The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Kategorie: Allgemein Seite 15 von 18

Formfragen? Obama und der traditionelle Antisemitismus

Von Thomas Weidauer, Policy Analyst (BICSA)

 

In vier Wochen wird der Kongreß in Washington nach einer eingehenden Prüfung über den am 14. Juli in Wien vorgestellten Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) abstimmen. Mindestens bis dahin dürfte der Vertrag zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats sowie Deutschland und dem Regime der Islamischen Republik Iran noch für Diskussionen sorgen.

 

Und diese Auseinandersetzungen werden, obschon das Abkommen bereits den Segen des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen hat, bis zum Votum des amerikanischen Parlaments wohl noch an Schärfe gewinnen, nicht jedoch an Würze. Denn schon jetzt scheinen vor allem den Anhängern des Abkommens die sachlichen Argumente ausgegangen, nicht hingegen die Beleidigungen.

 

Seit er in der vorvergangenen Woche mit einer von beachtlicher Nachdenklichkeit geprägten Erklärung angekündigt hat, dem JCPOA nicht zustimmen zu können, ist es dabei der demokratische New Yorker Senator Charles »Chuck« Schumer, der den blinden Zorn von Anhängern des amerikanischen Präsidenten Barack Hussein Obama in besonderem Maße zu spüren bekommt.

 

Wurden Kritiker des Abkommens mit dem Regime in Teheran bisher schon vom Team Obama der »Kriegstreiberei« gescholten, ist der Antisemitismus im am 8. August veröffentlichten Cartoon des bekannten Online-Magazins Daily Kos, das den Demokraten nahesteht, nicht zu übersehen: Charles Schumer wird dort offen als Jude attackiert, dessen Loyalität Israel gälte und nicht den USA.

 

Einige Tage zuvor hatte bereits die New York Times in einem Editorial über republikanische Abgeordnete geklagt, die nicht nur ihrem »eigenen Oberbefehlshaber«, gemeint ist Präsident Barack Hussein Obama, widersprechen, sondern auch noch gemeinsame Sache mit einem »ausländischen Führer«, nämlich dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu, machen würden.

 

Es sind vielleicht diese beiden Veröffentlichungen, der Leitartikel der New York Times und der Daily Kos-Cartoon, die das Umschlagen von einer engagierten Debatte, deren Teilnehmer sich zwar nichts schenken, sich aber mit Respekt begegnen, in eine üble Schlammschlacht markieren. Und es ist alarmierend, daß die Regierung in Washington antisemitischen Untertönen nicht widerspricht.

 

Vielmehr verfehlt sie selbst einen noch satisfaktionsfähigen Tonfall. »Als Obama eine Verbindung herstellte zwischen Geld, jüdischer Macht (einer proisraelischen Lobby) und der Möglichkeit, daß sie Amerika in einen sinnlosen Krieg hineinziehe, klang es beinahe, als zitiere er die abscheulichen Protokolle der Weisen von Zion«, schreibt der Politikwissenschaftler Prof. Abraham Ben-Zvi.

 

»Dieser Gebrauch antijüdischer Hetze als Mittel in der politischen Auseinandersetzung in Amerika stellt eine erschreckende neue Entwicklung dar«, analysiert das Tablet Magazine, »und wir haben, noch bedauerlicher, auch aus unserem Weißen Haus und von unseren Repräsentanten davon zuletzt mehr als genug gehört«, eine »rote Linie« sei in der Diskussion um den Deal überschritten worden.

 

Auch Abraham Foxman, der ehemalige Vorsitzende der Anti Defamation League (ADL), warnt eindringlich, die Rhetorik Barack Hussein Obamas könnte antisemitische Ressentiments schüren, selbst wenn dies sicherlich nicht beabsichtigt sei. Zuletzt forderte das Simon Wiesenthal Center den US-Präsidenten auf, »Dual Loyalty«-Vorwürfe einzustellen und zu Sachlichkeit zurückzukehren.

 

Und, möchte man hinzufügen, sich daran zu erinnern, was noch vor knapp zwei Jahren als ausgemacht galt: »Unser Ziel ist es, den Iran dazu zu bringen, zu begreifen, daß er sein Atomprogramm aufgeben muß«. Der damit für einen besseren Deal und um Wählerstimmen warb, war weder Jude noch Republikaner noch ein Kriegstreiber, sondern der kurz darauf im Amt Bestätigte.

Kontrollverlust

Von Thomas Weidauer, Policy Analyst (BICSA)

 

Noch kurze Zeit vor der Präsentation des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) war es ausgerechnet Federica Mogherini, die Hohe Außenbeauftragte der EU, die wiederholte, was bis dahin Konsens unter den mit dem iranischen Regime über dessen Atomprogramm verhandelnden Staaten war: Ohne Aufklärung über vergangene Aktivitäten könne es keinen Deal geben.

 

Als das Abkommen von Wien am 14. Juli dann vorgestellt wurde und US-Präsident Barack Hussein Obama erklärte, »this deal is not built on trust; it is built on verification«, war aus der Vorbedingung ein Vertragsbestandteil geworden, die Klärung der Frage also, ob das Mullah-Regime in der Vergangenheit versucht hatte, in den Besitz von Kernwaffen zu gelangen, auf später verschoben.

 

Ein Standort des iranischen Atomprogramms, für den sich – freilich weitgehend vergeblich – bereits bisher immer wieder die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) interessierte, ist Parchin. Vor zehn Jahren konnte die IAEA Parchin zwar besuchen, wie ihr Generaldirektor Yukiya Amano aber einräumte, habe man »nicht genügend Informationen gehabt, ›um die richtigen Orte zu prüfen‹«.

 

Seit 2012 bemüht sich die IAEA wieder darum, Parchin zu inspizieren, nachdem die Islamische Republik dort die Detonation einer Atombombe simuliert und versucht haben sollte, Spuren des Experiments zu beseitigen. »On 25 May [2012], satellite pictures showed the demolition of two buildings at the scene, leaving nothing but the trails of the bulldozers that cleared the buildings«.

 

Nun werden erneut Vermutungen laut, das Regime in Teheran könnte in Parchin versuchen, Spuren früherer Aktivitäten zu vernichten, die nicht zu seinen Versicherungen passen, nie nach nuklearen Waffen gestrebt zu haben. Wie Bloomberg berichtet, haben amerikanische Nachrichtendienste den Kongress vertraulich über verdächtige Bautätigkeiten in Parchin unterrichtet:

 

»Intelligence officials and lawmakers who have seen the new evidence, which is still classified, told us that satellite imagery picked up by U.S. government assets in mid- and late July showed that Iran had moved bulldozers and other heavy machinery to the Parchin site and that the U.S. intelligence community concluded with high confidence that the Iranian government was working to clean up the site ahead of planned inspections by the IAEA.«

 

Während die iranische UN-Vertretung in New York nach Angaben der amtlichen FARS News Agency abwinkt, »construction operations in there are natural and common« [sic!], zeigen diese Vorgänge, wie wichtig es wäre, nicht bloß zu verkünden, »this deal is not build on trust«, sondern auch in der Realität über ein »historisch beispiellose[s] Sonder-Überwachungsregime« zu verfügen.

 

Ein solches hatte mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier noch im April ein weiterer »Architekt« des Abkommens von Wien versprochen. Doch einerseits ist der JCPOA noch nicht ratifiziert und könnten andererseits unter seinen Bedingungen sich UN-Kontrolleure eben nicht ins nächstbeste Flugzeug setzen, um den »Straßenbauarbeiten« alsbald vor Ort zuzuschauen.

 

Was immer sich in Parchin zutrug oder zuträgt – es wird wohl ein Geheimnis derer bleiben, die daran beteiligt sind. Dass vor diesem Hintergrund aber US-Außenminister John Kerry im Kongress nachgerade realsatirisch auftritt oder US-Präsident Barack Hussein Obama Kritikern des Deals Säbelrasseln und Alternativlosigkeit vorwirft, kann und muss bedenklich stimmen.

 

Auf seiner Website zum »historischen Abkommen« belehrt das Weiße Haus derweil, »›anytime, anywhere‹ inspections sound good«, nur um zu erklären, weshalb gerade solche Kontrollen nicht nötig seien: »›Anytime, anywhere‹ inspections are simply unnecessary thanks to the deal.« Und weil eine iranische Atombombe im JCPOA einfach nicht vorgesehen ist, wird es sie nicht geben.

Ein kleiner Palast für Israelhass im Herzen von Berlin? Die Bundesregierung, die Barenboim-Said-Akademie und der Antisemitismus

Von Thomas Weidauer und Clemens Heni

Dieser Text erschien als Originaltext auf der Seite www.juedische.at am 19. Juni 2015

 

Am Montag, den 15. Juni 2015, wurde in Berlin das Richtfest der Barenboim-Said-Akademie gefeiert. Die deutsche Bundesregierung unterstützt den Bau mit 20 Millionen Euro, was 2/3 der Gesamtkosten ausmacht, und wird sich auch später an der Finanzierung der laufenden Kosten des Prestigeprojektes beteiligen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagte:

 

„Mit der Barenboim-Said Akademie feiern wir heute ein wegweisendes kulturelles Versöhnungsprojekt, das uns auch in Berlin einen kleinen Beitrag zum Friedensprozess im Nahen Osten leisten lässt. Jeweils drei Jahre lang werden hier bis zu 100 israelische und arabische junge Menschen, entlastet von dem oft kriegerischen Lärm ihrer Heimat, aufeinander hören, miteinander musizieren, sich gegenseitig achten und, so hoffen wir, die Botschaft in die Welt tragen: Frieden ist möglich.“

 

Zugegen beim Richtfest waren auch der Barenboim-Said-Akademie-Präsident Michael Naumann, der Kulturstaatssekretär des Berliner Senats, Tim Renner, sowie ein Vertreter des Auswärtigen Amtes, Andreas Görgen. Der kanadisch-amerikanische Stararchitekt Frank Gehry hat das Gebäude entworfen und wurde per Video-Botschaft zugeschaltet. Barenboim war ganz euphorisch.

 

„Frieden ist möglich“ – das hört sich vielversprechend an, doch entspricht es der Wahrheit? Wer war Edward Said? Und wer ist Daniel Barenboim? Für was steht seine Stiftung, die Daniel-Barenboim-Stiftung, auf deren Homepage die Akademie vorgestellt wird?

 

Auf Barenboims Homepage steht:

 „Über die Jahre hat das West-Eastern Divan Orchestra Beziehungen zu vielen Organisationen in Israel, Palästina und anderen Teilen der Welt aufgebaut. Einige Organisationen existierten – mit vergleichbaren Zielen – schon vor dem Divan und einige wurden von Mitgliedern oder Ehemaligen des Orchesters gegründet, aber alle gemeinsam verdienen unsere volle Unterstützung.“

Sodann werden fünf Gruppen aufgeführt:

Al-Kamandjati (www.alkamandjati.com)
Barenboim-Said Conservatory / Orpheus (www.orpheus-music-edu.org)
Friends School Ramallah (www.palfriends.org)
Palestinian Medical Relief Society (www.pmrs.ps)
Musikkindergarten Berlin (www.musikkindergarten-berlin.de)

 

“Al-Kamandajati” verweist gleich auf der Startseite (aufgerufen am 17.06.2015) auf folgenden Text von Juli 2014 bezüglich des Abwehrkrieges Israels gegen die Hamas:

 

“This latest Israeli attack against Gaza is a crime that must be understood within the context of Israeli occupation and apartheid. For over six decades Palestinians have been systematically bereaved of their lands, their water and their freedom of movement.”

 

Die bloße Existenz Israels wird hier in Abrede gestellt, wenn keineswegs von der Besatzung des Westjordanlandes seit 1967, vielmehr von einer Besatzung „seit über sechs Jahrzehnten“ geredet wird, also seit 1948, der Gründung des Staates Israel. Auch die Diffamierung Israels als „Apartheid“ kommt hier vor – ist das das „kulturelle Versöhnungsprojekt“, von dem die Bundesregierung beim Richtfest am Montag sprach?

 

Die nächste von Barenboim unterstützte Einrichtung ist die „Friends School of Ramallah“. In deren „Summer Newsletter 2015“ wird die „Nakba“ erwähnt, die palästinensische „Katastrophe“ von 1948, ohne zu erwähnen, warum es zu Vertreibungen kam: weil die Araber sich im November 1947 weigerten, den UN-Teilungsplan für Palästina anzunehmen und neben dem jüdischen Staat Israel einen (weiteren) arabischen Staat zu gründen. Schon 1937 hatten die Araber einen Teilungsplan der Briten abgelehnt, während die Zionisten ihn angenommen hatten. Zudem haben die umliegenden arabischen Staaten die Palästinenser gezwungen, Israel zu verlassen, da ein Dortbleiben dem jüdischen Staat Akzeptanz verschafft hätte. Zwar kam es von jüdischer Seite auch zu einzelnen Verbrechen gegen Palästinenser, die in Israel heute breit diskutiert werden – während in der arabischen Welt kaum jemand über die nach 1948 vertriebenen fast eine Million Juden spricht.

 

Barenboim selbst scheint ein Anhänger des palästinensischen Rückkehrrechts zu sein und propagiert somit die Zerstörung des jüdischen Staates Israel, wenn er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung 2012 sagt:

 

„Es ist doch absurd“, sagt er, „dass Woody Allen noch heute Abend nach Israel ziehen könnte, eine palästinensische Familie, die tausend Jahre lang dort gelebt hat, aber nicht.“

 

Barenboim erwähnt gar nicht den grotesken Charakter dieser palästinensischen angeblichen Flüchtlinge. Es handelt sich hierbei um ca. 5 Millionen Menschen, davon sind jedoch nur ein paar Zehntausend tatsächlich 1948/49 geflohen bzw. vertrieben worden. In krassem Gegensatz zu allen anderen Flüchtlingen weltweit wird nämlich bei Palästinensern der Flüchtlingsstatus vererbt! Das wird durch die ausschließlich für die Palästinenser zuständige United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA), die auch von der deutschen Bundesregierung finanziell unterstützt wird, organisiert und perpetuiert. Während Israel ca. eine Million jüdischer Flüchtlinge aus arabischen Ländern nach 1948 in die Gesellschaft integrierte, weigern sich arabische Staaten wie Syrien, der Libanon, Jordanien und weitere Staaten die Palästinenser als Staatsbürger zu integrieren. Vielmehr wird auf zynische Weise deren Flüchtlingsstatus zementiert, die Flüchtlingslager dienen als Faustpfand im Kampf gegen Israel. Dabei haben die Araber in Israel gar kein Interesse an einer Rückkehr dieser angeblichen (und der wenigen noch lebenden tatsächlichen) Flüchtlinge! Die UN haben 1947 – so wie die britische Peel Commission 1937, die bereits die unüberbrückbaren politischen und weltanschaulichen Differenzen von Arabern/Muslimen und Juden erkannte – ausdrücklich von einem jüdischen und einem arabischen Staat gesprochen, doch die Araber („Palästinenser“) lehnten das ab.

 

Und da wären wir beim Thema arabischer und muslimischer Antisemitismus. Jede Präsenz von Juden auf „arabischem“ oder „muslimischem“ Land wird abgelehnt, so die antisemitische Ideologie. Jene, die eine Einstaatenlösung (oder einen binationalen Staat) propagieren, wollen Juden lediglich als Minderheit am Leben lassen, gerade ohne jede politische Eigenständigkeit und Souveränität. Und, nochmal: selbst die Mehrheit der Araber in Israel möchte keinen solchen Staat, da sie keine demokratieunfähigen oder –unwilligen, verhetzten und antisemitischen Palästinenser an ihrer Seite haben wollen. Ganz davon zu schweigen, dass in Paris, Chicago, Brüssel oder Berlin geborene „Palästinenser“ keinerlei Bezug zu Israel haben und es völlig absurd ist, ihnen ein „Rückkehrrecht“ zu gewähren. Das erinnert vielmehr an ewiggestrige Nazis in Deutschland, die bis heute von einem Rückkehrrecht der vertriebenen Deutschen nach Polen oder der Tschechischen Republik, der Slowakei, Rumänien oder Bulgarien etc. träumen. Auf das historisch gesehen unlogische und absurde palästinensische „Recht auf Rückkehr“ weist auch der bekannte israelische Journalist Ben Dror Yemini in seinem Buch „The Industry of Lies“ (Hebräisch 2014) hin. Der Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe Volker Beck (Die Grünen) sprach sich wie andere Politiker und Redner im April 2015 gegen eine Konferenz des „Palestinian Return Center“ aus London und der Palästinensischen Gemeinde in Deutschland in Berlin-Treptow und somit gegen das palästinensische Rückkehrrecht aus, da dies Israel zerstören würde. Es ginge um das gleichberechtigte Nebeneinander von Israel und einem möglichen Staat „Palästina“ Seite and Seite mit Israel, so mehrere Redner.

 

Es ist in der politischen Kultur der Bundesrepublik Konsens, dass das Plädieren für eine Rückkehr der Deutschen nach Polen oder der Tschechischen Republik und anderer Länder Revanchismus ist und zudem Flüchtlinge niemals ihren Status hätten auf ihre Nachfahren übertragen können. Warum also wird via UNRWA bezüglich der Palästinenser anders geurteilt? Das ist unlogisch und nicht nachvollziehbar. Es scheint ein antijüdisches Ressentiment dahinter zu stecken, da Juden und Israel anders behandelt werden denn andere Gruppen bzw. Länder. Was wäre in Europa und in Polen zu Recht für ein Aufschrei zu vernehmen, wenn die deutsche Bundesregierung mit 20 Millionen Euro eine Akademie unterstützen würde, die von Personen und mit ihnen assoziierten Gruppen getragen bzw. geprägt wird, die von einem „Rückkehrrecht der Schlesier nach Polen“ daher reden?

 

Die Araber in Israel ziehen ihre geschützte Minderheitenposition im jüdischen Staat Israel einer möglichen Mehrheit im Staate mit aus aller Welt kommenden, fünf Millionen Arabern vor. Niemand leugnet, dass es auch in Israel, wie in jedem westlichen Land, Rassismus gibt – doch im Gegensatz zur PA oder den arabischen Ländern wird dieser Rassismus gegen Araber in Israel von der überwiegenden Mehrheit kritisiert und bleibt niemals unwidersprochen.

 

 

In einer Art Gedicht wird sodann im Sommernewsletter 2015 der Boys School Ramallah „lyrisch“ der Mord an Juden in Israel angekündigt, wenn die Palästinenser endlich ihr „Rückkehrrecht“ in Anspruch nehmen könnten:

 

„We don’t only hold our keys

We will return and forget about ever being refugees

And you will leave or “rest in “peace” “. [Anführungszeichen so im Original, d.V.]

 

Im selben hetzerischen Text eines Schülers, der die von Barenboim unterstützte und angepriesene Schule in Ramallah besucht, wird das Märtyrertum propagiert:

 „I’d rather be a martyr than be on your unjust venue
Which causes us to call for another menu
Whether it consists of harm and pain
You, Israel, are one to blame.”

Das ist Ramallah im Frühsommer 2015! Mit deutscher Unterstützung?

Als weiteres Vorzeigeprojekt wird von der Daniel-Barenboim-Stiftung die „Palestinian Medical Relief Society“ (PMRS) aufgeführt. Die hat auf ihrer Website einen, nun ja, Bericht über den Krieg im vergangenen Sommer, der eine einzige Verleumdung Israels ist:

Darin wird Israel nicht nur das Recht auf Selbstverteidigung abgesprochen, sondern etwa behauptet,

“The war Israel is waging on Gaza right now is not about self-defense, it is not even about destroying Hamas. It is a war about complete control over a territory and a people and it is being conducted with complete disregard for human life.“

Die PMRS steht dem vor zehn Jahren ins Leben gerufenen BDS Movement nahe. Diese Bewegung ruft dazu auf, Israel mit Boykotten auf allen Ebenen zu bekämpfen, nicht in Israel zu investieren und die jüdische Demokratie mit Sanktionen für ihre Existenz zu bestrafen. BDS-Aktivisten bedrohen Menschen, die ihre Ansichten nicht teilen, nicht selten mit Gewalt, in Südafrika gehört der Ruf „Shoot the Jew“ offenbar zum festen Repertoire dortiger BDS-Anhänger. In Berichten von der „First Palestinian Conference for the Boycott of Israel“ (2007) heißt es: „The organizing committee expresses its special thanks to (…) PMRS-Palestinian Medical Relief Society“.

Edward Saids Witwe Mariam Said ist eine Vertraute Barenboims und aktiv involviert im „West-Eastern-Divan-Orchestra“ (WEDO). Im März 2010 verteidigte sie Barenboim auf der antiisraelischen Seite „Electronic Intifada“ und versicherte den Agitatoren, dass Barenboim ganz im Sinne Edward Saids agiere, wenn auch mit unterschiedlichen Methoden. Mariam Said unterstrich, dass viele aus den Reihen von WEDO und dem Umfeld von Daniel Barenboim den Boykott Israels unterstützen würden.

Alle diese Beispiele zeigen: Die von Daniel Barenboim und seiner Stiftung unterstützten und promoteten Projekte fördern die Hetze gegen den jüdischen Staat Israel, sie verlangen ein palästinensisches Rückkehrrecht, welches einer, wenn nicht der Hauptgrund für das Scheitern der seit vielen Jahren geführten Friedensverhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde ist. Sie preisen zudem das Märtyrertum, schweigen zum Islamismus der Hamas und des islamischen Jihad und drohen Juden mit Gewalt.

Von all dem hat man beim Richtfest am 15. Juni 2015 in Berlin nichts gehört. Die Frage ist: schaut sich die deutsche Bundesregierung die Projekte, die sie mit 20 Millionen Euro Steuergeldern unterstützt, überhaupt an? Wenn ja, unterstützt die Bundesregierung den in diesem Text dokumentierten Antisemitismus einiger jener Gruppen, die von Daniel Barenboim auf seiner Seite hochgelobt werden? Hat sich die Bundesregierung, haben der Berliner Senat oder Michael Naumann jemals mit der Ideologie von Edward Said beschäftigt, nach dem nun im Herzen von Berlin eine luxuriöse Akademie benannt wird?

Schon 1969 bezeichnete Edward Said (1935–2003) die Araber als „die neuen Juden“. 1979 setzte er Israel mit dem südafrikanischen Apartheidstaat gleich. In seinem bekanntesten Buch Orientalismus von 1978, denunzierte er Israel als das letzte orientalistische, also imperialistische, westliche und rassistische Land. 1987 sagte Said in einem Interview, die Juden hätten die Lehren aus ihrem eigenen Leiden unter Nazi-Deutschland nicht gezogen. Für ihn verhalten sich die Juden/Israeli gegenüber den Palästinensern heute so, wie die Nazis sich gegenüber den Juden verhalten haben.

Diese Ideologie wird nun offenbar sehenden Auges von der deutschen Bundesregierung mit 20 Millionen Euro Baukosten plus Teilen der laufenden Kosten nach Eröffnung der Akademie unterstützt.

Deutschland, Deutschland, du tüchtiges Land.

 

Thomas Weidauer ist Blogger und Vorsitzender des Vereins für Gesellschaftskritik und Antisemitismusforschung e.V.

Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

The End of an Era: in memory of my Friend, the Historian of Antisemitism and Zionist Intellectual Prof. Robert S. Wistrich

By Dr. Clemens Heni*

 

Robert S. Wistrich was the world’s most renowned scholar on anti-Semitism of our time. He was one of the most famous Israeli researchers in all of the humanities. The son of Polish-Jewish parents, Wistrich was born on April 7, 1945, in Kazakhstan. He was the Neuburger Professor for Modern European and Jewish History at The Hebrew University of Jerusalem, and since 2002 served as Director of the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA), founded there in 1982, which established a reputation as a unique research institution under his leadership. Robert Solomon Wistrich died of a heart attack in Rome on May 19, 2015, during a lecture tour.

His death is unfathomable to his family and friends, but also to the global community of Zionists and critical researchers on anti-Semitism. Truly a shock.

In retrospect, it might seem like a miracle that Wistrich lived to be 70, as his son said at the funeral in Jerusalem on May 21, 2015—when he was 27, he was diagnosed with a type of cancer whose survival rate the Encyclopaedia Britannica puts at 2%.

Prof. Dr. Robert Solomon Wistrich, Berlin, 16. September 2014

Prof. Dr. Robert Solomon Wistrich, Berlin, September 16, 2014

On May 14, 2015, the last time we met, Robert at first seemed tired and lacking vim and vigor. Yet even in such moments, he was able to be as brilliant as no other public intellectual. He delivered a lunchtime speech at the Global Forum for Combating Antisemitism, the world’s largest conference against anti-Semitism. Dan Shapiro, a young and rising diplomat, the US ambassador to Israel, had just spoken, singing hymns of praise about Obama’s battle against anti-Semitism. Whereupon Wistrich began his remarks with a „classic Jewish question“: „If things are so good, (…) why are things so bad?“ His last great lecture, before an audience of 600 at the Jerusalem Convention Center, was the intellectual highlight of the Global Forum.

Robert Wistrich Clemens Heni Perry Trotter May 14, 2015, Jerusalem

(right to left:) Robert Wistrich, Clemens Heni, and Perry Trotter, Global Forum for Combating Antisemitism, May 14, 2015, Jerusalem

Later, Robert attended one of the working groups (on Holocaust trivialization), after which we spoke for a very long time and were the very last people to leave the Global Forum. He told me that he had to make a decision about his successor as the Director of the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) as of October, 2015. The Hebrew University had given him a list of names, and oddly enough, all of them were faculty members. Finally, Robert told me with a shrug that he had selected the person who was presumably least problematic…

Robert S. Wistrich’s death marks the end of the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA), even if it will continue to exist in formal terms for a time. Yet he is irreplaceable as the leading Zionist intellectual, as the most important scholar on anti-Semitism and historian of Jewish history. SICSA was Robert Wistrich and vice versa.

Perhaps we would meet again on Sunday at Ben Gurion International Airport, he said, since he would be flying back to Rome, and my partner Susanne and I would be returning to Berlin. And so it happened that on Wednesday morning, I received an e-mail from Anat Varon, Robert’s last doctoral candidate, with the terrible news. There were many signs of his truly poor health, but he was apparently a stranger to caution, taking things slowly, or concern for himself. Anat showed me Robert’s favorite places at The Hebrew University, his second office (besides the one at SICSA), which hardly anyone knew about, and she talked about him delighting in chocolate while they spoke about her dissertation on Franz Werfel, Austria, and Jewish history.

 

Door of Prof. Dr. Robert S. Wistrich's working room at Hebrew University

Door of Prof. Dr. Robert S. Wistrich’s working room at Hebrew University

 

Door of working room

In his talk at the Global Forum, Robert sketched out the link from combating anti-Semitism to Jewish empowerment to active advocacy for Israel as the land of the Jews, as it emerges with phenomenal clarity in a groundbreaking exhibition by the Simon Wiesenthal Center that Wistrich prepared and that was shown even at UNESCO and the UN headquarters in New York—after protests by Arab states alleging that it could endanger the „peace process“ had resulted in the exhibition being renamed and its opening postponed „People, Book, Land: The 3500 Year Relationship of the Jewish People with the Holy Land.“

It was Robert Wistrich who invited me to visit Israel for the first time, which I did in December 2002, in the middle of the second Intifada. My lecture—on media, anti-Zionism, and political culture in the Federal Republic of Germany—at his first major conference as head of SICSA caused the cultural attaché of the German Embassy in Israel, who had helped finance my trip, to go bright red in the face and the German Embassy to lodge an official complaint with the President of The Hebrew University of Jerusalem about me (as well as my colleague Martin Ulmer of the University of Tübingen). The embassy called on The Hebrew University to discontinue (or lessen) its support of the center. At this time, Robert Wistrich was by no means established as the Director of SICSA, even though he had been a prominent researcher on anti-Semitism for a long time.

It was an honor for me to be perceived in this way by official quarters, as I had only recently been granted a scholarship for my doctorate by the Hans Böckler Foundation. The outcome: the President of The Hebrew University approved of our lectures as scientifically unobjectionable; since then, there has been no contact at all between SICSA and the German Embassy. In 2003 and 2004, I received a Felix Posen Fellowship from SICSA. Robert himself mentioned this conflict with the German Embassy when we met at SICSA on May 12, 2015.

Wistrich’s succinct and by now internationally established characterization Antisemitism: The Longest Hatred was the title of one of his books as well as a three-part 1991 television series based on it.

In his 1985 book, Hitler’s Apocalypse (published in German in 1987), Wistrich described how he had detected a new form of anti-Semitism as early as ten years before in England: anti-Zionist anti-Semitism, which today is a significant part of what is called „new anti-Semitism“ today. At first, it originated mainly from Leftists, often well-educated people at universities.

What took place at the margins of society at the time has long become mainstream. Islamic anti-Semitism vitally requires the anti-Semitism of the Left and the mainstream in Western countries. In the absence of sympathetic Leftists, liberals, and naive multiculturalists who downplay the topic of Muslim anti-Semitism and seek to banish it from the universities, the Islamists would not have such an easy time of it.

Robert S. Wistrich’s academic career began at the renowned Wiener Library in London in the 1970s following his studies in the late 1960s at Stanford and elsewhere. In 1982, Wistrich was named professor at The Hebrew University in Jerusalem, the capital of Israel. His research can be divided into five categories, whereby only his books will be mentioned in the following. In addition, he edited a number of volumes and wrote hundreds of articles, introductions to volumes, brochures, and other texts, almost all of which also fall into these categories:

1) The Left and anti-Semitism. This category includes the following monographs: Revolutionary Jews from Marx to Trotsky (1976); Trotsky: Fate of a Revolutionary (1979); Socialism and the Jews: The Dilemmas of Assimilation in Germany and Austria-Hungary (1982); From Ambivalence to Betrayal. The Left, the Jews and Israel (2012).

2) The history of the Jews with a focus on German-language Jewry in Europe from the mid-19th century until 1933. This includes his award-winning 700-page work The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph, completed in 1987 and published in English in 1989 (in German in 1999: Die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs); Between Redemption and Perdition. Antisemitism and Jewish Identity (1990); Austrians and the Jews in the Twentieth Century: From Franz Joseph to Waldheim (1992); Austrian Legacies: Jews and National Identity (2004); Maabada le-heres ha-olam. Germanim ve-yehudim be mercaz-europa (2006); Laboratory for World Destruction. Germans and Jews in Central Europe (2007).

3) Hitler, Nazism, and the Holocaust. Who is Who in Nazi Germany (1982; 1983 and in further editions in German, titled Wer war wer im Dritten Reich?); Hitlers Apocalypse: Jews and the Nazi Legacy (1985; German 1987 Der antisemitische Wahn: von Hitler bis zum Heiligen Krieg gegen Israel); Weekend in Munich: Art, Propaganda and Terror in the Third Reich (1995; German 1996 Ein Wochenende in München: Kunst, Propaganda und Terror im Dritten Reich); Hitler and the Holocaust (2001; in German Hitler und der Holocaust).

4) Theories and analyses of anti-Semitism and anti-Zionism. Antisemitism: The Longest Hatred (1991); also Hitler and the Holocaust and A Lethal Obsession. Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad (2010).

5) Muslim anti-Semitism. Wistrich first studied this topic inHitler’s Apocalypse (see [3]), then in the brochure Muslim Antisemitism. A Clear and Present Danger (2002,) as well as in broad sections of A Lethal Obsession (2010), which covers the other analytical categories in addition to (4) and (5).

Anyone reading Wistrich’s books, articles, and brochures or listening to interviews with him, talking to him, or experiencing his lectures in person immediately realized: In the midst of a loquacious world of research full of scholars pleased to contemplate their own egos and quote one another, this was a person who had something to say, who wanted his analyses debated publicly, and who did not hide in the ivory tower. His books have a history.

Wistrich did not research and publish with an attitude not infrequent today, namely to be able to show off a long list of publications with little care about one’s subject. His prefaces to many of his studies bear witness to a personal relationship to the research at hand. His work on The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph, the history of the Jews in the Hapsburg empire (the oldest European ruling dynasty lasting from the late 13th century until 1918), had a lot to do with his own descent. He dedicated the book to his four grandparents (Salomon and Anna Wistreich as well as Simon and Helena Silbinger), who were citizens of Cracow, which at the time belonged to the Austro-Hungarian monarchy. As early as 1969/70, as a student at The Hebrew University of Jerusalem, he began to work on Vienna and the fin de siècle—a project that resulted in the above-mentioned study almost 20 years later. Wistrich tied much to individuals, for example Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, Karl Kraus, and the rabbi, politician, and author Joseph Bloch.

Around 1900, Friedrich Nietzsche was to many Zionists an inspiration for a Jewish awakening, a zestful, aesthetic, powerful critique of the prevailing intellectual standstill of Christian Europe with its growing anti-Semitism, particularly in Austria-Hungary and Germany, but also in France. To German chauvinists, Christians, and anti-Semites, Nietzsche was a provocation. Wistrich demonstrated how Nietzsche battled against anti-Semitism in the 19th century and turned away from his sister and from Richard Wagner in nothing less than disgust. In Laboratory for World Destruction, Wistrich also analyzed how it was possible for the Right and Nazism to re-interpret some of Nietzsche’s texts or phrases, such as „Übermensch,“ in their own völkisch direction, which of course amounted to a complete reversal. In fact, Nietzsche had a Jewish „superman“ (according to Wistrich) in mind and above all „de-Germanization“ instead of a Teutonic monster, which also explains the fascination of the Zionists and other intellectuals, outsiders, and social critics around 1900 and later. Wistrich goes into the analysis of the Bible penned by the more pro-Jewish philosopher. Nietzsche made fun of Christians and celebrated Judaism without being a clumsy „philo-Semite“—too strong were his sarcasm, his criticism, and his re-evaluation of the all-too-German values, „dynamite“ incarnate, with Heinrich Heine’s venom as an example. In Die Genealogie der Moral, Nietzsche makes a distinction between the Old and the New Testament: „The Old Testament—now that is a completely different matter: all honour to the Old Testament! There I find great men, a heroic landscape, and something of that rarest quality on earth, the incomprarable naiveté of the strong heart.“

Robert Solomon Wistrich was not only a historian of European history. Important elements of his research included in particular the intellectual developments from the 19th century onward, often in connection with outstanding protagonists. It is interesting how he drew out a political-philosophical connection between historical events and current-day politics and contextualized modern-day phenomena, for example in Lethal Obsession, where he mentioned Iranian revolutionary leader Ayatollah Khomeini and the Iranian principle of wali al-faqih, which places the supreme ruler above the executive, judicial, and legislative branches of government, and declared this principle to be a dynamic, Shiite version of Plato’s philosopher-king.

As a historian, he was as familiar with the works of Franz Mehring, Karl Marx, Karl Kautsky, Rosa Luxemburg, Theodor Herzl, and Victor Adler as he was with contemporary Islamist literature and journalism from Iran, Egypt, the Gulf States, Syria, and Iraq as well as the Palestinian Authority. He was a proponent of the Enlightenment, yet aware of the dialectics of the Enlightenment. Voltaire was not only an important Enlightenment figure in the 18th century, he was also a „rabid enemy of the Jews“ with a major impact not only on French anti-Semitism (e.g., the anarchist Pierre-Joseph Proudhon). Wistrich was aware of the importance of education in this day and age, yet against the background of the history of Western anti-Semitism and the contribution of the educated and the elites to it from the Middle Ages up to our modern and postmodern times, he was also aware that „it is not sufficient,“ as he said in a lecture in Canada in 2009. Anyone studying the research tendencies at universities and recognizing that it is especially the supposedly highest-educated circles who trivialize and obscure, if not massively support anti-Semitism and Islamism, realizes how naive appeals such as „more education for all“ or „migrants in Germany need more education“ can be.

Wistrich’s doctoral dissertation, mentioned above, was the more than 700-page work Socialism and the Jews; alongside all his other works, it was displayed at his house during the shiva, like a single common thread running through his life: the history of the Left and that of the Jews.

His father, Jacob Wistreich, was a member of the Leftist Zionist group Hashomer Hatzair for a short time, but forced resettlement under Stalin in 1940 robbed him of his dreams of a „socialist paradise,“ as Wistrich wrote. Yet more importantly: this was how his father survived the Holocaust; the same is true of Sabina, Robert Wistrich’s mother, to whom he dedicated several of his books. Almost half of Wistrich’s family was lost in the Shoah, so the history of the Jews in Europe was of outstanding interest to Robert S. Wistrich both in the biographical and the scientific sense. He grew up in England, but his first languages were Polish and French. He also learned English, German, and Hebrew; in addition, he spoke Yiddish, Russian, Ukrainian, Czech, Italian, Spanish, Latin, Dutch, and Arabic.

Wistrich was familiar with a tremendous number of documents, published and unpublished, and conducted research in many important historical archives from Paris to New York, Jerusalem, Tel Aviv, Washington, DC, London, Rome, and Vienna, to name just a few cities. He had the talent to delve into the details while not losing sight of the whole of society and to get to the heart of the matter. For example, he quoted from an April, 1923, letter from Viennese composer Arnold Schönberg to painter Wassily Kandinsky in which Schönberg mentioned increasing anti-Semitism using the example of the Bauhaus Architecture School in Germany and stated resignedly that as a Jew, he felt almost excluded from humanity—so aggressive had the anti-Semitic climate become at the time. Wistrich placed this in the context of anti-Semitism up to the Holocaust, beginning with the Hapsburg Empire, multiethnicity, and modernity through to Germanity, nationalism, Karl Lueger, and Hitler.

Prof. Dr. Robert S. Wistrich's room as head of the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA), Hebrew University of Jerusalem

Prof. Dr. Robert S. Wistrich’s room as head of the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA), Hebrew University of Jerusalem

In 2010, Wistrich published the currently most comprehensive and important monograph on the history and the current manifestation of anti-Semitism: A Lethal Obsession: Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad. In this 25-chapter work of more than 1,100 pages and chock-full of sources, he presents a comprehensive history of anti-Semitism—with a clear focus on the 20th and especially the 21st centuries. It is a scientific standard reference for research on anti-Semitism and at the same time an eminently political book, an intervention, by no means an assemblage of esoteric details for careerists hoping for a professorship.

One could tell by his outer appearance: a jacket and turtleneck sweater have been the insignia not only of critical philosophical circles since the 1960s. Anyone who appears in public in this garb, like Wistrich, including his last major appearance on May 14, 2015, in Jerusalem, is also making a statement. It is tempting to say: Etiquette is for wannabees, intellectuals are above it. Or in simpler words (with Hegel in mind): substance trumps form. His calm and matter-of-fact, but personal and deeply committed tone as well as his historical and philosophical allusions were extraordinarily inspiring. From time to time, Wistrich would point out who had animated him to his diverse studies, for instance Simon Wiesenthal, who asked him in the mid-1980s to examine the relationship between anti-Zionism and anti-Semitism. This topic became one of the focal areas of Wistrich’s research and resulted in the above-mentioned analysis in book form and the TV series Antisemitism: The Longest Hatred.

Right at the beginning of this book Lethal Obsession 20 years later, Wistrich emphasized that the current heyday of anti-Semitism in the Middle East surpassed anything seen since the end of the Nazi period. Anti-Semitism has migrated from Germany to the Middle East, and was not merely exported. Nobody in their right mind can ignore the outrageous quantity or the dangerous new quality of Muslim anti-Semitism.

Wistrich was also a critic of some explanations of the Holocaust (in his book Hitler and the Holocaust) and of the thesis that modernity, population policy, or an „economy of the Final Solution“ were responsible for the Shoah, and not ideological hatred and anti-Semitism. Hitler and Nazism in its entirety had a millenarist, apocalyptic ideology of annihilation, with anti-Semitism at the center, as Wistrich underlined. As in his most current analyses of Islamist anti-Semitism, in his analysis of the Holocaust, he opposed rationalizations and attempts to understand anti-Semitic agitation and actions, after all, irrational hatred were beyond reason or economic logic. As he wrote, there is no logic of modernization in the fact that the Germans deported 2,200 Jews from the Greek island of Rhodes to Auschwitz.

Conventional research has ignored and failed to take up the international discussions about anti-Semitism in the last ten years. It is not interested in Israeli researcher and Holocaust survivor Manfred Gerstenfeld’s writing about the resignation of the Jews in the Netherlands, where many Jews no longer see a future for themselves in a country increasingly dominated by aggressive Muslims or Islamists. The situation is similar in Sweden. In Germany, Jews hardly dare to walk around in public openly wearing a Star of David, and heavily armed police officers guard every synagogue and every Jewish kindergarten to protect Jews from anti-Semitic attacks. Even a glance at the Internet reveals anti-Semitism that is in part inconceivably brutal and vulgar. In recent years, Robert Wistrich too was increasingly pessimistic about the future of the Jews in Europe.

The realities in the virtual space in Europe and Germany, but also in editorial offices, on the streets, at research colloquia, when shopping, at demonstrations, etc., have been determined by enormous anti-Semitism, especially since the year 2000 and then following 9/11. Most researchers fail to recognize it because it usually is not neo-Nazi-style anti-Semitism, but is cloaked as „criticism of Israel“ and has its roots in mainstream society. The unanimous decision of the German Bundestag on July 1, 2010, concerning the so-called Gaza Flotilla is evidence of the increasing enmity toward Israel even in a country that projects an image of being a friend of the Jewish state. And then came the anti-Semitic summer of 2014 with the most brutal, massive, and large anti-Jewish rallies across Europe in decades.

In November, 2011, the first report on anti-Semitism by the German federal government was published („Antisemitismus in Deutschland. Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze,“ „Anti-Semitism in Germany. Manifestations, conditions, approaches to prevention“). It was prepared by an „independent circle of experts on anti-Semitism“ consisting of ten researchers, of whom some could draw on extensive experience. Not only does the report fail to address German-Iranian relations and refuse to analyze and criticize Islamofascism (in its historical as well as its current-day version). It also intentionally ignores most of the internationally important researchers on Muslim anti-Semitism. Although some researchers (on anti-Semitism) authoring English-language texts are indeed taken up, the report ignores, for example, all of Robert S. Wistrich’s books and articles, despite the fact that they are even available in German. Such ignorance would be commensurate to a study on The history of physics from 1900 to 1925 that failed even to mention Albert Einstein.

If most German researchers (on anti-Semitism) were familiar with the debates in the Jewish communities, e.g. in Europe, Israel, and the US, then they would be informed about the anxieties present there in the past ten years and would not publish texts that claimed in earnest, referring to surveys, that although 47 % of Leftists were „anti-Israel,“ only 3 % of them were anti-Semitic. As if rejection of the Jewish state of Israel did not constitute a core of present-day anti-Semitism. Anyone opposing (a Jewish state of) Israel is of course an anti-Semite today, since Israel is the state of the Jews.

The situation in Europe and Germany is dramatic, and research is failing to a large extent. Anti-Semitism is not difficult to detect if only one examines it clearly and does not only surf along the surface. A media analysis is very important.

A joke that Robert S. Wistrich told at the official launch of this masterpiece A Lethal Obsession on January 5, 2010, at the Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington, DC, in the presence of renowned historian Jeffrey Herf may illustrate how anti-Semitism often works in Europe today. The joke goes like this: A pit bull attacks a little girl standing all alone in the terminal of the Paris airport. A man who happens to be nearby immediately shoots the dog, saving the girl’s life. Of course, throngs of journalists descend on him, take photos, praise the hero, and say, „Tomorrow, Paris newspaper headlines will read: ‚Parisian saves girl from dog attack.'“ The man replies, „But I’m not from Paris.“ „Okay, then we’ll write, ‚Frenchman saves girl from dog attack.'“ „But I’m not French.“ „Well then, we’ll write, ‚European saves girl.'“ „But I’m not European, either. I’m from Israel.“ The journalists agree, „Oh, okay. Then the headline will read: ‚Israeli kills little girl’s dog.'“

Since the mid-1980s, Wistrich pointed out (as in his 1985 book Hitler’s Apocalypse) that Muslim anti-Semitism is a great danger. This can be demonstrated empirically, and it shows that this matter was recognized much earlier in Israel and the US, while in Germany, the overwhelming majority of university researchers and mainstream politicians, journalists, and political activists refuse even to make it a topic of discussion. Wistrich was in the Federal Republic of Germany as a researcher and fellowship holder even in the early 1970s and since then studied the discussions around anti-Semitism in Germany intensively and continuously. In Lethal Obsession, he refers both to Henryk M. Broder’s criticism of Leftist anti-Zionism in 1970s and 1980s West Germany and to the criticism of Islamism, looking away, moral cowardice, and pleas for unquestioning dialogue that Broder formulated in his 2006 book Hurra, wir kapitulieren.

In the autumn of 2014, Robert asked me if I saw an opportunity to republish his 1987 book Hitler’s Apocalypse; its German title was Der antisemitische Wahn. He saw many aspects of current-day anti-Semitism anticipated in the book and wanted to publish it with an up-to-date preface in 2015. Of course I agreed to publish the book. When I met him at SICSA a week before his death in Rome, Robert gave me a hard copy of his newly written foreword. It is a review of his research as well as of the political developments of anti-Semitism over the past 30 years. The text will be published in German in the summer of 2015 as a part of the new edition of Der antisemitische Wahn. Now, Robert S. Wistrich’s foreword can be read as nothing less than a kind of scholarly and political testament, as it is one of the last longer texts he wrote directly prior to his death, and since it summarizes very fundamentally what he considered research on anti-Semitism to be.

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Announcement of the passing of Prof. Dr. Robert S. Wistrich, z“l, at his home in Jerusalem

It was always so enjoyable to talk with him—with whom else?— about the strange research conducted by many of our colleagues. For many years, his agreement as well as his criticism were an inspiration and were characterized by a motivation beyond description. He had many problems with mainstream research that in the past and the present has preferred ramblings and esoteric details to criticism and lucid analysis. Robert knew that, and it pained him. He once told me that he accepted invitations to speak from people whom he felt (or learned to feel) very problematic scientifically speaking.

The core of his numerous public appearances was the following: Like no other, he was capable of stepping back and viewing the big picture, for example at the large farewell conference as a professor at The Hebrew University in Jerusalem in the early summer of 2014. He had an overview, and he drew out the broad lines. Seldom was the postmodern chatter about the end of the great ideas and Foucaultianism so strongly accused of being untrue as in lectures and texts by Robert Wistrich. The history of the Jews in the age of Franz Joseph, one of Wistrich’s greatest studies, is a chapter of Jewish history in Europe, a central one. At the same time, it is a history of rising anti-Semitism as well as the emergence of Zionism.

If the city of Jerusalem means „Body and Soul,“ as in the title of a film by Gloria Greenfield in which Robert Wistrich played a central role, and thus is the urban embodiment of the connection of Jews to the land of Israel, then Robert Wistrich was the intellectual embodiment of Jewish history and Zionism.

It is this history of Jewish empowerment that was so central to the oeuvre of Robert S. Wistrich. The calm manner in which he spoke, his way of peering at his audience to see whether the horrific, terrible thing he was analyzing was even recognized as such, was so fascinating and captivating, even intellectually inspiring. As Robert’s widow Danielle mentioned in her remarks, Robert became more religious in his last years, which nonetheless was in contrast, or in a dialectical relationship to his quasi youthful delight in having an entirely unkosher sausage with French fries with us in the autumn of 2014 in Berlin and enjoying it in the sunshine. His irony was hilarious when he photoshopped himself into pictures as the fifth Beatle.

It was moving when Danielle showed a few visitors at Robert’s shiva his study and also private photos from his, and for many years also their shared life. The word „loss“ cannot capture it.

Robert occasionally spoke about himself as „marathon man,“ which is understandable in light of discussions like the ones in Berlin or New Haven that lasted five or six hours He became sharper and sharper over the course of a day or a long discussion, and now and again, it was past midnight when he had flashes of genius. Robert had legendary powers of recollection from episodes from Hannah Arendt’s life—whom he did not really appreciate highly—to the Zionist Ben Halpern—who had once been his neighbor.

As a historian of how the Left deals with Jews, or Leftist anti-Semitism and the history of the Jews in Europe, Wistrich encountered the topic of Islamism and anti-Jewish and anti-Western jihad as early as the mid-1980s. The eminent significance of this analysis particularly of Muslim anti-Semitism is to be seen against the background of the prevailing defenses within the disciplines of history, sociology, political science, Islamic and Middle Eastern Studies, literature, American and Arabic Studies, Iran Studies, and research on anti-Semitism. There, numerous researchers prefer to indulge in postcolonial and post-Orientalist theory and foment anti-Western resentment instead of addressing and criticizing the reality of the murderous jihad and Islamic anti-Semitism operating worldwide

In the German edition of Muslim Anti-Semitism, which he encouraged me and Edition Critic to publish in 2011 after the American Jewish Committee (AJC) in Berlin had refused years before to have the brochure, which had originally been published in English by the US AJC, translated, Robert S. Wistrich examined the entire history of Islamic anti-Semitism since the days of Mohammed. Of course, numerous aspects are merely touched upon, since a brief text cannot deal in depth with more than 1,400 years. The focus is on the analysis of Islamic anti-Semitism since the early 20th century. Written a few months after the mass murder of September 11, 2001, with its Islamist motivation, the study was up-to-date at the time and is still enormously current today.

Countering activists and publishers proud to be German, who reject Islam, but sing the praises of the „shared values of Christianity and Judaism,“ Wistrich takes care to emphasize that in the Middle Ages, life was better for the Jews (as Dhimmi) under Islam than under Christianity. Without Christian anti-Judaism and anti-Semitism, German anti-Semitism would not have developed and the Holocaust would not have occurred. Those who now agitate against Muslims prefer to disregard this. In contrast, Wistrich analyzes and criticizes the close relationship between Christian and Islamic anti-Semitism; current-day Arabic and/or Muslim leaders like to flatter Christians by pointing this relationship out to them. Wistrich studied the historical relationship of the Grand Mufti to the Germans, and also the relationship between Nazism and Islamism, as well as exposing the current danger of „Islamic fascism.“

In Lethal Obsession, Wistrich studied a particular feature of the Islamism coming from Tehran: Khomeini, from 1979 to 1989, his successor Khamenei, and then President Ahmadinejad saw themselves as the advocates of the world’s oppressed and poor. The Shiite Islamist Regime in Iran continues to seek to forge global alliances with „anti-imperialist forces“ against America, the West, and Israel. It is also hardly surprising that some Iranian thinkers and philosophers are turning to the anti-Western Nazi intellectual pioneer Martin Heidegger, as Wistrich notes in Lethal Obsession.

In that book, Wistrich quoted many anti-Semitic speeches and utterances by Ahmadinejad, who stood for the regime whose „president“ he was, calling for the annihilation of Israel and the expulsion of the Jews from the Holy Land. Just as Hitler’s threat of January 30, 1939, that an impending world war would bring about the „annihilation of the Jewish race in Europe“ was not an empty threat, the Iranian leadership’s threats are no „empty threats,“ either, as Wistrich emphasized.

German and European anti-Semitism influence(d) anti-Semitism in the Middle East and vice versa, not least thanks to modern communications technology and migration. In his 1985 book, Hitler’s Apocalypse, Wistrich examined the relationship between old Nazis and Arabic anti-Semites. Many Germans went to Egypt and were warmly welcomed there, after all, they were „experts“ in anti-Semitism, for example the notorious anti-Semite Johann von Leers, the former SS officer Leopold Gleim, or another ex-Nazi, Louis Heiden.

To Wistrich, anti-Semitism research was of enormous significance above and beyond scientific and societal trends. The continuity with which he studied the most varied facets of anti-Semitism scientifically is remarkable. While for some time, research areas such as „comparative genocide research,“ „research into racism and prejudice,“ or even „Islamophobia“ have been en vogue and nonetheless only relativize current-day anti-Semitism and the unprecedented Holocaust, Wistrich’s research on anti-Semitism—as I read it—is concerned with studying the specific features of anti-Semitism, this „longest hatred.“

In his last lecture on May 14, 2015, Robert Wistrich also underlined the enormous danger lying in the fact that it has become nothing less than an ideology of salvation to see the solution of the Arab-Israeli conflict as a symbol of peace for the entire Middle East or even the whole world. He called this „Palestinianism,“ i.e., the focus on this one particular conflict. His analysis of the lethal obsession that anti-Semitism has been for thousands of years makes clear how important it is to first of all analyze anti-Semitism and then to reject the naive (and anti-Zionist) notion of a world without anti-Semitism. To be sure, there is no harm in dreaming, but Jews have had the unspeakably painful experience called reality. According to Wistrich, it is not about the legitimate rights of the Palestinians, but about nothing less than the hope for salvation that many, all too many people around the world conflate with the term „Palestine“—and what is more, many mean a country from the Jordan to the Mediterranean and not a peaceful and perhaps even democratic state of Palestine side by side the Jewish state of Israel.

Research on anti-Semitism will change following the death of Robert S. Wistrich; his passing is an epochal rupture. This was emphasized not only by Martina Weisz, his longstanding colleague at the Vidal Sassoon Center, on the day of his funeral in a private conversation at The Hebrew University.

Anti-Semitism research and public intellectuals supporting Israel have lost a unique source of inspiration and ideas. There will be no more of the inspiring moments that characterized Robert Solomon Wistrich’s public and private appearances. Perhaps it will be the looks and the smiles that we will miss the most, since they expressed as much reflection and criticism as intellectual charm.

As Manfred Gerstenfeld stressed in an obituary, Robert’s legacy will live on; great intellectuals have enormous effects over time. In Robert’s case, it is the persistent inspiration for those who have been part of the struggle against anti-Semitism and for Zion, even if not with his energy and unspeakable dynamism, and who will continue the struggle in his spirit, or will at least try.

May your memory be a blessing, dear Robert Solomon Wistrich, z“l.

 

 

* This article was first published in German, May 27, 2015. Translated from the German by Sandra H. Lustig. The author, Clemens Heni, PhD, is a political scientist, he has published five books so far (on the New Right in Germany 1970-2005, the history of German antisemitism, Islamic Studies and Antisemitism in Germany after 9/11, Antisemitism: A Specific Phenomenon (original in English), and Critical Theory and Israel), and is the director of the Berlin International Center for the Study of Antisemitism (www.BICSA.org). As of July 2015, he will be working at the Centre of Garden Art and Landscape Architecture (CGL) of Leibniz University Hannover (Germany) in a joint project with Technion, Haifa, about “Jewish horticultural and agricultural schools / training centers in Germany and their impact on horticulture, agriculture and landscape architecture in Palestine / Israel.”

Ende einer Epoche: Zum Tode meines Freundes, des Historikers und zionistischen Intellektuellen Robert Solomon Wistrich, z‘‘l

Robert S. Wistrich war der weltweit bekannteste und renommierteste Antisemitismusforscher unserer Zeit. Er war einer der berühmtesten israelischen Forscher in den Geisteswissenschaften überhaupt. Der am 7. April 1945 in Kasachstan als Sohn polnisch-jüdischer Eltern geborene Historiker war „Neuburger Professor“ für „moderne europäische und jüdische Geschichte“ an der Hebräischen Universität Jerusalem und seit 2002 Direktor des dort 1982 gegründeten Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA), das sich seither einen Ruf als einzigartige Forschungsstätte erworben hat. Robert Solomon Wistrich starb am 19. Mai 2015 während einer Vortragreise in Rom an einem Herzinfarkt.

 

Prof. Dr. Robert Solomon Wistrich, Berlin, 16. September 2014

Prof. Dr. Robert Solomon Wistrich, Berlin, 16. September 2014

Sein Tod trifft seine Familie und Freunde, aber auch die weltweite Community von Zionisten und kritischen Antisemitismusforscherinnen- und forschern wie ein unfassbares Beben. Ein Schock.

 

Dabei mag es rückblickend wie ein Wunder wirken, dass Wistrich 70 Jahre alt wurde, wie sein Sohn auf der Beerdigung am 21. Mai 2015 in Jerusalem sagte – denn im Alter von 27 wurde bei Wistrich eine Krebsart diagnostiziert, bei der die Überlebenschancen laut Enzyclopaedia Britannica bei 2% liegen.

 

Robert wirkte am 14. Mai 2015, dem Tag, als wir uns das letzte Mal sahen, zuerst müde. Doch selbst in solchen Momenten vermochte er es wie kein zweiter public intellectual zu brillieren. Er sprach auf dem Global Forum for Combating Antisemitism, der weltgrößten Konferenz gegen Antisemitismus, zum Lunch. Vor ihm hatte Dan Shapiro, ein junger aufstrebender Diplomat, Botschafter der USA in Israel, eine Rede gehalten. Dessen Lobeshymnen auf Obamas Kampf gegen Antisemitismus ließ Wistrich nicht unkommentiert. Er begann gerade in diesem Rahmen seine Rede mit einer „ganz typischen jüdischen Frage“: „Wenn alles so wunderbar ist, warum ist es dann so schlimm?“ Seine letzte große Rede, vor 600 Gästen im Jerusalem Convention Center, war der intellektuelle Höhepunkt des Global Forums.

Robert Wistrich Clemens Heni Perry Trotter May 14, 2015, Jerusalem

Robert Wistrich, Clemens Heni, Perry Trotter, Jerusalem, 14. Mai 2015, Global Forum for Combating Antisemitism

 

Später ging Robert noch in eine der working groups (über Holocaust-Trivialisierung), und wir sprachen noch sehr lange und waren bei den Allerletzten, die das Global Forum verließen. Er erzählte mir, dass er seine Nachfolge als Direktor des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) ab Oktober 2015 regeln müsste. Merkwürdigerweise legte ihm die Hebräische Universität eine Liste mit Namen vor, darunter ausschließlich eigene Dozenten. Schließlich sagte mir Robert mit einem gewissen Schulterzucken sinngemäß, er habe schließlich die womöglich am wenigsten problematische Person gewählt…

 

Der Tod von Robert S. Wistrich besiegelt das Ende des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA), auch wenn das Zentrum formal erstmal weiterexistieren wird. Doch als führender zionistischer Intellektuelle, als der bedeutendste Antisemitismusforscher und als Historiker jüdischer Geschichte ist er nicht zu ersetzen. SICSA war Robert Wistrich und vice versa.

 

Er meinte, vielleicht würden wir uns ja am Sonntag am Ben Gurion International Airport treffen, da er nach Rom und wir zurück nach Berlin fliegen würden. So kam es, dass ich am Mittwochmorgen von Anat Varon, Roberts letzter Doktorandin, eine E-Mail bekam mit der schrecklichen Nachricht. Es gab vielfach Anzeichen für seinen wirklich schlechten Gesundheitszustand, doch Vorsicht, Zurückhaltung oder die Sorge um sich selbst waren ihm offenbar unbekannt. Anat zeigte mir Roberts Lieblingsplätze an der Hebräischen Universität, seinen quasi kaum bekannten zweiten Arbeitsraum (neben jenem bei SICSA) und sie erzählte wie genussvoll er bei Gesprächen über ihre Dissertation zu Franz Werfel, Österreich und jüdische Geschichte, Schokolade aß, die sie immer mitbrachte.

Prof. Dr. Robert S. Wistrichs Arbeitszimmer an der Hebräischen Universität Jerusalem

 

In seiner Rede auf dem Global Forum spannte Robert den Bogen vom Kampf gegen den Antisemitismus hin zum jüdischen „Empowerment“, zum aktiven Eintreten für Israel als das Land der Juden, wie es in einer bahnbrechenden Ausstellung des Simon Wiesenthal Centers, die Wistrich erarbeitet hat und die – nachdem Proteste arabischer Staaten, sie könne den „Friedensprozess“ gefährden, für eine Verschiebung ihrer Eröffnung und Umbenennung gesorgt hatten – selbst bei der UNESCO in Paris und dem UN-Hauptquartier in New York gezeigt wurde, so phänomenal deutlich wird: „People, Book, Land: The 3500 Year Relationship of the Jewish People with the Holy Land“.

 

Robert Wistrich war es, der mich im Dezember 2002 zu meiner ersten Israelreise einlud, mitten in der zweiten Intifada. Mein Vortrag auf seiner ersten großen Konferenz als Leiter von SICSA – über Medien, Antizionismus und politische Kultur in der Bundesrepublik – verursachte eine tomatenroten Kopf des Kulturattachés der Deutschen Botschaft in Israel, die meine Reise mitfinanziert hatte, und eine offizielle Beschwerde der Deutschen Botschaft beim Präsidenten der Hebräischen Universität Jerusalem über meine Person (und über meinen Kollegen Martin Ulmer von der Universität Tübingen). Die Botschaft forderte die Hebräische Universität auf, das Zentrum nicht weiter (oder weniger stark) zu unterstützen. Zu diesem Zeitpunkt war Robert Wistrich noch keineswegs als Leiter von SICSA etabliert, wenngleich als Antisemitismusforscher schon längst eine Berühmtheit.

Es war eine Ehre als frisch gebackener Promotionsstipendiat der Hans Böckler Stiftung (HBS) von offizieller Seite so wahrgenommen zu werden. Konsequenz: der Präsident der Hebräischen Universität befand unsere Vorträge als wissenschaftlich einwandfrei, es gab seither keinerlei Kontakt mehr zwischen SICSA und der Deutschen Botschaft. Ich bekam 2003 und 2004 ein Felix Posen Fellowship von SICSA. Robert selbst erwähnte diesen Konflikt mit der Deutschen Botschaft bei unserem Besuch am 12. Mai 2015 bei SICSA.

 

Wistrichs Bezeichnung des Antisemitismus als „der längste Hass“, wie sein gleichnamiges Buch und eine daran angelehnte dreiteilige Fernsehserie 1991 hießen – Antisemitism: The Longest hatred –, ist so prägnant wie mittlerweile international etabliert.

 

1985 beschrieb Wistrich in seinem Buch Hitler’s Apocalypse (auf Deutsch 1987: Der antisemitische Wahn: Von Hitler bis zum Heiligen Krieg gegen Israel), wie er bereits zehn Jahre zuvor in England eine neue Form des Antisemitismus bemerkt hatte: den antizionistischen Antisemitismus, der heute ein wesentlicher Teil dessen ist, was man „neuer Antisemi­tis­mus“ nennt. Dieser ging zunächst vor allem von Linken, häufig gut ausgebildeten Leuten an Universitäten aus.

Was damals noch am Rande der Gesellschaft sich zutrug, ist längst Mainstream. Der islamische Antisemitismus benötigt den Antisemitismus der Linken und des Mainstreams in westlichen Ländern dringend. Ohne wohlwollende, abwiegelnde Linke, Liberale und naive Multikulturalisten, die das Thema muslimischer Antisemitismus aus den Universitäten zu verbannen suchen, hätten die Islamisten kein so leichtes Spiel.

 

Robert S. Wistrichs wissenschaftliche Karriere begann an der berühmten Wiener Library in London in den 1970er-Jahren, nachdem er Ende der 1960er-Jahre unter anderem im kalifornischen Stanford studiert hatte. 1982 erhielt Wistrich eine Professur an der Hebräischen Universität in Jerusalem, der Hauptstadt Israels. Man kann seine Forschungen in fünf Kategorien einteilen, wobei im Folgenden nur seine Bücher aufgeführt werden. Hinzu kommen etliche von ihm herausgegebene Bände, Hunderte Artikel, Einführungen zu Bänden, Broschüren und andere Texte, die fast alle ebenfalls in diese Kategorien fallen:

 

1) Die Linke und Antisemitismus. Hierzu zählen folgende Monografien: Revolutionary Jews from Marx to Trotsky (1976); Trotsky: Fate of a Revolutionary (1979); Socialism and the Jews: The Dilemmas of Assimilation in Germany and Austria-Hungary (1982); From Ambivalence to Betrayal. The Left, the Jews and Israel (2012).

2) Die Geschichte der Juden mit einem Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Judentum in Europa von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1933. Hierzu zählen seine 700 Seiten starke, mehrfach preisgekrönte Arbeit The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph, 1987 abgeschlossen, 1989 auf Englisch publiziert (1999 auf Deutsch Die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs); Between Redemption and Perdition. Antisemitism and Jewish Identity (1990); Austrians and the Jews in the Twentieth Century: From Franz Joseph to Waldheim (1992); Austrian Legacies: Jews and National Identity (2004); Ma’abada le-heres ha-olam. Germanim ve-yehudim be mercaz-europa (2006); Laboratory for World Destruction. Germans and Jews in Central Europe (2007).

3) Hitler, der Nationalsozialismus und der Holocaust. Who is Who in Nazi Germany (1982; 1983 und in weiteren Auflagen auf Deutsch unter dem Titel Wer war wer im Dritten Reich?); Hitler’s Apocalypse: Jews and the Nazi Legacy (1985; auf Deutsch 1987 Der antisemitische Wahn: von Hitler bis zum Heiligen Krieg gegen Israel); Weekend in Munich: Art, Propaganda and Terror in the Third Reich (1995; auf Deutsch 1996 Ein Wochenende in München: Kunst, Propaganda und Terror im Dritten Reich); Hitler and the Holocaust“ (2001; auf Deutsch 2003 Hitler und der Holocaust).

4) Theorien und Analysen des Antisemitismus und Antizionismus. Antisemitism: The Longest Hatred (1991); ebenso in Hitler and the Holocaust und in A Lethal Obsession. Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad (2010).

5) Muslimischer Antisemitismus. Diesen betrachtete Wistrich zunächst in Hitler’s Apocalypse (siehe [3]), sodann in der Broschüre Muslim Antisemitism. A Clear and Present Danger (2002,) sowie in weiten Teilen von A Lethal Obsession (2010), das neben (4) und (5) auch die anderen analytischen Kategorien behandelt.

 

Wer Wistrichs Bücher, Artikel und Broschüren liest, Interviews von ihm hörte, mit ihm diskutierte oder seine Vorträge live erlebte, bemerkte sofort: Inmitten einer geschwätzigen, sich am liebsten selbst bespiegelnden und innerhalb der eigenen Schulrichtung untereinander sich zitierenden Forscherwelt sprach hier jemand, der etwas zu sagen hat, der seine Analysen öffentlich diskutiert wissen wollte und sich nicht im Elfenbeinturm versteckte. Seine Bücher haben eine Geschichte.

 

Wistrich forschte und publizierte nicht, um eine lange Publikationsliste vorweisen zu können, wie es heute nicht selten mit Indifferenz zum Sujet der Fall ist. Seine Vorworte zu vielen seiner Studien zeugen von einer persönlichen Beziehung zu der jeweiligen Forschung. Sein Werk über die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs, die Geschichte der Juden im Habsburgerreich (dem ältesten europäischen Herrschaftsverbund, der von Ende des 13. Jh. bis 1918 währte), hat viel mit seiner Herkunft zu tun. Er widmete das Buch seinen vier Großeltern (Salomon und Anna Wistreich sowie Simon und Helena Silbinger), die Bürger von Krakau waren, das damals zur österreichisch-ungar­ischen Monarchie gehörte. Bereits 1969/70 fing er an, sich als Student an der Hebräischen Universität Jerusalem Wien und dem Fin de Siècle zu widmen – ein Projekt, das knapp 20 Jahre später in die genannte Studie mündete. Viel machte Wistrich an Personen fest, etwa an Sigmund Freud oder Arthur Schnitzler, Karl Kraus oder dem Rabbiner, Politiker und Autor Joseph Bloch.

 

Prof. Dr. Robert S. Wistrichs Zimmer als Direktor des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA)

Prof. Dr. Robert S. Wistrichs Zimmer als Direktor des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA)

Friedrich Nietzsche war für viele Zionisten um 1900 Inspiration für einen jüdischen Aufbruch, eine lebensfreudige, ästhetische, kraftvolle Kritik am herrschenden geistigen Stillstand des christlichen Europa mit seinem immer stärker werdenden Antisemitismus, gerade in Österreich-Ungarn und Deutschland, aber auch in Frankreich. Nietzsche war eine Provokation für Deutschtümler, Christen und Antisemiten. Wistrich zeigte, wie Nietzsche gegen den Antisemitismus im 19. Jahrhundert kämpfte und sich von seiner Schwester und von Richard Wagner geradezu angewidert abwandte. Ebenso analysierte Wistrich in Laboratory for World Destruction, wie manche Texte oder Phrasen Nietzsches wie der „Übermensch“ von Rechten und dem Nationalsozialismus in deren völkische Richtung uminter­pretiert werden konnten, was gleichwohl einer kompletten Verkehrung gleichkam. Tatsächlich hatte Nietzsche eher einen jüdischen „Supermann“ (so Wistrich) und vor allem eine „Entdeutschung“ im Blick als ein teutonisches Monster, was auch die Faszination der Zionisten und anderer Intellektueller, Außenseiter und Gesellschaftskritiker um 1900 und später erklärt. Wistrich geht auf die Analyse der Bibel aus der Feder des eher projüdischen Philosophen ein. Nietzsche machte sich über Christen lustig und feierte das Judentum, ohne ein plumper ‚Philosemit‘ zu sein – dafür waren sein Sarkasmus, seine Kritik und seine Umwertung der allzu deutschen Werte, die sich als Vorbild die Bosheit Heinrich Heines nahmen, viel zu stark, Leib gewordenes „Dynamit“. Nietzsche trennt in Die Genealogie der Moral zwischen Altem und Neuem Testament: „Das Alte Testament – ja, das ist ganz etwas anderes: alle Achtung vor dem Alten Testament! In ihm finde ich große Menschen, eine heroische Landschaft und etwas vom Allerseltensten auf Erden, die unvergleichliche Naivität des starken Herzens.

 

Robert Solomon Wistrich war nicht nur ein Historiker europäischer Geschichte. Insbesondere die intellektuellen Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert, häufig an herausragenden Protagonisten festgemacht, waren wesentliches Element seiner Forschungen. Interessant ist, wie er Geschichte mit heutiger Politik politisch-philosophisch in Beziehung setzte beziehungsweise heutige Phänomene kontextualisierte; so z. B., wenn er in Lethal Obsession den iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini und das iranische Prinzip des wali al-faqih, das dem oberster Herrscher die Exekutive, Judikative und die Legislative unterordnet, erwähnte und dieses Prinzip zu einer „dynamischen, schiitischen Version des platonischen Philosophenkönigs“ erklärte.

 

Wisstrich kannte sich in den Werken von Franz Mehring, Karl Marx, Karl Kautsky, Rosa Luxemburg, Theodor Herzl und Victor Adler so gut aus wie in der gegenwärtigen islamistischen Literatur und Publizistik aus Iran, Ägypten, den Golfstaaten, Syrien und dem Irak sowie der Palästinensischen Autonomiebehörde. Er war ein Aufklärer und weiß doch um die Dialektik der Aufklärung. Voltaire war nicht nur eine wichtige Figur der Aufklärung im 18. Jahrhundert, er war auch ein „rabiater Judenfeind“ mit großer Ausstrahlung nicht nur auf den französischen Antisemitismus (z. B. den Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon). Wistrich wusste um die Bedeutung von Bildung in der heutigen Zeit, doch ebenso war ihm vor dem Hintergrund der Geschichte des westlichen Antisemitismus und des Anteils der Gebildeten und Eliten daran seit dem Mittelalter bis in unsere modernen und postmodernen Zeiten bewusst: „Es ist nicht genug“, wie er 2009 auf einem Vortrag in Kanada sagte. Wer sich die Forschungstendenzen an Universitäten anschaut und sieht, dass gerade von den vorgeblich gebildetsten Kreisen Antisemitismus und Islamismus trivialisiert, vernebelt, wenn nicht massiv gefördert werden, merkt, wie naiv bloße Appelle wie „mehr Bildung für alle“ oder „Migranten in Deutschland brauchen mehr Bildung“ sein können.

 

Wistrich promovierte mit der oben genannten Arbeit Socialism and the Jews – eine über 700 Druckseiten dicke Arbeit, die auf der „Shiva“, der siebentägigen Trauerzeit im Hause des Verstorbenen, gemeinsam mit allen anderen Werken aus seiner Feder gezeigt wurde, was wie ein roter Faden in seinem Leben ist: die Geschichte der Linken und die der Juden.

 

Sein Vater, Jacob Wistreich, war kurzzeitig Mitglied der linken zionistischen Gruppe Hashomer Hatzair, wurde aber bald darauf durch eine Zwangsumsiedlung unter Stalin 1940 seiner Träume von einem „sozialistischen Paradies“ beraubt, wie Wistrich schreibt. Doch viel wichtiger: So überlebte der Vater den Holocaust; das Gleiche gilt für Sabina, Robert Wistrichs Mutter, der er mehrere seiner Bücher widmete. Fast die Hälfte seiner Familie hat Wistrich in der Shoah verloren.

 

Die Geschichte der Juden in Europa war für Robert S. Wistrich also sowohl biografisch als auch wissenschaftlich von herausragendem Interesse. Er wuchs in England auf, sprach aber zuerst Polnisch und Französisch, ebenso lernte er Englisch, Deutsch und Hebräisch; zudem konnte er Jiddisch, Russisch, Ukrainisch, Tschechisch, Italienisch, Spanisch, Lateinisch, Niederländisch und Arabisch.

 

Wistrich kannte eine ungeheure Anzahl von Dokumenten, gedruckten wie ungedruckten, und war in vielen wichtigen historischen Archiven von Paris bis New York, Jerusalem, Tel Aviv, Washington D. C., London, Rom und Wien unterwegs, um nur einige Orte zu nennen. Er hatte die Gabe, sich in die Details zu vertiefen und dabei das Ganze der Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren und auf den Begriff zu bringen. So zitierte er zum Beispiel aus einem Brief des Wiener Komponisten Arnold Schönberg an den Maler Wassily Kandinsky vom April 1923, in dem der ansteigende Antisemitismus am Beispiel der „Bauhaus-Architektur-Schule“ in Deutschland thematisiert wird und Schönberg resigniert feststellt, dass er als Jude sich aus der Menschheit fast schon ausgeschlossen vorkommt, so aggressiv war schon seinerzeit das antisemitische Klima. Das bettete Wistrich in die Geschichte des Antisemitismus bis zum Holocaust ein, ausgehend vom Habsburger Reich, von Multiethnizität und Moderne hin zu Deutschtum, Nationalismus, Karl Lueger und Hitler.

 

2010 publizierte Wistrich im New Yorker Verlag Random House die derzeit umfangreichste und bedeutendste Monografie über die Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus: A Lethal Obsession: Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad (Eine tödliche Obsession: Antisemitismus von der Antike bis zum weltweiten Jihad). In diesem quellengesättigten, über 1.100 Seiten zählenden Werk stellt er in fünfundzwanzig Kapiteln umfassend die Geschichte des Antisemitismus dar – mit einem klaren Schwerpunkt auf dem zwanzigsten und vor allem einundzwanzigsten Jahrhundert. Es ist ein wissenschaftliches Standardwerk der Antisemitismusforschung und zugleich ein eminent politisches Buch, eine Einmischung, kein esoterisches Kleinklein für Oberstudienräte oder habilitierte Karrieristen.

 

Man sah es dem Verfasser durchaus schon an: Rollkragenpullover und Jackett sind nicht nur Insignien kritischer philosophischer Kreise der 1960er-Jahre und später. Wer wie Wistrich nicht selten öffentlich so auftrat, so auch bei seinem letzten großen Auftritt am 14. Mai 2015 in Jerusalem, gibt damit auch ein Statement ab. Man ist versucht zu sagen: Etikette ist etwas für „wannabees“, Intellektuelle haben das nicht nötig. Oder einfacher gesagt (mit Hegel im Hinterkopf): Inhalt schlägt Form. Der ruhige und sachliche, aber persönliche, engagierte Ton sowie seine historischen und philosophischen Anspielungen waren ungemein inspirierend. Wistrich betonte mitunter, wer ihn zu seinen vielfältigen Studien animiert hatte, zum Beispiel Simon Wiesenthal, der ihn Mitte der 1980er-Jahre bat, doch die Beziehung von Antizionismus und Antisemitismus zu untersuchen. Dieses Thema avancierte zu einem Schwerpunkt der Forschungen Wistrichs und mündete in die bereits erwähnte Analyse in Buchform und die TV-Serie Antisemitism: The Longest Hatred.

20 Jahre später, gleich zu Beginn des Buches Lethal Obsession, strich Wistrich heraus, dass der Antisemitismus seit dem Ende des Nationalsozialismus keine solche „Hochzeit“ („heyday“) mehr erlebt habe wie heute im Nahen Osten. Der Antisemitismus ist aus Deutschland in den Nahen Osten gewandert, ohne bloß exportiert worden zu sein. Wer bei Sinnen ist, kann weder die ungeheuerliche Quantität noch die gefährliche neue Qualität des muslimischen Antisemitismus ignorieren.

Wistrich war auch ein Kritiker mancher Erklärungen über den Holocaust (in seinem Buch Hitler and the Holocaust) und der These, die Moderne, Bevölkerungspolitik oder eine „Ökonomie der Endlösung“ und nicht ideologischer Hass und Antisemitismus seien für die Shoah verantwortlich gewesen. Hitler und der Nationalsozialismus insgesamt hatten eine „millenaristische, apokalyptische Ideologie der Vernichtung“, in deren Zentrum der „Antisemitismus“ stand, wie Wistrich hervorhebt. Wie bei seinen heutigen Analysen des islamischen Antisemitismus wendet sich der Historiker bei der Analyse des Holocaust gegen Rationalisierungen und ein Verstehenwollen von antisemitischer Agitation und Aktion, wo sich doch irrationaler Hass jenseits der Vernunft oder ökonomischer Logik befindet. Es gibt keine „Logik der Modernisierung“ in der Tatsache, dass die Deutschen 2.200 Juden von der griechischen Insel Rhodos nach Auschwitz deportierten, wie er schreibt.

 

Die herkömmliche Forschung ignoriert und derealisiert die internationalen Diskussionen über Antisemitismus in den letzten zehn Jahren. Sie will nichts von der Resignation der Juden in den Niederlanden wissen, von der der israelische Forscher und Holocaustüberlebende Manfred Gerstenfeld berichtet, wo viele Juden keine Zukunft mehr für sich in einem zunehmend von aggressiven Muslimen beziehungsweise Islamisten bestimmten Land sehen. Ähnlich sieht es in Schweden aus. Und Juden in Deutschland trauen sich kaum, offen mit Magen-David-Halskette durch die Straßen zu laufen, vor jeder Synagoge und jedem jüdischen Kindergarten stehen schwer bewaffnete Polizisten, um Juden vor antisemitischen Angriffen zu schützen. Ein Blick ins Internet zeigt einen teils unfassbar brutalen und vulgären Antisemitismus. Auch Robert Wistrich sprach in den letzten Jahren zunehmend pessimistischer über die Zukunft der Juden in Europa.

Die europäischen und deutschen Wirklichkeiten im virtuellen Raum, aber ebenso in Redaktionsstuben, auf den Straßen, in Forschungskolloquien, beim Einkaufen, auf Demonstrationen etc. sind vor allem seit dem Jahr 2000 und dann nach 9/11 von einem enormen Antisemitismus bestimmt. Die meisten Forscher wollen ihn nicht erkennen, weil er meistens nicht im Neonazi-Style daherkommt, sondern sich als „Israelkritik“ versteckt und aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Der einstimmige Bundestagsbeschluss am 1. Juli 2010 bezüglich der sog. Gaza-Flottille ist ein Beleg für die zunehmende Israelfeindschaft selbst in einem Land, das sich als Freund des jüdischen Staates geriert. Und dann kam der antisemitische Sommer 2014 mit den brutalsten, massivsten und größten antijüdischen Aufmärschen in ganz Europa seit Jahrzehnten.

 

Im November 2011 erschien der erste „Antisemitismusbericht“ der Deutschen Bundesregierung („Antisemitismus in Deutschland. Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze“), verfasst von einem „unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus“, der sich aus zehn teils erfahrenen Forschern zusammensetzte. Darin wurden nicht nur die deutsch-iranischen Beziehungen außen vor gelassen und eine Analyse und Kritik des Islamfaschismus (in seiner historischen wie gegenwärtigen Version) verweigert. Auch die meisten der international bedeutenden Forscher zu muslimischem Antisemitismus wurden bewusst ignoriert. Während manche (Antisemitismus-)Forscher mit englischen Texten durchaus rezipiert wurden, ignorierte der Bericht z.B. alle Bücher und Artikel von Robert S. Wistrich, obwohl seine Texte sogar auf Deutsch vorliegen. Solche Ignoranz entspräche einer Studie über Die Geschichte der Physik in den Jahren 1900 bis 1925, die Albert Einstein noch nicht einmal erwähnte.

 

Würden die meisten deutschen (Antisemitismus-)Forscher/innen die Diskussionen in den jüdischen Gemeinschaften, z. B. in Europa, Israel und den USA kennen, wären sie über die dortigen Ängste in den letzten zehn Jahren informiert und würden nicht Texte publizieren, die z. B. in Anlehnung an Umfrageerbnisse ernsthaft behaupten, 47 % der Linken seien zwar „antiisraelisch“, aber nur 3 % davon antisemitisch. Als ob die Ablehnung des jüdischen Staates Israel nicht einen Kern des heutigen Antisemitismus ausmachte. Wer gegen (einen jüdischen Staat) Israel ist, ist heutzutage natürlich ein Antisemit, da Israel der Staat der Juden ist.

 

Die Situation in Europa und Deutschland ist dramatisch und die Forschung versagt in weiten Teilen. Antisemitismus ist unschwer erkennbar, wenn man denn nur luzide untersucht und nicht nur auf der Oberfläche surft. Eine Analyse der Medien ist von großer Bedeutung.

Ein Witz, den Robert S. Wistrich bei der offiziellen Präsentation seines Meisterwerkes A Lethal Obsession am 5. Januar 2010 im Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington D. C. im Beisein des bekannten Historikers Jeffrey Herf erzählte, mag verdeutlichen, wie Antisemitismus heute in Europa häufig funktioniert. Der Witz geht so: Steht ein kleines Mädchen verlassen in der Flughafenhalle in Paris und wird von einem aggressiven Hund, einem Pitbull, attackiert. Reaktionsschnell erschießt ein zufällig vorbeikommender Mann den Hund und rettet das Mädchen. Natürlich kommen sofort viele Journalisten, machen Bilder, loben den Helden und sagen zu ihm: „Morgen werden wir in den Pariser Zeitungen mit der Schlagzeile ‚Pariser rettet Mädchen vor dem Angriff eines Hundes‘ aufmachen.“ Daraufhin der Mann: „Aber ich bin gar nicht aus Paris.“ „Okay, dann schreiben wir ‚Franzose rettet Mädchen vor dem Angriff eines Hundes‘.“ „Aber ich bin auch kein Franzose.“ „Na gut, dann schreiben wir ‚Europäer rettet Mädchen‘.“ „Aber ich bin auch kein Europäer. Ich komme aus Israel.“ Darauf dann die Journalisten unisono: „Ah, okay. Dann bringen wir morgen die Headline: ‚Israeli tötet den Hund eines Mädchens‘.“

Seit Mitte der 1980er-Jahre betonte Wistrich (wie in seinem Buch Hitler’s Apocalypse von 1985), dass der muslimische Antisemitismus eine große Gefahr ist. Dies ist empirisch nachvollziehbar und zeigt, dass in Israel und den USA dieser Sachverhalt schon weitaus früher erkannt wurde, während sich in Deutschland bis heute der allergrößte Teil der universitären Forschung und der Mainstream der Politik, des Journalismus und der politischen Aktivisten weigern, dies auch nur zu thematisieren. Wistrich war als Forscher und Stipendiat bereits in den frühen 1970er-Jahren in der Bundesrepublik und hat sich seitdem intensiv und kontinuierlich mit den Diskussionen um Antisemitismus in Deutschland beschäftigt. In Lethal Obsession bezog er sich sowohl auf die Kritik von Henryk M. Broder am linken Antizionismus in der Bundesrepublik der 1970er- und 1980er-Jahre als auch auf die Kritik am Islamismus, am Wegschauen, Duckmäusern und Plädieren für den unhinterfragten Dialog, die Broder in seinem Buch Hurra, wir kapitulieren (2006) formulierte.

Im Herbst 2014 fragte mich Robert, ob ich nicht eine Chance sehen würde, sein Buch „Der antisemitische Wahn“ von 1987 (das war die deutsche Ausgabe von „Hitler’s Apocalypse“) neu herauszugeben. Er sähe darin viele Aspekte des heutigen Antisemitismus antizipiert und wolle das Buch mit einem aktuellen Vorwort im Jahr 2015 publizieren. Natürlich sagte ich zu, das Buch herauszugeben. Bei dem oben erwähnten Treffen bei SICSA, exakt eine Woche vor seinem Tod in Rom, gab mir Robert einen Ausdruck seiner ganz frisch geschriebenen Einleitung zu diesem Band. Diese Einleitung ist ein Rückblick auf seine Forschung sowie die politischen Entwicklungen des Antisemitismus in den letzten 30 Jahren. Der Text wird im Sommer 2015 als Teil der Neuausgabe von „Der antisemitische Wahn“ in deutscher Sprache erscheinen. Robert S. Wistrichs Einleitung kann nun geradezu als eine Art wissenschaftliches und politisches Testament gelesen werden, da es einer der letzten längeren Texte ist, die er unmittelbar vor seinem Tod geschrieben hat und der ganz grundsätzlich zusammenfasst, was er unter Antisemitismusforschung verstand.

 

Es war immer eine solche Freude mit ihm – wem sonst? – über die merkwürdigen Forschungen vieler unserer Kolleg/innen zu sprechen. Seine Zustimmung wie Kritik war über viele Jahre hinweg Inspiration und von einer unbeschreiblichen Motivation geprägt. Er hatte viele Probleme mit der Mainstreamforschung, die dem Gerede oder esoterischen Kleinklein noch immer der Kritik und luziden Analyse Vorzug gab und gibt. Robert wusste das und spürte es schmerzlich. Er ließe sich mitunter auch zu Vorträgen einladen von Leuten, die er wissenschaftlich teils sehr problematisch empfand (oder zu empfinden lernte), wie er mir einmal sagte.

 

Der Kern seiner zahlreichen öffentlichen Auftritte ist folgender: Wie kein anderer verstand er es, wie zum Beispiel auf der großen Abschiedskonferenz als Professor der Hebräischen Universität im Frühsommer 2014 in Jerusalem, „to step back“, einen Schritt zurück zu gehen und sich das große Bild anzuschauen. Er hatte den Überblick und zeigte die großen Linien auf. Selten wurde das postmoderne Geschwätz vom Ende der großen Ideen und der Foucaultianismus so sehr der Unwahrheit geziehen wie in Reden und Texten von Robert Wistrich.

 

Wenn die Stadt Jerusalem „Body and Soul“ meint, wie ein Dokumentarfilm von Gloria Greenfield heißt, bei dem Robert Wistrich eine wichtige Rolle spielt, somit die städtische Verkörperung der Verbindung von Juden zum Land Israel, dann war Robert Wistrich die intellektuelle Verkörperung jüdischer Geschichte und des Zionismus.

 

Diese Geschichte des jüdischen „Empowerment“ ist es, die so zentral war für das Werk von Robert S. Wistrich. Die ruhige Art, in der er sprach, das Blicken, ob das Ungeheuerliche, das er analysierte, überhaupt als solches erkannt würde, war so faszinierend und mitreißend, ja intellektuell inspirierend. Robert wurde die letzten Jahre religiöser, wie seine Witwe Daniela in ihrer Rede erwähnte, was gleichwohl in Kontrast oder einem dialektischen Verhältnis stand zu seiner gleichsam jugendlichen Freude, mit uns im Herbst 2014 in Berlin eine ganz unkoschere Wurst mit Pommes zu essen und es im Sonnenlicht zu genießen. Seine Ironie war köstlich, auch wenn er sich auf Bildern als der fünfte Beatle hineinphotoshopte, wie man heute sagen würde.

 

Es war bewegend, wie Daniela mir auf der Shiva das Arbeitszimmer von Robert zeigte und auch private Fotografien aus seinem und zu weiten Teilen ihrem Leben.

 

Robert sprach immer wieder mal von sich als „Marathon-Man“, was Susanne Wein und ich nach fünf- oder sechsstündigen Gesprächen wie in Berlin oder New Haven (CT, USA) erleben konnten, er blühte nach stundenlangen Diskussionen noch mehr auf. Robert besaß ein sagenhaftes Erinnerungsvermögen, von Episoden aus dem Leben von Hannah Arendt – die er nicht wirklich schätzte – über den Zionisten Ben Halpern – der mal sein Nachbar war – reichte die Palette der Beziehungen.

Als Historiker des linken Umgangs mit Juden bzw. des linken Antisemitismus und der Geschichte der Juden in Europa kam Wistrich schon Mitte der 1980er Jahre zum Thema des Islamismus oder des antijüdischen und antiwestlichen Jihad. Die eminente Bedeutung seiner Analyse zumal des muslimischen Antisemitismus zeigt sich vor dem Hintergrund der üblichen Abwehrmaßnahmen innerhalb der Geschichtswissenschaft, Soziologie, Politologie, Islam- und Nahostforschung, Literaturwissenschaft, Amerikanistik und Arabistik, Irankunde und Antisemitismusforschung. Dort schwelgen viele Forscherinnen und Forscher lieber in postkolonialer und postorientalistischer Theorie und schüren antiwestliche Ressentiments, statt sich mit der Realität des mörderischen, weltweit agierenden Jihad und islamischen Antisemitismus zu befassen und Kritik zu üben.

 

In seiner deutschen Ausgabe Muslimischer Antisemitismus, zu der er mich und den Verlag Edition Critic 2011 angeregt hat, nachdem das American Jewish Committee (AJC) in Berlin sich Jahre zuvor geweigert hatte, eine Übersetzung der ursprünglich 2002 auf Englisch in USA vom dortigen AJC publizierten Broschüre anzugehen, ging Robert S. Wistrich auf die gesamte Geschichte der islamischen Judenfeindschaft seit Mohammeds Zeiten ein. Selbstredend wurden viele Aspekte nur angeschnitten, da ein knapper Text nicht über 1400 Jahre Geschichte in allen Details berücksichtigen kann. Der Schwerpunkt lag auf der Analyse des islamischen Antisemitismus seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Tagesaktuell, wenige Monate nach dem islamistisch motivierten Massenmord vom 11. September 2001 geschrieben, besitzt die Studie bis heute eine enorme Aktualität.

Entgegen stolzdeutschen Aktivisten und Publizisten, die den Islam ablehnen, aber das Hohelied der „christlich-jüdischen Wertegemeinschaft“ singen, legt Wistrich Wert darauf zu betonen, dass es im Mittelalter den Juden (als Dhimmi) unter der Herrschaft des Islam besser ging als unter dem Christentum. Ohne den christlichen Antijudaismus und Antisemitismus wäre es nicht zum deutschen Antisemitismus und zum Holocaust gekommen. Dies blenden jene, die jetzt gegen Muslime agitieren, gerne aus. Wistrich analysiert und kritisiert hingegen die enge Verwandtschaft von christlichem und islamischem Antisemitismus, wie sie auch von heutigen arabischen oder/und muslimischen Führern Christen gegenüber betont wird, um ihnen zu schmeicheln. Wistrich untersucht die historische Beziehung des Großmuftis zu den Deutschen, von Nationalsozialismus und Islamismus ebenso, wie er die heutige Gefahr eines „Islamfaschismus“ herausstellt.

 

Wistrich untersucht in Lethal Obsession eine Besonderheit des Islamismus aus Teheran: Khomeini von 1979 bis 1989, sein Nachfolger Khamenei und dann Präsident Ahmadinejad und das heutige Regime sahen und sehen sich als Anwälte der Unterdrückten und Armen der Welt. Das schiitische islamistische Regime in Iran möchte weiterhin weltweit Bündnisse mit „antiimperialistischen Kräften“ gegen Amerika, den Westen und Israel schließen. Es gibt auch eine kaum überraschende Hinwendung mancher iranischer Denker und Philosophen zum antiwestlichen Nazivordenker Martin Heidegger, wie Wistrich in Lethal Obsession bemerkt.

 

Wistrich zitierte in Lethal Obsession viele antisemitische Reden und Äußerungen Ahmadinejads, der exemplarisch für das Regime steht, dessen „Präsident“ er war, die zur Vernichtung Israels und zur Vertreibung der Juden aus dem Heiligen Land aufrufen. Sowenig Hitlers Drohung vom 30. Januar 1939, ein kommender Weltkrieg werde die „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ bringen, eine leere Drohung war, sowenig sind die Drohungen der iranischen Führung „leere Drohungen“, wie Wistrich betont.

 

Deutscher und europäischer Antisemitismus beein­fluss(t)en jenen im Nahen Osten und umgekehrt, auch dank moderner Kommunikationstechnologie und Migrationsbewegungen, in beide Richtungen. 1985 in Hitler’s Apocalypse untersuchte Wistrich die Beziehung von alten Nazis und arabischen Antisemiten. Viele Deutsche gingen nach Ägypten und wurden dort freudig empfangen, sie waren ja „Experten“ für Antisemitismus, wie „der notorische Antisemit Johann von Leers“, der „ex-SS-Offizier Leopold Gleim“ oder ein anderer „ex-Nazi, Louis Heiden“.

 

Für Wistrich war die Antisemitismusforschung jenseits wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Moden von enormer Bedeutung. Die Kontinuität, mit der er sich als Wissenschaftler mit den unterschiedlichsten Facetten des Judenhasses befasste, war herausragend und ohne Vergleich. Während seit einiger Zeit Forschungsfelder wie „vergleichende Genozidforschung“, „Rassismus und Vorurteilsforschung“ oder gar „Islamophobie“ im Trend liegen und doch nur heutigen Antisemitismus und den präzedenzlosen Holocaust relativieren, war die kritische Antisemitismusforschung von Wistrich darauf bedacht, die Spezifik des Antisemitismus, dieses „längsten Hasses“, zu untersuchen.

 

In jenem letzten Vortrag am 14. Mai 2015 betonte Robert Wistrich auch die enorme Gefahr die darin liege, dass es geradezu zu einer Heilsideologie geworden sei, die Lösung des arabisch-israelischen Konflikts für den gesamten Nahen Osten bzw. die ganze Welt als Symbol des Friedens zu sehen. Er nannte das „Palästinianismus“, also die Fokussierung auf diesen einen Konflikt. Seine Analyse der tödlichen Obsession, die der Antisemitismus seit tausenden von Jahren darstellt, verdeutlicht, wie wichtig es ist, zuallererst den Judenhass zu analysieren und sich von der naiven (und antizionistischen) Vorstellung einer Welt ohne Antisemitismus abzuwenden. Sicher darf man träumen, aber Juden haben die unsagbar schmerzhafte Erfahrung gemacht, die man „Realität“ nennt. Es ginge nicht um die legitimen Rechte der Palästinenser, sondern um eine geradezu Erlösungshoffnung, die viele, allzu viele weltweit mit dem Begriff „Palästina“ verbinden würden – und sehr viele würden dazu noch ein Land meinen vom Jordan bis zum Meer und nicht einen friedlichen und vielleicht gar demokratischen Staat Palästina neben dem jüdischen Staat Israel.

 

Die Antisemitismusforschung wird nach dem Tode von Robert S. Wistrich eine andere sein, sein Tod ist ein epochaler Bruch. Das betonte nicht nur die langjährige Mitarbeiterin am Vidal Sassoon Center Martina Weisz am Tag der Beerdigung an der Hebräischen Universität in privatem Rahmen.

 

Mit Robert Wistrich verlieren die Antisemitismusforschung und die public intellectuals für Zion einen einzigartigen Leuchtturm und einen Ideengeber. Es wird keine inspirierenden Momente mehr geben, die die öffentlichen wie privaten Auftritte von Robert Solomon Wistrich prägten. Vielleicht sind es auch die Blicke und das Lächeln, die am meisten fehlen werden, da darin soviel Reflexion und Kritik wie intellektueller Charme sich Ausdruck verschaffte.

 

Wie Manfred Gerstenfeld in einem Nachruf betonte, wird das Erbe von Robert weiterleben, große Intellektuelle haben eine ungeheure Nach-Wirkung. Bei Robert ist es die bleibende Inspiration für jene, die den Kampf, wenn auch nicht mit dieser Energie und unsagbaren Power, gegen den Antisemitismus und für Zion mitfochten und in seinem Sinne weiter kämpfen bzw. es zumindest versuchen werden.

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Bekanntmachung des Todes von Prof. Robert S. Wistrich an seiner Haustüre in Jerusalem

 

May your memory be a blessing, dear Robert Solomon Wistrich, z‘‘l.

 

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Jetzt lieferbar: Karl Pfeifer – Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg

Karl Pfeifer: Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) /

Studien zum Nahen Osten, Band 4

Berlin: Edition Critic, 2015, ISBN 978-3-9815919-2-7, 162 Seiten, 18 Abbildungen, Broschur, 15,2 x 22,8 cm, 18€

 

Karl Pfeifer muss im Alter von zehn Jahren mit seinen Eltern vor den Nazis flüchten. Das einzige Land, in das sie einreisen können, ist Ungarn. Anfang 1943 schafft er mithilfe der zionistischen Bewegung die Einwanderung nach Palästina. Drei Jahre lebt er in einem Kibbuz und meldet sich 1946 freiwillig zur Palmach, Elitetruppe der Hagana, und kämpft bis Ende des Unabhängigkeitskrieges für die Entstehung des Staates Israel. Schließlich landet er über einige Stationen wieder in Österreich.

Pfeifers Erinnerungen beklagen nicht das schwere Schicksal, sondern schildern einen mutigen Weltbürger, der aller Unbill zum Trotz mit wachem Geist und mit Humor die Zeichen seiner Zeit erkennt.

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Das Regierungsbündnis Syriza-Anel in Griechenland: eine unvorstellbare Allianz?

Von Dimitri Kravvaris

 

Am 26. Januar veröffentlichte die französische Zeitung Libération ein Interview mit Daniel Cohn-Bendit, in dem der berühmte Europapolitiker eine erste Einschätzung der Ergebnisse der Parlamentswahl in Griechenland lieferte.[1] Er zeigte u.a. seine Empörung über die Entscheidung von Syriza, sich mit Anel (deutsch: Unabhängige Griechen), einer Partei, deren Mitglieder sich oft homophob, antisemitisch und rassistisch äußern, zu koalieren. Cohn-Bendit stellte die These auf, Alexis Tsipras setze durch dieses Querfront-Bündnis von Links und Rechts die Politik der sozialistischen Regierung von Andreas Papandreou (1981–1989 & 1993–1996) fort, die ebenfalls versucht habe, Linksradikalismus mit Nationalismus, anti-europäische mit anti-amerikanischer sowie antizionistischer Rhetorik zu kombinieren.

Die Verbindung zwischen Tsipras und Papandreou sollte nicht unterschätzt werden; der junge griechische Premier lässt sich tatsächlich von der Rhetorik des charismatischen Sozialisten inspirieren und ein wichtiger Teil des Kaders, der die Politik von Syriza bestimmt, kommt ursprünglich aus dem Pasok, der von Andreas Papandreou gegründeten Partei, die seit der Einführung des Memorandums in Griechenland drastisch an Kraft verlor, maßgeblich aufgrund der von ihr und der konservativen NeaDimokratia vertretenen Sparmaßnahmen zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Meines Erachtens sollte man zwei weitere Aspekte berücksichtigen, um den Zusammenschluss von Syriza und Anel zu verstehen. Erstens ist Syriza nicht die erste Partei in Griechenland, die eine für europäische Standards undenkbare Koalition bildet; Pasok und NeaDimokratia bereiteten 2011 mit der Regierung Papadimos den Weg vor. Zweitens haben Syriza und Anel mehr Gemeinsamkeiten als man annimmt. Es wird in manchen europäischen Medien ausschließlich auf die antisemitischen Aussagen eines Panos Kammenos, des Vorsitzenden von Anel, fokussiert – vor laufender Kamera behauptete er im Dezember 2014, die griechischen Juden würden keine Steuern bezahlen. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Syriza sein eigenes Antisemitismus-Problem hat. Am Beispiel des Vorfalls mit Theodoros Karypidis wird nachzuweisen versucht, dass es uns nicht wundern sollte, dass Tsipras mit Kammenos eine Regierungskoalition bilden wollte und nicht z. B. mit Stavros Theodorakis, dem Vorsitzenden der linksliberalen Partei ToPotami (deutsch: der Fluss), die in der Parlamentswahl immerhin 6,05 % erreichte.

1) Im November 2011 löste das Kabinett der Not-Regierung des Ministerpräsidenten Loukas Papadimos das Kabinett Giorgos Papandreou ab. Überraschenderweise unterstützten die Regierung nicht nur das sozialistische Pasok und die konservative NeaDimokratia, sondern auch die rechtspopulistische Partei Laos (deutsch: „Orthodoxer Volksalarm“), obwohl es, arithmetisch gesehen, gar nicht notwendig gewesen wäre. Laos wurde 2000 vom ehemaligen Journalisten und notorischen Antisemiten Yorgos Karatzaferis gegründet, nachdem er von der NeaDimokratia ausgeschlossen wurde. Karatzaferis ist es sogar 1996 gelungen, den Rücktritt des Außenministers der Regierung Simitis, Christos Rozakis, zu provozieren, denn er behauptete, Rozakis sei jüdischer Herkunft und deshalb seinem Land nicht loyal. 2001 reproduzierte Karatzaferis im Parlament das in der griechischen Gesellschaft verbreitete Gerücht, 4.000 Juden hätten von dem Attentat auf das World Trade Center gewusst und seiennicht arbeiten gegangen, und behauptete, es handele sich um eine Information, die von der israelischen Presse bestätigt worden sei. Das sind nur einige Beispiele einer Strategie, die auf Verschwörungstheorien beruht und Ressentiments gegen Juden sowie gegen die europäischen Institutionen zu schüren versucht.

Ein solcher Politiker wurde in einer griechischen Regierungzum ersten Mal nach dem Ende der Militärdiktatur bzw. Junta (1967–1974) geduldet. Die Teilnahme einer rechtspopulistischen Partei an der Übergangsregierung ermöglichte Karatzaferis, sich sowohl als eine antisystemische Macht als auch als Garant der Einheit der Nation sowie der Fortsetzung der notwendigen Reformen zu präsentieren,[2] auch wenn diese Position einen kurzfristigen Effekt hatte. Laos verlor zwar schnell an Zuspruch, weil es von seiner Wählerschaft letzten Endes als eine Pro-Memorandum Partei wahrgenommen wurde – die Nazis der Chrysi Avgi (deutsch: Goldene Morgenröte) boten hingegen eine konsequente Anti-Memorandum-Linie, es ist aber entscheidend, dass die griechische Gesellschaft den Koalitionspartner Laos als ein sekundäres Problem ansah. Sehr wenige Intellektuelle sprachen von der Überwindung einer roten Linie; ihr Protest blieb eher ungehört.[3]

Die Koalitionspartner Pasok und NeaDimokratia hatten auch in der Regierung Samaras (2012-2015) Rechten und notorischen Antisemiten, wie Adonis Georgiadis und Makis Voridis, die Möglichkeit gegeben, Schlüsselpositionen einzunehmen. Besonders Georgiadis hatte als Laos-Politiker in seiner Fernsehsendung Bücher des Holocaustbefürworters Konstantinos Plevris gepriesen. Als Politiker der NeaDimokratia weist Georgiadis alle Antisemitismus-Vorwürfe vehement zurück und zeigt sich solidarisch mit Israel. Heute vollendet die Regierung Tsipras das Werk der Regierungen Papademos und Samaras mit der Nominierung von Panos Kammenos für das Verteidigungsministerium. Interessant ist hierbei die Antwort, die Yanis Varoufakis, der neue Finanzminister, einer Journalistin der BBC am 30. Januar gab, als sie ihn fragte, ob er die Koalition mit Anel als eine Notwendigkeit betrachtet. Varoufakis stellte eine Analogie her mit der Koalition zwischen der Conservative Party und der Liberal Democrats in Großbritannien: „Does Mr. Cameron endorse everything that Mr. Clegg said?“[4] Für Varoufakis sowie für viele griechische Politiker ist eine rechtspopulistische und antisemitische Partei wie Anel trotz Unstimmigkeiten offenbar ein akzeptabler Koalitionspartner, der keinen Qualitätsunterschied mit einer liberalen Partei hat.

2) Der Name Theodoros Karypidis ist wahrscheinlich vielen in Europa unbekannt. Karypidis ist ein Journalist aus der kleinen Stadt Kozani, der zum Kandidaten Syrizas zu den Lokalwahlen von 2014 designiert wurde. Bereits im Juni 2013 hatte Karypidis einen antisemitischen Kommentar zur Eröffnung des öffentlichen Senders NERITauf Facebook gepostet. Er behauptete darin, dass NERIT vom hebräischen „Nera“, der Kerze zu Chanukkah, stamme, dass Chanukkah ein antigriechisches Fest sei und dass der Vorsitzende des neuen Senders ein Vertrauter der Bilderberg-Konferenz sei. Nach heftigen Reaktionen zunächst seitens der Gesellschaft und danach innerhalb der Partei war Syriza dazu gezwungen, Karypidis abzusetzen, obwohl der lokale Ableger der Partei in Kozani sich weigerte, sich von ihrem Kandidaten zu trennen. Hinzu kommt, dass Syriza die berechtigte Kritik[5] der American Jewish Committee (AJC) zum Vorfall mit Karypidis als Einmischung in interne griechische Angelegenheiten zurückwies.

Die Solidarität der Linken mit Karypidis in Kozani sowie die aggressive Reaktion auf die Kritik der amerikanischen Organisation zeigt, dass dieser Vorfall keine Ausnahme in der griechischen Linken ist, sondern Symptom einer generellen Neigung zu Verschwörungstheorien, die man gewöhnlich im rechten Spektrum des griechischen politischen Lebens findet. Syriza und Anel führen gemeinsam seit Jahren die Front in Griechenland gegen die europäischen Eliten, die das Land unterjocht hätten, gegen die großen griechischen etablierten Parteien, die sie gerne als „Verräter“ und „Mörder“ bezeichnen (Syriza und Anel halten sich für unschuldig an der Finanzkrise) sowie gegen den Zionismus: entweder wird der Zionismus als eine „internationale Bewegung“ betrachtet, die die Reinheit der griechischen Nation bedrohe (Stavroula Xoulidou von Anel[6]) oder als die Personifizierung des Bösen im Nahen Osten (Sofia Sakorafa von Syriza[7]).

In der letzten Parlamentswahl wurde offensichtlich, dass Syriza sich an der Strategie Anels inspirierte, indem sie die Nationalistin Rachel Makri direkt von Anel rekrutierte. In einem Tweet bezeichnete Makri den Bürgermeister von Thessaloniki als „lächerlich“, als er im August 2014 mit einem großen Judenstern auf seiner Jacke zur Vereidigung des neuen Stadtrates erschien, um gegen die Wahl und die Anwesenheit eines Mitglieds der Chrysi Avgi im Stadtrat Thessalonikis zu protestieren. Im Kampf gegen die „fremden Mächte“ haben offenbar solche antisemitischen Äußerungen keine besonderen Auswirkungen auf die Kandidaten. Makri ist ohne Überraschung in Kozani mit Abstand auf dem ersten Platz gelandet. Karypidis konnte trotz des Skandals als unabhängiger Kandidat 2014 kandidieren und wurde zum Präfekt gewählt.Anscheinend ist Antisemitismus in Griechenland kein Nachteil in einer politischen Karriere.

 

Dimitri Kravvaris bloggt auf enantiastonantisimitismo.wordpress.com mit dem Schwerpunkt Antisemitismus in Griechenland; diesen Text hat er extra auf Anfrage für BICSA verfasst, herzlichen Dank dafür!

 

[1] Matthieu Ecoiffier : Syriza-Grecs indépendants : «Cette alliance, c’est vraiment jouer avec le feu» (Interview mit Daniel Cohn-Bendit). In : http://www.liberation.fr/politiques/2015/01/26/syriza-grecs-independants-cette-alliance-c-est-vraiment-jouer-avec-le-feu_1189278.

[2] Vgl. Andreas Pantazopoulos: Die nützlichen Rechten (auf Griechisch). In: Athens Review of Books, Dezember 2011.

[3] Vgl. Stavros Zoumboulakis: Unheilige Koalition. Ein Vortrag zur griechischen Krise. Athen 2011. Im besagten Vortrag wirft Zoumboulakis der griechischen Linke und vor allem Syriza mit ihrer „nihilistischen Kritik“ vor, den Aufstieg von Laos als verlässlichen Koalitionspartner ermöglicht zu haben (S. 26–27).

[4] Das Interview mit Yanis Varoufakis auf youtube: https://www.youtube.com/watch?v=BiIO4YciewU&feature=youtu.be

[5] AJC: Greek Syriza Party Candidate’s Anti-Semitic Facebook Post (2. Mai 2014). In: http://www.ajc.org/site/apps/nlnet/content3.aspx?c=7oJILSPwFfJSG&b=8478375&ct=13642095&notoc=1#sthash.WSOdfXvH.i9YsT5BK.dpuf

[6] Vgl. Central Board of Jewish Communities in Greece: Announcement on the anti-Semitic References in Greek MP’s essay (4. Dezember 2014). In: http://kis.gr/en/index.php?option=com_content&view=article&id=550:announcement-on-the-anti-semitic-references-in-greek-mps-essay&catid=12:2009&Itemid=41

[7] Vgl. Blog AgainstAntisemitism-ΕνάντιαστονΑντισημιτισμό: Greek MEP Sofia Sakorafa believes that Israel imposes apartheid in Gaza (27. September 2014). In: https://enantiastonantisimitismo.wordpress.com/2014/09/27/greek-mep-sofia-sakorafa-believes-that-israel-imposes-apartheid-in-gaza-video/

Stolzdeutscher Kleinbürger für das „Abendland“ – Wann wurde Henryk M. Broder zu einem deutsch-nationalen, feuilletonistischen Verfechter der Spaßguerilla?

Für Eike Geisel

 

Von Clemens Heni

„Für Otto Normalvergaser ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen.“ Damit ist alles über Deutschland nach 1945, das „Labyrinth des Schweigens“ – so der Titel eines aktuellen Kinofilms über die Vorgeschichte des Auschwitzprozesses – und die heutigen Retter des Abendlandes gesagt. Besser hat kein Autor die deutschen Zustände nach 1945 in einem Satz auf den Punkt gebracht.

Eike Geisel Triumph des guten Willens

 

Mit diesem Satz über „Otto Normalvergaser“ begann der Publizist Eike Geisel (1945–1997) einen Text über „Die Bauchredner der späten Geburt. Anmerkungen zu einer besonderen publizistischen Volksfürsorge“, der 1998 im Band „Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung“ bei der Edition Tiamat in Berlin erschien. Geisel analysierte einen Text im Spiegel (Nr. 16/93, S. 248–256) über „Das Shoah-Business“ und die „Amerikanisierung des Holocaust“. Es ging um die Eröffnung von Holocaustgedenkstätten in USA. Wie kommen Amerikaner darauf, ein deutsches Verbrechen zu erinnern? Der Spiegel raunte, US-Präsident Jimmy Carter habe 1979 vor einem Dilemma gestanden, den Verkauf von F-15 Kampfjets nach Saudi-Arabien gegenüber den Juden in USA zu rechtfertigen. Es hätte als eine Art Entschädigung für den Deal mit den judenfeindlichen Arabern ein großes Holocaustmemorial im Herzen von Washington gegeben. Der Spiegel schrieb:

„Die Saudiaraber bekamen ihre F-15-Jets, die US-Juden das Versprechen für eine Shoah-Gedenkstätte. Zum Vorsitzenden des ‚Memorial Council‘ wurde eine allseits geachtete Persönlichkeit berufen, Elie Wiesel, Schriftsteller und Überlebender des Holocaust. Damit setzte ein Trend ein, mit dem eigentlich niemand gerechnet hatte: Die Amerikanisierung des Holocaust.“

Der Artikel fabulierte, es gebe zuviel an Holocausterinnerung, und das auch noch in USA, wo doch dort die eigenen „Leichen im Keller“ liegen würden: „Amerikaner in Vietnam: Über eine Million Tote“, „Amerikanischer Sklavenmarkt: Leichen im Keller“ und „Amerikaner gegen Indianer: Völkermord übersehen“ wie drei große Bilder auf der letzten Seite des Artikels untertitelt sind.

Insbesondere machte sich der Spiegel über den Gründer des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles, Rabbi Marvin Hier lustig. Der Tonfall erinnerte eher an die Nationalzeitung, wenn es hieß:

„Der entscheidende Einfall aber war, Simon Wiesenthal als Namensgeber zu gewinnen, der in den USA, gleich nach Mutter Teresa und noch vor Nelson Mandela, wie ein Heiliger verehrt wird.“

Ein Holocaustüberlebender gereicht dem deutschen Nachrichtenmagazin zu einer Witzfigur, die „heilig“ sei, da ist es nicht mehr weit zum rechtsextrem-antisemitischen Begriff der „Holocaust-Religion“, der auch von islamistischen, arabischen und anderen Israelfeinden gerne benutzt wird.

Eike Geisel analysierte:

„Anläßlich der Eröffnung zweier Museen (im Februar 1993 das ‚Museum of Tolerance – Beit Hashoah‘ in Los Angeles und Mitte April das ‚Holocaust Memorial Museum‘ in Washington), die ohne deutsche Vorarbeiten nie entstanden wären, zeigte sich das bekannte Dilemma. Man grollte den Amerikanern und der amerikanischen Judenheit. Die Museen seien antideutsch, das ‚andere Deutschland‘ werde ignoriert; die Nachkriegszeit werde ausgeblendet, die Wiedergutmachung verschwiegen. Doch statt erleichtert darüber zu sein, daß die Museen nicht zeigen, wie das ‚andere Deutschland‘ über die Juden dachte, nämlich gar nicht so sehr viel anders; statt froh zu sein, daß die Museen keine Wendehalsgalerien der Nachkriegszeit enthalten; statt von Herzen dankbar zu sein, daß es dort keine Abteilung mit dem Thema ‚Wiedergutmachung‘ gibt, wo die Pensionszahlungen an alte Nazis mit den Entschädigungen der KZ-Häftlinge verglichen werden; statt also rundum zufrieden zu sein, ignorierte das bessere Deutschland in Gestalt seines Bundespräsidenten die Einweihungsfeierlichkeiten. Zu Recht, schrieb der Spiegel, der meinte, deutsche Politiker hätten dabei mit einem ‚Spießrutenlauf‘ rechnen und sich innerlich ‚ducken‘ müssen.“

Geisel kritisierte die „jüdischen Flakhelfer“ (ein Terminus von Josef Joffe) in Deutschland wie Michael Wolffsohn oder Rafael Seligman, die sich zum Spiegel-Autor gesellten. Wolffsohn, bekannt als „Mitstreiter des Historikers Zitelmann, des historiographischen Herrenausstatters der Nazis“ und Seligman wollen wieder ein stolzes Deutschland. Die beiden sind bis heute unterwegs in Sachen deutsch-jüdischer Versöhnung oder „Normalisierung“.

„Das deutsche Judentum möchte“ Seligman „so als wäre bloß kurz die Telephonleitung unterbrochen gewesen, ‚wieder aufleben‘ lassen: ‚Voraussetzung dafür ist, daß man neben den toten auch an die lebenden Juden denkt.‘ Er meint natürlich an ihn, was diese Auskunft so sympathisch unideologisch macht.“

Geisel weiter:

„Die ‚Amerikanisierung des Holocaust‘ ist besonders schlimm, denn ‚Amerikanisierung‘ ist schon mal Übel. Kolonisierung der Köpfe hat Hochhuth dies einmal genannt und seither bewiesen, wie nötig er sie hätte.“

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Dabei wurde zuletzt 2011 vom amerikanischen Gelehrten in Jüdischen Studien Alvin H. Rosenfeld in seinem Buch „The End of the Holocaust“ die Trivialisierung der Shoah wie die „Amerikanisierung des Holocaust“ scharf kritisiert, weil sie gerade zu wenig – und nicht zuviel, wie der Spiegel 1993 fantasierte – Analyse und Gedenken an das präzedenzlose Verbrechen der Shoah bietet. Vielmehr zeigte das Museum in den letzten Jahren auf Extratafeln „Beispiele“ für heutigen „Genozid“, ob nun in Darfur, Bosnien oder Ruanda. Rosenfeld zitiert eine ehemalige Direktorin für Kommunikation beim Holocaust Memorial, die ernsthaft meinte, das Museum solle „nicht zeigen, was Deutsche Juden antaten, sondern was Menschen Menschen antaten.“ Das erinnert an die Anthropologisierung der Schuld und die Rede von „dem Bösen an sich“, wie wir es zum Beispiel von Joachim Gauck oder Gert Scobel kennen.

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Der Publizist Henryk M. Broder schreibt im Januar 2015:

„Wäre das Tausendjährige Reich ohne den Holocaust nur eine normale Diktatur gewesen? Wie Spanien unter Franco, Chile unter Pinochet oder Uganda unter Idi Amin – nur größer, multikultureller und internationaler? Ich glaube nicht, dass es richtig ist, ein politisches System oder ein ideologisches Konstrukt nach den Exzessen zu beurteilen, die es veranstaltet.“

Broders Eltern waren beide Holocaustüberlebende. In einer Mischung aus womöglich psychoanalytisch zu decodierender Verschiebung, Projektion und Derealisierung spielt der Angestellte des Springer-Konzerns auf der Klaviatur der Revisionisten. Was-wäre-wenn angesichts der Shoah zu intonieren ist an Perfide schwerlich zu überbieten. Es ist ein Zwang, eine Obsession. Broder kommt von der Geschichte nicht los, wie auch. Broder schreibt aber nicht für die zweite und dritte Generation von Nachkommen, er betreibt keine Introspektion für andere Kinder und Enkel von Überlebenden, sondern extrapoliert super spezifische, dramatische und tragische psychische Vorgänge für ein fast ausnahmslos „arisches“ Auditorium.

Broder diffamiert „den“ Islam und will nichts von den Verbrechen der Islamisten bloß wissen, die würden nur ablenken vom Problem dieser Religion an sich. Broder wäre gern ein Kantianer im 21. Jh. („Kritik der reinen Toleranz“) und es gereicht doch nur zu einem Sarrazianer („Deutschland schafft sich ab“).

Angesichts der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz behauptet er in der WELT, israelische Kampfjets seien auch dieses Jahr über das ehemalige Vernichtungslager geflogen, wie „jedes Jahr“. Schlecht recherchiert. Hier war wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens, denn noch nie fand eine solche Flugshow am 27. Januar statt. Israelische Kampfjets überflogen Auschwitz überhaupt nur einmal, am 4. September 2003. Das war eine starke Aktion, die gerade die Verbindung von Gedenken und Zionismus und nicht den Gegensatz von Zionismus versus Gedenken symbolisierte, wie es Broder gerne hätte.

Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung will eine Mehrheit der Deutschen Auschwitz vergessen, 58% wollen explizit einen „Schlussstrich“, 81% die Geschichte der Shoah „hinter sich lassen“. Broder hingegen schreibt:

„Nun hat der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, vorgeschlagen, jede deutsche Schulklasse sollte einen Pflichtbesuch in Auschwitz ableisten. Um zu verstehen, was dort geschah und was sich nicht wiederholen darf. Der Vorschlag war gut gemeint, aber nicht hilfreich. So werden Ressentiments nicht ausgeräumt, sondern verstärkt. Kein 15-Jähriger will sich Gefühle einreden lassen, die er nicht haben kann, auch wenn ihm versichert wird, es ginge nicht um Schuld, sondern um Verantwortung.

Da inzwischen jeder dritte Deutsche der Ansicht ist, die Israelis würden den Palästinensern das antun, was die Nazis den Juden angetan haben, wäre es wohl sinnvoller, wenn jede Schulklasse Israel besuchen würde – aber eben nicht die Gedenkstätte Yad Vashem, sondern Tel Aviv mit seiner wunderbaren Strandpromenade, den vielen Bars, Cafes und Diskos.“

Was für eine absurde Gegenüberstellung. Broder geht davon aus, dass Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht, um den geht es, sich auf RTL-II-Niveau mit den angeblich schönen Seiten des Lebens befassen sollten. Warum sollten aus 15-Jährigen, die eine KZ-Gedenkstätte besuchen, Antisemiten werden? Warum weigern sich dann so viele Muslime in Europa das Thema Holocaust auch nur anzusprechen? Die sind schon Antisemiten, weil sie die Erinnerung ablehnen, nicht weil sie von den unsagbaren Verbrechen in Auschwitz gehört haben, sie wehren das als „zionistische Propaganda“ ab, „Dank“ ihrer Elternhäuser, arabischen und muslimischen Medien oder dem erinnerungsabwehrenden europäischen Mainstream.

 ***

Ein Kernpunkt der gegenwärtigen Diskussion über die Geschichte des Zionismus, die hierzulande so gut wie nicht wahrgenommen wird, ist folgender: Israel wurde aufgrund der Geschichte und den Aktivitäten des Zionismus gegründet, nicht wegen dem Holocaust. Diese Holocaustfixierung ist gerade antizionistisch, wie die israelische Politikerin und ehemalige Knesset-Abgeordnete Einat Wilf unterstreicht. Sie spricht von einer „Leugnung des Zionismus“, wenn immer so getan wird, als ob der Holocaust zur Gründung Israel geführt habe. Damit zielt Wilf gerade auf die „wohlwollenden“ Leute, auf die Freunde Israels in Europa. Auch Broder hat diese problematische Position, wenn er schreibt:

„Machen wir ein Gedankenexperiment: Wie wäre der Zweite Weltkrieg ausgegangen, wenn die Nazis die ‚Endlösung der Judenfrage‘ nicht zu einem Kriegsziel erklärt hätten? Wenn die Wannseekonferenz nicht stattgefunden hätte, der Holocaust nicht passiert wäre? Es ist reine Spekulation, aber einiges spricht dafür, dass die Nazis vermutlich den Krieg gewonnen hätten. Die Organisation der ‚Endlösung‘ hat sehr viele Kräfte und Ressourcen gebunden, die militärisch nicht eingesetzt werden konnten. (…) Im Zuge der Kampfhandlungen wären viele Millionen Menschen ums Leben gekommen, aber der industrielle Massenmord an den Juden hätte nicht stattgefunden. Es wäre natürlich für die Juden besser und für die Deutschen gesünder gewesen, weil sie heute ein Trauma weniger hätten. Wahrscheinlich wäre auch Israel nicht gegründet worden, weil die Welt den Juden gegenüber keine Schuldgefühle gehabt hätte. Palästina wäre eine syrische Provinz, kein Paradies auf Erden, aber auch kein Konfliktherd, der den Weltfrieden bedroht.“

Exakt diese Argumentation ist es, die Einat Wilf kritisiert. Broder meint, Israel sei eine Gründung aus „Schuldgefühlen“ der Welt, doch warum sollte die Sowjetunion, die als einer der ersten Staaten Israel akzeptierte, noch vor den USA, „Schuldgefühle“ gehabt haben, war es doch die Rote Armee die Nazi-Deutschland besiegte und viele KZs befreite? In der Roten Armee kämpften ca. 500.000 Juden, was den Antisemitismus Stalins mit keiner Silbe verharmlost.

Die Gründung Israels hat viele Faktoren, einer mag ein innerimperialistischer Kampf der Großmächte gewesen sein, daher auch die Anerkennung der UdSSR, die wenig später stramm antizionistisch wurde, ohne dass Amerika sehr pro-israelisch gewesen wäre in den 1950 und frühen 1960er Jahren, man denke nur an den Besuch der Muslimbrüder im Weißen Haus bei US-Präsident Eisenhower im September 1953 (Said Ramadan, der später im Adenauer-Deutschland studierte und den Islamismus in der BRD mit entwickelte), wie der Journalist Ian Johnson herausgearbeitet hat („A Mosque in Munich“). Doch vor allem die jahrzehntelange politische Arbeit, die Besiedelung und später die militärischen Kämpfe der Zionisten im Mandatsgebiet Palästina sind von enormer Bedeutung, ja der entscheidende Faktor, dass Israel gegründet werden konnte. In der Shoah wurden sechs Millionen Juden ermordet, die Zionisten in Palästina verloren viele Hunderttausend, wenn nicht Millionen mögliche Mitkämpfer für den Staat Israel, wie Einat Wilf und andere heutige Zionisten wie Professorin Anita Shapira aus Tel Aviv seit Jahren betonen. Israel wurde also nicht wegen sondern trotz dem Holocaust gegründet.

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Natürlich kann man den Islam komplett ablehnen, wie andere Glaubens- oder Wahngebäude auch (Christentum, Judentum, Buddhismus, Naturreligionen, Paganismus, Esoterik, Astrologie, Schamanismus etc. etc.). Und, ja, der Islam ist die bei weitem problematischste weil politischste Religion heutzutage, von Scharia über suicide bombing, Köpfen und Auspeitschen von Nonkonformisten reicht die unendliche Palette islamistischer Gewalt, von den legalen Formen auch im Westen wie dem „Islamic Banking“, das Geldanlagen in Glücksspiel, Alkohol oder Pornographie verpönt, nicht zu schweigen.

Doch Broder, der nun der Wortführer vieler Kompanien der Verteidiger des Abendlandes ist, befasst sich fast nur noch mit „dem“ Islam. Die analytische und islamwissenschaftliche Trennung von Islam als Glaube und Islamismus als Ideologie ignoriert er. Um von „dem“ Islam als neuem Hauptfeind des Westens reden zu können, braucht es die Abwehr oder zumindest Trivialisierung der Erinnerung an die deutsche Schuld. Denn die würde jederzeit und für immer anzeigen, dass Deutschland die schlimmsten Verbrechen der Menschheit begangen hat und nicht „der“ Islam.

Wer ganz allgemein „den“ Islam diffamiert und nicht den Islamismus kritisiert, hat in Deutschland Erfolg. Und so wird dieses Land weiter den Islamisten freie Fahrt geben, gerade aufgrund des Massakers an der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris am 7. Januar 2015 und den Morden an Polizisten und Juden an den beiden darauffolgenden Tagen, dem 11. September Frankreichs. Interreligiöser Dialog wird als Medizin verabreicht oder völkisches Deutschtum und christliches Abendland wie in Dresden, dabei wäre weltweit eine Distanz zu Religion, ein neuer Antifaschismus, Aufklärung und eine Stärkung des Denkens und der individuellen Urteilskraft angesagt. Frankreich könnte da federführend sein, doch der Antizionismus, Kosmopolitismus und die massive islamistische Präsenz im Land stehen dem vermutlich entgegen.

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Auf einige der genannten Ideologeme bei Broder aufmerksam geworden, schrieb mir eine Facebook-Freundin, Eva Horvath-Bentz:

„Broder arbeitet mit voller Kraft daran Deutsche und Juden zusammenzuführen, weil er sich in Deutschland wohlfühlt, nur der Holocaust stört ihn noch manchmal ein wenig. Daher der Wunsch, der Holocaust hätte nicht stattgefunden und Deutschland hätte den Krieg gewonnen. In dieser Konstellation wäre er dann ohne Hindernisse ein glücklicher, deutscher Kleinbürger mit großem Bauch.“

Zudem und verschärfend bedient Broder das Franz-Josef-Strauß-Syndrom: Die Antifa sei die heutige SA. Broder und seine Kolleginnen und Kollegen auf der Webseite Achgut regen sich seit Wochen maßlos über Kritik an den nationalistischen und völkischen Massenaufmärschen von Pegida und ihren Ablegern auf. Broder schreibt:

„Mitten in der Menge eine junge Frau mit Wollmütze, die ein pinkfarbenes Plakat an einer Holzlatte in die Höhe hält. Darauf steht: ‚Menschenrechte statt rechte Menschen‘. Ich würde gerne auf die Frau zugehen und sie fragen: ‚Was soll denn mit den rechten Menschen passieren? Wollen wir sie umbringen, einsperren, ausbürgern?‘“

Angesichts von NSU-Morden, ca. 700 weiteren Morden von Rechtsextremisten und Neonazis seit 1989, solche grotesken Mordfantasien harmlosen, antifaschistischen oder zumindest Anti-Pegida-Aktivistinnen zu unterstellen, zeigt ein Syndrom an und ist Resultat eines Realitätsverlustes. Während Broder 1978 noch die „neuen Nazis“ im Blick hatte ist er heute ob Pegida ganz verzückt. Aus einem Kritiker des Antisemitismus („Der ewige Antisemit“, 1986) in der BRD wird ein stolzdeutscher Kleinbürger im Kampf für das „Abendland“.

Dazu kommt seit Jahren ein gezielt gegen Frauen und „Gendermainstreaming“ gerichteter, regelrechter Hass vieler Konservativer wie der Achse des Guten. Die reaktionäre Ideologie zeigt sich in Texten, in denen Broder Sexisten wie Brüderle in Altherrenmanier ein Kavaliersdelikt attestiert und keine elende patriarchale Grenzüberschreitung, wie sie tagtäglich passiert.

Mit guten Gründen hat selbst ein Mitbegründer des Autorenblogs „Achgut“, Michael Miersch, die Redaktion im Januar 2015 verlassen:

„Das politische Spektrum in Deutschland verengt sich auf zwei Pole: Die, die ein Problem mit dem Islam abstreiten und am ‚Elefanten im Zimmer‘ vorbei gucken. Und die, deren Antwort auf die islamische Herausforderung lautet: Scharen wir uns um Kreuz und Fahne und verteidigen wir unsere deutsche Identität. Liberale und differenzierte Positionen werden davon überrollt.“

Zum Ausstieg von Miersch schreibt Christian Bommarius in der Frankfurter Rundschau („An das deutsch-nationale Pöbel-Pack“):

„Vor allem in Broder finden Gauland, Adam und Pegida den entschlossensten Verteidiger. Als der nach eigenem Geständnis ‚geschmierte‘ Journalist Udo Ulfkotte (…) kürzlich die Pegida-Demonstranten in Dresden mit der Nachricht erschütterte, in Deutschland würden jetzt schon die Friedhöfe islamisiert, schloss er seine Rede mit einem ‚herzlichen Dank an Henryk M. Broder‘. Den hat er verdient.“

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Broder, der symptomatisch steht für eine Tendenz, erweckt den Eindruck, die gesamte sogenannte Pro-Israel-Szene mache sich lustig über jegliches Auschwitzgedenken, dass sie konservativ („Ich wähle Merkel“) bis extrem rechts („Ich wähle AfD“), gegen political correctness, misogyn, anti-links, Pegida-freundlich, völlig unverschämt neoliberal-kapitalistisch, anti-ökologisch und Anti-Islam sei. Das schadet sowohl Israel, dem Eingedenken der Geschichte und Gegenwart des Zionismus (die sehr stark mit dem Sozialismus verbunden ist und nicht zufällig heißt es im gegenwärtigen israelischen Wahlkampf „zionistisches Lager“ von Herzog/Livni u.a. gegen das „rechte Lager“ von Netanyahu, Bennett, Lieberman etc.) wie der Erinnerung an die Shoah. Es entsteht der Eindruck eines entweder-oder: Entweder die Shoah wird erinnert oder man ist für Israel. Jegliches Differenzierungsvermögen wird negiert.

Ja, viele Deutsche sind glühende Antizionisten und erinnern die Shoah (oder tun zumindest so), meinen, sie seien damit projüdisch. Der Zentralrat der Juden, jüdische Gemeinden und einige andere versuchen allerdings seit Jahren auf angemessene Weise den präzedenzlosen deutschen Verbrechen zu gedenken und sind proisraelisch. Darunter sind etliche der wenigen noch Lebenden der ersten Generation und ihre Nachkommen. Im Gegensatz zu Broder ist der Zentralrat der Juden auf der Höhe der Zeit, wenn er vor dem extrem rechten und nicht nur bei organisierten Neonazis beliebten großen Polit-Blog Politically Incorrect (PI) warnt. Ein vulgärer Ton, eine Hetze und eine Diffamierung aller Nicht-Deutschen im Allgemeinen und Muslimen im Speziellen, aber auch eine Agitation gegen die jüdische Beschneidung ist bei PI online zu finden.

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Broder stellt den Zionismus der Erinnerung an die Shoah gegenüber, fast wie ein Besessener publiziert er zu „Auschwitz vergessen“, was keine Polemik und keine Ironie, sondern Programm ist – und somit rennt er offene Schiebetüren im neuen deutschen Salon ein. Die Deutschen sind schuld, dass Broder Auschwitz nicht vergessen kann. Allerdings scheint er nicht zu begreifen, dass die Deutschen Auschwitz permanent vergessen, da das Thema für sie ein „Stimmungskrepierer“ auf Partys ist (Matthias Matussek) und Broder ihnen heute dazu Schützenhilfe leistet.

Bereits 2006 publizierte ich Folgendes:

„Ich bin nicht tief traumatisiert, denn ich denke nicht oft an die deutsche Schuld und an den Holocaust“ sagt Matussek, er kämpft wie Walser und Konsorten gegen die „moralische Keule“. Das sind die Töne des nationalen Apriori.

Seit dem deutschen Fußball-WM-Jahr und exzessiv im Jahr 2014 gibt es nur noch Deutsche, wer nicht schwarzrotgoldene Tischdeckchen hat oder häkelt und farblich passende Socken oder Slips trägt wird angeschrien und dann toben der Mob und die Elite unisono, wobei viele Migranten eine sehr gute deutsch-nationale Rolle spielen. Selbst Israeli lieben die Deutschen, sie leben ja auch weit genug weg vom Land im WM-Wahnzustand. Ohne diesen WM-Wahnsinn seit Jahren wären Pegida & Co. undenkbar.

Matussek, ein Prototyp des stolzen Deutschen, lacht sich schief, dass seinem Kumpel Broder das Vergessen nicht so gut gelingt. Diesen Unterschied ums Ganze, Sohn ganz normaler („ordinary“) Deutscher oder Sohn von Auschwitz- und Holocaustüberlebenden zu sein, wischt der Katholik vom Tisch, ja er bemerkt ihn gar nicht. So sind sie, die Deutschen. Und für die ganz Tumben wie für die Bologna-mäßigen 21-jährigen Doktoranden, die spätestens jetzt ihren Blutdruck nicht mehr regulieren können: „die“ Deutschen ist logisch eine Übertreibung, selbst wenn es bis auf zwei oder drei alle wären, wäre es falsch. Es geht nicht um eine Ontologisierung eines üblen Volkes, sondern um eine „Übertreibung in Richtung Wahrheit“ (Günther Anders).

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Der oben zitierte Spiegel-Autor von 1993 („Shoah-Business“), der von Eike Geisel in seine Einzelteile zerlegt wurde, war niemand anders als sein alter Freund und Weggefährte Henryk M. Broder. Geisel konnte es selbst nicht glauben, dass Broder so einen Text geschrieben haben könnte und unterstellte, Broder wollte dem Spiegel einen rechten Text unterschieben um die Redaktion spaßguerillamäßig aufs Glatteis zu führen.

Geisel schrieb:

„Was aber, wenn Broder den Spiegel nicht als Zentralorgan des Chauvinismus entlarven wollte, der Text tatsächlich und entgegen allen Beteuerungen von Freunden doch von ihm selbst stammt? Wenn er selbst den ‚Holocaust-Rausch‘ der USA im Zustand eigener hochgradiger Sturzbetroffenheit entdeckt haben sollte? Was dann? Das wäre ein weiteres Beispiel finaler Déformation professionelle, wie etwa im Fall der Löwenforscherin, die schließlich von ihrem Untersuchungsobjekt aufgefressen wurde. Dann hätte ihn das Syndrom, dem seine jahrelange Aufmerksamkeit galt, am Ende verschluckt.“

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Gastbeitrag von OE: Vergangenheit darf nicht totgeschwiegen werden

Am 27. Januar 2015 jährt sich der Tag der Befreiung so vieler Menschen aus dem Konzentrationslager Auschwitz zum siebzigsten Mal.

In den folgenden Monaten 1945 wurden die Überlebenden auch aus den anderen Konzentrationslagern befreit.

Sechs Millionen Juden waren ermordet worden.

Welche das große Glück hatten, wieder frei zu kommen, wussten zwar, dass sie überlebt haben, jedoch wussten sie nicht, was sie nun erwartete.

Fanden sie vielleicht noch die Partnerin oder den Partner, waren da vielleicht noch Geschwister oder andere Verwandte, gab es noch vereinzelt einen guten alten Freund oder einen der damals in der NS-Zeit seltenen guten Kollegen oder der ganz wenigen ehemaligen hilfreichen Nachbarn?

Diese bangen Fragen wurden nicht immer schnell beantwortet. Oft vergingen Monate oder Jahre, oft fanden die Menschen, die das unvorstellbare Leid in den Konzentrationslagern überlebt hatten, kaum jemanden, der ihnen nahe stand. Wo war wer geblieben?

         Glückliches Wiedersehen

Anfang der 1950er Jahre ging ich in Düsseldorf mit meiner Mutter durch den Kaufhof. Vor der Uhren-Abteilung blieb meine Mutter plötzlich stehen, fasste mich am Arm und sagte:

„Da steht ein älterer Herr. Ich glaube, den kenne ich von früher. Vielleicht ist das Herr Dalibor !“

„Wer ist Herr Dalibor ?“, fragte ich meine Mutter.

„Herr Dalibor ist ein früherer Mitarbeiter im Uhrengeschäft, in dem ich bis 1938 gearbeitet habe. Ich habe ihn damals das letzte Mal gesehen ! Wenn es wirklich Herr Dalibor ist, würde ich mich sehr freuen ! Er ist Jude ! Ein sehr freundlicher Herr ! Ich muss unbedingt wissen, ob er es ist !“

Dann ging meine Mutter auf eine Verkäuferin in der Abteilung zu und fragte sie: „Der ältere Herr in Ihrer Abteilung: Ist das vielleicht Herr Dalibor ?“

Die Verkäuferin nickte überrascht. Meine Mutter bat sie: „Würden Sie bitte so freundlich sein und ihm sagen, dass hier die Inge steht ?“ Als die Verkäuferin ihm diese Mitteilung brachte, rief er ganz laut: Inge !!!

Dann lief er auf meine Mutter zu, breitete seine Arme aus und die beiden fielen sich um den Hals und lachten und sahen sich so glücklich an, als hätten sie aufeinander gewartet.

Ich stand abseits und konnte nicht anders als mitlachen. Welch ein glückliches Wiedersehen, welch eine Freude, welch eine Herzlichkeit ! Herr Dalibor und meine Mutter schienen die Welt um sich zu vergessen. Sie fassten sich bei den Händen und erzählten, was sie auf dem Herzen hatten, was sie erlebt und was sie erlitten hatten.

Herr Dalibor hat seine ganze Familie im KZ verloren und war froh, wenn wer ihm jetzt freundlich zugetan war.

Ich weiß nicht mehr, wie lange Herr Dalibor und meine Mutter da gestanden und sich gesagt haben, was dem anderen von Bedeutung sein musste.

Als sie sich verabschiedeten, war es, als sei ein Stück der alten Zeit wieder wach geworden, ein Stück der Zeit vor 1938 und vor der Zeit, als die Grausamkeiten im Lande zunahmen und die Menschen jüdischer Abstammung geächtet, verfolgt, drangsaliert, gepeinigt, geknechtet, geschunden und schließlich getötet wurden.

Ich erinnere mich, dass meine Mutter Herrn Dalibor später noch öfters gesehen hat. Es war wohl jedes Mal etwas Besonderes.

 

 

 

Auschwitz, 27. Januar 1945

Von Clemens Heni

Am 27. Januar 2015 wird in Auschwitz der 70. Jahrestag der Befreiung durch die Rote Armee der Sowjetunion (UdSSR) begangen. Während die Befreier von Auschwitz nicht vertreten sein werden, jedenfalls nicht mit dem russischen Staatspräsidenten Putin, wird die Täternation dabei sein. In einer aufgeheizten Stimmung in Europa und dem Westen wird so getan, als ob „Steven Spielberg oder die Amerikaner“ Auschwitz befreit hätten, wie es der Journalist und ZEIT-Korrespondent in Berlin Mark Schieritz auf Phönix im Fernsehen überspitzt auf den Punkt brachte und einforderte, doch gerade jetzt die Rolle Russlands bzw. der Sowjetunion zu würdigen bei der Niederschlagung Nazi-Deutschlands und der Befreiung von Auschwitz-Birkenau.

Götz Aly wiederum, das getätschelte enfant terrible der deutschen Mainstream-Geschichtswissenschaft, tut so als ob ihn die Nicht-Einladung Putins stören würde, dabei hat doch Aly durch seine eigene Forschung seit Jahrzehnten einer Ökonomisierung des Holocaust das Wort geredet („Vordenker der Vernichtung“), 2008 rot und braun analogisiert, Kritik am Springer-Konzern 1968 mit der Bücherverbrennung 1933 gleichgesetzt und somit geholfen, das antikommunistische und die Shoah trivialisierende Feld vorzubereiten, das heute gegen „die Russen“ zurückschießt.

Dabei ist dieser Jahrestag US-Präsident Barack Obama völlig wurscht, er hatte den Termin nicht eingeplant (woher hätte er von diesem für ihn x-beliebigen x-ten Jahrestag auch vorab wissen sollen?) und ist in Indien. Nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung wollen 81% der Deutschen nichts mehr vom Holocaust hören, den Blick in die schwarzrotgoldene Zukunft gerichtet.

Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) wird beim Gedenken in Auschwitz durch zwei ehemalige DDR-Bürger vertreten. Nachdem es mit dem „Triumph des Willens“ nicht in jeder Hinsicht klappte, siegt heute der „Triumph des guten Willens“ (Eike Geisel) auf allen Kanälen, die „Nationalisierung der Erinnerung“ hat oberste kulturindustrielle Priorität.[1]

Bundespräsident Gaucks Behauptung, die ganz normalen Deutschen hätten 1945 als „Befreiung“[2] verstanden, widerlegt er in seiner Autobiografie 2009 hingegen selbst: dort beschreibt er, wie er zu Weihnachten 1944 vom „Weihnachtsmann“ einen hölzernen Panzer bekommen hat, weil er „ohne zu haspeln“ ein Gedicht aufsagen konnte.[3] Seine Eltern fürchteten die Rote Armee und die Sowjets („Russen“) und sehnten keineswegs eine Befreiung – von was, dem antisemitischen, völkischen, nationalsozialistischen Selbst? – herbei. Gauck setzt nicht nur obsessiv und mit System die DDR mit dem Nationalsozialismus gleich, nein: er fantasiert zudem, die Nazis seien ganz wenige böse Leute gewesen, die das ‚deutsche Volk‘ beherrscht hätten.

Der Bundespräsident steht im Trend einer neuen, zukunftsträchtigen Verharmlosung des Holocaust. In seinen längst bekannten und dokumentierten Reden und Publikationen diminuiert Gauck den Holocaust gleich mehrfach: Er setzt den Nationalsozialismus mit der DDR gleich und banalisiert dadurch ersteren zu einem bloßen ‚Unrechtsregime‘; er unterstellt Kritikern, welche die Shoah in ihrer Präzedenzlosigkeit und Einzigartigkeit analysieren, einen „psychischen Gewinn“, womit die modernen Gottlosen ein ‚inneres Loch‘ stopften. Gauck ist als politischer Aktivist bei der Veröffentlichung des „Schwarzbuchs des Kommunismus“ (1998)[4], der „Prager Deklaration“ (2008) und der Initiative „23. August 1939“ (2009) an vorderster Front mit dabei. Angesichts der „Prager Deklaration“ und der Gleichsetzung von rot und braun sprechen Experten in Jüdischen Studien wie Alvin H. Rosenfeld aus USA vom „Ende des Holocaust“[5], was auch die kulturindustrielle Verkitschung Anne Franks betrifft und viele weitere Facetten der Trivialisierung und Universalisierung der Shoah.

In Auschwitz wurden ca. 1,3 Millionen Menschen industriell vernichtet, darunter ca. 1,1 Millionen Juden. Die Opfer des präzedenzloses, nie dagewesenen Verbrechens, werden durch Gauck geradezu verhöhnt, wenn dieser Mann davon redet, jene, die gerade den präzedenzlosen Charakter der Shoah betonten, würden das als „psychischen Gewinn“ in einer gottlosen Welt verbuchen.[6]

Man kann also super stolzdeutsch den „Antikommunismus“ hochleben lassen und de facto die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz und die Alleinschuld des Nationalsozialismus am Zweiten Weltkrieg zerreden – ja, zerreden – wenn man es nur wirklich will. Und Richard Herzinger will es und tut es und Springer freut es. Damit entwirklicht Herzinger die historische Leistung der Roten Armee, am 27. Januar 1945 das KZ und Vernichtungslager Auschwitz befreit zu haben. Für ihn ist die Betonung der Leistung der Roten Armee reine Propaganda der Kommunisten, da Stalin schon vor der Shoah ähnlich schlimme Verbrechen begangen habe. Herzinger schreibt im Geiste von Ernst Nolte und natürlich dessen Enkel/Sohn Timothy Snyder (Yale), dem Bestsellerautor von „Bloodlands“, einem Gebiet mit über 14 Millionen Toten zwischen 1932 und 1945, das Snyder erfindet, um die Einzigartigkeit des Holocaust zu leugnen bzw. zu trivialisieren.

Es gibt ein Denkmal in Israel, das in Gedenken an die heroische Leistung der Roten Armee und der jüdischen Soldaten in der Roten Armee errichtet und 2012 eingeweiht wurde:

“This is an opportunity to thank the Red Army,” said Peres. “Had it not defeated the Nazi beast then it is doubtful we would be standing here today. In World War II the Soviet Union prevented the world from surrendering.”

Memorial für die Rote Armee in Netanya, Israel, 2012

Zum obsessiven Antikommunismus der Liberalen, Bürgerlichen, Konservativen und Reaktionäre kommt jedoch noch ein Element hinzu. Die Kritik am Islamismus und seiner Pro-Nazi-Geschichte ist bedeutsam, gerade in Zeiten des Jihad, des muslimischen Antisemitismus und der Islamischen Staates (IS). Doch man kann es auch unwissenschaftlich und politisch grotesk machen. Und dann geht es um Geschichtsklitterung und die Stilisierung des Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husaini, zum Obernazi, der Hitler erst zum Holocaust inspirieren musste. So schreiben die Nahostforscher Barry Rubin (1950–2014) und Wolfgang G. Schwanitz 2014 in einem Buch bei dem renommierten Verlag Yale University Press, es sei für Hitler bis zum Besuch von al-Hussaini am 28. November 1941 nicht klar gewesen, ob die Juden nur abgeschoben oder vernichtet werden sollten:

„But there was another consequence of the al-Husaini-Hitler meeting [28. Nov 1941, d.V.] to cement their alliance. A few hours after seeing the grand mufti Hitler ordered invitations sent for a conference to be held at a villa on Lake Wannsee. The meeting’s purpose was to plan the comprehensive extermination of all Europe’s Jews. Considerations of Muslim and Arab alliances, of course, were by no means the sole factor in a decision that grew from Hitler’s own anti-Semitic obsession. But until that moment the German dictator had left open the chance that expulsion might be an alternative to extermination.”[7]

Die beiden Autoren ignorieren großzügig nahezu die gesamte Holocaust- und Antisemitismusforschung, man denke nur an Hans Safrians Studien über Eichmann[8], Daniel J. Goldhagens Doktorarbeit über „Hitler’s Willing Executioners“ mit ihrem zentralen Satz „No Germans – No Holocaust“[9], oder Jochen Böhlers Dissertation „Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939“, in der er z.B. anhand von Bundesarchivakten Einträge von deutschen Soldaten dokumentiert, die in antisemitischer Diktion ihre Eindrücke beim Einmarsch in Polen 1939 zum Ausdruck brachten.[10] Auf diesem antisemitischen Feld baute später der Vernichtungskrieg der Wehrmacht gegen die Sowjetunion und die Juden ab Juni 1941 („Unternehmen Barbarossa“) auf.

Doch nun wie Rubin und Schwanitz den Großmufti al-Husaini, ein ausgewiesener Antisemit und Freund Hitlers, als Stichwortgeber für die „Endlösung“ herbei zu fantasieren, das entbehrt jeder Grundlage und desavouiert sowohl die Holocaust- wie die Islamismusforschung.

Bedeutend und von herausgehobenem Interesse sind hingegen die Erkenntnisse der jüngsten kritischen Antisemitismusforschung. In ihrer Studie „Antisemitismus im Reichstag. Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik“ analysiert die Historikerin Susanne Wein[11] erstmals die Protokolle der Reichstagsdebatten, bettet sie in die politische Kultur der Zeit ein und zeigt wie offen und auch codiert der Antisemitismus in der Weimarer Republik von rechts bis links und der Mitte war. Sie schreibt über Zeitungsberichte bezüglich eines der großen Skandale der Republik, den „Barmatskandal“ Ende 1924/1925, und die antisemitischen Implikationen:

 

„Die Artikel der Barmatskandalisierung verwenden das physiognomische antisemitische Stigma der großen Nase nicht explizit, doch z.B. der Satz ‚Kutisker […] riecht herum‘ zentriert auf das Olfaktorische und degradiert die Person wiederum zu einem Tier, das herumschnüffelt. Die Bildsprache rekurriert demnach neben dem vorherrschenden Bezug auf die Botanik auch auf identifizierende Metaphern aus der Zoologie. Drittens steckt Gestank im Bild des kranken Volkskörpers. Dieser hat je nach Dramatisierung des jeweiligen Artikels eine eiternde Stelle oder ist mit Eiterbeulen übersät und entsprechend gering werden die Heilungschancen eingeschätzt, wobei in jedem Fall sofort reagiert werden muss. Alle Artikel dieser Art beinhalten den dringenden Aufruf zum Handeln, um die Krankheit zu bekämpfen, bevor es zu spät ist und die drastischen Bilder greifen auf Vernichtungsvokabular zurück. Der korrumpierende ‚(ost-)jüdische‘ Kapitalist wird vermischt mit dem Bild des ‚fremden Ostjuden‘, der Seuchen einschleppe. Beide Figuren „hängen“ am bereits durch den Krieg geschwächten deutschen Volkskörper und ’saugen ihn aus‘. Dieses aggressiv-antisemitische Bild aus der Medizin, das ‚den Juden‘ als Erreger und Überträger von Krankheiten entmenschlicht und ihn zum lebensunwerten Parasiten macht, bewegte sich noch auf der verbalen Ebene, hatte jedoch eine Kompatibilität zur künftigen nationalsozialistischen Tat.“[12]

 

Diese Analyse ist entscheidend, um die Vorgeschichte von Auschwitz und der Shoah besser verstehen zu können. Das erklärt nicht Auschwitz, aber den Weg dahin.

Auch Forschungen über den auf die Vernichtung der Juden zielenden Antisemitismus eines Achim von Arnim in seiner Rede „Über die Kennzeichen des Judentums“, den er vor der „Christlich-deutschen Tischgesellschaft“ im Frühjahr 1811 gehalten hat, der von dem Literaturwissenschaftler Heinz Härtl als der „schlimmste antisemitische Text der deutschen Romantik“ bezeichnet wurde, worauf die Historikerin Susanna Moßmann hinweist, sind von enormer Relevanz.[13]

Hier zeigte sich das christliche deutsche „Abendland“ und jeder einzelne Teilnehmer und jede einzelne Teilnehmerin oder Sympathisant und kuschelnder, sie „ernst“ nehmender Gesprächspartner der völkischen PEGIDA (und verwandter)-Aufmärsche und des Extremismus der Mitte ist in Haftung zu nehmen für diese antisemitische Tradition im Geschwätz vom schönen deutschen „Abendland“. Und jene Anti-PEGIDAisten, die ihren Judenhass als Antizionismus kaschieren, sind die andere Seite des gleichen, heutigen Deutschlands. Verschwörungswahnsinnige agitieren immer häufiger auch offen gegen Juden, Geldwirtschaft oder das „Finanzkapital“.

Das sind nur einige Aspekte, die angesichts der 70. Wiederkehr der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz in den Blick zu nehmen wären.

Von einigen wenigen Forscherinnen abgesehen, sind es heute fast nur noch Satiriker, die in der Lage sind und die den Mut haben, die Realität in Worte zu fassen, hier die Satire-Redaktion von SpiegelOnline:

„Bundespräsident Gauck wird dagegen selbstverständlich bei der Gedenkveranstaltung vertreten sein. Schließlich waren es deutsche Soldaten, die sich den Okkupanten heroisch entgegenwarfen. Außerdem wären Auschwitz und somit auch alle damit verbundenen Feierlichkeiten ohne Deutschland niemals möglich gewesen.“

 

 

Für sachdienliche Hinweise und intellektuelle Inspiration danke ich Karl-Hans Wieser und Thomas Weidauer.

 

[1] Eike Geisel (1998): Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung. Hg. von Klaus Bittermann, Berlin: Edition Tiamat.

[2] Joachim Gauck (2005a): Schuld und Schuldverarbeitung in Übergangsgesellschaften, in: Rektor der Universität Augsburg (Hg.) (2006), Gesellschaftspolitisches Engagement auf der Basis christlichen Glaubens. Laudationes und Festvorträge aus Anlass der Ehrenpromotionen von Prof. Dr. Andrea Riccardi und Dr. h.c. Joachim Gauck am 17. Juni 2005 an der Katholisch-Theologischen und an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg, Augsburg: Selbstverlag, 45–58, 52.

[3] Joachim Gauck (2009): Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen, in Zusammenarbeit mit Helga Hirsch, München: Siedler, 21: „Weihnachten 1944 bestand ich meinen ersten öffentlichen Auftritt auf einer wahrscheinlich von der nationalsozialistischen Frauenschaft veranstalteten Weihnachtsfeier. Ich vermochte ein ganzes Weihnachtsgedicht aufzusagen, ohne mich zu verhaspeln und ohne zu stocken: ‚Von drauß, vom Walde komm ich her…‘ Der Weihnachtsmann war so gerührt, dass er versprach, nach der Feier noch bei mir zu Hause vorbeizukommen und mir ein spezielles Geschenk zu übergeben. Er hielt sein Versprechen: Ich bekam einen weiteren Panzer aus Holz.“ Wer sich im Alter so scheinbar wehmütig an die nazistischen Kriegszeiten erinnert, hat keine Distanz zur deutschen Geschichte. Denn das Narrativ wird nicht beispielsweise mit einer Reflexion gebrochen, was vierjährige jüdische Jungen und Mädchen zur gleichen Zeit erleben mussten.

[4] Stéphane Courtois (Hg.) (1997)/1998: Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. Mit dem Kapitel „Die Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR“ von Joachim Gauck und Ehrhardt Neubert, München/Zürich: Piper. Die Originalausgabe erschien 1997 in Paris bei der Editions Robert Laffont; Joachim Gauck (1998): Vom schwierigen Umgang mit der Wahrnehmung, in: Courtois (Hg.), 885–894.

[5] Alvin H. Rosenfeld (2011): The End of the Holocaust: Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press.

[6] „Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocaust. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren. Da dem Nichtreligiösen das Summum Bonum – Gott – fehlt, tritt an dessen Stelle das absolute Böse, das den Betrachter erschauern lässt. Das ist paradoxerweise ein psychischer Gewinn, der zudem noch einen weiteren Vorteil hat: Wer das Koordinatensystem religiöser Sinngebung verloren hat und unter einer gewissen Orientierungslosigkeit der Moderne litt, der gewann mit der Orientierung auf den Holocaust so etwas wie einen negativen Tiefpunkt, auf dem – so die unbewusste Hoffnung – so etwas wie ein Koordinatensystem errichtet werden konnte. Das aber wirkt ‚tröstlich‘ angesichts einer verstörend ungeordneten Moderne. Würde der Holocaust aber in einer unheiligen Sakralität auf eine quasi-religiöse Ebene entschwinden, wäre er vom Betrachter nur noch zu verdammen und zu verfluchen, nicht aber zu analysieren, zu erkennen und zu beschreiben.“ (Joachim Gauck (2006): Welche Erinnerungen braucht Europa?, http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Stiftungsvortrag_Gauck_fuer_Internet.pdf (eingesehen am 25. Januar 2015, S. 14f.)).

[7] Barry Rubin & Wolfgang G. Schwanitz (2014): Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East, New Haven: Yale University Press, ohne Seitenangabe (E-Book). Nun: Der Holocaust war Ende November 1941 längst im Gang, wie in der Ukraine in Babi Yar, unweit von Kiew, wo am 29./30. September 1941 in einem der größten Massaker der Shoah über 30.000 Juden ermordet wurden. In Litauen gab es Pogrome an den Juden noch bevor die Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überall angekommen war, wie erwähnt sind auch Morde an Juden im Zuge des Überfalls auf Polen 1939 Teil des Holocaust. Im Februar 2014 hat David Mikics den Autoren wegen dieser These, der Mufti habe Hitler quasi die Idee zur „Endlösung“ und zur Wannseekonferenz gegeben, scharf kritisiert. Schwanitz‘ Replik entkräftet die Kritik überhaupt nicht.

[8] Hans Safrian (1993)/1997: Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt a.M.: Fischer.

[9] Daniel Jonah Goldhagen (1996): Hitlers willige Vollstrecker: ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin: Siedler.

[10] Jochen Böhler (2006): Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt a.M.: Fischer, 46–48.

[11] Susanne Wein (2014): Antisemitismus im Reichstag. Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang (Zivilisationen & Geschichte, hg. von Ina Ulrike Paul und Uwe Puschner, Band 30; zgl. Diss. FU Berlin 2012).

[12] Wein 2014, 197.

[13] Susanna Moßmann (1996): Das Fremde ausscheiden. Antisemitismus und Nationalbewußtsein bei Ludwig Achim von Arnim und in der »Christlich-deutschen Tischgesellschaft«, in: Hans Peter Herrmann/Hans-Martin Blitz/Dies. (1996): Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/Main: Suhrkamp Taschenbuch, S. 123–159, 152.

 

 

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