruch in meinem Text für die Gewerkschaftlichen Monatshefte (9/2002) bewogen:

Deutsche mögen nur tote Juden, Islamisten gar keine.[57]

Der Bundestag beschließt im Mai 2019 eine nicht verbindliche Anti-BDS-Resolution, die Bundeszentrale für politische Bildung wird vom Bundesinnenministerium finanziert und unterstützt ihrerseits z.B. die Zeitschrift Arch+, die BDS-Unterstützer*innen publiziert.

Die Frage, ob Fotos von Neuen Rechten einen Erkenntnisgewinn haben oder nicht eher affirmativ sind, stellt sich bei dem Heft 235 von Arch+ überall. Das gilt auch für geradezu einfühlend gelayoutete Aufnahmen von NS-Architektur. Solche Bilder passen dann doch besser in Cato, DU, die Junge Freiheit oder auf rechte (Architektur-)Blogs. Es behindert das Lesen nicht unwesentlich und hat teils fragwürdigen Charakter, wenn einfach fröhliche Neo-Nazis abgelichtet werden und gerade nicht Bilder, wie rechtsextreme Politiker*innen oder Akteure eine Sahnetorte ins Gesicht geworfen bekommen oder wie eine Antifa-Demo sich gegen einen rechten Aufmarsch positioniert. Eine antifaschistische Nachricht in Split beim Einmarsch der Wehrmacht 1943 ist die große Ausnahme von der pro-rechten Bebilderung. Hitler-Bilder oder Hitlergrüße etc. haben nichts in einem sich antifaschistisch gebenden Heft zu suchen.

Die Kritik an der „Metapolitik“ in dem Arch+ Heft ist von eminenter Bedeutung. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie hat es schon vor Jahren in seinem Buch „Die Anti-Europäer“ pointiert auf den Punkt gebracht und dabei nicht nur den Rechtsextremismus, sondern auch den Islamismus und „Eurasier“ im Visier:

Man könnte die selbsternannten Erben der Konservativen Revolution belächeln, würden sie es bei verbalem Radikalismus belassen und ohne Resonanz bleiben. Führt auch heute ein Weg von einsamen Wölfen wie Breivik und den Cliquen eines Dugin oder al-Suri in breitere weltanschauliche Milieus und etablierte Machtzirkel? Zahlenmäßig schwach, betreiben Konservative Revolutionäre eine ‚metapolitische‘ Strategie: Erst sollen die Köpfe erobert werden, dann eventuell Positionen, Territorien und Ressourcen. Das war bereits der Ansatz der Neuen Rechten seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.[58]

Die Rechten versuchen nicht nur, ihre Ideologie in den Mainstream zu tragen, sondern praktizieren das auch ganz konkret mit architektonischen Mitteln: mit Denkmälern, wieder aufgebauten Stadtteilen oder Schlössern und Kirchen, entsprechenden Plätzen und so weiter. Die europäische Dimension wird in dem Arch+ Heft herausgestellt, man könnte das in zukünftigen Studien z.B. mit der Analyse von Würdigungen ehemaliger Nazikollaborateure und Antisemiten in der Ukraine, Lettland oder Litauen empirisch unterfüttern.

Auch die unerträglichen Jahn-Straßen oder –Sportplätze (z.B. Jahn Sportpark Berlin, Jahn-Denkmal auf der Hasenheide in Berlin-Neukölln, Fußball-Bundesligist (2. Liga) Jahn Regensburg), Hermann-Löns-Straßen oder Richard-Wagner-Plätze, -Straßen wie ‑Festspiele verdienten eine Kritik als extrem rechte Räume, mit dem Vorschlag, die jeweils umzubenennen, bundesweit, von den Treitschke- oder Hindenburg-Straßen etc. pp. nicht zu schweigen. Bezüglich der Straßen mit kolonialistischer Geschichte werden solche Änderungen im Heft auch angemahnt.

Unterm Strich gilt: Dank Stephan Trüby, seinem Institut IGmA an der Uni Stuttgart und dem Heft 235 von Arch+ hat die interdisziplinäre Forschung zur Neuen Rechten vielfältige kritische Einblicke in die europaweite ubiquitäre rechtsextreme Raumnahme erhalten, die bis weit in den bürgerlichen Mainstream ausstrahlt. Insofern hat der hypermodische und meist so affirmative wie elfenbeinturmmäßige spatial turn jetzt womöglich einen nicht zuletzt deutschlandkritischen und zur Aktion aufrufenden Touch von Antifa.

Für jene, die im gegenintellektuellen Zeitalter von Twitter und Facebook keine langen Texte zu lesen imstande oder willens sind, eine knappe Zusammenfassung:

1) Die Zeitschrift Arch+. Zeitschrift für Architektur und Urbanismus attackiert in ihrem Heft 235 von Mai 2019 zu dem Thema „Rechte Räume. Bericht einer Europareise“ den sekundär antisemitischen Charakter der Rekonstruktion der Altstadt von Frankfurt am Main.

2) Arch+ 235 skandalisiert den antisemitischen Charakter von Hans Kollhoffs Ezra Pound Zitat auf dem Walter-Benjamin-Platz in Berlin.

3) Arch+ 235 betont das völlig ungenierte Vergessen oder Feiern des Faschismus in Italien oder Spanien.

4) Arch+ 235 unterstreicht die europaweite Dimension der Neuen Rechten, von der Schweiz über Polen, Frankreich, Österreich, Holland und natürlich Deutschland und weiteren Ländern.

5) Arch+ 235 hat unnötigerweise und ohne jeden Erkenntnisgewinn viele hochauflösende Bilder von Neonazis, Neuen Rechten und von Nazi-Gebäuden, die es erschweren, das Heft zu lesen. Diese Bilder passen eher zu rechtsextremen Publikationsorten, aber haben in einem Heft, das vorgibt Antifa zu sein, schlicht nichts zu suchen.

6) Arch+ 235 bedankt sich bei einer postkolonialen Gruppe („Decolonize the City“), die gegen Israel agitiert.

7) Arch+ publizierte 2018 eine der führenden BDS-Vertreter*innen weltweit, Naomi Klein.

8) Arch+ folgt ohne jede wissenschaftliche Differenzierung dem postkolonialen Hype, dessen Antisemitismus in diesem Rezensionsessay analysiert wurde.

9) Arch+ schreibt über die heutige Türkei, ohne das Wort Islamismus auch nur einmal zu verwenden und trivialisiert die Situation mit Ausdrücken wie „Nationalpopulismus“ oder „religiöser Nationalpopulismus“. Zudem agitiert der Text gegen Israel.

10) Mit keinem Wort wird im Heft Arch+ 235 auf den Antizionismus der Neuen Rechten und Neonazis eingegangen.

 

 

Der Autor, Dr. phil. Clemens Heni, ist Politikwissenschaftler, im Dezember 2002 hielt er seinen ersten Vortrag in Israel, er war 2003 und 2004 Felix Posen Fellow des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) der Hebräischen Universität Jerusalem; dortselbst war er von Oktober 2010 bis Mai 2015 Research Fellow. Er war 2008/09 Post-Doc in Yale und von Juli bis Oktober 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hannover, Fakultät für Architektur und Landschaft, Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur, Projekt: Hachschara, Landwirtschaft, Architektur. Anfang 1989 hatte er seinen Schulfreund und Mitabiturienten Stephan Trüby eingeladen, ihn auf eine Tagung über die „Dialektik der Aufklärung und die Antiquiertheit des Menschen“ nach Frankfurt am Main zu begleiten.

 

Endnoten

[1] https://www.belltower.news/afd-spitzenkandidat-in-brandenburg-die-rechtsextreme-karriere-von-andreas-kalbitz-89325/.

[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-andreas-kalbitz-war-mit-npd-funktionaeren-bei-neonazi-aufmarsch-in-athen-a-1284319.html.

[3] https://www.zeit.de/kultur/2019-09/landtagswahlen-fernsehberichterstattung-afd-rechtsextremismus-demokratie.

[4] https://www.zeit.de/kultur/2019-06/stephan-trueby-architektur-professor-rechte-raeume-kritik/komplettansicht.

[5] https://www.mousonturm.de/events/rechte-raeume-in-frankfurt-stadtspaziergaenge/?fbclid=IwAR0gjLVU9-2T8MSdPq56w0FkArPGQ-E_npmN8GgWi2gxzqCZ7D_APJrDgi0.

[6] Der Rezensent selbst steht auf einer der aktuellen quasi Abschusslisten von Neo-Nazis, „Judas Watch“, die jüngst von der Tagesschau-Sendung um 20 Uhr vom 18. August 2019 als Beispiel dafür genommen wurde, warum das Bundeskriminalamt (BKA) den Kampf gegen den Rechtsterrorismus, Hasskriminalität und den Rechtsextremismus forcieren und 10 neue Referate mit 440 neue Stellen einrichten wird, https://www.tagesschau.de/ausland/rechtsextremismus-129.html.

[7] Zu einer Kritik an Riehl, der antisemitischen Naturschutzgeschichte wie der NS-Landschaftsarchitektur siehe Clemens Heni (2009): Antisemitismus und Deutschland. Vorstudien zur Kritik einer innigen Beziehung, Morrisville.

[8] https://www.zeit.de/kultur/2019-06/stephan-trueby-architektur-professor-rechte-raeume-kritik/komplettansicht.

[9] http://www.clemensheni.net/liebende-in-new-york-city-oder-gegen-das-stolzdeutsche-nationalmannschaftsgeschwafel-von-der-heimat-von-edgar-reitz-ueber-robert-habeck-zu-cem-oezdemir-die-antiquierthei/ (07.03.2018), http://www.clemensheni.net/von-walser-1998-bis-oezdemir-2018-das-seminar-fuer-allgemeine-rhetorik-der-uni-tuebingen-die-rede-des-jahres-deutscher-antisemitismus-und-nationalismus/ (13.12.2018).

[10] http://www.clemensheni.net/kein-quentchen-linker-gesellschaftskritik/; Peter Bierl/Clemens Heni (2008): Eine deutsche Liebe. Über die braunen Wurzeln der Grünen und die Lücken der Naturschutzforschung, Konkret 1/2008, S. 24–26.

[11] Clemens Heni (2018): Der Komplex Antisemitismus. Dumpf und gebildet, christlich, muslimisch, lechts, rinks, postkolonial, romantisch, patriotisch: Deutsch, Berlin, S. 289–291.

[12] https://www.berlinerfestspiele.de/de/berliner-festspiele/programm/bfs-kuenstler/bfs_kuenstler_detail_279509.html.

[13] Siehe Clemens Heni (2013): Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust Trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism, Berlin, S. 406–415.

[14] http://www.clemensheni.net/how-german-is-the-jewish-museum-berlin/; Heni 2018, S. 450–454.

[15] Clemens Heni (2010): Stuttgart ist doch keine „Vorstadt von Jerusalem“…Paul Bonatz, der Nationalsozialismus und Die Grünen (K21), 24. August 2010, http://www.clemensheni.net/stuttgart-ist-doch-kein-vorort-von-jerusalem/.

[16] Heni 2018, S. 82, Zitat von der Literaturwissenschaftlerin Susanna Moßmann.

[17] Vgl. zum Göttinger Hainbund und zu einer weiteren Bücherverbrennung von Schriften Wielands nur ein Jahr später, 1773, Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970–2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg, S. 315, Fußnote 1306.

[18] Der Mitbegründer des Konzepts Ethnopluralismus seit den späten 1960er Jahren war Henning Eichberg, siehe Heni 2007, S. 47–50.

[19] https://blogs.timesofisrael.com/the-jewish-museum-fuels-the-anti-jewish-climate-in-germany/ (14.06.2019).

[20] https://www.rt.com/op-ed/460228-anti-semitic-bds-israel-zizek/. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Zionismus siehe Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus, Berlin.

[21] Cary Nelson/Gabriel Noah Brahm (Eds.) (2015): The Case against academic boycotts of Israel. Preface by Paul Berman, Chicago/New York.

[22] http://www.clemensheni.net/koennen-die-juden-in-deutschland-ueberhaupt-eigenstaendig-denken/.

[23] Clemens Heni/Thomas Weidauer (Hg.) (2012): Ein Super-GAUck. Politische Kultur im neuen Deutschland, Berlin.

[24] Heni 2018, S. 547.

[25] Tweet vom 14. Oktober 2015 zu einem Beschluss einer Gruppe von Geographen, sich dem Boykott Israels anzuschließen (https://iccg2015.org/resolution-english/); Tweet vom 26. September 2014 zur antiisraelischen schwarzen „Feministin“ Angela Davis (https://www.colorlines.com/articles/angela-davis-connects-movement-free-palestine-black-feminism), Tweet vom 28. Juli 2014 zu einem Text von Anna-Esther Younes (plötzlich heißt sie Anna-Esther, nicht mehr nur Anna wie 2012 im offiziellen Programm der Tagung „Decolonize the City“, und wird als „deutsch-palästinensische Akademikerin“ präsentiert), wo sie ihre Abscheu vor „Pro Zionisten“ freien Lauf lässt (http://www.migazin.de/2014/07/28/nahost-konflikt-rassismus-und-deutschland/), Tweet vom 25. Juli zu James Baldwins Antizionismus (http://socialistworker.org/2014/07/23/how-baldwin-saw-palestine), Tweet vom 24. Juli 2014 zu Ilan Pappé, der BDS als „legitim“ erachtet. Ebenso Bezüge zu Holocaustverharmlosenden Autoren wie Jürgen Zimmerer auf diesem Twitter Account wie auch im Text von Yeboah via einem von diesem edierten Band zur deutschen Kolonialgeschichte.

[26] https://www.humboldtforum.org/de.

[27] Ich selbst habe als Teenager bei einem Besuch in Ost-Berlin 1986 den Palast der Republik auch von innen gesehen.

[28] https://www.youtube.com/watch?v=4OFykZrIEEs.

[29] Zudem: „Die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin Imani Tafari-Ama, von Juli 2017 bis März 2018 Fellow am Flensburger Schifffahrtsmuseum mit dem Projekt ‚KulturTransfer. Unser gemeinsames Kolonialerbe‘, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes in deren Programm ‚Fellowship Internationales Museum‘, wurde in der taz Gelegenheit zur Verbreitung ihrer antijüdischen, den Holocaust als präzedenzloses Verbrechen leugnenden Ungeheuerlichkeiten gegeben: ‚Wenn ich Deutsche nach ihrer kolonialen Schuld befrage, heißt es oft, das kollektive Gedächtnis sei eben mit dem Holocaust viel zu sehr beschäftigt gewesen. Der habe alles andere verdrängt. Das mag stimmen. Trotzdem bleibt der Genozid an den Herero und Nama in Namibia bestehen; trotzdem bleiben die Unterdrückungsmaßnahmen in Togo, in Ruanda, in Tansania, in Kamerun – oder eben auf den Jungferninseln – Verbrechen, für die jemand haften muss. Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte ist, größer noch als der Holocaust.‘ Das ist eine offenbar im Mainstream angekommene neue Form der Holocaustleugnung, der Softcore-Variante, wie die Historikerin Deborah Lipstadt sagen würde“, Heni 2018, S. 367.

[30] Zwischenraum Kollektiv (Hg.) (2017): Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche | Aushandlungen | Perspektiven, Münster.

[31] https://www.rosalux.de/dokumentation/id/13988/decolonize-the-city-1/.

[32] https://unrast-verlag.de/neuerscheinungen/decolonize-the-city-detail.

[33] https://unrast-verlag.de/ebooks/decolonize-the-city-473-detail.

[34] https://www.decolonizethecity.de/talks.

[35] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/das-ballhaus-und-die-bds/.

[36] http://www.idverlag.com/BuchTexte/DreiZuEins/DreiZuEinsViehmann.html.

[37] https://www.emma.de/artikel/ein-abend-wuerzburg-334477.

[38] Saul Friedländer (1982)/1984: Kitsch und Tod. Über den Widerschein des Nazismus, München/Wien, S. 109.

[39] Helen Müller/Clemens Pornschlegel (2017): Vorwort, in: Heiner Müller (2017): „Für alle reicht es nicht“. Texte zum Kapitalismus. Herausgegeben von Helen Müller und Clemens Pornschlegel in Zusammenarbeit mit Brigitte Maria Mayer, Berlin (zitiert nach dem E-Book).

[40] Das erinnert an die den Holocaust ebenfalls universalisierende und in seiner Spezifik leugnende Kampagne „500jähriges Reich“ von Medico International von Anfang der 1990er Jahre: Bruni Höfer/Heinz Dieterich/Klaus Meyer (Hg.) (1990): Das Fünfhundertjährige Reich. Emanzipation und lateinamerikanische Identität 1492–1992, Frankfurt am Main; Stefan Armborst/Heinz Dieterich/Hanno Zickgraf (Hg.) (1991): Sieger und Besiegte im Fünfhundertjährigen Reich. Emanzipation und lateinamerikanische Identität: 1492–1992, Bonn; Heinz Dieterich (1990a): Ironien der Weltgeschichte. Strukturparallelen zwischen Nazi-Lebensraum und Erster/Dritter Welt heute, in: Höfer/Ders./Meyer (Hg.) (1990), S. 69–147.

[41] In Müller 2017.

[42] Dan Diner (2007): Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust, Göttingen, S. 81.

[43] Jakob Zollmann (2007): Polemics and other arguments – a German debate reviewed, in: Journal of Namibian Studies, Jg. 1, Nr. 1, S. 109–130; Jakob Zollmann (2010): Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen. Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915, Göttingen; Jakob Zollmann (2019): From Windhuk to Auschwitz – old wine in new bottles? Review article* (im Erscheinen).

[44] http://www.clemensheni.net/please-give-me-some-latkes-before-you-kill-me-jews-and-neo-nazis-in-germany/ (11.02.2019), http://www.clemensheni.net/kenneth-l-marcus-oxymoron-trump-and-civil-rights/ (12.03.2018), http://www.clemensheni.net/was-erlauben-lizaswelt-ueber-die-notwendigkeit-einer-selbstkritik-der-pro-israel-szene/ (24.03.2015), http://www.clemensheni.net/do-not-distract-attention-from-our-homemade-extremists/ (07.04.2014).

[45] Fania Oz-Salzberger/Yedidia Z. Stern (Hrsg.) (2017): Der israelische Nationalstaat. Politische, verfassungsrechtliche und kulturelle Herausforderungen. Aus dem Englischen von Clemens Heni und Michael Kreutz, Berlin.

[46] Clemens Heni (2017): Eine Alternative zu Deutschland. Essays, Berlin.

[47] Heni 2007, S. 87 f.

[48] Robert S. Wistrich (1991): Antisemitism. The Longest Hatred, London; New York; Robert S. Wistrich (2010): A Lethal Obsession. Antisemitism from Antiquity to the Global Jihad, New York.

[49] https://www.hna.de/kassel/israel-unser-unglueck-wirbel-wahlplakate-anti-israel-slogan-ngz-12284359.html, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/judenhass-im-wahlkampf-muss-gestoppt-werden/, https://www.nrz.de/staedte/moers-und-umland/die-rechte-kamp-lintfort-entfernt-wahlkampf-plakate-id221160357.html.

[50] https://www.archplus.net/home/archiv/artikel/46,4909,1,0.html. Im Januar 2009 kritisierte der bekannte linke Soziologe David Hirsh aus London die Pro-BDS-Position von Klein, https://engageonline.wordpress.com/2009/01/10/klein-hirsh/. Im Juli 2019 ist Naomi Klein wie gehabt im BDS-Aktivismus voll involviert, http://bdsberlin.org/2019/07/04/talib-kwelis-ausladung-vom-festivalprogramm-ist-teil-des-anti-palaestinensischen-trends-zu-zensur/.

[51] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/die-angst-der-maenner-vor-weiblicher-sexualitaet-kolumne-a-1258544.html, 19.03.2019.

[52]  Im oben bereits zitierten Text, https://www.rt.com/op-ed/460228-anti-semitic-bds-israel-zizek/ (25.05.2019).

[53] Seyran Ates zum Gebet auf dem Tempelhofer Feld „Das sind muslimische Identitäre“, 12.08.2019, https://www.tagesspiegel.de/berlin/seyran-ates-zum-gebet-auf-dem-tempelhofer-feld-das-sind-muslimische-identitaere/24895706.html. Zum Islamismus siehe Clemens Heni (2011): Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11, Berlin; Clemens Heni (2011a): Entry „Germany“ in World Almanac of Islamism, Washington, D.C., American Foreign Policy Council (ed.), auch online (letztes Update September 2018) auf http://almanac.afpc.org/Germany.

[54] Vgl. Heni 2007.

[55] Siehe das Kapitel „The Red-Green Axis“ in Wistrich 2010, S. 399–434.

[56] Heni 2011.

[57] http://clemensheni.net/wp-content/uploads/Gewerkschaftliche-Monatshefte-2002-Heni.pdf.

[58] Claus Leggewie (2016): Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co., Berlin, S. 9 f.

©ClemensHeni

Kein Quentchen linker Gesellschaftskritik

Das Buch „Deutschland rechts außen“ von Matthias Quent verharmlost die deutschen Zustände und die rechte Gefahr

Von Dr. Clemens Heni, 16. August 2019

Der Publizist Thomas Ebermann kritisiert in seinem Buch „Linke Heimatliebe. Eine Entwurzelung“ von 2019 den Thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und schreibt:

„Präsident Steinmeier hatte zum Tag der Deutschen Einheit gesagt: ‚Diese Sehnsucht nach Heimat dürfen wir nicht denen überlassen, die Heimat konstruieren als ein ,Wir gegen Die‘, als Blödsinn von Blut und Boden.‘ Einer der Ersten, die ihm beipflichteten, war der damalige Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir. Er lobte, ‚dass der Bundespräsident den Heimatbegriff positiv setzt und nicht denen überlässt, die unsere Republik schlechtreden und unser Land spalten‘. Und auch Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow lässt sich die Heimat ‚von keinem Nazi wegnehmen‘ und erteilt jeder kritischen Reflexion darüber vorab eine Absage: ‚Da bin ich stur‘.“

Diese Sturheit Ramelows, wenn es ums Eingemachte geht, zeigte sich besonders drastisch, als er 2016 „antideutschen“ Antifas, die eine Aktion vor dem Haus von AfD-Führer Björn Höcke in Bornhagen ankündigten, Nazi-Methoden und Arroganz vorwarf.

Ebermanns Kritik am Heimatbegriff ist deshalb so bedeutsam, weil er ja explizit die Linken oder Ex-Linken oder Noch-Nie-Linken im Visier hat wie Dieter Dehm, Christoph Türcke, Sarah Wagenknecht oder den Autoren des Neuen Deutschland Roberto J. De Lapuente. Ebermann bezieht sich auf den „Thüringen Monitor“ von 2018 und stellt fest:

„Seit dem Amtsantritt der – damals bundesweit ersten – rot-rot-grünen Landesregierung im Jahr 2014 sind fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen im Freistaat stetig und massiv angestiegen, in manchen Bereichen gar um ein Drittel. Warum? Auch darauf bietet die zitierte Studie Antworten: 96 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen ihre Heimat ‚wichtig‘ oder ‚sehr wichtig‘ sei.“

Was sagt nur Matthias Quent, der ebenso den „Thüringen Monitor“ heranzieht?

„Von einem gänzlich braunen Osten jedenfalls kann keine Rede sein: 48 Prozent der Thüringer Bevölkerung ordnet sich 2018 selbst als ‚links‘ ein, 31 Prozent in der Mitte.“

Matthias Quent ist ganz optimistisch, wie es sich für einen NGO-Aktivisten gehört: Er ist Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, das von der Amadeu Antonio Stiftung getragen und von der thüringischen Landesregierung mit verschiedenen Fördertöpfen co-finanziert wird.

Es geht um das neue Buch von Matthias Quent: „Deutschland rechts außen – Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können“ (Piper Verlag, August 2019, ich zitiere nach der E-Book Ausgabe).

 

Quent hat über den Rechtsterrorismus des NSU promoviert, er hat aber offenkundig wenig Erfahrung mit der Analyse der Neuen Rechten und der politischen Kultur insgesamt, er ist 33 Jahre alt (Jg. 1986, DDR) und das lässt er die Leser*innen auch spüren.

Die Bevölkerung driftet nicht nach rechts. 2001 haben sich im ‚Thüringen-Monitor‘ 4 Prozent der Befragten als ‚rechts‘ eingeordnet, zugleich lag der Anteil rechtsextrem eingestellter Menschen in Thüringen bei 25 Prozent. 2018 lag der Anteil der rechtsextrem Eingestellten bei 20 Prozent – genauso hoch wie der Anteil derer, die sich selbst als ‚rechts‘ einordnen. Das bedeutet: Das rechtsradikale Potenzial war immer da. Nur die Menschen betrachteten sich damals nicht als rechts.“ (Herv. CH)

Man muss sich das in Ruhe durchlesen, um den Wahnwitz zu verstehen. Demnach haben sich 2001 4 Prozent der Befragten in Thüringen als „rechts“ betrachtet, es gab aber 25 Prozent Rechtsextreme. 2018 nennen sich gleich 20 Prozent als „rechts“ was mit dem Prozentsatz der Rechtsextremen in diesem Bundesland übereinstimme. Das seien weniger als 2001 (25%) und also ein Fortschritt.

Die AfD bekam 2014 10,9% bei der Landtagswahl in Thüringen, derzeit steht sie in Umfragen wie vom 30. Juli 2019 (infratest dimap) vor der Wahl am 27. Oktober bei 24%, nur einen Prozentpunkt hinter den führenden Linken und vor der CDU, die SPD kommt auf 8%. Doch Quent sagt apodiktisch: „Die Bevölkerung driftet nicht nach rechts“. Wer will diesen Wahnsinn verstehen?

Die AfD könnte stärkste Partei werden, 2001 gab es sie noch gar nicht, und der Autor fabuliert davon, Thüringen würde nicht nach rechts „driften“. Es ist salonfähig, sich völlig ungeniert als „rechts“ zu definieren. Das ist die politische Katastrophe, der wir uns bewusst sein sollten. Nur NGO-Aktivisten, die selbst vom Staat finanziert werden, mögen das anders sehen.

Diese extrem dramatische Situation verniedlicht der Nachwuchs-NGO-Aktivist, der als Soziologe firmiert, aber eine Analyse der Gesellschaft ist seine Sache nicht.

Mit einem Schönreden der Situation in Thüringen, einem Hohelied auf die Heimat und auf Bodo Ramelows (Die Linke) Landesregierung in dem Buch von Matthias Quent –

„Die zivilgesellschaftlichen Demokratisierungsbemühungen zeigen Wirkung und wurden durch die rot-rot-grüne Landesregierung unter Bodo Ramelow (Die Linke) seit 2014 weiter verstärkt. Insgesamt 1,5 Millionen Euro wurden bereitgestellt, um Opfer und Hinterbliebene des NSU-Terrorismus zu entschädigen. Georg Maier (SPD) ist der erste Thüringer Innenminister, der lernbereit neue Wege geht, um die Handlungsspielräume von Neonazis einzuschränken. Professionelle und unabhängige Beratungsangebote für Betroffene rechter Gewalt und für Akteure, die sich gegen Rechtsradikalismus einsetzen, festigen demokratische Kompetenzen.“ –

kann man die Nazis nicht besiegen, vielmehr spielt man deren Spiel.

Quent ist offenbar wie Ramelow ein Heimatschützer der durchaus typisch ostdeutschen Art, wie es scheint:

„Fakten und Beispiele aus meiner Heimat Thüringen widerlegen ebenfalls das Klischee des braunen Ostens. Noch vor etwa zwanzig Jahren war Jena, die Stadt, in der ich lebe und arbeite, eine Hochburg des Rechtsradikalismus. Überfälle und Aufmärsche von Neonazis waren an der Tagesordnung.“ (Herv. CH)

 

Vor 20 Jahren gab es noch keine AfD, die jetzt kurz davor steht, stärkste oder zweitstärkste Kraft in Sachsen, Brandenburg (Landtagswahl am 1. September) und Thüringen zu werden. Mit Björn Höcke hat Thüringen einen der gefährlichsten rechtsextremen Agitatoren seit 1945. So klar sich Quent gegen die AfD ausspricht und sie bekämpfen möchte, so unglaublich selbst-verliebt und stolz ist er auf sein Thüringen und auf den Osten allgemein. Da wird einem regelrecht schwindelig, wenn einer ernsthaft behauptet, der Osten würde nicht nach rechts driften, wo doch die AfD, die mit Neonazis kooperiert, wie er selbst zeigt, fast stärkste Partei ist oder werden wird. Das so grotesk klein zu reden, wie Quent das tut, ist gefährlich oder zeugt von einem Realitätsverlust.

Dabei hat er ein paar ganz wenige gar nicht so schlechte Sätze in dem Buch, z.B. wenn er sich gegen den Kollegen Thomas Wagner wendet, der wie die Querfront mit Rechten redet und Gemeinsamkeiten von antiimperialistischen Linken und Neonazis sucht. Oder wenn er das Phantasma des gemeinsamen Kampfes von Ostdeutschen und Muslimen oder Migranten gegen die bösen Wessis kritisiert, ohne gleichwohl Namen zu nennen.

Er erwähnt die problematischen Ermittlungen zum NSU-Terror und die Involviertheit des Verfassungsschutzes, geht in einem super Schnelldurchlauf auf neu-rechte Einrichtungen wie das Institut für Staatspolitik oder die Ein Prozent-Bewegung ein, auf die Kreml-Nähe des Neonazis Manuel Ochsenreiter, der bis Januar 2019 Mitarbeiter von Markus Frohnmaier im Deutschen Bundestag war. Das sind alles keine neuen Informationen, die zudem von anderen AutorInnen schon deutlich pointierter und detaillierter und zumal analytischer gefasst worden sind.

Ein Beispiel dafür, was es heißt, sich als „links“ zu bezeichnen oder SPD-Mitglied in Thüringen zu sein, sei im Folgenden etwas näher erläutert, denn auch dazu schweigt Matthias Quent. Denn irgendwie exemplarisch für Thüringen vielleicht auch der Abstieg des ehemaligen Jenaer Oberbürgermeisters Albrecht Schröter (SPD). Der hatte (verdient) Ärger wegen seiner Unterstützung eines Israel-Boykotts von pax christi und gelegentlicher zumindest als antisemitisch deutbarer Äußerungen. So weit so schlimm.

Aber er erntete damit immer Kritik, auch vor Ort. Unterstützt wurde er allerdings von Bodo Ramelow. 2018 verlor Albrecht Schröter sein Amt an Thomas Nitzsche (FDP) und heuerte danach bei einer „Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft“ in BaWü als Geschäftsführer an. Die Stiftung sollte aktuell in Lindau am Bodensee nach der ultimativen Friedensformel suchen. Albrecht Schröter allerdings verlor seinen neuen Posten recht schnell wieder, weil er mit seiner Vorgeschichte nicht mehr als politisch neutral genug für die Stiftung und ihre Friedenssuche galt, man stritt sich vor Gericht.

Und jetzt kommt die Pointe: Albrecht Schröter wandte sich in einem Schreiben, das ausgerechnet das antizionistische Kampfblatt Der Semit unter der Überschrift „Wie kann der Einfluss der Israellobby gestoppt werden?“ publizierte (und wieder löschte), an seine „Freundinnen und Freunde“, um seine Sicht der Dinge darzulegen.

Er klagt darin über einen Blog-Beitrag der Amadeu Antonio Stiftung, der ihn den Job gekostet hätte, weil er „im Vorfeld meiner (leider erfolglosen) Wiederwahl und … seitdem bei Google unter ‘Albrecht Schröter – Israel‘ immer ganz oben [steht]. Das muss wohl irgendwer finanzieren… Es ist mit Händen zu greifen, dass hier von Seiten der Israel-Lobby auf den Stiftungsvorstand massiv Einfluss genommen worden ist.“

Und wenig später noch einmal wieder die Andeutung, „Ich denke, jeder von Euch weiß, wer hier die Feder geführt hat.“ Und mit diesen Äußerungen, die ja nicht „nur“ ungeheuer dumm sind, eines immerhin Ex-Oberbürgermeisters einfach intellektuell unwürdig, sondern tatsächlich kaum verhüllter Antisemitismus, erregte Albrecht Schröter einerseits kaum mehr Aufsehen, ein Parteiausschlussverfahren hat offenbar niemand angestrengt, andererseits dokumentieren sie aber auch, wie tief gesunken er selbst ist – ohne es zu merken oder sich einzugestehen.

Zu Zeiten seiner „pax christi“-Skandale wäre ihm wohl selbst nie in den Sinn gekommen zu fragen: „Wie kann der Einfluss der Israellobby gestoppt werden?“, heute ist das eben auch für ihn offenbar völlig normal. Das politische Klima (nicht nur) in Thüringen hat sich geändert und mit ihm die/manche Menschen, die wiederum es beeinflussen usw. …

Soviel zum „linken“ Jena oder jenen, die sich ganz bestimmt nicht als rechts oder problematisch definieren in Thüringen.

Völlig Absurd, aber typisch für weite Teile der herkömmlichen und NGO-mäßigen Anti-Nazi-Szene ist Matthias Quents Herunterspielen des Islamismus, der als „religiöse Form“ des „Rechtsradikalismus“ definiert wird. Wirkliche Empathie mit den 3000 zerfetzten, pulverisierten oder verbrannten Opfern des 11. September 2001 oder den Opfern jihadistisch-islamistischer Massaker in einem jüdischen Supermarkt, der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder den Konzertbesuchern im Club Bataclan im Jahr 2015 in Paris oder den vom Jihadisten Anis Amri zu Tode gefahrenen Weihnachtsmarktbesucher*innen in Berlin vom Dezember 2016, hat Matthias Quent nicht.

Hingegen schreibt er völlig ernsthaft und mit Nachdruck:

„2018 wurden nach Europol-Daten in der gesamten EU 62 Menschen durch Terrorismus getötet. Jedes einzelne Opfer ist eines zu viel. Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, müssen wir uns dennoch vor Augen führen, dass in Europa jedes Jahr 400 000 Menschen vorzeitig durch den Einfluss von Feinstaubbelastungen sterben, allein in Deutschland rund 66 000. In Deutschland sterben jährlich etwa 15 000 Menschen an Krankenhauskeimen. Im Jahr 2017 kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland 1077 Menschen im Verkehr durch zu schnelles Fahren ums Leben, 60 079 wurden verletzt. 231 Menschen starben bei Alkoholunfällen. Politik und Medien übertreiben die Gefahr durch den Terrorismus massiv, um von der Angst zu profitieren. Der islamistische Terrorismus kostete seit 1990 in Deutschland vierzehn Menschen das Leben. Verheerende Anschläge in anderen Ländern, etwa in Sri Lanka zu Ostern 2019 mit mindestens 250 Todesopfern, verbreiten jedoch auch weit entfernt Angst und Hass. Trotz der hierzulande vergleichsweise geringen Opferzahl ist Terrorangst darum eines der wichtigsten Mobilisierungsthemen der radikalen Rechten.“

Wer den Unterschied zwischen politischem Terrorismus und islamistisch motivierten Massakern und Verkehrsunfällen oder sonstigen industriegesellschaftlichen Massenphänomenen wie Keimen in Krankenhäusern nicht kennt, sollte erstmal ein seriöses Studium machen, bevor er „Direktor“ eines Forschungsinstituts oder einer zivilgesellschaftlichen NGO wird – und dabei gar von führenden Professor*innen beraten wird.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der Zentralrat der Muslime im Kuratorium des Jenaer Instituts von Quent sitzt (zur Kritik am Zentralrat der Muslime siehe z.B. hier). Was die „wissenschaftlichen Beiratsmitglieder“ Gideon Botsch, Wolfgang Frindte, Britta Schellenberg, Oliver Decker, Susanne Schröter, Lars Rensmann oder Samuel Salzborn (und die anderen Mitglieder) dazu beziehungsweise zu dieser Studie des Vordenkers des Jenaer Instituts insgesamt sagen, ist nicht bekannt.

Zentrale Begriffe der Forschung wie „sekundärer Antisemitismus“, „Israel bezogener Antisemitismus“, „Antizionismus“ oder „Jihad“ sucht man in der Publikation Quents vergeblich.

Hingegen wird Gerhard Schröder wegen seiner angeblich anti-rechten Politik und seinem „Aufstand der Anständigen“ gefeiert, ohne auf seine deutsch-nationale Ideologie wie die Einladung des antisemitischen Starschriftstellers Martin Walser am 8. Mai 2002 ins Bundeskanzleramt auch nur en passant einzugehen.

Quent schreibt:

„Der Anschlag in Düsseldorf und zahlreiche weitere Vorfälle waren Anlass dafür, dass der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den ‚Aufstand der Anständigen‘ ausrief. In den folgenden Jahren änderte sich der staatliche Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Rechtsradikalismus. Der Bund (und nach und nach auch die Länder) unterstützten zivilgesellschaftliche Aktivitäten für demokratische Kultur verstärkt. Dadurch verbesserte sich die Situation vielerorts deutlich.“

Kritische Soziologen und Politologen wie Andrei S. Markovits von der University of Michigan haben gerade die rot-grüne Regierung Schröder/Fischer (1998–2005) für eine neue Unverschämtheit gegenüber Juden, Israel und der deutschen Geschichte kritisiert. Davon weiß Matthias Quent rein gar nichts. Auch der erste Angriffskrieg Deutschlands nach 1945 passierte unter Rot-Grün, 1999 gegen Jugoslawien, wo Fischer auf perfide Weise Auschwitz instrumentalisierte und auf den Balkan verlegte.

Ähnlich desolat wird es, wenn sich Quent mehrfach auf den amerikanischen Historiker Timothy Snyder bezieht. Dieser war im Jahr 2010 mit seiner als antisemitisch kritisierten Studie Bloodlands hervorgetreten, wo er den Nationalsozialismus und den Stalinismus auf eine Stufe stellt. Snyder macht sich darin gleich zu Beginn über die deutschen Juden, die Opfer des Holocaust geradezu lustig, weil es doch prozentual so wenige seien verglichen mit den osteuropäischen Opfern. Er schrieb wörtlich, dass die meisten deutschen Juden, die 1933 lebten, eines „natürlichen Todes“ gestorben seien. Da lachen Neonazis herzhaft!!

Snyder spielt insgesamt den Antisemitismus herunter und leugnet die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz, da Stalin das Morden 1932 begonnen habe. Das ist ja auch die Ideologie von Joachim Gauck und der „Prager Deklaration“, wovon man natürlich bei Quent nichts erfährt. Die Erwähnung des Antisemitismus ist fast immer nur additiv und kommt zum Beispiel via der Agitation der Rechten gegen George Soros vor, doch auch da gibt es deutlich bessere Analysen dieser antisemitischen Verschwörungsmythen. Bei Snyder ist der Fokus auf Russland typisch für die antikommunistisch-antisemitische Literatur seit Jahrzehnten, nur gibt es mit Snyder jetzt einen Superstar der Historiographie. 2015 legte er nach und sein Buch „Black Earth“ wird von Quent mehrfach affirmativ zitiert:

„Der Historiker Timothy Snyder hat in seinem Buch Black Earth die Ursachen des Holocausts aufgearbeitet und schließt daraus: Der Holocaust kann sich wiederholen“, „Bereits 2015 warnte der Historiker Timothy Snyder davor, dass sich der Holocaust wiederholen könnte, wenn eine Gruppe von Menschen zum Sündenbock erklärt wird, durch deren Vernichtung eine drohende Klimakatastrophe verhindern werden könnte.“

Dabei spielt Snyder den Antisemitismus (nicht zuletzt Polens) herunter und ignoriert weite Teile der Holocaust- bzw. Shoah-Forschung. Die Studie kulminiert in der den Holocaust als singuläres Ereignis leugnenden Dystopie Snyders, der zukünftige ökologisch motivierte Holocausts herbeischreibt. Dabei hat kein Land der Erde derzeit vor, ein Volk oder eine Gruppe von Menschen aus dem einzigen Grund, dass es dieses Volk oder diese Gruppe von Menschen ist, auszulöschen – bis auf Vernichtungsdrohungen gegen Israel wie von der Islamischen Republik Iran oder arabischen Antisemiten aller Art.

Aber Klimakatastrophen und ihre schrecklichen Folgen, auch Kriege, die wegen Wasserarmut oder Dürren etc. kommen werden, haben überhaupt gar nichts mit dem Holocaust zu tun. Diese Universalisierung der Shoah (Shoah ist auch Wort, das bei Quent nicht vorkommt) ist antisemitisch, in effect if not intent.

Der Historiker Omer Bartov hat 2016 „Black Earth“ von Timothy Snyder im The Chronicle of Higher Education auseinandergenommen, die oben erwähnte antikommunistisch-antisemitische Dimension Snyders kritisiert und festgehalten:

„Here Snyder’s idea of ‘double occupation’ is applied to reinforce the idea of state collapse. Examined from the perspective of contemporary discourse in much of post-Communist Eastern Europe, one cannot avoid seeing the link of this idea to the popular ‘double genocide’ theory. According to this theory, while the Germans murdered the Jews (with some help from local ‘bad apples’), the Soviets, closely associated in people’s minds with the Jews, murdered the ‘indigenous’ population. ‘Double genocide’ is nothing but a rehashing of the idea of Judeo-Bolshevism, the canard that Communism and the Soviet Union were a Jewish project, which was used to justify the killing of Jews during the war. And while Snyder rightly dismisses the idea of Judeo-Bolshevism as a Nazi myth, he also embraces the idea that the rapid mass killing of Jews by the Germans in areas previously occupied by the Soviets was largely the result of Soviet policies such as mass deportation and the murder of real and imagined opponents. In other words, Snyder repeatedly suggests that the Soviets bear a major responsibility for the Holocaust (and he says nothing about the fact that the killing was ended only by the costly victory of the Red Army over the Wehrmacht).”

Bartov resümiert seine Besprechung von Snyders “Black Earth”, einem Buch, das Matthias Quent wie vielen anderen ganz normalen Deutschen so gut gefällt:

“Written with flair, imagination, and rare confidence on a topic that has baffled so many, Black Earth is a good example of how not to write a history of the Holocaust.”

Eventuell hat Matthias Quent publizistische Stärken. Wenn dem so ist, hat er sie jedenfalls in seinem neuen Buch enorm gut versteckt. Noch nicht einmal die antisemitische Parole der Partei „Die Rechte“ und anderer Neonazis in Dortmund vom Mai 2019: „Israel ist unser Unglück“, wird erwähnt, dabei hat Quent sehr wohl aktuelle Beispiele bis in den Sommer 2019 hinein.

Das Buch „Deutschland rechts außen“ ist ohnehin kein Buch, sondern ein Antrag auf mehr Fördergelder beim Freistaat Thüringen und der Amadeu Antonio Stiftung.

Der Kampf gegen rechts ist extrem wichtig, man sollte ihn nicht heimattümelnden Autoren überlassen, die den Antisemitismus, die Neue Rechte, Heimatwahnsinn, den Islamismus oder das Sommermärchen von 2006 kleinreden oder völlig ignorieren. Auf dem bemerkenswert schlecht gemachten Cover des Buches ist ein verschwommenes Meer aus Deutschlandfahnen zu sehen, doch eine Kritik an Deutschland, vom Fußball-Nationalismus ganz zu schweigen, ist in dieser Publikation gerade nicht zu finden.

Was lernt man? Tote durch Alkoholunfälle sind schlimmer als Opfer des Jihad. Da lacht Mohammed Atta.

Auf diese Weise kann man vielleicht den Zentralrat der Muslime zum Freund haben, aber die Neue Rechte und die AfD bekämpft man so gerade nicht.

Die ganze anti-linke und Anti-Antifa-Agenda zeigt sich in diesem Schrei nach dem Bundesverdienstkreuz durch Matthias Quent, womit ich schließen möchte:

„Doch es geht nicht um links gegen rechts. Es geht um die Verteidigung der Grundpfeiler der liberalen Demokratie und die Werte des Grundgesetzes an sich.“

 

Herzlichen Dank an Thomas Weidauer für sachdienliche Hinweise.

©ClemensHeni

50 Jahre Mondlandung, der Nationalsozialismus, Hermann Oberth, Sigmund Jähn sowie die Neue Rechte und Henning Eichberg im Jahr 1971

Von Dr. Clemens Heni, 17. Juli 2019

In einem Text in der Stuttgarter Wochenzeitung „Kontext“ vom 17. Juli 2019 gibt es einen Text zu Hermann Oberth, dem „Raketen-Nazi mit Bundesverdienstkreuz“.

Darin wird zu Recht darauf abgehoben, dass Hermann Oberth nicht nur mit den Nazis kooperierte, sondern auch nach 1945 ein Rechtsextremist blieb und z.B. der NPD beitrat.

Das sind jedoch alles keine neuen Erkenntnisse, wie man bei der Lektüre der „Kontext: Wochenzeitung“ denken könnte, denn schon 2006 an der Uni Innsbruck, publiziert 2007 im Marburger Tectum Verlag („Salonfähigkeit der Neuen Rechten“), hatte ich folgendes Unterkapitel zu diesem Thema, das ich unten dokumentiere. Im Oktober 2018 wiederum hatte ich in der Einleitung zu der Studie „Der Komplex Antisemitismus“ wiederum auch auf die Raumfahrt abgehoben:

Wenn heute die internationale BDS-Be­weg­ung kreischt: „Kauft-nicht-bei-Juden“ und „boykottiert Musiker, Künstler-und-Forscher*innen, die in Israel auftreten“, wenn in holländ­ischen Fuß­ball­stadien „Hamas, Hamas, all Jews to the Gas“ gebrüllt wird,[1] oder wenn deut­sch-türkische Facebook-User mit Klarnamen und Bild im Juni 2010 lamentierten, Hitler hätte seinen Job leider nicht zu Ende ge­bracht oder wenn die Amerikanische Astronautische Ge­sell­schaft (Am­er­ican Astro­­naut­ic­al Society) in Kooperation mit der Raum­fahrt­behörde der USA, der NASA (National Aeronautics and Space Ad­mi­ni­strat­ion), im Oktober 2018 wieder ihr „Wern­her von Braun Memorial Sym­posium“ in Huntsville veranstaltet,[2] wird deut­lich: Ohne den National­soz­ia­lismus und deutschen Anti­semi­tis­mus würde es das alles nicht geben. „Wir“ sind Export-Welt­meister und haben den Import von Antisemitismus gar nicht nötig.

[1] Remco Ensel (2017): ‚The Jew‘ vs. ‚the Young Male Moroccan‘. Stereotypical Confrontations in the City, in: Ders./Evelien Gans (Hg.), The Holocaust, Israel, and ‚the Jew‘. Histories of Antisemitism in Postwar Dutch Society, Amsterdam: Amsterdam University Press, 377–413, hier S. 377.

[2] „Wernher von Braun Memorial Symposium, October 23–25, 2018, Huntsville, Alabama“, http://astronautical.org/events/vonbraun/ (11.05.2018). Zur Kritik an von Braun siehe Rainer Eisfeld (1996): Mondsüchtig. Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

 

Hier das Kapitel aus meiner Doktorarbeit von 2006:

  1. »Vorsprung durch Technik« (1971): Eichberg,V2 und »Mondsucht«

1971 fing die deutsche Automarke Audi 1971 an, ihren Slogan »Vorsprung durch Technik«[1] zu verbreiten. Schon wieder diese Dreieinigkeit Deutsche, Technik und Vorsprung? Noch heute hallt die Zeit der NS auch insofern nach, als die nationalsozialistische Betriebsgründung Volkswagen (VW)[2] eines ihrer Luxusmodelle Phaeton nennt, während der Automobilkonzern Auto-Union, heute unter dem alten Namen Audi eine Tochter von VW, ab 1935 ebenfalls einen Phaeton bauen ließ.[3]

Die Beziehung der Deutschen zur Technik hat bezüglich des Fliegens bzw. ›Raumfahrens‹ im Zeppelinkult des Kaiserreichs ihren national(istisch)en Grund, wie der Philosoph Helmut Reinicke in einer Studie zeigt.[4] In dieser spezifisch deutschen Liebe zu Größe, nationaler ›Ehre‹ und Unerreichbarkeit steht die NS-Raumfahrt.

Die Neue Rechte war zu der ›Vorsprung-durch-Technik‹-Zeit der Audi-Kampagne sehr technik- und fortschrittsfreundlich und Eichberg interviewte just 1971 einen führenden Ingenieur der deutschen Luft- und Raumfahrt, Hermann Oberth,[5] der als »›Vater der Raumfahrt‹«[6] vorgestellt wird. Ein biografischer Abriss unterstreicht ganz selbstverständlich dessen ›Leistung‹ für den NS:

»Seine [Oberths, C. H.] Schrift ›Die Rakete zu den Planetenräumen‹, die die geistigen Grundlagen für die moderne Weltraumfahrt legte, mußte er 1923 auf eigene Kosten drucken lassen. (…)

Obwohl aber die ersten Auflagen seines Buches reißenden Absatz fanden und auch die (internationale) Gelehrtenwelt sich ihm allmählich aufschloß, blieb Oberth von einer Verwirklichung seiner Vorstellungen noch weit entfernt. Nur einen Ersatz bedeutet es, daß der expressionistische Filmregisseur Fritz Lang, der bereits ein Gespür für das kommende Raketeninteresse entwickelt hatte, ihn 1928 für den Film ›Die Frau im Mond‹ als technischen Berater engagierte. Erst Anfang der 30er Jahre begannen militärische Stellen in Berlin, sich für die Raketenforschung zu interessieren: Der damalige Hauptmann Walter Dornberger engagierte den jungen Wernher von Braun, der vorher schon als Abiturient und Student bei Oberth gearbeitet hatte, und 1933 begannen in Kummersdorf bei Berlin, später fortgesetzt in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom, die ersten Arbeiten an den Raketen der A-Reihe, aus der später die V2 hervorgehen sollte. Oberth aber blieb – infolge Zurückhaltung der staatlichen Stellen – außerhalb der Arbeiten. Anwerbungsversuche der Sowjets 1932, der Japaner 1933 und der rumänischen Regierung 1935 wies er ab. Erst 1941 wurde Oberth in Peenemünde beteiligt, wo am 3. Oktober 1942 der erste Flug einer V2 gelang. Aber die 1944 erstmals gegen London eingesetzte Waffe konnte den Verlauf des Krieges nicht mehr beeinflussen.«[7]

 

Lapidar wird hier der Massenmord durch V2-Angriffe an englischen, holländischen oder belgischen ZivilistInnen implizit erwähnt und wiederum unausgesprochen der Tod von ZwangsarbeiterInnen als Bedingung der Produktion affirmiert – schließlich ging es um »Vergeltung«, V2 hieß Vergeltungswaffe.

Eichberg derealisiert nicht nur diese von der deutschen V2 Ermordeten, sondern erwähnt den ›geringen Erfolg‹ der V2, die den »Krieg nicht mehr beeinflussen« konnte. Ganz positiv hingegen sieht er Oberths Einsatz für Nationalismus auch nach dem Nationalsozialismus. Oberth war Mitte der 1960er Jahre NPD-Mitglied geworden, musste sich aus taktischen Gründen zwar wieder von ihr trennen, aber sein völkisches ›Weltbild‹ blieb das gleiche:

»[Eichberg] Welche Bedeutung könnte nach Ihrer Meinung Nationalismus im technologischen Zeitalter haben?

Oberth:

Ich habe die NPD keineswegs als falsch erkannt, ich bin bloß ausgetreten, weil ich glaube, daß ich der Sache des Deutschtums mehr nützen kann, wenn ich überhaupt an junge Leute herantrete und ihnen sagen kann, was sie alles noch lernen müssen, um die Politik richtig zu verstehen; andernfalls hören sie ja gar nicht, was man sagt und schreien einen bloß nieder. Drastisch gesprochen glaube ich, der Sache der Vernunft mehr als Heckenschütze nützen zu können als als Frontkämpfer.«[8]

 

Das passt zu Eichberg und der Neuen Rechten: nicht alt-rechts im Heer marschieren, sondern aus dem Hinterhalt als ›Heckenschützen‹ angreifen, ›nationalrevolutionär‹ mit modernster Technik ausgestattet. Die Gleichzeitigkeit dieses Gespräch, Oberths Reminiszenzen an die Luftraumfahrt und dem Anlaufen einer allzu deutschen Kampagne der Automarke Audi – Vorsprung durch Technik –, induziert Wesentliches: Deutschland ist wieder gut gemacht, konnte nach seinen Verbrechen prächtig prosperieren, Schuld gab es nie und Täter auch nicht.

Wenn Konstrukteure von Massenvernichtungswaffen, die auf der tödlichen Zwangsarbeit unzähliger Sklavenarbeiter basierte, wenig später ihre Taten und Erfindungen rühmen dürfen, so ist der Slogan Vorsprung durch Technik – auch die V2 sollte ja ein Vorsprung im wörtlichen Sinne sein! – nichts als Zynismus und Affirmation der Barbarei.

In der DDR war Oberth auch anerkannt. Eine Ikone der DDR, der erste Deutsche im All, Sigmund Jähn (für ›Wessis‹ bekannt geworden durch den Film »Good Bye Lenin«), war ganz glücklich, den alten Nazi noch zu treffen:

»Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, lernte Hermann Oberth 1982 anläßlich des 25. Jahrestages des Starts von Sputnik I in der Sowjetunion kennen – fünf Jahre nach seinem Raumflug. (…) Mir hat Professor Oberth in jeder Begegnung Achtung abgenötigt. Er hat ja nicht nur Bücher geschrieben, im reifen Alter übrigens auch über Parapsychologie und mit Vorschlägen für ein Weltparlament. Als er 90 Jahre alt wurde, beobachtete ich ihn, wie er den Lift des Hotels mißachtete und die drei Treppen zu Fuß ging. ›Es hat keinen Zweck mit ihm zu streiten‹, sagte mir seine Tochter, Frau Dr. Erna Roth-Oberth, die ihn begleiten mußte. Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu: ›Er war schon immer ein Querkopf, der sich durchsetzte‹.«[9]

Oberth sei ein (lustiger) ›Querkopf‹, der ›sich durchsetzte‹ – und 20 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus der NPD beitrat. In einer von Oberth autorisierten Biografie von Hans Barth sagt der Raketenfetischist 1985:

»H. B. [Hans Barth, C. H.]: Wäre der Mensch ohne Hermann Oberth erst später auf dem Mond gelandet?

Professor Oberth: Ich glaube, ja. Er wäre natürlich auch ohne ihn gelandet, allerdings hätte die Sache dann mehr Menschenopfer gefordert.«[10]

 

Angesichts der Sklavenarbeiter, die oft bis zum baldigen, qualvollen Tod für die Raketenforschung Oberths und Wernher von Brauns & Co. in Peenemünde und Mittelbau Dora arbeiten mussten, sind solche Worte, 40 Jahre nach der Befreiung der letzten noch lebenden Zwangsarbeiter, der pure Hohn.

Der Philosoph Günther Anders hat die deutsche Befindlichkeit, welche aus solchen Sätzen Oberths spricht, seziert:

»Fragen wir noch einmal: Welcher Situation verdanken wir die Raketen? Letztlich Hitlers verzweifeltem Versuch, doch noch zu siegen. Und dann der Niederlage Hitlers. Genauer: denjenigen Männern, die auf ihres ›Führers‹ Anweisung hin in hektischer Team-Arbeit die V I- und die V II-Raketen konstruierten, um der Naziregierung die Chance zu verschaffen, London in Schutt und Asche zu legen – was ihnen ja auch in weitestem Umfange gelungen ist. (…)

›Da gab es‹, so berichtet zum Beispiel auch heute noch ungerührt (beziehungsweise aufs schamloseste gerührt) der nunmehr vierundsiebzigjährige Dornberger, ›da gab es keine Handbücher, keine bewiesenen Formeln, keine Hilfe durch wissenschaftliche Vorarbeiten.‹ – Noch heute also protzt der nun alte Mann damit, und das nicht etwa in Deutschland, sondern in Amerika, vor den Verbündeten seiner Opfer von damals, daß sie, die Raketen-Konstrukteure, damals, als Hitler ihnen die Aufgabe zuerteilte, die Totalvernichtung Englands vorzubereiten, einfach mit nichts hatten anfangen müssen. Man stelle sich das vor: mit buchstäblich nichts. Die Ärmsten! Noch heute krampft sich einem, wenn man das hört, das Herz zusammen.«[11]

Eichberg hingegen würdigt den Oberthschen Einsatz für den Nationalsozialismus, indem er eine Nummer der Propagandazeitschrift der Neuen Rechten, des Jungen Forum, mit Oberth ausfüllt. Was damals schon nicht nur neu-rechts war[12], ist spätestens heute Mainstream[13]: Peenemündes Weg zur Pilgerstätte. In einem offenen Brief zweier Referenten, Günther Jacob und Nathan Sznaider, wird deutlich, dass der Tourismus nach Peenemünde und den alten V2-Anlagen in der Bundesrepublik floriert, was sich darin zeigt, dass der »Obersalzberg (jährlich 150.000 Besucher) schon 1994 übertroffen« wurde und Peenemünde »seit dem Jahr 2002 mit jährlich 350.000 Besuchern zu Deutschlands erfolgreichsten Museen« zählt.[14]

 

[1] Bis heute spielt Audi mit diesem affirmativen Deutsch-Sein, vgl. die Homepage http://www.vorsprungdurchtechnik.co.uk (06.11.2005). In einer ethnologischen Dissertation wird dieser Slogan affirmativ abgehandelt: Joana Breidenbach (1994): Deutsche und Dingwelt: Die Kommodifizierung nationaler Eigenschaften und die Nationalisierung deutscher Kultur, Münster/Hamburg (Lit; Interethnische Beziehungen und Kulturwandel, Band 22).

[2] VW wurde 1938 in der »Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben« gegründet, seit 1945 heißt die Stadt Wolfsburg. Die »Stadt des KdF-Wagens« war das größte Projekt der 1933 gegründeten nationalsozialistischen Organisation »Kraft durch Freude« (KdF). Ihr Titel war Programm: eine Art deutsches Losungswort.

[3] 1932 fusionierten die vier sächsischen Automobilhersteller Audi, Wanderer, DKW und Horch zur Auto Union. Das Symbol der vier ineinander verschlungenen Ringe hat hier seinen Ursprung, da jeder Ring für eine der Marken steht. Es wurden jedoch weiterhin Autos unter dem jeweiligen alten Firmennamen konstruiert. Zum 830er Phaeton vgl. Peter Kirchberg (1985)/1991: Horch Audi DKW IFA. 80 Jahre Geschichte der Autos aus Zwickau, 3. bearb. Aufl., Berlin (transpress; MotorbuchVerlag), S. 75.

[4] Helmut Reinicke (1998): Deutschland hebt ab. Der Zeppelinkult – Zur Sozialpathologie der Deutschen, Köln (PapyRossa).

[5] Henning Eichberg/Hermann Oberth (1971a)/1973: »Mondsucht«. Zur Zeitgeschichte der Technik und des okzidentalen Syndroms, Junges Forum, Nr. 2/1973. Der Text basiert auf einem Interview Eichbergs mit Oberth von August 1971, das er für die französische Zeitung der Nouvelle Droite, Nouvelle Ecole, geführt hat, vgl. Eichberg/Oberth 1971a: 3.

[6] Eichberg/Oberth 1971a: 7.

[7] Ebd.: 5.

[8] Eichberg/Oberth 1971a: 15.

[9] Horst Hoffmann (1998): Die Deutschen im Weltraum. Zur Geschichte der Kosmosforschung in der DDR. Mit einem Vorwort von Sigmund Jähn und unter Mitarbeit von Matthias Gründer und Andreas Schütz, Berlin (edition ost; Rote Reihe), S. 36–38.

[10] Hans Barth (1985)/1991: Hermann Oberth. »Vater der Raumfahrt«. Autorisierte Biographie. Mit einem Vorwort von Wernher von Braun, Esslingen/München (Bechtle), S. 300.

[11] Günther Anders (1970): Der Blick vom Mond. Reflexionen über Weltraumflüge, München (Verlag C. H. Beck), S. 185 f.

[12] Anders zitiert aus einem wohlwollenden Artikel in der Massenillustrierten Bunte von 1969, der Wernher von Brauns Lebensgeschichte aufrollt, vgl. Anders 1970: 186, Anm. 1.

[13] So z. B. der lobende, Kritik neutralisierende Ausstellungskatalog von Johannes Erichsen/Bernhard M. Hoppe (Hg.) (2004): Peenemünde. Mythos und Geschichte der Rakete 1923–1989, Berlin (nicolai).

[14] Günther Jacob/Nathan Sznaider (2003): Presseerklärung vom 01.08.2003. Bis „heute“ hat das Museum in Peenemünde „5 Millionen Besucher“ gehabt, wie die Homepage stolz verkündet (abgerufen am 17.07.2019):

©ClemensHeni

Von der SED zur AfD? Warum die Neue Rechte die DDR schon 1981 als besonders „deutsch“ wahrnahm

Update und verändert, 5.9.16, 17:30 Uhr

Folgendes Zitat aus einer Studie der Linkspartei/PDS des Publizisten Erhard Crome aus dem Jahr 2001 könnte als Indikator dienen, warum die extreme Rechte in der Ex-DDR so viel Erfolg hat:

»Eins hat die DDR im Laufe ihrer 40jährigen Existenz geschafft, was in der BRD nie gelungen war, nämlich die Wörter ›Liebe‹ und ›Vaterland‹ immer wieder in einem Satz unterzubringen, z. B. in der Wendung ›Liebe zum sozialistischen Vaterland‹.“

Der Wahlerfolg für die Rechtsextremen der AfD vom 4. September 2016 ist schockierend. Vor allem an der Ostseeküste, Greifswalder Gegend vorneweg plus Rügen, haben die extremen Rechten, Rechtspopulisten, besorgten Bürger und Nazis teils um die 35% der Stimmen und mehr, wenn man dann noch die NPD dazu nimmt, die dort auch auf über 5% der Zweitstimmen kommt.

Flüchtlinge spielen in diesem Bundesland so gut wie keine Rolle. 2015 kamen 23.000 Flüchtlinge nach MeckPomm, davon sind ca. 1/3 geblieben.

„Im vergangenen Jahr wurden 23.080 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern registriert. 2016 sind es bislang 3.180 (Stand Ende Februar). Das Land muss exakt 2,03 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Das sieht der ‚Königsteiner Schlüssel‘ vor, eine Quote, die sich nach Bevölkerungszahl und Steueraufkommen richtet.“

So wenig wie der Antisemit Juden benötigt, so wenig braucht der Rassist sein Objekt der Begierde zu sehen etc. – es findet im Kopf statt, ohne hier den Verschwörungswahnsinn des Antisemitismus und die Vernichtungsabsicht gegenüber Juden oder Israel auf den Rassismus zu übertragen oder gleichzusetzen.

Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern stirbt eh aus, seit 1990 hat es 300.000 BewohnerInnen verloren und hat jetzt 1,6 Mio. Dass die Menschen dort gar kein Interesse am Überleben haben, zeigt sich daran, dass sie die wenigen Flüchtlinge, die dort ankamen, auch noch weghaben wollen und AfD wählen.

Der Rassismus in Mecklenburg-Vorpommern ist also extrem und beweist, dass Rassisten keine sichtbaren Flüchtlinge brauchen für ihren Hass und ihr völkisches Deutschtum.

Dass mittlerweile massive Teile der Bevölkerung, zwischen 15% (BaWü) und ca. 25 % in MeckPomm (AfD plus NPD) bzw. Sachsen-Anhalt rassistisch und deutschnational wählen, zeigt an, dass dieses Land ein enormes Problem mit der Bevölkerung hat.

Die Medien spielen eine entscheidende Rolle hierbei. Ohne die Auftritte bei Jauch, Maischberger oder Soft&Blöd wäre die Partei nicht da, wo sie jetzt ist, das wäre eine eigene medienpolitische Studie wert.

Nicht nur der Springer-Konzern beschäftigt (nicht nur einen, wie zu vermuten ist) Publizisten, die seit Jahren der Neuen Rechten Nahrung bieten und von der „öffentlichen“=guten, AfD-nahen und der „veröffentlichten“=bösen, nicht-nazistischen Meinung daher schwadronieren.

Auch die SPD muss gar nicht drum herum reden, sie selbst ist mit verantwortlich für die Hetze gegen Merkel, Erwin Sellering z.B., der alte und neue oberste Seemann im nordöstlichsten Bundesland, der Merkel mit verantwortlich machte für den Aufstieg der AfD.

Den Aufstieg der AfD verdankt die Partei dem Rassismus und Deutschtum, dem Antisemitismus und der Erinnerungsabwehr an Auschwitz durch weite Teile der Bevölkerung und der Medien. Ein obsessiver Hass auf Political Correctness, auf Gender, Homosexualität, alles irgendwie Linke oder so Kategorisierte, auf ökologisch Sensible wie gewerkschaftlich Organisierte wie auch die Sehnsucht nach einem Schießbefehl (nicht nur) an der Grenze ist typisch für die „besorgten Bürger“, wie Rechtsextreme heute bevorzugt genannt werden. Es geht ihnen um kollektive deutsche Identität, die das Fehlen einer Ich-Identität zu kompensieren verspricht, wie die Sozialpsychologie analysieren würde.

In einer Demokratie muss es dazu gehören, Teile der Bevölkerung zu beschimpfen und sie als „Pack“ zu bezeichnen und sie nicht als Wähler „zurück“ zu gewinnen. Die Menschen können sich ändern – oder auch nicht. Wir haben Aktionen erlebt, wo ganz normale Deutsche Flüchtlinge als „Dreck“ bezeichnet haben. Das führte Sigmar Gabriel seinerzeit dazu, von diesen Menschen ganz gezielt von „Pack“ zu reden.

Wer in einem Bundesland, das so gut wie keine Flüchtlinge je gesehen hat, diese zu DEM Thema macht, ist wahnsinnig und obsessiv rassistisch. Das trifft auf weite Teile der Ex-DDR zu, Sachsen vorneweg als bevölkerungsreichstes Ossi-Land. Und wer angesichts von Familien oder Alleinstehenden, die dem Horror Syriens entkommen sind, gegen diese Menschen hetzt und sie als „Dreck“ diffamiert – hat selbst jede Menschlichkeit verloren.

Der autoritäre Charakter Vieler in der Ex-DDR kommt auch von der DDR Sozialisation her, aber nicht nur.

Doch jetzt wird es interessant: in einem extrem rechten, konservativen, schwarzrotgold illustrierten Sammelband mit dem Titel „Das Volk ohne Staat. Von der Babylonischen Gefangenschaft der Deutschen“ aus dem Jahr 1981 wird das deutsche Moment der SED und der DDR hochgehalten.

In einem Beitrag des extrem rechten Publizisten Klaus Motschmann heißt es, nachdem er bereits (seiner Lesart zufolge) pro-deutsche Passagen aus dem Werk von Friedrich Engels und Karl Marx wohlwollend zitierte:

„In der DDR-Verfassung ist die gesamtdeutsche Komponente dadurch unterstrichen worden, daß in Artikel 8 die ‚Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung‘ als ‚nationales Anliegen‘ in den Rang eines Verfassungsauftrages erhoben wurde. Der damalige Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht erkläre dieses ‚Anliegen‘ aus der ‚festen Überzeugung, daß der Sozialismus keinen Umweg um Westdeutschland machen wird, und daß der Tag kommt, wo die westdeutschen Arbeiter und ihre Verbündeten mit uns gemeinsam den Weg zu einem vereinigten sozialistischen Deutschland beschreiten werden.‘“

1984 schrieb DER Vordenker der Neuen Rechten in der Bundesrepublik, Henning Eichberg, mal wieder über die DDR. Eichberg erkannte nach seinen Versuchen u. a. die Grünen, die Republikaner und auch die SPD für das neu-rechte Projekt zu begeistern in den 1990er Jahren in der deutschen politischen Landschaft eine neue und weitere Möglichkeit für ›nationale‹ Politik: die PDS. Als Nachfolgepartei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bot sie sich durchaus an.

Eichberg hat sich schon 1973 über die DDR-Forschung zu ‚Turnvater‘ Friedrich Ludwig Jahn anerkennend geäußert, weil sie dessen nationalrevolutionäre Theorie nicht kritisiert habe, wie es in der BRD Usus gewesen sei (was natürlich in West-Berlin niemand davon abhält, ein Jahn-Denkmal in der Hasenheide aus dem 19. Jahrhundert, das nicht nur zu Nazizeiten geehrt wurde, stehen zu lassen und heute wird Jahn auch in der ‚gesamtdeutschen‘ Sportwissenschaft nicht selten wohlwollend rezipiert). Der Leipziger Sporthistoriker Willi Schröder wird dabei von ihm im Gegensatz zur BRD-Forschung positiv gewürdigt, da er Jahn als Beispiel für »Turnen und Nationalismus« gelobt und den ›Turnvater‹ vor Kritik an dessen Nationalismus in Schutz genommen habe:

»Die Verbindung dieses Patriotismus mit der Turner- und der Studentenbewegung wird in der DDR-Literatur positiv gewertet und detailliert aus den Quellen erforscht. Aus der reichhaltigen Literatur seien nur genannt: die für das folgende vor allem benutzte Habilitationsschrift von Willi Schröder: Burschenturner im Kampf um Einheit und Freiheit, Berlin 1967.«

In der BRD hingegen behandle man das Thema Jahn und Nationalismus »gern polemisch abwertend«. Eichberg schätzt die DDR übrigens auch in anderen Bereichen wegen ihres ›deutschen‹ Charakters, wie er in einem Text 1984 ausplaudert:

»›Westdeutschland geht den amerikanischen Weg. Das sieht man schon an den McDonald-Geschäften überall am Wege. Die Deutschen in der Bundesrepublik gleichen nicht mehr sich selbst. Wenn man die Deutschen als Volk erleben will, muß man in die DDR reisen. Dort stellen die Leute noch ihren Käse und ihre Würste selbst her.‹ – So sagt Lahmer Hirsch, Medizinmann der Lakota Sioux. Ich möchte grinsen, weil ich mir vorstelle, wie die Arbeiter von Leuna sich ihren Käse selbst herstellen. Aber dann sehe ich den Lahmen Hirsch selbst grinsen. Hat er nicht recht? Oft sagt ein Medizinmann nur das, was alle anderen in ihrem Innern schon wissen.«

So verwundert es nicht, wenn Eichberg in seinem wohlwollenden Gespräch mit der „linken“ Szene-Zeitschrift Ästhetik & Kommunikation (Ä&K) 1979 von der »Körpersprache« spricht, die ihn mit »Freunden aus der DDR« verbinde und er sich in solchen gleichsam ›körperlichen‹ Situationen »als Deutscher« empfinde …

Soviel zum deutschnationalen Potential in der DDR, das seit 1990 in einem Maße losschlug, wie es selbst die Neue Rechte kaum für möglich gehalten hat.

Solange die demokratische politische Klasse es jedoch nicht lernt, Menschen mit Inhalten zu konfrontieren und nicht auf sie als mögliche Wähler zu schielen, so lange wird der Aufstieg der Nazis sich fortsetzen, nächstes Mal in Berlin. Man muss diese WählerInnen der AfD verachten dürfen, wie es der Publizist Christoph Giesa tut.
Wenn es eine einzige Politikerin in Europa und der westlichen Welt gab in den letzten 12 Monaten, die Anstand bewiesen hat und menschliche Wärme wie Weitsicht, war es Angela Merkel.
Das ist gar keine Apologie aller ihrer Politiken wie dem elenden Iran-Deal, der unerträglichen Austeritätspolitik, ihrer Erdogan-Politik und vielem anderen mehr. Sie ist eine Konservative und das ist keine fortschrittliche Perspektive im 21. Jahrhundert. Aber eben um Welten harmloser als der Neo-Nazismus und Rechtsextremismus, wie wir ihn heute wieder in Parlamenten und auf den Straßen wie in Dresden (Pegida) erleben.

Also: Der Hass, der Merkel von Rechtsextremen in Frankreich (Front National) über Faschisten, Rechtspopulisten, autoritären, völkischen, vom Ressentiment getriebenen PolitikerInnen in Holland (Wilders), Ungarn (Orbán), Österreich (Hofer, FPÖ) und Deutschland (AfD, NPD, Sahra Wagenknechts Linkspartei) und vielen Publizisten weit in der sog. bürgerlichen Mitte entgegenschlägt, ist unfassbar und zeigt an: die Neue Rechte strebt zur Macht. Und noch nie musste eine Kanzlerin oder ein Kanzler so stark gegen so widerwärtige Kräfte bestehen, denn dazu kommt ja noch die bayerische AfD-Light, die CSU.
Dabei will die AfD primär zerstören, die Demokratie zerstören um den Weg für eine Führerin (LePen) oder einen Führer (Höcke, Gauland, Hofer, Wilders etc.) freizuschießen.

Wer meint, WählerInnen von Nazis, die mit Aufmärschen der SA durchs Brandenburger Tor kokettieren und sie nachmachen (AfD, flankiert von den Neonazis der Identitären Bewegung) als „Protestwähler“ klein zu reden, hat gar nicht kapiert, was die neu-rechte Stunden geschlagen.
Man muss das Pack angreifen und als solches benennen und das „demokratische Versagen“ klar auf den Punkt bringen, wie es Charlotte Knobloch tut.

Und man muss kein CDU-Fan sein um den Slogan „Merkel wird bleiben oder dieses Land wird untergehen“ als geradezu emanzipatorischen Schlachtruf unserer Zeit zu erkennen. Und das wird kein fortschrittliches Ende sein, sondern ein rechtsextremes Fanal – auch für Europa.

Merkel steht dabei gleichsam als Begriff (und nicht nur als bürgerlicher Name) für antirassistisches, menschliches Handeln angesichts unfassbar brutaler Kriege unweit der Grenzen Europas in Syrien und dem Irak, aber auch der jihadistischen Gefahr in anderen Ländern wie Afghanistan, Pakistan und vielen weiteren Kriegen und lebensbedrohlichen Lebensumständen in vielen Ländern Afrikas.

Das nationale Denken in der DDR ist ein massives Problem und rührt auch von der Ideologie der SED her, wie schon vor 30 und 40 Jahren die rechtsextreme Neue Rechte in der Bundesrepublik erkannte und sich ein deutschnationales Potential in der DDR mit Strahlkraft in die BRD erhoffte. Jetzt ist es in vollem Wichs da.

Wie jetzt zum Beispiel Roland Nelles, Politik-Ressortleiter bei Spiegel Online in einem Video-Beitrag sagt, sind die Wähler der AfD sehr wohl als „Rassisten“ zu bezeichnen.

Diese scharfe Kritik ist es, die in diesem Land viel zu lange gefehlt hat.

 

Der Verfasser, Dr. phil. Clemens Heni, promovierte 2006 an der Uni Innsbruck mit einer Studie über die Neue Rechte. Teile dieses Textes sind aus dem Kapitel „Eichberg und die DDR/PDS (1973–1998 ff.) dieser Dissertation, „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“, Marburg 2007 (zweite Auflage Berlin 2017)

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