Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)
Der britische Historiker Perry Anderson ist einer der bekanntesten westlichen Linken. In einem Essay in der November/Dezember Ausgabe der führenden Zeitschrift der Neuen Linken, New Left Review aus London, plädiert er in einem über 14.000 Wörter langen Beitrag für die Zerstörung des jüdischen Staates Israels. Er macht das kaltblütig und ohne Bewunderung für die Hamas (wie Judith Butler), die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) oder die herrschenden arabischen Regime.
Anderson, Jahrgang 1938, lebt und lehrt in Kalifornien an der University of California Los Angeles (UCLA), ist in der Bundesrepublik ein bekannter Name. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, war Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und wird von führenden Verlagen wie Suhrkamp publiziert. In einer Übersicht über einige seiner Bücher der letzten Jahre würdigt ihn die FAZ 2015 als luziden wie „angriffslustigen“ Kritiker der Türkei, Italiens, Indiens oder Amerikas. Von seinem Hass auf Israel war in diesem Text Jürgen Kaubes von Anfang Dezember 2015 noch keine Rede.
Anderson folgt dem Guru des Postkolonialismus Edward Said in dessen Plädoyer für die Zerstörung Israels. Dem Historiker Anderson ist Geschichte reichlich egal, die historische Verbundenheit, über 3500 Jahre, von Juden zum Land Israel – unwichtig, nicht erwähnenswert. Die Motivation von Theodor Herzl, den Juden sowohl die Rückkehr in ihr Land als auch, ganz realpolitisch gedacht, einen Schutzraum vor Antisemitismus zu bieten – unwichtig, nicht erwähnenswert. Der glühende Judenhass der muslimischen und arabischen Welt, die zur Kollaboration mit den Deutschen im SS-Staat führte, nebbich.
Muslimische SS-Einheiten im Zweiten Weltkrieg, die Radiosendungen des Mufti von Jerusalem zur Aufpeitschung arabischen Judenhasses im Nahen Osten, die Zusammenarbeit namentlich vom anti-islamistischen, sozialistischen Ägypten unter Nasser mit alten Nazis wie Johann von Leers, der in den 1950er Jahren zum Islam konvertierte und fortan Omar Amin von Leers hieß – unwichtig, nicht erwähnenswert.
Heutige Vernichtungsdrohungen gegen den jüdischen Staat wie von Iran – unwichtig, nicht erwähnenswert. Mehr noch: Anderson unterstützt die iranischen Ambitionen auf Atomwaffen, da damit Parität mit Israel hergestellt sei. Dass Israel nicht damit droht andere Staaten zu vernichten und nicht von einem Hass auf Muslime, Araber oder Iraner getrieben ist – für einen Historiker vom Format Perry Andersons unwichtig, nicht erwähnenswert.
Es gab jetzt ein Symposium der britischen Zeitschrift Fathom, die Kritikerinnen und Kritiker von Andersons Essay versammelt hat. Der Philosoph Michael Walzer ist sichtlich schockiert ob des Tons von Anderson, der nur „Verachtung“ übrig habe für jene Palästinenser, die an einem Ausgleich mit Israel interessiert seien und die Zweistaatenlösung präferierten.
Shany Mor spricht auf dem Symposium von einem „theologischen Antizionismus“, den er bei Anderson untersucht. So würde dieser realitätsfern leugnen, dass es eine spezifische arabisch-palästinsensische Agenda gäbe. Die bewusste Ablehnung eines eigenen Staates, wie er Arafat und den Palästinensern von Ehud Barak sowie Bill Clinton zweimal im Jahr 2000 angeboten wurde, in Camp David und in Taba, wird nicht als solche antizionistische Politik erkannt. Dann ignoriert Anderson den muslimischen und arabischen Antisemitismus, wie Mor unterstreicht. Schließlich sei Israel immer schuld, ob es nun Gaza verlässt und den Palästinensern überlässt oder nicht, in beiden Fällen sind die Juden schuld.
Die israelische Politikwissenschaftlerin, Politikerin und public intellectual Einat Wilf argumentiert gegen Anderson, dass er offenbar einen „Bürgerkrieg“ möchte, denn namentlich die Araber und Muslime sind nicht bereit Juden als Gleiche unter Gleichen im Nahen Osten, geschweigen denn Israel, zu akzeptieren. Historisch gesehen seien die Juden nur „Dhimmis“ unter islamischer Herrschaft gewesen. Eine Einstaatenlösung würde fanatisierte Araber/Palästinenser auf Juden hetzen, von den anti-arabischen Juden in Israel, die es in einer Minderheit auch gibt, nicht zu schweigen.
Perry Anderson steht stellvertretend für Viele in der westlichen Welt, nicht nur für die Linke. Er ist obsessiv daran interessiert, den jüdischen Staat zu zerstören. Er möchte das einbetten in eine Revolutionierung des ganzen Nahen Ostens. Das hört sich lächerlich an, doch entgegen anderen Fanatikerinnen wie Judith Butler hat Anderson gerade kein blind eye auf den Islamismus der Hamas oder die herrschende Klasse in der arabischen Welt. Er hat jedoch wie alle Antizionisten einen erschreckend blinden Fleck was die Geschichte der Juden betrifft. Die Wörter Antisemitismus und Holocaust oder Shoah tauchen in dem langen Essay nicht ein einziges Mal auf. Anderson heuchelt nicht einmal Interesse an der unsagbaren Leidensgeschichte des jüdischen Volkes vor. Als ob es Auschwitz und Sobibor nicht gegeben hätte schreibt der linke Agitator gegen die einzige wirklich sichere Heimstätte für Juden an.
Und für diese Kaltblütigkeit gegenüber Juden, für diese Verachtung für jeden Ausgleich von Palästinensern und Zionisten, für dieses Ignorieren des Holocaust und der jahrtausendealten Geschichte der Juden in exakt diesem Land Israel gibt es ein Wort: Antisemitismus. Perry Anderson ist ein moderner Antisemit, der Juden das Recht auf Selbstbestimmung abspricht. Das sollte der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dem Wissenschaftskolleg zu Berlin oder dem Suhrkamp-Verlag Grund genug sein, bei ihrem Mitglied, Ex-Fellow oder Autoren nachzuhaken. Die Einstaatenlösung ist antisemitisch, weil sie Juden das Recht auf Selbstbestimmung nehmen möchte. Israel ist der jüdische Staat, eine Miniinsel in einem Meer voll arabischer und muslimischer Verachtung für jedwede jüdische Präsenz im Nahen Osten. Dabei waren Juden bekanntlich viel früher im Land als Muslime, der Islam ist nicht nur eine relativ junge Religion, sondern auch eine proselytisch-imperialistische. Juden sind zudem ein Volk und nicht nur eine Religionsgemeinschaft, was oft übersehen wird. Ein Historiker jedoch, der in einem Text über jüdische Geschichte im 20. Jahrhundert den Holocaust nicht einmal erwähnt, kann nicht anders denn von einem antijüdischen Ressentiment getrieben sein. Diese Kaltblütigkeit im Mainstream westlicher Intellektueller ist unsagbar erschreckend.